Vater Vasily Zenkovsky*
Bedeutende Menschen, die mir begegnet sind
Ich
traf N.A.Berdyaev erstmals im Jahre 1903 bei meinem Lehrer G.I.Chelpanov1). Ich
war noch ein Student und an allem interessiert, was die damaligen
"Häupter" der russischen Intelligentsia schrieben (Berdyaev, Bulgakov
und andere). Seit dieser Zeit bis zum Jahre von Berdyaevs Tod (1948) war ich in
der Lage, während der verschiedenen Zeiten unserer Beziehungen, N[ikolai]
A[leksandrovich] zu beobachten und [ihn] zu verstehen. Ich beabsichtige nicht,
hier im Detail über unsere Beziehungen zu schreiben, doch kann ich es nicht
vermeiden. Deshalb werde ich zunächst unsere Beziehungen beschreiben, ihre
Auf-und-ab-Bewegungen und dann zu Berdyaevs Charakteristika kommen.
Meine
Zusammenkünfte mit Berdyaev in Kiev waren immer bei Chelpanov, und dies
hinterließ natürlich einen Eindruck auf unsere Freundschaft. Berdyaev freute
sich über die Begegnung bei Chelpanov, doch seine ursprünglichen Interessen
standen in keiner Weise in Übereinstimmung mit denen, die Chelpanov erfüllten,
dessen ganze Kreativität direkt auf das wissenschaftliche Streben gerichtet war
(vor allem in der Psychologie, aber teilweise [auch zu] allgemeinen
philosophischen Themen). Berdyaev sprach gerne über allgemeine philosophische
Inhalte, aber sein überwiegendes Interesse zu dieser Zeit und später war
vollständig der Religionsphilosophie verbunden. Es wurde mir deutlich, dass
Berdyaev sich in gewisser Hinsicht zu Chelpanov "herabließ", als ob
er ständig seine [Chelpanovs] Begrenzungen spürte, d.h. seine Indifferenz
gegenüber religiösen Themen. Berdyaev war zu dieser Zeit sehr ansehnlich, sein
großes Haupt mit seinem schwarzen Haarschopf, seine Bekleidung (er war immer,
soweit ich mich erinnere, wie ein Künstler angezogen). All dies beeindruckte
mich, und sein wohlbekanntes physisches Handikap störte mich weder damals noch
später.
Ich
war noch ein junger Mann (22 Jahre), aber stand irgendwie "auf der
Seite" in meinen Beziehungen zu Berdyaev. Berdyaev beeindruckte mich, aber
zugleich fürchtete ich mich davor, mich schriftstellerisch zu verlieren.
Trotzdem sind diese Kiever Zusammenkünfte noch in meinem Geist lebendig, ihre
vielgestaltige Ebene der Interessen, ihre anziehende Faszination mit allen
gegenwärtigen philosophischen Richtungen, all dies beeinflusste mich ihm
[Berdyaev] gegenüber günstig. Bei Chelpanov sah ich häufig während dieser
gelegentlichen Zusammenkünfte L.I.Shestov2) und verfolgte ihre Diskussionen mit
äußerster Aufmerksamkeit. Berdyaev nahm bald seinen Wohnsitz entweder in Moskau
oder St. Petersburg und die persönlichen Treffen endeten vollständig. Chelpanov
ließ sich gleichfalls in Moskau nieder, doch ich fuhr fort, beständig mit
Berdyaevs literarischen Aktivitäten den Kontakt aufrecht zu erhalten. Er hatte
einen unzweifelhaften Einfluss auf mich in den Jahren von 1903 bis 1908. Seine
religiöse und soziale Empfindsamkeit stand mir sehr nahe. Ich selbst
entwickelte mich in gleicher Richtung. Viele Jahre vergingen. Ich ging ins
Ausland, indem ich Russland Ende 1919 verließ und Professor in Belgrad wurde.
Ich
traf A.M.Lazarev in Berlin, den ich gut von Kiev her kannte (gleichfalls durch
Chelpanov). Lazarev führte mich bei D.M.Kachen ein, einem originellen
Philosophen im sozialen Bereich. Hier dachten wir über eine Gesellschaft
russischer Philosophen nach, die im Ausland lebten und, ich glaube, im
September 1922 fand ein kleines Treffen in Berlin statt, bei dem ich zum
Vorsitzenden der dann gebildeten Russischen Philosophischen Gesellschaft
gewählt wurde. Zu dieser Zeit wurde eine Sammlung von Artikeln "Orthodoxie
und Kultur" unter meiner Herausgeberschaft veröffentlicht.
Aber
im November 1922 wurde eine bedeutende Gruppe russischer Philosophen aus
Russland ausgewiesen, Berdyaev eingeschlossen. Mit ihnen kamen Frank3),
Vysheslavtsev4), I.A.Il'yin5), Karsavin6), und sie bauten eine
"Religiös-philosophische Akademie" in Berlin auf, die von Berdyaev
geleitet und vom amerikanischen YMCA unterstützt wurde. Seitdem, von 1922 an,
war ich in engeren Kontakt mit den religiösen Gruppen junger Menschen gekommen,
wir entschieden, im Jahre 1923 die erste Zusammenkunft der russischen
christlichen Studentenbewegung zu organisieren. Natürlich luden wir
Organisatoren Berdyaev ein, daran teilzunehmen. Zu dieser Versammlung kam
Berdyaev begeistert. Zusammen mit Bulgakov7), Kartashev8) und Novgorodsky war
er die Inspiration der Versammlung. Jedoch hatten sich unsere persönlichen
Beziehungen irgendwie und unerwartet verschlechtert. Ich war zum Vorsitzenden
der Bewegung bei dieser Versammlung gewählt worden. Aber zu dieser Zeit hatte
ich mich wieder in Prag niedergelassen. Die Direktoren des YMCA, die schon
begonnen hatten, die "Religiös-philosophische Akademie" zu
unterstützen, und entschieden hatten, ihr Publikationsunternehmen zu
vergrössern (YMCA Press), waren bei der Versammlung anwesend, und sie waren
recht günstig davon beeindruckt. Im späten Herbst des Jahres 1923 empfing ich
einen Brief von G.G.Kullmann9), zu dieser Zeit Direktor der YMCA-Arbeit unter
den jungen Studentengruppen, mit einer Bitte, dass ich nach Berlin kommen
sollte, um über "einige Probleme" zu sprechen. Bei der ersten
Zusammenkunft wurde es deutlich, dass der YMCA die Aktivitäten der
"Religiös-philosophischen Akademie" mit denen der russischen
christlichen Studentenbewegung verbinden wollte. Wir kamen mit Kullmann
überein, dass er eine Konferenz aller YMCA-Sekretäre für den nächsten Tag
einberufen sollte.
Ich
fühlte unmittelbar eine Art von Unbehagen, weil dies zu einer Art von
Veränderung in der Arbeit der "Religiös-philosophischen Akademie"
führen würde. Meine Zusammenkunft mit Berdyaev bei der Studentenversammlung war
sehr herzlich, doch auf der Grundlage einiger beiläufiger Bemerkungen fühlte
ich eine Spur von Argwohn auf Berdyaevs Seite gegenüber der Philosophischen
Gesellschaft, deren Vorsitzender ich war, wie ich schon früher erwähnte. Als
sich die Möglichkeit in einer Veränderung bei Berdyaevs Arbeit in der
"Religiös-philosophischen Akademie" mit meiner Mitwirkung
entwickelte, fühlte ich, dies könnte in einem vollständigen Abbruch unserer
Beziehung enden. Folglich ging ich am gleichen Abend, als ich mich mit Kullmann
getroffen hatte, zu Berdyaev, um ihn über die Zusammenkunft zu informieren,
indem ich ihn fragte, unter welchen Bedingungen und in welche Richtungen er
eine Veränderung der Arbeit der "Religiös-philosophischen Akademie"
betrachten würde. Sobald Berdyaev von mir über die frühere Zusammenkunft hörte,
wurde er extrem erregt. Ich bin nicht sicher, ob er um seine materielle
Situation im Falle einer Veränderung in der Leitung der
"Religiös-philosophischen Akademie" fürchtete, besonders wenn die
Akademie mit der [Studenten-] Bewegung verbunden würde und ihre Unabhängigkeit
gefährdete oder ob er einfach unglücklich war, dass irgendjemand anders als er
selbst ein Urteil über die Arbeit der "Religiös-philosophischen
Akademie" fällen würde; was auch immer der Fall war, er ging an jenem
Abend, um Kullmann zu sprechen. Ich weiß nicht, was er ihm sagte, nur, dass
Kullmann am nächsten Tag zu mir sagte: "Warum zerstören Sie unsere
geplante Konferenz? Warum mussten Sie Berdyaev darüber informieren?" Ich
erzählte Kullmann, dass dies aus akademischer Höflichkeit von mir gesagt worden
war.
Obwohl
die Konferenz niemals statt fand, behandelte Berdyaev mich doch als Ergebnis
dieser unerfreulichen Episode mit Misstrauen und an einer Stelle unfreundlich.
So, als ich ihn bat, für mich an der "Religiös-philosophischen
Akademie" alleinige Vorlesungen zu arrangieren (zu dieser Zeit war ich in
schlimmen materiellen Schwierigkeiten und die Vorlesungen an der
"Religiös-philosophischen Akademie" wurden gut honoriert), antwortete
Berdyaev mir ohne Zögern negativ. Insgesamt war Berdyaev ein wohlmeinender und
anständiger Mann, und so verletzte seine Beziehung zu mir mich tief.
Im
Jahre 1925 übersiedelte die "Religiös-philosophische Akademie"
zusammen mit anderen amerikanischen YMCA-Aktivitäten nach Paris. Hier
verbesserten sich meine Beziehungen zu Berdyaev. Er gebrauchte mich als Dozent
und "Ansprechpartner" bei den offenen Treffen der
"Religiös-philosophischen Akademie" (wie in der Vergangenheit gab es
keinen Ort für mich, um eigene Vorlesungen zu halten). Ich stellte meine
Artikel der von Berdyaev herausgegebenen Zeitschrift [Put'] zur Verfügung und
kam sogar zu ihm ins Haus.
Ich
erinnere mich nicht mehr daran, wann und warum ich plötzlich meine Besuche bei
Berdyaev beendete, obwohl diese ziemlich selten waren wie in der Vergangenheit.
Plötzlich und unerwartet während einer der Zusammenkünfte der Bewegung (um
1928-29) wandte sich Berdyaev, der dort war, an mich mit einigen eigenartigen
Bemerkungen. "Sie haben sich von mir entfernt. Sie beendeten Ihre Besuche
bei mir. Warum?" Ich muss zugeben, dass Berdyaev mich als Denker für eine
gewisse Zeit ernüchterte. Ich verlor das Interesse an ihm und seinen Schriften.
Zu dieser Zeit wurde er extrem [sich] wiederholend. Ich konnte ihm dies nicht
sagen und ging darüber mit einigen Bemerkungen hinweg. Aber nach einigen Jahren
erneuerte und verstärkte Berdyaev seine Angriffe gegen mich, doch unter
vollständig anderer Begründung.
Es
vollzog sich so, dass zu Beginn der dreißiger Jahre es eine Bewegung zu der
"Rechten" innerhalb der russischen Gesellschaft und besonders der
Jugend gab. Ich hatte damit keine Sympathie, aber ich sah dies nicht als eine
Art von Katastrophe an, weil niemand in der Lage war, diesen Prozess
aufzuhalten. Aber es entwickelte sich so, dass bei Berdyaevs Vorlesungen in der
"Religiös-philosophischen Akademie" weniger und weniger junge Leute
anwesend waren, und dies war äußerst ärgerlich und bestürzend für ihn. Er
konnte nichts Besseres finden, als diese Blamage mir anzulasten. Er klagte mich
an, dass keine jungen Leute zu ihm kämen (welch eine eigenartige und einfach
stupide Anmaßung), dass ich nicht die rechten Tendenzen in der Bewegung
bekämpfe etc. Ich war durch diesen Brief erzürnt und antwortete scharf, dass
ich als der Vorsitzende der [Studenten-] Bewegung mich nicht betrachte als
einen, der das Recht hat, die Jugend zu unterdrücken noch ihnen Ideen
einzuimpfen und dass, wenn irgendjemand für die jungen Leute verantwortlich
gemacht werden könnte, nicht ich es wäre als Vorsitzender der ganzen Bewegung,
sondern der Exekutiv-Sekretär der Bewegung in Frankreich, F.T.Pyanov10) (ein
ziemlich glühender und leidenschaftlicher Unterstützer Berdyaevs). Meine
Skepsis hinsichtlich Berdyaevs eigenartigen Anmaßungen wurden von Vater Sergei
Bulgakov geteilt. Als ich Berdyaevs Brief an die Exekutivsitzung der Bewegung
vorlas, unterstützte Vater S.Bulgakov mich warm, und Berdyaevs Brief blieb ohne
irgendeinen Einfluss auf die Arbeit der Bewegung. Ich bedauere tief, dass
während einer Durchsuchung, als alle meine Korrespondenz beschlagnahmt wurde,
Berdyaevs Brief der Polizei in die Hände fiel. Es ist nicht überraschend, dass
danach meine Beziehungen zu Berdyaev sich gänzlich verschlechterten und wir uns
niemals wieder begegneten.
Es
gab noch einen anderen Vorfall. Berdyaev betrachtete sich selbst als einen
Schriftsteller, beauftragt, unsere Geistlichkeit zur Aufgabe für jede Anzeige
von konservativen Tendenzen aufzurufen, und einmal schrieb er solch einen
scharfen und besonders inhaltslosen Artikel, voll von Übertreibungen, unsere
Bischöfe angreifend, dass mir der sehr zurückhaltende und höfliche Vater Sergei
Chetverikov sagte, dass, soweit er betroffen sei, es [ihm] nicht möglich sei,
an irgendeiner Zusammenkunft teilzunehmen, an der Berdyaev teilnehme (zu dieser
Zeit war Berdyaev für eine gewisse Zeit Ehrenmitglied der Bewegung und wurde
als solcher zu allen Zusammenkünften der Bewegung eingeladen). Es gab keine
Verzögerung auf der Seite des Exekutivkomittees der Bewegung zu entscheiden,
wer näher oder wertvoller sei: Berdyaev oder Vater Sergei (es sollte auch
dargelegt werden, dass zuvor Vater Sergei Proteste an den "Put'"
schrieb als Antwort auf einige seiner scharfen Artikel, die Berdyaev in seiner
Zeitschrift ohne Zögern veröffentlicht hatte). Es war im voraus einfach
entschieden worden, Berdyaev nicht zu den Zusammenkünften des Komitees
einzuladen. Zu unserem großen Glück fühlte Berdyaev seine Entfernung von der
Bewegung, verzichtete und war nicht länger Mitglied der Bewegung.
Die
Schlussepisode in meinen Beziehungen zu Berdyaev stand in Verbindung mit dem
Theologischen Institut. Der Institutsrat beauftragte mich und Vater
G.Florovsky11) im Sommer 1939 ein "Weißbuch" zusammenzustellen, das
jede Information in Hinsicht auf diese Episode geben sollte. Doch der Krieg kam
1939, und es gab keinen Gedanken mehr daran, irgendeine Art von
"Weißbuch" zu veröffentlichen. Am Ende des Krieges im Jahre 1945
wurde entschieden, all dieses Material als Teil eines Buches über das
Theologische Institut einzufügen, das aufgrund einer Stiftung für diesen Zweck
von Dr. Mott12) gemacht worden war. Bisher ist das Buch nicht gedruckt worden
und alles Material blieb ungenutzt.
Die
Episode bestand in Folgendem. Die politischen Leidenschaften in Europa mit
Blick auf den Krieg in Spanien hatten sich entwickelt. Die russische Emigration
war ebenfalls betroffen. Ein Mitglied unserer Fakultät, V.N.Il'yin begann,
scharfe Artikel in der Zeitschrift "Vozrozhdeniye" zunächst gegen
Milyukov und dann gegen Berdyaev zu veröffentlichen. Vater Sergei Bulgakov ließ
Il'yin kommen und forderte ihn auf, dass er entweder seine Angriffe gegen
Berdyaev beende, (dem wir alle verbunden waren durch die
"Religiös-philosophische Akademie"), oder seine ganze Zeit dem
Journalismus widme und aus dem Institut zurücktrete. V.N.Il'yin stimmte zu,
sich von seinen provokativen Artikeln zurückzuziehen.
Zur
gleichen Zeit entstand ein schwierigerer Konflikt mit G.P.Fedotov13), auch
einer unserer Institutsprofessoren. Fedotov war ein Mann mit vielen Begabungen.
Wir waren alle beeindruckt von seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten, aber
zugleich war er ein politischer Schriftsteller einer extrem linken Richtung (früher
war er Sozialdemokrat mit einer linken Überzeugung, und in Paris kam er
zufällig den Sozialrevolutionären von Typen wie Fundaminsky14), Rudnev und
anderen nahe). Der Bürgerkrieg, der in Spanien herrschte, machte aus ihm einen
unversöhnlichen Feind Francos. Doch seine Artikel, im Stil hochbegabt,
verunsicherten die russische Gesellschaft und schufen unerfreuliche Unruhe rund
um das Theologische Institut. Einmal wandte sich Metropolit Evlogy15) während
einer Fakultätssitzung höflich an Fedotov, indem er sich für den Versuch
entschuldigte, sich in seine literarischen Untersuchungen einzumischen und bat
ihn, seine Schriften, seine Schmeichelei der Passionara (einer Heldin der roten
Spanier) und seinen Ärger gegen Franco um der Interessen des Instituts willen
zu mildern. Fedotov schaute finster drein, doch er versprach, zurückhaltender
zu sein. Leider wurde er rasch vom politischen Kampf in Anspruch genommen.
Seine Artikel wurden provozierender und kompromissloser. Die Fakultät des
Instituts, obwohl nicht alle zu Franco hingeneigt waren, wurden mit Fedotovs
Artikeln konfrontiert und aus der Fassung gebracht, während Fedotov für ein
halbes Jahr zur akademischen Arbeit nach England abreiste und von England seine
gewaltigen Artikel an "Novaya Rossiya"16) sandte.
Der
Institutsrat stand wegen Fedotovs anmaßender Missachtung der
Institutsinteressen unter Druck und Vater Bulgakov, der auf seine herzliche
Nähe zu Fedotov vertraute, schrieb ihm, dass das Institut Fedotov entschieden
bäte, zwischen seiner Arbeit eines politischen Publizisten oder seiner Arbeit
im Institut zu wählen im Blick auf den extrem provokativen Ton, der sich in
Fedotovs Schriften widerspiegele. Fedotov antwortete mit einem groben Brief, in
dem er feststellte, dass er meine, der Fakultätsrat sei nicht kompetent zu
beurteilen, bis zu welchem Maß seine Stellung als ein Fakultätsmitglied mit
seiner Arbeit als Schriftsteller vereinbar sei, und dass er nicht das vom
Institut dargestellte Dilemma akzeptiere, dass er sich – wie in der
Vergangenheit – als ein Professor des Instituts betrachte und dass er keine
Absicht habe, etwas in seiner literarischen Produktion zu ändern. Der
Fakultätsrat hatte in seiner Antwort keine Alternative auf Fedotovs zynische
und grobe Erklärung außer ihn von seiner Arbeit im Institut zu entheben. Wir
waren alle extrem bestürzt durch diese Ereignisse, doch wir sahen keinen
anderen Ausweg, da Fedotovs extreme Artikel zur Unterstützung der Passionara
und ihrer revoltierenden Äusserungen eine schlechte Atmosphäre im Institut
erzeugten.17)
Nur
ein Monat war vergangen, als die nächste Ausgabe des "Put'" Berdyaevs
Artikel gegen das Institut brachte, worin (Vater Bulgakov ausgenommen) er uns
alle "ignoramuses" [Unwissende] nannte, die es wagten, Fedotovs
literarische Freiheit zu verletzen. Hier ergab es sich, dass der Institutsrat
mich und Vater Florovsky mit der Vorbereitung eines "Weißbuches" mit
einer detaillierten Darlegung aller Ereignisse zusammen mit allen
dokumentarischen Zeugnissen beauftragte. Ich weiß nicht, was aus all dem geworden
wäre, doch der Krieg brach im Jahre 1939 aus. Eine Sache blieb: unser
gegenseitiger Bruch mit Berdyaev. Danach sah ich Berdyaev nur noch einmal, als
wir Vater Sergei Bulgakov beerdigten.
So
gestalteten sich meine Beziehungen zu N.A.Berdyaev über eine vierzigjährige
Periode. Nachdem man von den Deutschen befreit war, wandte Berdyaev sich
schnell den Sowjets zu, und dies trennte uns dauerhaft. Sicherlich entfernte er
sich allmählich von seiner "Sovietphilia", doch die Trennung zwischen
uns blieb. Als Berdyaev starb, konnte ich mich nicht dazu bereit finden, zu
seinem Begräbnis zu gehen, doch stattdessen begann ich seines Namens beständig
in den Gebeten für die Verstorbenen zu gedenken.