Yoga
Der Autor
Jean-Marie Déchanet wurde am 18. Januar 1906 in Isches (Vogesen) geboren. Als er zehn Jahre alt war, verstarb sein Vater Octave Déchanet und er wurde von seiner Mutter Marie-Rose Braconnier bei seinen Großeltern in der Nähe von Verdun erzogen.1924 wurde er Novize in der Abtei des heiligen Andreas (Zevenkerken, Brügge). 1927 legte er die Feierliche Profeß ab. Da er an Epilepsie litt, wurde er nicht zum Priester geweiht. Er schrieb Bücher über den Mystiker Wilhelm von Saint-Thierry († 1148), Freund Bernhards von Clairvaux, und gab einige seiner Werke heraus.
Durch seine Yogaübungen gesundete er und wurde am 22. Mai 1948 zum Priester geweiht. 1957 bis 1964 arbeitete er in Katanga (Kongo). Er war Mitbegründer eines Benediktinerklosters in Kansenia, wurde Novizenmeister und Klostervorsteher. Seine Versuche, die europäische monastische Kultur zu afrikanisieren stießen auf den Widerstand der Vorgesetzten, und so kehrte er nach Europa zurück.
Er wurde Einsiedler in Valjouffrey (bei Grenoble) und schrieb über die Integration des Yogas ins Christentum. Seit dem Jahr 1970 empfing er Besucher und gab Anleitung zu einem christlichen Yoga.
1990 kehrte er in sein Kloster Zevenkerken zurück und starb dort am 19. Mai 1992.
Zitate
Ist etwa das private Gebet entwertet? Muß man nicht eher von einem inneren Austrocknen und Versiegen sprechen, das durch eine Art ständiger, nervöser Unruhe (siehe Pater Pie Raymond Régamey OP, 1900-1996, La sagesse du corps, in: Vie spirituelle, November 1955, 372) verstärkt wird und seinen Grund im Bedürfnis hat, sich zu bewegen, zu sprechen, etwas zu unternehmen, sowie in der Machtlosigkeit, sich selber dem Lärm zu entziehen? (Déchanet, Yoga für Christen, Luzern 1957, 10).
Wir sind an diese Zustände gewöhnt und beweisen dadurch, daß unser Sinn für die Stille abgestumpft ist. Die Schweigsamkeit ist für uns keine zweite Natur mehr, wie sie das für unsere Vorfahren war; wir haben immer Mühe, zu schweigen und uns zu sammeln. (Déchanet, Yoga, 11).
Die christliche Liebe beschränkt sich vor allem auf die Tat: Hingabe an Gott, vor allem aber an den Mitmenschen. Nur wenige sind für das Wohnen Gottes und seines Geistes in ihrem Herzen wirklich empfänglich. (Yoga, 12).
Das Morgenland kennt eine Fülle von bewährten Übungsarten, die man als Weg des Schweigens bezeichnen könnte. Seit uralten Zeiten haben weise Lehrer in Indien den Menschen darin unterwiesen, Herr seiner Gedanken zu bleiben, sein Inneres zu beherrschen und sich in eine Stimmung der Entspannung und des tiefen Friedens zu versetzen, fern von allem Lärm im Menschen und um ihn herum. (Yoga, 13).
Viele, vor allem junge Christen, finden keine sachverständige Führung und täuschen sich sogar über das Wesen des Yogas, da sie die Übungen dieser uralten Disziplin nicht recht von den sie umgebenden Einflüssen der brahmanischen und vedantischen Lehren auseinanderzuhalten verstehen. (Yoga, 14).
Yoga und Brahmanismus sind von Anfang an miteinander verbunden; die aus der Erfahrung gewonnenen Lehren über die Möglichkeiten einer Beherrschung des Körpers und des Geistes sind mit einer Fülle von atheistischen oder pantheistischen Philosophiesystemen durchwirkt. So können wir einem sehr unangenehmen Mißverständnis vorbeugen und sogleich praktisch zeigen, unter welchen Bedingungen sich ein ursprünglicher, unberührter und von jeder Vermischung reiner Yoga den Forderungen eines aufrichtigen und lebendigen Christentums anpassen läßt. Dabei handelt es sich nicht um ein unklares Mittelding zwischen beiden; wir entlehnen bloß die Methoden des Yogas und fügen sie sogleich einer in Gehalt und Gesinnung echt christlichen Askese ein. (Yoga, 15).
Kein anderes Bild läßt sich auf den Yogi (besonders den schon sehr fortgeschrittenen) besser anwenden als das der Blume, die sich in der Stille des Morgens friedlich und mühelos öffnet und entfaltet. (Yoga, 29).
Die einzige für ihn mögliche Art des Entrinnens und der Weltflucht liegt darin, sich der Gaukelei, der Unwirklichkeit der Körper, der Natur, aller Wissenschaften und aller geistigen Errungenschaften bewußt zu werden; alle seine Anstrengungen haben den Zweck, Augen und Ohren den Lockungen aller Art zu verschließen und das denkende Ich zum Schweigen zu bringen, damit sich das geistige Ich vor sich selbst kundtun kann. (Yoga, 39).
Zur Aufweckung des Geistes dienen die Körperhaltungen; diese entspannen und beruhigen die Nerven, regen gleichzeitig den Blutkreislauf an und fördern die Tätigkeiten der verschiedenen Drüsen; zudem erschließen sie nach indischer Ansicht die in jedem Menschen verborgene Energie. (Yoga, 41).
Der Yogi versteht es, in sich vollkommenes Schweigen zu schaffen, seine Gedanken und Täuschungen auszuschalten, alles zu vergessen, außer dieser einen Idee, die den Lebensnerv aller indischen Religionen bildet: das echte Ich des Menschen ist göttlich, ; es ist Gott, daneben versinkt alles andere im Schweigen. (Yoga, 47).
Wenn also der Abendländer Nutzen ziehen will aus dem Yoga, der in der Absicht seiner Schöpfer nur eine Kunst, und nichts mehr, war, muß er zuerst die Übungen von den Theorien trennen, sie aus den hindernden brahmanischen Einflüssen herausschälen und ihnen ihre ursprüngliche Gestalt zurückgeben. Erst dann kann er sie in eine christliche Umgebung einpflanzen. (Yoga, 50).
Wir sprechen weder von einem echten noch von einem unechten Ich. Obwohl wir bestreiten, daß der innere Mensch Gott oder ein Teil Gottes, ein Funke aus dem göttlichen Feuer sei, entdecken wir zwischen Ihm, dem Übersinnlichen, persönlichen Gott und unserem christlichen Ich viel engere Beziehungen als zwischen dem Ich und dem Es, zwischen dem individuellen Geist und dem Geist schlechthin, von denen die indische Mystik spricht. Ich bin nicht Jener, der ist. Ich bin das Nichts, das Ihm sein Dasein verdankt. Ich bin vor allem – und darin liegt der große Unterschied – jener, den Er in Seiner Liebe zu einem neuen Leben wiedergebiert, den Er durch Seinen erstgeborenen Sohn kennt und errettet, und den Er unaufhörlich mit Seinem Geiste erfüllt, überflutet und entzündet. Ich bin also weder das Feuer selbst, noch ein aus dem Feuer hervorgegangener Funke, , sondern ein ins Feuer gelegtes Eisen, ein Dornbusch, den der göttliche Funke berührt hat, und der nun brennt, ohne zu verbrennen [Ex 3, 2]; ein ganz und gar leeres Gefäß, das von Seiner Liebe überfließt. (Yoga, 53).
Werke
Wilhelms von Saint-Thierry
o Epistola ad fratres de Monte Dei. Lettre aux frères du Mont Dieu (Lettre dʼor), kritische Textausgabe, Übersetzung und Anmerkungen von J.-M. Déchanet, Sources chrétiennes 223, Paris 1975.
o Le miroir de la Foi, kritische Textausgabe, Übersetzung und Anmerkungen von J.-M. Déchanet, Sources chrétiennes 301, Paris 1983.
o Wilhelm von Saint-Thierry, Méditations et prières, Übersetzung von J.-M. Déchanet, Brüssel 1945.
o Expositio super Cantica Canticorum, herausgegeben von J.-M. Déchanet, Übersetzung von Pierre Dumontier, Paris 1962.
Werke
Déchanets über Wilhelm von Saint-Thierry
o
Aux
sources de la spiritualité de Guillaume de Saint-Thierry, Band 1, Brügge 1940.
o
Guillaume
de Saint-Thierry. Aux sources dʼune pensée, Théologie historique 49, Paris
1978.
o
Guillaume
de Saint-Thierry. Lʼhomme et son œuvre, Brügge 1942.
Werke Déchanets über Yoga
o
Journal
dʼun yogi, mon corps et moi, Paris 1967.
o Journal dʼun Yogi, mon cœur et Dieu, Paris 1969.
o
La
voie du silence. Lʼexpérience dʼun moine. Note sur la prière du cœur, Paris 1978.
o Va où ton cœur te mène. Au-delà du yoga, Paris 1972.
o Yoga chrétien en dix lessons, Paris 1964.
o Yogin du Christ. La voie du Silence, Brügge 1956; Yoga für Christen. Die Schule des Schweigens, Übersetzung von Hermann Affolter, Zu uns komme Dein Reich, Luzern 1957.
Nachwort
Die grundsätzliche Problematik dieses Buches liegt darin, daß hier ein Hinduismus dargestellt wird, der gleichförmig ist. In Wirklichkeit gibt es äußerst unterschiedliche und gegensätzliche Gestaltungen indischer Religiosität.
Eine zweite Schwierigkeit liegt in der Begrifflichkeit. Wer nur vom Ich redet, ist in Gefahr, Mißverständnisse hervorzurufen. Die Unterscheidung zwischen dem egoistischen Ich und dem umfassenden Selbst macht dagegen deutlicher, worum es beim spirituellen Weg geht.
Déchanet war im Kongo daran gehindert worden, eine monastische Kultur afrikanischer Prägung zu fördern. Von daher erklärt sich eine gewisse Bemühtheit, herauszustellen, wie echt christlich die von ihm entwickelte Form des Yogas sei.
Sein großes Verdienst liegt darin, sich in seiner Zeit um die Verlebendigung erstarrter Formen und um kulturelle Vermittlung bemüht zu haben. Indische, japanische und tibetanische Meister reisten in der Folgezeit nach Europa und Nordamerika, um dort Kurse zu geben.
Im Steyl der 1960er Jahre wurde Yoga verdächtigt, den christlichen Glauben zu gefährden („Selbsterlösung“); wer ihn übte, galt als Außenseiter und Kauz. Hier war dieses Buch nützlich für die Argumentation und die Apologie.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Düsseldorf 2023