Gott
sieht die Wahrheit,
aber er wartet
Der
Autor
Lev Nikolaevič Tolstoj wurde am 28. August 1828 in
Jasnaja Poljana, zehn Kilometer südlich von Tula, geboren. 1844 studierte er in
Kazanʼ Arabisch und Türkisch, ohne nennenswerten Erfolg. 1845 bis 1847
befasste er sich mit Jurisprudenz, verließ die Universität Kazanʼ und
legte 1849 Examina in Zivil- und Strafrecht an der Universität St. Petersburg
ab. Im gleichen Jahr gründete er auf seinem Gut eine Schule für Bauernkinder.
1851 trat er als Freiwilliger in die Kaukasus-Armee
ein. In Erzählungen berichtete er über die brutalen Methoden der russischen
Eroberungspolitik. 1852 erschien die Geschichte seiner Kindheit und Jugend.
1854/1855 diente er im belagerten Sevastopolʼ als Offizier. Er beschrieb
den Mut einfacher Soldaten angesichts der Übermacht. 1856 bis 1861 besuchte er
England, Frankreich, Italien, Belgien, die Schweiz und Deutschland. 1862
heiratete er Sofʼja Andreevna Behrs (1844-1919) und hatte mit ihr dreizehn
Kinder, von denen neun das Erwachsenenalter erreichten.
Seine Hauptwerke waren „Krieg und Frieden“ sowie „Anna
Karénina“. Er galt als politisch gefährlich, wurde aber aufgrund seiner
Zugehörigkeit zum Adel und seines Bekanntheitsgrades nicht in das vorgesehene
Klostergefängnis Suzdalʼ eingeliefert. Er trat für Gewaltlosigkeit und
eine einfache Lebensweise ein. Die Russische Orthodoxe Kirche stellte 1901
amtlich fest, er habe sich selbst öffentlich von der Gemeinschaft mit der
Orthodoxen Kirche getrennt. Er starb am 7. November 1910 im Haus des Vorstehers
der Bahnstation Astápovo.
Bearbeiter
und Herausgeber
Hansbernd Pfleging veröffentlichte außer diesem Stück
noch folgendes: Die Spinne. Ein dramatisches Spiel nach Motiven der Erzählung
von Jeremias Gotthelf „Die schwarze Spinne“, München o. J. [1954].
Der Herausgeber, Rudolf Mirbt (1896-1974), war
Pädagoge, Schriftsteller, Dramatiker und Publizist. Er förderte das Laienspiel
an Schulen und in der Jugendbewegung und gab die Bärenreiter-Laienspiele
heraus.
Die
Handlung
Der junge Kaufmann Ivan Dmitrievič Aksionov macht
sich trotz der Warnung seiner Frau, nicht an diesem Tage aufzubrechen, auf den
Weg zum Jahrmarkt (zur Messe) in Nižnij Novgorod. Als er am nächsten Morgen
weiterzieht, wird bei einer Durchsuchung festgestellt, dass sich in seinem
Gepäck ein Messer mit Blutspuren befindet. Im Gasthaus, in dem er übernachtet
hatte, war in der Nacht einem anderen Kaufmann die Kehle durchgeschnitten
worden und zwanzigtausend Rubel verschwanden. Aksionov wird zur Auspeitschung
und zur Zwangsarbeit in einem sibirischen Bergwerk verurteilt. Nach
sechsundzwanzig Jahren begegnet er dem wirklichen Mörder, Makar Semënov,
vergibt ihm und stirbt bald danach.
Werdegang
Das Sujet tauchte zunächst im Roman „Krieg und
Frieden“ auf (Band IV, Teil 1, Kapitel 13). Im April 1872 schrieb Tolstoj dann
die Erzählung: „Gott sieht die Wahrheit, sagt sie aber nicht bald“, die zuerst
in diesem Jahr in der Nummer drei der Zeitschrift Beseda (Gespräch)
veröffentlicht wurde.
Hinweis
Hansbernd Pfleging schrieb zu seiner Bearbeitung: „Die
Bearbeitung einer Erzählung birgt eine große Gefahr in sich: daß man im Grunde
nur abschreibt und dann nach Szenen gliedert. Mit [Mir] lag die Tolstoische
Erzählung nur in einer englischen Übersetzung vor, so daß ich mich von dieser
Gefahr befreien konnte. – Dies Spiel ist ein Spiel der Rückblende, wenn ich den
technischen Begriff aus dem Film entlehnen will. Aksionov ist zu allen
Zeitpunkten des Spiels der alte, gebrochene Sträfling, so daß die in der
Bühnengegenwart spielende Handlung erst mit dem Auftritt Makar Semyonichs
beginnt.“ (Kassel 1961, 18).
Bibliographie
o
Бог
правду видит,
да не скоро
скажет,
Собрание
сочинений, Т. 10.
Москва 1982, 153-160.
o
Gott sieht die Wahrheit, aber er wartet.
Nach einer Erzählung von Leo Tolstoi von Hansbernd Pfleging,
Bärenreiter-Laienspiele 181, herausgegeben und Nachwort von Rudolf Mirbt,
Kassel und Basel 1952; Kassel und Basel 1961.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Düsseldorf 2022