Siehe auch: Morgenröte im Aufgang. Hommage à Jacob Böhme, Film von Max Hopp, Jan Korthäuer, Ronald Steckel und Klaus Weingarten, Berlin 2015 (www.nootheater.de; www.organisationzurumwandlungdeskinos.de
Studien über Jakob Böhme
I. Studie. Die Lehre von Ungrund und Freiheit
Nikolaj
A. Berdjaev, Clamart (a)
"Im
Wasser lebt der Fisch, die Pflanzen in der Erden,
Der Vogel in der Luft, die Sonn im Firmament.
Der Salamander muß im Feur erhalten werden:
Und Gottes Herz ist Jakob Böhmens Element."
Angelus Silesius (b)
I.
[S. 47] Jakob Böhme (1) ist als der größte unter
den christlichen Gnostikern anzuerkennen. Das Wort "Gnosis" gebrauche
ich hier nicht im Sinne der Häresien der ersten Jahrhunderte des Christentums
(2), sondern im Sinne einer Erkenntnis, [S. 48] die sich auf Offenbarung
gründet und sich nicht der Begriffe, sondern der Symbole und Mythen bedient; im
Sinne einer schauenden, nicht einer diskursiven Erkenntnis. Gerade das ist
Religionsphilosophie oder Theosophie. Es ist für J.Böhme bezeichnend, dass er
eine große Einfachheit des Herzens, eine kindliche Reinheit der Seele besaß.
Darum konnte er vor seinem Tode ausrufen: "Nun fahre ich in's
Paradeis". Er war kein Gelehrter und bezog seine wichtigsten Erkenntnisse
nicht aus Büchern oder aus seiner Schulbildung. Er war einfacher Handwerker,
Schuster. Er gehört zum Typus der Volksweisen. Er kannte weder Aristoteles,
noch Dionysios Areopagita, auch die mittelalterliche Scholastik und Mystik
waren ihm unbekannt. Es lassen sich bei ihm nicht, wie bei den meisten
christlichen Mystikern, unmittelbare Einflüsse des Neuplatonismus feststellen.
Er zehrte vor allem von der Bibel (3) und las außerdem Paracelsus, Sebastian
Franck, Weigel, Schwenckfeld. Er lebte in der Atmosphäre der deutschen
mystisch-theosophischen Strömungen seiner Zeit. Böhme ist kein Philosoph im
schulmäßigen Sinne dieses Wortes, er ist vor allem Theosoph, Visionär und
Mythenschöpfer, aber sein Einfluss auf die deutsche Philosophie ist außerordentlich.
Er dachte nicht in klaren und ausgeprägten Begriffen, sondern in Symbolen und
Mythen. Er war der Überzeugung, das Christentum sei entstellt worden durch die
Gelehrten und Theologen, durch die Pfaffen und Kardinäle. Böhme war seiner
Konfession nach evangelischer Christ und empfing als Sterbender das Abendmahl
von einem Pastor. Aber die lutherische Geistlichkeit verfolgte und peinigte
ihn; sie verbot den Druck seiner Werke. Eine für alle Konfessionen typische
Erscheinung. Wie die Mehrzahl der Mystiker und Theosophen war auch er
überkonfessionell. In seinen Werken finden sich starke katholische Elemente,
trotz seiner extremen Feindschaft gegen den Papismus. Die Herkunft von Böhmes
Erkenntnis ist ein sehr verwickeltes Problem. Es geht darum, ob [S. 49] persönliche
gnostische Offenbarung und Erleuchtung, ein besonderes Charisma der Erkenntnis
möglich sei. Wenn man auch heute zu der Annahme neigt, dass Böhme mehr gelesen
habe als man früher meinte, so lässt sich doch Böhmes Lehre gewiss am
allerwenigsten aus Entlehnungen und Einflüssen erklären (eine Erklärung, die zu
keinem einzigen originellen und bedeutenden Denker passt). Eckehart war ein
gelehrter und belesener Mann, er kannte Aristoteles, Dionysios Areopagita,
Thomas von Aquin, die mittelalterliche Scholastik und Mystik. (c) Böhme
verdankte alles sich selber, und er hat zweifelsohne ursprüngliche Intuitionen
gehabt. Böhme selber sagt von den Quellen seiner Erkenntnis: "Ich brauche
ihrer Art und Weise und ihrer Formeln nicht, weil ich es von ihnen nicht
gelernt habe; ich habe einen andern Lehrmeister, und der ist die ganze Natur.
Von dieser ganzen Natur mit ihrer instehenden Geburt habe ich meine
Philosophie, Astrologie und Theologie studirt und gelernt, und nicht von oder
durch Menschen" (Aurora, II, 255). Hier spürt man die
Renaissance-Auflehnung gegen die Scholastik und die Hinwendung zur Natur
selbst. Zugleich ist Böhme davon überzeugt, nicht durch seine eigenen
menschlichen Kräfte, sondern mit Hilfe des Heiligen Geistes zur Erkenntnis zu
gelangen: "In meinen eigenen Kräften bin ich so ein blinder Mensch, als
irgend einer ist, und vermag nichts, aber im Geiste Gottes siehet mein
eingeborner Geist durch Alles, aber nicht immer beharrlich; sondern wenn der
Geist der Liebe Gottes durch meinen Geist durchbricht, alsdann ist die
animalische Geburt und die Gottheit ein Wesen, eine Begreiflichkeit und ein
Licht" (II, 260). Die Geheimnisse der Gottheit zu erkennen, ist ihm die
Sophia selber behilflich. Er glaubt, Gott wird "dich zum lieben Kinde annehmen
und dir ein neu Kleid der edeln Jungfrauen Sophiae anziehen, und einen
Siegelring (Mysterii [S. 50] Magni) an deine Hand des Gemüths stecken; und in
demselben Kleide (der neuen Wiedergeburt) hast du allein Macht, von der ewigen
Geburt Gottes zu reden" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 26f).
Im Unterschied zu den meisten Mystikern schreibt
Böhme nicht von seiner eigenen Seele und nicht von seinem eigenen geistlichen
Weg, nicht von dem, was ihm widerfuhr, sondern von dem, was mit Gott, mit der
Welt und mit dem Menschen geschah. Das ist ein Zug, durch den sich die
mystische Theosophie von der reinen Mystik unterscheidet. Böhmes Mystik gehört
zum gnostischen Typus. Aber Böhme erkennt Gott und die Welt durch den Menschen,
seine Erkenntnis geht vom Subjekt aus und nicht vom Objekt, obwohl
Naturphilosophie und Kosmologie in ihr vorherrschen. Die sichtbare Welt ist
eine Widerspiegelung der unsichtbaren Welt. "Und die sichtbare Welt ist
eine Offenbarung der innern geistlichen Welt, aus dem ewigen Lichte und aus der
ewigen Finsterniß, aus dem geistlichen Gewirke; und ist ein Gegenwurf der
Ewigkeit, mit dem sich die Ewigkeit hat sichtbar gemacht" (Der Weg zu
Christo, I, 144). Der Himmel offenbart sich im Menschen. "Ich bin auch
nicht in den Himmel gestiegen und habe alle Werke und Geschöpfe Gottes gesehen,
sondern derselbe Himmel ist in meinem Geiste offenbaret, daß ich im Geist
erkenne die Werke und Geschöpfe Gottes" (Aurora, II, 19). Für Böhme sind
die natürlichen physischen Elemente zugleich auch seelische Elemente. In der
Natur sieht er das Gleiche wie im Geist. Der Mensch ist ein Mikrotheos und
Mikrokosmos. In der Seele des Menschen sind Himmel und Hölle. Nur darum ist ja
die Erkenntnis Gottes und der Welt möglich. Die unsichtbare geistliche Welt ist
die Grundlage der sichtbaren materiellen Welt. Man kann Gott nur in der Tiefe
seines eigenen Herzens finden. Man soll nicht in Akademien und Büchern [S. 51]
nach der göttlichen Weisheit suchen. Böhme hat eine symbolische Weltanschauung:
"Die ganze äußere sichtbare Welt mit all ihrem Wesen ist eine Bezeichnung
oder Figur der inneren geistlichen Welt; alles was im Inneren ist, und wie es
in der Wirkung ist, also hats auch seinen Charakter äußerlich" (De
Signatura Rerum, IV, 346). Die physischen Eigenschaften bedeuten geistliche.
Die Vorrede zu Böhmes größtem Werk, Mysterium Magnum, beginnt mit der
Feststellung, die sichtbare Welt sei ein Symbol der unsichtbaren, geistlichen:
"Denn die sichtbaren empfindlichen Dinge sind ein Wesen des Unsichtbaren;
von dem Unsichtlichen, Unbegreiflichen ist kommen das Sichtbare,
Begreifliche" (Mysterium Magnum, V, 3). Die Welt ist ein Symbol Gottes:
"diese Welt ist ein Gleichniß nach Gottes Wesen, und ist Gott in einem
irdischen Gleichniß offenbar" (De incarnatione verbi, VI, 319). Gotteserkenntnis
ist die Geburt Gottes in der Seele. Solche Erkenntnis ist nur durch Erleuchtung
der Seele vom Geiste Gottes möglich. Böhme versteht sehr gut die Grenzen der
menschlichen Erkenntnis; er spricht von der Torheit der menschlichen Weisheit.
Aber er hat zugleich einen sehr hohen Begriff von der Erkenntnis.
Gotteserkenntnis ist Pflicht des Menschen, dazu ist er geschaffen. Böhme ist
Symbolist, aber er ist kein Idealist im Sinne des deutschen Idealismus des 19.
Jahrhunderts. Er ist Realist. Er hat den lebendigen Zusammenhang mit dem realen
Sein nicht verloren, hat sich noch nicht eingeschlossen in der Welt des vom
Sein abstrahierenden Denkens und in der Welt subjektiver Erlebnisse. Böhmes
Meditation ist realistisch-symbolisch. Erkenntnis der geistlichen Welt war für
ihn Verweilen, Leben in ihr. Das Sein verwandelte sich für ihn nicht in ein dem
Subjekt gegenüberstehendes Objekt. Erkenntnis vollzieht sich für ihn im Sein
selber, ist ein Geschehnis im Innern des Seins. [S. 52] Böhmes Gnosis war von
seiner Erfahrung und seinem Leben geprägt. Sie entstand aus der Qual um das
Schicksal des Menschen und der Welt. Böhme hatte eine kindlich reine, gütige,
mitleidsvolle Seele. Aber sein Lebensgefühl war streng, unsentimental. Seine
Grundintuition vom Sein war die Intuition des Feuers. Hierin war er Heraklit
verwandt. Er hat ein ungewöhnlich geschärftes und starkes Gefühl für das Böse
im Leben. Er sieht überall den Kampf entgegengesetzter Prinzipien,den Kampf
zwischen Licht und Finsternis. Im Empfinden der Macht des Bösen und des Kampfes
zwischen Gott und dem Teufel, zwischen Licht und Finsternis, ist er den Quellen
der Reformation, der Erfahrung Luthers nahe. (4) Gott empfindet er nicht nur
als Liebe, sondern auch als Zorn und Grimm. Er empfindet in Gott eine bittere und
herbe Eigenschaft. Hier bedeuten physische Eigenschaften auch geistliche. Er
sieht die finstere Natur, den irrationalen Abgrund in der Gottheit selber.
Seinem Lebensgefühl nach steht Böhme bereits an der Schwelle der Neuzeit. Er
wurzelt noch im Mittelalter, ihm ist der mittelalterliche mystische Realismus
zu eigen. Aber in ihm brodelt bereits das Blut des Reformations- und
Renaissancemenschen. Er hat eine renaissancemäßige Einstellung zum kosmischen
Leben, zur Natur, und ein Selbstbewusstsein, das höher ist als das des
mittelalterlichen Menschen. Was die Dynamik seiner Weltanschauung, sein
Interesse für Genesis und Werden, sein Gefühl für den Kampf entgegengesetzter
Prinzipien und die für ihn grundlegende Idee der Freiheit anbelangt, ist Böhme
ein Mensch der Neuzeit. Er betrachtet die Welt nicht mehr als urewige statische
Ordnung, nicht als starres hierarchisches System. Das Leben in der Welt ist ein
Kampf, ein Werden, ein feuriger dynamischer Prozess. Das hat gar keine
Ähnlichkeit mit der Weltanschauung des hl. Thomas von Aquin und Dantes. Böhme
hat tiefer als die Menschen des Mittelalters über [S. 53] das Problem vom
Ursprung des Bösen, über das Problem der Theodizee nachgedacht. Ihn quälte sehr
die Frage, wieso Gott, Böses und Leiden voraussehend, die Welt schaffen konnte.
Vor dem Bösen und der Qual des Lebens in der Welt, vor dem Zorn und Grimm des
Vaters suchte er Rettung im Herzen des Sohnes, Jesus. Es gab einen Augenblick,
da Böhme meinte, dass Gott die böse Welt verlassen habe. Da sucht er einen nahen
Gott. Wie Koyré ganz richtig sagt, ging Böhme von den Qualen über das Problem
des Bösen aus und suchte vor allem das Heil, und dann erst Erkenntnis. (5) Wie
ist das Böse bei der Absolutheit der Gottheit zu verstehen? Wie soll man sich
vor dem Bösen und vor dem Zorn, dem Grimm der Gottheit retten, die sich noch
nicht im Sohne als Liebe offenbart hat? Seine Qual über das Problem des Bösen
macht Böhme den alten Gnostikern verwandt. Aber seine Lösung unterscheidet sich
von der gnostischen durch ihren unvergleichlich christlicheren Charakter.
Jedenfalls gehörte Böhme zu jener Gattung tiefer Menschen, die durch das Böse
und durch die Qual in diesem Leben verwundet sind. Böhme macht als erster in
der Geschichte des neuzeitlichen Denkens die Entdeckung, welche später im
deutschen Idealismus eine außerordentliche Rolle spielen wird, es könne alles
sich nur durch ein anderes, durch den "Gegenwurf" offenbaren. Das
Licht könne sich nicht offenbaren ohne Finsternis, das Gute nicht ohne das
Böse, der Geist nicht ohne den Gegenwurf der Materie.
II.
Böhme möchte eine Frage lösen, die viele
Philosophen beunruhigte: Wie ist der Übergang von Gott zur Welt, vom Einen zum
Vielfachen, von der Ewigkeit zur Zeit möglich? Aber er stellte sich noch eine
vermessenere Frage: Wie entstand die Göttliche Trinität, wie war aus dem
Göttlichen Nichts, aus dem Absoluten, die [S. 54] Schöpfung der Welt möglich,
wie trat der Schöpfer in Erscheinung, wie offenbarte sich die Persönlichkeit in
Gott? Das Absolute der apophatischen Theologie und Metaphysik kann nicht
Schöpfer der Welt sein. Der Schöpfer-Gott der kataphatischen Theologie ist mit
der Schöpfung, dem Menschen korrelativ. So war das schon bei Eckehart. (6) Die
Entfaltung von Böhmes Trinitätslehre gehört jetzt nicht zu meiner Aufgabe; das Thema
meiner Studie ist begrenzt. Böhmes Formulierungen zeichnen sich in dieser
Hinsicht nicht immer durch Genauigkeit aus und befriedigen den Dogmatiker
nicht. Seine Stärke aber liegt darin, dass er überall in der Welt und im
Menschen das Prinzip der Dreiheit, die Spiegelung der Göttlichen Trinität
sieht. Die orthodoxe Theologie war stets durch das beunruhigt, was Böhme vom
theogonischen Prozess, von der Gottesgeburt, von der Bewegung in Gott lehrte.
Er fasste Gott im höchsten Grade dynamisch auf. Die christlichen theologischen
Systeme arbeiteten eine Gotteslehre aus, indem sie sich der Denkkategorien der
griechischen Philosophie bedienten. So baut sich die Lehre von Gott als einem
reinen Akt, der keinerlei [S. 55] Potenz in sich berge, gänzlich auf Aristoteles
auf. Die Lehre vom unbeweglichen, sich selber genügenden, statischen Gott
entnahm die christliche Theologie nicht der Bibel, nicht der christlichen
Offenbarung, sondern aus Parmenides, Platon, Aristoteles. Es spiegelte sich in
ihr das Statische der griechischen Ontologie. Der unbewegliche Gott, Gott als
reiner Akt, ist ein Gottbegriff, aber kein lebendiger Gott. Die vorherrschende
theologische Doktrin beraubt Gott seines inneren Lebens, leugnet in Gott
jeglichen Prozess, stellt ihn einem unbeweglichen Stein gleich. Das ist eine
heidnische Idee. So ist der Gott der Bibel, der Gott der Offenbarung gerade
nicht! Er ist voll inneren Lebens und voller Dramatik, in ihm ist Bewegung. Die
Tragödie in Gott ist ja gerade die biblische und mythologische, wenn auch nicht
die theologische Auffassung Gottes. Gott, der die Qual und Leiden des Kreuzes
erlebt, der das Opfer der Liebe darbringt, ist nicht starr, sondern ein Gott in
Bewegung. Dies erkannte in bestimmtem Sinne auch Augustinus an. L.Bloy
definierte Gott als einsamen und unverstandenen Dulder, und er hatte eher recht
als Thomas von Aquin. Die ungeheure Bedeutung Böhmes besteht darin, dass er
nach der Herrschaft der griechischen Philosophie und der mittelalterlichen
Scholastik mit deren statischer Gottesauffassung das dynamische Prinzip in das
Verständnis von Gott hineinträgt, d.h. in Gott das innere Leben, die für
jegliches Leben eigentümliche Tragik sieht. Das hing bei Böhme damit zusammen,
dass er einerseits von der Bibel ausging und frei von den Kategorien des
griechischen Denkens über sie meditierte, andererseits aber in seine
Gottesschau die Erfahrung vom Bösen im Leben und von den die Welt zerreißenden
Widersprüchen, vom Kampf des Lichtes mit der Finsternis, des Süßen mit dem
Bitteren, der Liebe mit dem Hass hineintrug. Böhme war eine neue Seele, die dem
Problem des Bösen von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat, sich aber nicht
mehr unterwürfig beugen und auf das Bewusstsein der eigenen [S. 56] Sündigkeit
beschränken konnte. Er strebte wagemutig danach, Ursprung und Sinn des Bösen zu
erkennen. Hierin war er Gnostiker. Er sah das dunkle Prinzip in den Urquellen
des Seins, tiefer als das Sein selbst. Er musste ein dunkles Prinzip in der
Gottheit selber und einen positiven Sinn der Existenz des Bösen, das ihn so
quälte, annehmen. Aber er verfiel nicht in manichäisch-gnostischen Dualismus,
in die Annahme zweier Götter. Ohne das Böse kann das Gute nicht erkannt werden.
Durch das Böse offenbart sich das Gute. In der Art seines Denkens über
göttliche Dinge ist Böhme kein Neuplatoniker wie die Mehrzahl der christlichen
Mystiker. Auch ist Böhme durchaus kein Monist und lehrt keineswegs eine
Emanation. Überall sind bei ihm Wille und Widerspruch. Luthers sittliches
Gefühl des Bösen verwandelte sich bei Böhme in ein metaphysisches. Böhmes
Metaphysik ist voluntaristisch. Sie ist nicht intellektualistisch wie die
griechische und mittelalterliche Metaphysik. Böhmes Voluntarismus ist das neue
Prinzip, das er in die Philosophie hineintrug und das die deutsche Philosophie
weiterentwickelt. Erst der Böhmesche Voluntarismus hat eine Philosophie der
Freiheit möglich gemacht. Böhme ist ganz gesättigt von magischem Willen, der in
seinem Urgrund noch dunkel und irrrational ist. Böhme hatte ein bis ins Letzte
ernstes Verhältnis zum Problem des Bösen. Er trat an dieses Problem nicht von
der pädagogischen und moralistischen Seite, nicht von jenem Standpunkt heran,
mit dem man Kinder anleitet. Das Sein ist für ihn ein feuriger Strom. Und
dieses Feuer in der Finsternis ist zugleich kalt und glühend. "Wir wissen,
daß ein jedes Leben ein Feuer ist" (Die drei Principien göttlichen Wesens,
III, 385). Das Feuer ist Wille. Lechzender, hungriger Wille ist der Urgrund des
Seins. Licht und Liebe kommen ihm entgegen. Potentielle Finsternis liegt in der
Urtiefe des Seins, in der Gottheit selber. (7) Sie hängt zusammen mit der
meontischen (8) Freiheit. [S. 57] Böhmes geheimnisvolle Lehre vom Ungrund, vom
grundlosen, finsteren und irrationalen Abgrund, der dem Sein vorausgeht, ist
ein Versuch, die Grundfrage unter allen Fragen, die Frage nach der Entstehung
der Welt und dem Ursprung des Bösen zu beantworten. Böhmes ganze Lehre vom
Ungrund ist derart mit der Lehre von der Freiheit verflochten, dass man sie
unmöglich trennen kann. Es ist ein und dieselbe Lehre. Ich neige dazu, den
Ungrund als uranfängliche, nicht einmal von Gott determinierte meontische
Freiheit auszudeuten. Wir werden sehen, dass Böhmes Lehre vom Ungrund sich
nicht durch die einem Begriff eigentümliche Deutlichkeit auszeichnet. Aber man
darf an sie auch nicht mit diesem Anspruch herantreten. So einen Begriff des
Ungrundes kann es gar nicht geben! Es handelt sich hier um einen Bereich, der
jenseits der rationalen Begriffe liegt. In welchem Verhältnis steht nun Böhmes
Lehre zu der traditionellen rationalen Theologie, die von nichts etwas wissen
will, das dem Ungrund entspräche? Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass die
von den herrschenden Systemen der rationalen Theologie ausgearbeitete Theodizee
das Verhältnis zwischen Gott und Welt zu einer Komödie, zu einem Spiel Gottes
mit sich selber umwandelt. Sie ist ein Spiegelbild der alten Versklavung des
Menschen, seiner Unterdrückung und Verängstigung. Sie ist eine Ontologie der
Sünde. Böhme hingegen möchte das Geheimnis der Weltschöpfung als Tragödie
auffassen, als eine Tragödie nicht nur des Menschen, sondern auch Gottes. Die
rationale, kataphatische Theologie wird nur dadurch gerettet, dass sie sich in
einem bestimmten Moment in eine apophatische Theologie verwandelt und
behauptet, wir ständen vor einem unfassbaren und unaussprechlichen Geheimnis,
vor dem wir uns zu beugen hätten. Aber die kataphatische Theologie nimmt zu
spät Zuflucht zum Geheimnis, als der einzigen Rettung und dem einzigen Ausweg,
nachdem sie bereits alles so sehr rationalisiert hat, dass einem der Atem
vergeht. Die Theologie geht unvermittelt [S. 58] viel zu weit in der
Rationalisierung der göttlichen Geheimnisse und proklamiert viel zu früh das
Veto für die Erkenntnis. Damit sanktioniert sie den Agnostizismus. Darin
unterscheidet sie sich von der Theosophie, die sowohl die Irrationalität und
das Mysterium der göttlichen Dinge mehr anerkennt, als auch die Möglichkeit
unendlicher Bewegung in der Erkenntnis dieser Geheimnisse, eine Erkenntnis
jedoch nicht durch Begriffe, eher zulässt. Die Theologie hingegen arbeitet
vornehmlich mit Begriffen, insbesondere die vortrefflich ausgearbeitete
katholische Schultheologie. Ich bezeichne folgende Konzeption der rationalen,
kataphatischen Theologie als Komödie: Gott, der vollkommene und unbewegliche,
nichtsbedürftige, selbstzufriedene, allmächtige, allwissende und allgütige, hat
die Welt und den Menschen zu seinem eigenen Ruhm und zum Wohle der Schöpfung
geschaffen. Der Akt der Weltschöpfung war durch nichts hervorgerufen und
entsprach keinem Bedürfnis Gottes. Er war ein Erzeugnis reinen und freien
Wollens, er fügte zum göttlichen Sein nichts hinzu und bereicherte es durch
nichts. Gott stattete das Geschöpf, den Menschen, mit der verhängnisvollen
Eigenschaft der Freiheit aus. Gott sieht in der Freiheit die Würde seiner
Schöpfung und ein Ebenbild seiner selbst. Der Mensch indes machte von seiner
Freiheit einen schlechten Gebrauch. Er lehnte sich auf gegen seinen Schöpfer,
fiel von Gott ab und riss in seinem Fall die ganze Schöpfung mit sich. Der Mensch,
der den Willen Gottes verletzte, verfiel der Verdammnis und der Macht des
Gesetzes. Die ganze Schöpfung seufzt und weint [vgl. Röm 8,22]. Soweit der
erste Akt. Im zweiten Akt beginnt die Erlösung. Gott wird Mensch zur Rettung
der Schöpfung. Die Gestalt des Schöpfers wird abgelöst durch die Gestalt des
Erlösers. Bemerkenswert ist aber, dass diese ganze Kosmologie und Anthropologie
nach dem Prinzip des reinen Monotheismus aufgebaut ist, ohne jegliche Beziehung
zu Christus und vor der Offenbarung der Allheiligen Dreieinigkeit. Dies ist
dualistischer Theismus, der nichts von der Dreiheit der Gottheit weiß, der nur
eine monarchische Gotteslehre kennt, das heißt [S. 59] eine nicht christliche
Lehre. Die Komödie oder das Spiel Gottes mit sich selber besteht hier darin,
dass Gott, den Menschen mit der Freiheit ausstattend, in seiner Allwissenheit
ja doch um alle Folgen dieser Freiheit wusste, um Sünde, Böses, Qual und Leiden
in der Welt, ewige Verderbnis und ewige höllische Peinigungen einer
unbestimmten und offenbar ungeheuren Anzahl der von ihm zum Wohle erschaffener
Wesen. Der Mensch erweist sich als nichtiges Spielzeug, das die Freiheit von
außen erhält, und dem zugleich eine das Maß seiner Kräfte übersteigende
Verantwortung auferlegt wird. Er ist groß nur in seinem Fall. Für Gott
vollzieht sich alles in der Ewigkeit und im Akt der Weltschöpfung, in der
Ewigkeit indes sind die zeitlichen wie auch die ewigen Qualen vorherbestimmt.
Dies führt unvermeidlich zu der Lehre von der Prädestination der einen zum Heil,
der anderen zu ewiger Verderbnis, einer Lehre, zu der schon Augustinus neigte,
und die Calvin zu Ende führte. Gott, der den Menschen schuf, hat ihn zu ewiger
Verderbnis vorherbestimmt, denn er kennt die Folgen der Freiheit, weiß, was der
Mensch wählen wird. Der Mensch hat die Freiheit von Gott empfangen, er hat sie
nicht aus sich selber, und diese Freiheit liegt ganz und gar in Gottes Macht,
sie ist voll und ganz von ihm determiniert, d.h. letztlich fiktiv. Gott harrt
auf eine Antwort der Kreatur auf seine Aufforderung, das Geschöpf möge Gott
liebgewinnen und ein göttliches Leben führen, aber Gott erwartet eine Antwort
von sich selber, er spielt mit sich selbst; denn er selber schenkt ja die
Freiheit und kennt die Folgen dieser für ihn glasklaren Freiheit. Das Problem
des Ivan Karamazov stellt sich in größerer Tiefe und wird in die Ewigkeit
übertragen. (d) Es ist nicht die Rede von einer Kinderträne im zeitlichen
irdischen Leben, sondern von den zeitlichen wie auch ewigen Qualen einer
ungeheuren Anzahl von Lebewesen, die das verhängnisvolle Geschenk der Freiheit
von Gott empfingen, der darum weiß, was dieses Geschenk bedeutet und wozu es
führt. Die Soteriologie der traditionellen theologischen Systeme lässt sich [S.
60] leicht ausdeuten als eine unwürdige Korrektur Gottes an dem von ihm
begangenen Fehler, die zugleich die Form eines Strafprozesses annimmt. Die
rationale kataphatische Theologie, die in ihrer Kosmologie und Anthropologie
den dreieinigen Gott, Christus, den Gott der Liebe und des Opfers, vergisst und
das Geheimnis der christlichen Offenbarung zum Erlösungsteil statt zum
Weltschöpfungsteil rechnet, vermag sich über diese göttliche Komödie nicht zu
erheben und konstruiert eine fiktive Theodizee. Die theologische Lehre von der
Willensfreiheit trägt pädagogischen, moralisch-juridischen Charakter und dringt
nicht in das Urgeheimnis der Freiheit ein. Sie ist nur dazu notwendig, um
jemanden bestrafen zu können. In einer derartigen Konzeption sind apophatische
und kataphatische Momente hoffnungslos miteinander vermengt. Jakob Böhme nun
ist einer der wenigen gewesen, die so kühn waren, sich über diese rationale
kataphatische Theologie zu erheben und das Geheimnis der Weltschöpfung nicht
als Komödie, sondern als Tragödie aufzufassen. Er lehrt nicht nur von einem
kosmogonischen und anthropogonischen Prozess, sondern auch von einem
theogonischen. Theogonie aber bedeutet durchaus nicht, dass Gott einen Anfang
habe, in der Zeit ins Sein träte, sie bedeutet nicht, dass er im Weltprozess
entstehe wie bei Fichte oder Hegel, sondern sie bedeutet, dass das innere,
ewige Leben Gottes sich als dynamischer Prozess, als Tragödie in der Ewigkeit,
als Kampf mit der Finsternis des Nichtseins offenbart. Die Lehre von Ungrund
und Freiheit ist eben ein vermessener Versuch, die Weltschöpfung aus dem
inneren Leben der Gottheit zu verstehen. Die Weltschöpfung gehört zum inneren
Leben der Göttlichen Dreieinigkeit, sie kann für diese nicht etwas ganz
Äußerliches sein. Das Prinzip des Bösen erlangt so wahren Ernst und wirkliche
Tragik. Böhmes Kosmogonie und Anthropogonie sind mit christlicher Offenbarung
gesättigt, sie bleiben nicht alttestamentarisch, sie erscheinen in
neutestamentlichem Licht, im Licht Christi. Böhme lehrt "die ernstliche
Quall [sic] des [S. 61] Abgrundes" (Vom dreifachen Leben des Menschen, IV,
25), die Qual im finsteren Abgrund, den das Licht Christi besiegen muss.
III.
Böhmes Lehre vom Ungrund nahm nicht sofort
endgültige Gestalt an; in "Aurora" finden wir sie noch nicht. Sie
wird hauptsächlich in "De Signatura Rerum" und in "Mysterium
Magnum" enthüllt. Sie entspricht Böhmes Bedürfnis, das Geheimnis der
Freiheit, den Ursprung des Bösen, den Kampf des Lichtes mit der Finsternis zu
erfassen. Im dritten Kapitel von "De Signatura Rerum", betitelt:
"Vom großen Mysterio aller Wesen", sagt Böhme: "Außer der Natur
ist Gott ein Mysterium, verstehet in dem Nichts; denn außer der Natur ist das
Nichts, das ist ein Auge der Ewigkeit, ein ungründlich Auge, das in nichts
stehet oder siehet, denn es ist der Ungrund; und dasselbe Auge ist ein Wille,
verstehet ein Sehnen nach der Offenbarung, das Nichts zu finden" (IV,
284f). Der Ungrund ist also das Nichts, das grundlose Auge der Ewigkeit, und
zugleich ein Wille, ein grundloser, abgründiger, undeterminierter Wille. Aber
es ist ein Nichts, das "ein Hunger zum Etwas" ist (IV, 286). Zugleich
ist der Ungrund die Freiheit (vgl. IV, 287-289). In der Finsternis des
Ungrundes entzündet sich das Feuer, und dies ist die Freiheit, die meontische,
potentielle Freiheit. Nach Böhme ist die Freiheit der Gegenwurf zur Natur, die
Natur aber ist aus der Freiheit hervorgegangen. Die Freiheit gleicht dem
Nichts, aber aus ihr geht das Etwas hervor. Der Hunger der Freiheit, der
grundlose Wille zum Etwas muss gesättigt werden: "das Nichts macht sich in
seiner Lust aus der Freiheit in der Finsterniß des Todes offenbar, denn das
Nichts will nicht ein Nichts sein, und kann nicht ein Nichts sein" (IV,
406). Die Freiheit des Ungrunds ist weder Licht, [S. 62] noch Finsternis, noch
Gut, noch Böse. Die Freiheit liegt in der Finsternis und dürstet nach Licht.
Und die Freiheit ist die Ursache des Lichtes. "Die Freiheit ist und stehet
in der Finsterniß, und gegen der finstern Begierde nach des Lichts Begierde,
sie ergreifet mit dem ewigen Willen die Finsterniß; und die Finsterniß greifet
nach dem Lichte der Freiheit und kann es nicht erreichen, denn sie schleußt
sich mit Begierde selber in sich zu, und macht sich in sich selber zur
Finsterniß" (IV, 428). Böhme beschreibt apophatisch und antinomisch das
Mysterium, das sich in der Tiefe des Seins abspielt, in jener Tiefe, die sich
mit dem uranfänglichen Nichts berührt. In der Finsternis entzündet sich das
Feuer und dämmert das Licht, das Nichts wird zum Etwas, die grundlose Freiheit
bringt die Natur hervor. Da vollziehen sich zwei Prozesse: "Die Freiheit
(welche Gott heißet) ist des Lichts Ursache, und die Impression der Begierde
ist der Finsterniß und der peinlichen Quaal Ursache. So verstehet nun in diesen
zwei ewige Anfänge, als zwei Principia: eines in der Freiheit im Lichte, das
andre in der Impression in der Pein und Quaal der Finsterniß; ein jedes in sich
selber wohnend. [...] Die Freiheit, als das Nichts, hat in sich selber kein
Wesen" (IV, 429). Böhme hat vielleicht als erster in der Geschichte des
menschlichen Denkens gesehen, dass die Grundlage des Seins und vor dem Sein die
grundlose Freiheit ist, die leidenschaftliche Begierde des Nichts, zum Etwas zu
werden, die Finsternis, in der sich das Feuer und das Licht entzündet, d.h., er
war der Begründer eines originellen metaphysischen Voluntarismus, wie er dem
mittelalterlichen und antiken Denken unbekannt war. (9) Der Wille, d.h. die
Freiheit, ist der Anfang von allem. Aber Böhme denkt so, als läge der Ungrund,
der grundlose Wille in der Tiefe der Gottheit und vor der Gottheit. Der Ungrund
ist die Gottheit der apophatischen Theologie [S. 63] und zugleich der Abgrund,
das freie Nichts tiefer als Gott und außerhalb von Gott. In Gott ist die Natur,
ein von ihm verschiedenes Prinzip. Die Urgottheit, das Göttliche Nichts ist jenseits
von Gut und Böse, von Licht und Finsternis. Der Göttliche Ungrund ist vor der
Entstehung der Göttlichen Dreieinigkeit in der Ewigkeit. Gott erzeugt,
realisiert sich aus dem Göttlichen Nichts. Dieser Weg des Gott-Denkens ist
Meister Eckehart verwandt, welcher Gottheit und Gott unterscheidet. Gott als
Schöpfer der Welt und des Menschen ist der Schöpfung korrelativ. Er geht hervor
aus der Tiefe der Gottheit, des unaussprechlichen Nichts. Diese Idee liegt in
der Tiefe der deutschen Mystik. Ein solcher Weg des Gott-Denkens ist
unausweichlich bedingt durch apophatische Theologie. Alles, was Böhme vom
Göttlichen Ungrund sagt, gehört zur apophatischen Theologie, nicht zur
kataphatischen. Das Nichts ist tiefer und urspünglicher als das Etwas, die
Finsternis, die hier noch nicht das Böse ist, ist tiefer und ursprünglicher als
das Licht, die Freiheit ist tiefer und ursprünglicher als jegliche Natur. Der
Gott der kataphatischen Theologie ist bereits ein Etwas und bezeichnet ein
Denken über Sekundäres: "und der Grund derselben Tinctur ist die
göttliche Weisheit; und der Grund der Weisheit ist die Dreiheit der
ungründlichen Gottheit, und der Grund der Dreiheit ist der einige
unerforschliche Wille, und des Willens Grund ist das Nichts" (Von der
Gnadenwahl, IV, 504; von mir kursiv gesetzt. N.B.). Dies ist ja der
theogonische Prozess, der Prozess der Gottesgeburt in der Ewigkeit, im ewigen
Mysterium, das nach der Methode der apophatischen Theologie beschrieben wird.
Gerade deshalb ist das weniger häretisch, als es den ausschließlichen Anhängern
der kataphatischen, d.h. rationalisierten Theologie erscheint. Böhmes [S. 64]
Meditation ist tiefer als alle Aussagen der sekundären und rationalisierten
Kataphatik. Böhme spricht vom Weg "aus dem ewigen Grunde zur Natur, als
des freien Willens des Ungrundes zum Naturgrunde der Seele" (IV, 607). Die
Natur ist stets sekundär und abgeleitet. Die Freiheit, der Wille ist nicht die
Natur. Die Freiheit ist nicht erschaffen. "Wenn ich betrachte, was Gott
ist, so sage ich: Er ist das Eine gegen der Kreatur, als ein ewig Nichts; er
hat weder Grund, Anfang noch Stätte; und besitzet nichts, als nur sich selber:
er ist der Wille des Ungrundes, er ist in sich selber nur Eines: er bedarf
keinen Raum noch Ort: er gebäret von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich:
er ist keinem Dinge gleich oder ähnlich, und hat keinen sonderlichen Ort, da er
wohne: die ewige Weisheit oder Verstand ist seine Wohne: er ist der Wille der
Weisheit, die Weisheit ist seine Offenbarung" (Mysterium Magnum, V, 7). Gott
gebärt sich überall und immer, er ist Grund und Ungrund.
Der Ungrund ist vor allem als Freiheit, als
Freiheit in der Finsternis zu verstehen. "Darum so hat sich der ewige
freie Wille in Finsterniß, Pein und Quaal, sowohl auch durch die Finsterniß in
Feuer und Lichte, und in eine Freudenreich eingeführet, auf daß das Nichts in
Etwas erkannt werde, und daß es ein Spiel habe in seinem Gegenwillen, daß ihm
der freie Wille des Ungrundes im Grunde offenbar sei, denn ohne Böses und Gutes
möchte kein Grund sein" (V, 162). Die Freiheit wurzelt im Nichts, im me
on, sie ist der Ungrund. "Der freie Wille ist aus keinem Anfange, auch aus
keinem Grunde in nichts gefasset, oder durch etwas geformet: [...] sein rechter
Urstand ist im Nichts" (V, 164). Der freie Wille hat in [S. 65] sich Gutes
und Böses, Liebe und Zorn: "Darum hat der freie Wille sein eigen Gericht
zum Guten oder Bösen in sich, er hat sein Gericht in sich, er hat Gottes Liebe
und Zorn in sich" (V, 165). Der freie Wille hat auch Licht und Finsternis in
sich. Der freie Wille in Gott ist der Ungrund in Gott, ist das Nichts in ihm.
Böhme gibt der Wahrheit von der Freiheit Gottes, die auch die traditionelle
christliche Theologie anerkennt, eine tiefe Auslegung. Er lehrt von der
Freiheit Gottes tiefer als Duns Scotus. "Der ewige göttliche Verstand ist
ein freier Wille, nicht von Etwas oder durch Etwas entstanden, er ist sein
selbst eigener Sitz und wohnet einig und allein in sich selber, unergriffen von
etwas, denn außer und vor ihm ist nichts, und dasselbe Nichts ist einig, und
ist ihm doch auch selber als ein Nichts. Er ist ein einiger Wille des
Ungrundes, und ist weder nahe noch ferne, weder hoch noch niedrig, sondern er
ist Alles, und doch als ein Nichts" (V, 193). Für Böhme ist das Chaos die
Wurzel der Natur, das Chaos, d.h. die Freiheit, der Ungrund, der Wille, das
irrationale Prinzip. In der Gottheit selber ist ein grundloser Wille, d.h. ein
irrationales Prinzip. Finsternis und Freiheit sind bei Böhme stets korrelativ
und verknüpft. Die Freiheit ist selber Gott, und sie war am Anfang aller Dinge:
"darum sagen wir recht, es sei Gottes, und die Freiheit (welche den Willen
hat) sei Gott selber; denn es ist Ewigkeit, und nichts weiters. [...] Erstlich
ist die ewige Freiheit, die hat den Willen, und ist selber der
Wille" (Psychologia vera, VI, 7). Böhme hat sichtlich als erster in der
Geschichte des menschlichen Denkens die Freiheit zum Urgrund des Seins gemacht,
sie ist für ihn tiefer und ursprünglicher als jedes Sein, tiefer und
ursprünglicher als Gott selber. Das barg in sich ungeheure Folgen für die
Geschichte des Denkens. Eine solche Auffassung der Ursprünglichkeit der
Freiheit hätte [S. 66] sowohl die griechischen Philosophen als auch die
mittelalterlichen Scholastiker erschaudern lassen. Hiermit eröffnet sich die Möglichkeit
einer ganz anderen Theodizee und Anthropodizee. Das Urmysterium des Seins ist
ein Aufleuchten des Lichtes in der finsteren Freiheit, im Nichts, und ist ein
Erstarren der Welt aus dieser finsteren Freiheit. Wunderbar spricht Böhme
hiervon in seinem Werk Psychologia vera: "denn in der Finsterniß ist der
Blitz, und in der Freiheit das Licht mit der Majestät. Und ist dieses nur das
Scheiden, daß die Freiheit ein stilles Nichts ist, welche das Licht annimmt,
und die Finsterniß materialisch macht, da doch auch kein Wesen einer
Begreiflichkeit ist; sondern finster Geist und Kraft, eine Erfüllung der
Freiheit in sich selber, verstehe im Begehren, und nicht außer: denn außer ist
die Freiheit" (VI, 14). Es sind zwei Willen: der eine im Feuer, der andere
im Licht ("und ist Ein Geist in zwei Unterscheiden mit zwei Willen, da
einer im Feuer wohnet, der andere im Lichte", VI, 15). Feuer und Licht
sind Böhmes Grundsymbole. "Denn die Finsterniß hat kalt Feuer, so lange
bis es die Angst erreicht, dann entzündet sich's in Hitze" (VI, 60). Das
Feuer ist der Anfang von allem, ohne das Feuer wäre nichts, es wäre nur der
Ungrund: "und wäre Alles ein Nichts und Ungrund ohne Feuer" (VI,
155). Der Übergang vom Nichtsein zum Sein vollzieht sich durch Entzündung des
Feuers aus der Freiheit. In der Ewigkeit ist der Urwille des Ungrundes, der
Wille, der außer und vor der Natur ist. Fichte und Hegel, Schopenhauer und
Hartmann gingen von hier aus, obwohl sie Böhme entchristlichten. Die deutsche
idealistische Metaphysik kommt unmittelbar vom Ungrund, vom Unbewussten, sie
geht vom Urakt der Freiheit zum Weltprozess über, nicht aber zur Göttlichen
Dreieinigkeit wie Böhme. Das Urmysterium des Seins besteht nach Böhme darin,
dass das Nichts eine Sucht nach dem Etwas ist. "Der Ungrund ist ein
ewig Nichts, und machet aber einen ewigen Anfang, als eine Sucht;
denn das Nichts ist eine Sucht nach Etwas: und da doch [S. 67] auch Nichts ist,
das Etwas gebe; sondern die Sucht ist selber das Geben dessen, das doch auch
nichts ist als bloß eine begehrende Sucht" (Mysterium pansophicum, VI,
413). Böhmes Lehre von der Freiheit ist nicht eine psychologische und ethische
Lehre von der Willensfreiheit, sondern sie ist eine metaphysische Lehre vom
Urgrund des Seins. Die Freiheit ist bei ihm nicht eine Begründung der
sittlichen Verantwortung des Menschen und nicht eine Regulierung der
Beziehungen des Menschen zu Gott und dem Nächsten, sondern sie ist eine
Erklärung der Genese des Seins und zugleich der Genese des Bösen als eines
ontologischen und kosmologischen Problems.
Das Böse entstand aus der schlechten Imagination.
Die Magie der Imagination spielt in Böhmes Weltanschauung eine sehr große
Rolle. Durch die Imagination wurde die Welt erschaffen, durch sie erfolgte auch
der Sündenfall des Teufels in der Welt. Der Sündenfall des Geschöpfes
entscheidet sich für Böhme nicht in der menschlichen Welt, sondern im Bereich
der Engel, die menschliche Welt entsteht erst später. Sie soll das Tun des
gefallenen Engels korrigieren. Den Fall Luzifers beschreibt Böhme folgendermaßen:
"Denn Lucifer ging aus der Ruhe seiner Hierarchie aus, in die ewige
Unruhe" (Mysterium Magnum, V, 61). Er wird vom hierarchischen Zentrum
abgesetzt. Die hierarchische Ordnung wird dadurch gestört. Böhme beschreibt den
Fall Luzifers folgendermaßen: "Daß sich der freie Wille im Feuerspiegel
besah, was er wäre, dieser Glanz machte ihn beweglich, daß er sich nach den
Eigenschaften des Centri bewegte, welche zuhand anfingen zu qualificiren. Denn
die herbe, strenge Begierde, als die erste Gestalt oder Eigenschaft, impressete
sich, und erweckte den Stachel und die Angstbegierde: also überschattete dieser
schöne Stern sein Licht, und machte sein Wesen ganz herb, rauh und streng; und
ward seine Sanftmuth und recht englische Eigenschaft in ein ganz streng, rauh,
finster Wesen verwandelt: da war es geschehen um den schönen Morgenstern, und
wie er that, thaten [S. 68] auch seine Legionen: das ist sein Fall" (V,
41). Der Sündenfall kam vom finsteren Wünschen, von der Begierde, von der
schlechten Imagination, von der dunkeln Magie des Willens (vgl. De Signatura
Rerum, IV, 317f). Böhme beschreibt den Sündenfall stets mythologisch, niemals
in klaren Begriffen. Der Teufel empfindet von seiner falschen Begierde
Feuerqualen in der Finsternis. Ohne Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit ist
der Ursprung des Sündenfalls und des Bösen unverständlich. Der Sündenfall und
das Böse sind für Böhme eine kosmische Katastrophe, ein Moment der
Weltschöpfung, des kosmogonischen und anthropogonischen Prozesses, Resultat des
Kampfes entgegengesetzter Eigenschaften, der Finsternis und des Lichtes, des
Grimmes und der Liebe. Katastrophen gehen der Entstehung unserer Welt voraus,
vor unserem Äon waren andere Äonen. Das Böse hat auch einen positiven Sinn
innerhalb der Entstehung des Kosmos und des Menschen. Das Böse ist ein Schatten
des Guten, das Licht setzt das Sein der Finsternis voraus. Das Licht, das Gute,
die Liebe bedürfen zu ihrer Offenbarung des entgegengesetzten Prinzips, des
Gegenwurfes. Gott selber hat zwei Antlitze, das Antlitz der Liebe und das
Antlitz des Zornes, ein lichtes und ein finsteres Antlitz. "Denn der
heiligen Welt Gott und der finstern Welt Gott sind nicht zween Götter: es ist
ein einiger Gott; er ist selber alles Wesen, er ist Böses und Gutes, Himmel und
Hölle, Licht und Finsterniß, Ewigkeit und Zeit, Anfang und Ende: wo seine Liebe
in einem Wesen verborgen ist, allda ist sein Zorn offenbar. [...] Die Kraft im
Lichte ist Gottes Liebefeuer, und die Kraft in der Finsterniß ist Gottes
Zornfeuer, und ist doch nur ein einig Feuer, theilet sich aber in zwei
Principia, auf daß eines im andern offenbar werde: denn die Flamme des Zornes
ist die Offenbarung der großen – Liebe; in der Finsterniß wird das Licht
erkannt, sonst wäre es ihm nicht offenbar" (Mysterium Magnum, V, 38). [S.
69] Böhme schuf die geniale Lehre, dass Gottes Liebe sich in finstrer Umgebung
in Grimm, Zorn verwandelt, und von ihr so empfunden wird. Böhme denkt immer in
Widersprüchen, Antithesen, Antinomien. Jegliches Leben ist Feuer, aber das
Feuer hat zwei Erscheinungen. "Wir wissen, daß ein jedes Leben ein Feuer
ist [...] So wissen wir auch, daß der ewigen Leben zwei in zweierlei Quaal
sind, und ein jedes stehet in seinem Feuer. Eines brennet in der Liebe im
Freudenreich; das andere im Zorne, im Grimme und Wehe, und seine Materia ist
Hoffart, Geiz, Neid, Zorn, seine Quaal vergleichet sich einem Schwefel-Geist:
denn Aufsteigen der Hoffart im Geiz, Neid und Zorn macht zusammen einen
Schwefel, darinnen das Feuer brennet, und sich immer mit dieser Materia entzündet"
(Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 385). Christus verwandelte am
Kreuz Grimm in Liebe. "Am Kreuze mußte Christus diesen grimmigen Zorn,
welcher in Adams Essenz war aufgewacht, in sein heiliges, himmlisches Ens
trinken, und mit der großen Liebe in göttliche Freude verwandeln"
(Mysterium Magnum, V, 133). Die Erlösung fasst Böhme kosmogonisch und
anthropogonisch auf, als Fortsetzung der Weltschöpfung.
In seinen Philosophischen Untersuchungen über das
Wesen der menschlichen Freiheit bewegt sich Schelling in der Richtung von
Böhmes Ideen über Ungrund und Freiheit, obwohl er Böhme nicht immer richtig
versteht. Ganz nach Böhme klingen Schellings Worte: "Alle Geburt ist
Geburt aus Dunkel ins Licht". Die Urschöpfung ist nichts anderes als die
Geburt des Lichtes, als die Überwindung der Finsternis. Damit das Gute aus der
Finsternis, aus dem potentiellen Zustand in den aktuellen übergehe, ist die
Freiheit notwendig. Das Sein ist für Schelling Wille. Er entwickelt als erster
in der deutschen Philosophie den Böhmeschen Voluntarismus. Die Dinge haben
ihren Grund nicht in Gott selber, sondern in der Natur Gottes. Das Böse ist nur
deshalb möglich, weil in Gott [S. 70] das ist, was nicht Gott ist, weil in Gott
der dunkle Wille, d.h. der Ungrund ist. Die Natur ist für Schelling wie für
Böhme Geschichte des Geistes, und für Schelling wird alles, was in der Natur,
in der objektiven Welt, wahrgenommen wird, durch das Subjekt hindurchgeleitet.
Die Idee des Prozesses in Gott, die Idee der Theogonie hat Schelling bei Böhme
entlehnt. In seiner Philosophie der Offenbarung macht Schelling heroische
Bemühungen, den deutschen Idealismus zu überwinden und zu einem philosophischen
Realismus durchzubrechen. Und Böhme ist ihm hierbei behilflich. (10) Schelling
versuchte, den [S. 71] pantheistischen Monismus der deutschen idealistischen
Philosophie zu überwinden. Er hatte erkannt, dass der Pantheismus mit der
Freiheit unvereinbar ist. Die pantheistische Leugnung des Bösen führt zur
Leugnung der Freiheit. Das Böse hat nach Schelling seine Grundlage im höchsten
Positiven. Das Böse ist die Grundlosigkeit des Daseins, d.h., es ist verknüpft
mit dem Ungrund, mit der potentiellen Freiheit. Das alles sind Böhmesche
Motive. Fr. Baader war Böhme aber näher; seine Lehre stimmte mehr mit der Böhmes
überein. Baader war am wenigsten durch idealistische Losgerissenheit vom Sein
vergiftet. Er war es, der Schelling zu Böhme hinführte. Baader war Katholik,
aber ein sehr freier Katholik. Er sympathisierte sehr mit der östlichen
Orthodoxie. Mit bemerkenswerter Klarheit und Einfachheit rechtfertigt Baader
Böhmes dynamische Auffassung Gottes, die im göttlichen Leben eine Genesis
zulässt. Gäbe es keine Genese im Selbstbewusstsein Gottes, wäre das göttliche
[S. 72] Selbstbewusstsein nicht Leben und Prozess. (11) Die dynamische
Auffassung Gottes bedeutet ja auch, dass Gott für uns lebendig, beseelt ist,
dass dem göttlichen Leben die Dramatik jeglichen Lebens innewohnt. Das mag wohl
mit Thomas von Aquin und der Schultheologie nicht übereinstimmen, entspricht aber
der biblischen Offenbarung. Baader gibt eine vortreffliche Definition des Bösen
als einer Krankheit, als einer Entstellung der hierarchischen Ordnung, als
einer Verschiebung des Zentrums des Seins, nach der das Sein in Nichtsein
übergehe.
IV.
Es ist bezeichnend für Böhmes Weltanschauung, dass
er die Idee der Prädestination hasste. Hierin war er kein Mensch
protestantischen Geistes. (12) Er wollte die Güte Gottes und die Freiheit des
Menschen verteidigen, die beide in gleicher Weise von der Lehre der Prädestination
untergraben werden. Er war bereit, die Allmacht und Allwissenheit Gottes zu
opfern, und anzunehmen, dass Gott die Folgen der Freiheit nicht vorausgesehen
habe. Er sagt, Gott habe den Fall der Engel nicht vorausgesehen. Dieses Problem
quälte ihn sehr, und in dieser Qual lag die sittliche Bedeutung seines
schöpferischen Weges. Aber Böhme sagt hier nicht immer ein und dasselbe, seine
Gedanken sind antinomisch und sogar widersprüchlich. Er hatte ein antinomisches
Verhältnis zum Bösen. In dieser Hinsicht hat er Ähnlichkeit mit unserem
Dostoevskij. Böhme erklärt das Böse, das ihn so sehr quälte, damit, dass im
Urgrund des Seins der Ungrund liegt, die finstere, irrationale, meontische
Freiheit, eine durch nichts determinierte Potenz. Die finstere Freiheit ist
undurchdringlich für Gott, er sieht ihre Resultate nicht voraus und ist nicht
verantwortlich für das aus ihr [S. 73] geborene Böse. Die Freiheit ist nicht
von Gott erschaffen. Die Lehre vom Ungrund enthebt Gott der Verantwortung für
das Böse, das durch Allmacht und Allwissenheit Gottes hervorgerufen würde.
Zugleich sieht Böhme den Ungrund in Gott selber. In Gott ist ein dunkles
Prinzip, Kampf des Lichtes mit der Finsternis. Man könnte sagen, dass das
dunkle Prinzip (dunkel bedeutet hier nicht böse) in der Gottheit, aber nicht in
Gott sei. Böhme stellt geradezu extrem das Antlitz des Sohnes, als das der
Liebe, dem Antlitz des Vaters, als dem des Zornes, gegenüber. Im Sohn ist kein
dunkles Prinzip mehr, er ist ganz Licht, Liebe, Güte. Dann verwandelt sich der
Vater in eine Gottheit der apophatischen Theologie. Hier sind gnostische Motive
bemerkbar. Aber das Böse, das Böhme so quält, hat für ihn auch eine positive
Mission. Das göttliche Licht kann sich erst offenbaren durch den Gegenwurf
eines Anderen, eines Entgegengesetzten, der Finsternis. Dies ist die Bedingung
jeglicher Aktualisation, jeder Genese. Das Böse ist nicht nur ein negatives,
sondern auch ein positives Prinzip. Zugleich bleibt das Böse doch das Böse und
muss verbrennen, es muss überwunden werden. Überall in der Natur ist nicht
Ruhe, nicht ewige Ordnung, sondern Kampf entgegengesetzter Prinzipien. Dieser
Kampf entgegengesetzter Prinzipien hat auch eine positive Bedeutung. Erst durch
diesen Kampf offenbart sich das höchste Licht, die Güte, die Liebe. Das Sein
ist eine Vereinigung von Gegensätzen, von Ja und Nein. (13) Das Ja ist
unmöglich ohne das Nein. Das ganze Sein und die Gottheit selber ist in feuriger
Bewegung. Aber dies bedeutet nicht, wie die deutsche idealistische Metaphysik
vom Anfang des 19. Jahrhunderts behauptet, dass Gott nur ein Werdender, nur
Ziel des Weltprozesses sei. Das Sein ist der Sieg über das Nichtsein. Für Böhme
gibt es eine Hölle, aber in ihr gibt es kein Leiden, ebenso wie bei Swedenborg.
Böhme hatte bereits eine neue Seele, so dass er nicht mehr wie [S. 74] Thomas
von Aquin sagen konnte, dass der Gerechte im Paradies sich durch Anschauen der
Qualen des Sünders in der Hölle ergötze. Böhmes Gedanken über Freiheit und
Böses bleiben antinomisch. Aus der Intuition des Ungrundes hervorgegangen,
fehlte es ihnen an logischer Übereinstimmung und Folgerichtigkeit. Als die
deutsche idealistische Metyphysik den Versuch machte, logische Übereinstimmung
und Folgerichtigkeit in sie hineinzubringen, vermochte sie die tragische
Antinomie des Bösen und der Freiheit nicht im höchsten Bewusstsein zu
überwinden, sondern hob sie auf, stumpfte die ursprüngliche, scharfe und
brennende Empfindung des Bösen und der Freiheit im Monismus ab. Böhmes Lehre
vom Ungrund erklärt aus der Freiheit den Ursprung des Bösen, den Fall Luzifers,
der den Sündenfall der ganzen Schöpfung nach sich zog, und zugleich wird der
Ungrund in Gott selber hineingetragen und erklärt die Genese, den dynamischen
Prozess im Göttlichen Leben. Hier wäre ein Abgleiten zum extremen Monismus und
zum extremen Dualismus möglich, was vom Standpunkt der christlichen Offenbarung
in gleicher Weise irrtümlich wäre. Böhmes Denken bewegt sich ganz auf der
Messerschneide und ist ständig Gefahren von konträren Seiten ausgesetzt, aber
seine grundlegende Intuition ist genial, organisch und fruchtbar. Die Lehre von
Ungrund und Freiheit steht im Gegensatz zum griechischen Rationalismus, von dem
die mittelalterliche Scholastik durchsetzt war und von dem auch die Patristik
nicht frei war. Böhme ist als Begründer der Philosophie der Freiheit
anzuerkennen, welche die wahre christliche Philosophie ist. (14) Der
untragische und rationalistische Optimismus des Thomas von Aquin wird durch die
tragische Philosophie der Freiheit abgelöst. Die Freiheit ist die Quelle der
Tragödie.
Hegel versuchte, selbst dem Prinzip des
Widerspruchs und des Kampfes der entgegengesetzten Prinzipien einen
optimistischen Charakter zu verleihen. Er übertrug das Leben in einen Begriff,
und machte den Begriff selber zur Quelle [S. 75] von Dramatik und
Leidenschaften. Hegel war nach Thomas von Aquin das zweite geniale Aufflackern
des Rationalismus. Aber der Philosophie Hegels liegt ein irrationales Prinzip
zugrunde. Hegels Gottheit ist ursprünglich eine unbewusste Gottheit, sie
gelangt erst in der menschlichen Philosophie, in der Philosophie Hegels selber
zu Bewusstsein. Das Irrationale muss rationalisiert werden, in der Finsternis
muss das Licht erwachen. Die rationale Erkenntnis des Irrationalen, das dem
Sein zugrunde liegt, ist das grandiose Grundthema der deutschen Metaphysik. Die
deutsche Philosophie ist der metaphysische Norden. Die Welt ist nicht
ursprünglich und natürlich vom Sonnenlicht erleuchtet, sie ist in Finsternis
versenkt, das Licht gelangt in das Subjekt durch Versenkung, aus der Tiefe des
Geistes. Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen dem lateinischen und
dem germanischen Denken. Das germanische Denken fasst die Vernunft anders auf
als das lateinische. In der germanischen Auffassung steht die Vernunft der
Finsternis des Irrationalen gegenüber und muss Licht in sie hineintragen. In
der lateinischen, der antiken Auffassung, erleuchtet die Vernunft ursprünglich
die Welt wie die Sonne, spiegelt die Vernunft im Menschen die Vernunft in der
Natur der Dinge wider. Die germanische Idee geht von Böhme aus, von der Lehre
vom Ungrund, von der Freiheit, vom irrationalen Prinzip, das in der Tiefe des
Seins liegt. Mit Böhme beginnt eine neue Ära in der Geschichte des christlichen
Denkens. Sein Einfluss ist gewaltig, fällt aber äußerlich nicht ins Auge, er
wirkt wie ein Katalysator. (e) Offenkundig ist dieser Einfluss nur bei Fr.
Baader und Schelling. Aber er ist unzweifelhaft auch bei Fichte, Hegel und
Schopenhauer vorhanden. (15) Sehr stark ist Böhmes Einfluss auf die Romantik und
auf okkultistische Strömungen. (16) Ohne [S. 76] die genialen Intuitionen
Böhmes hätte der Rationalismus der antiken und der scholastischen Philosophie
wie auch der Rationalismus der Philosophie der Neuzeit, Descartes' und
Spinozas, nicht überwunden werden können. Nur das mythologische Bewusstsein sah
das irrationale Prinzip im Sein, das philosophische Bewusstsein hingegen sah
stets nur das rationale Prinzip. Böhme führt die Metaphysik zu den Quellen des
mythologischen Bewusstseins der Menschheit zurück. Aber das mythologische
Bewusstsein selber wird bei ihm von den Quellen der biblischen Offenbarung
genährt. Von Böhme geht die Dynamik der deutschen Philosophie und, man kann
sogar sagen, die Dynamik des ganzen Denkens des 19. Jahrhunderts aus. Böhme
fasste als erster das Leben in der Welt als leidenschaftlichen Kampf, als
Bewegung, als Prozess, als ein ewiges Werden auf. Nur bei einer solchen
Intuition des Lebens in der Welt war das Erscheinen eines "Faust",
waren Darwin, Marx, Nietzsche möglich. Doch sie standen den religiösen
Meditationen Böhmes bereits fern. Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit
ermöglicht uns, nicht nur den Ursprung des Bösen zu erklären, wenn auch
antinomisch, sie erklärt auch das Schöpfertum des Neuen im kosmischen Leben,
die schöpferische Dynamik. Das Schöpfertum ist seiner Natur nach ein
Schöpfertum aus meontischer Freiheit, aus dem Nichts, aus dem Ungrund, es setzt
diese bodenlose Quelle im Sein voraus, setzt die Finsternis voraus, die zu
erleuchten ist. Böhmes Besonderheit bestand darin, dass er den Ungrund, das
dunkle Prinzip in Gott selber dachte, statt das Prinzip der Freiheit im Nichts,
im Meontischen, außerhalb Gottes zu sehen. Man muss das Göttliche Nichts und
das Nichtsein außerhalb Gottes unterscheiden. Aber Böhmes Denken darf nicht in
grober Weise aufgefasst werden. Böhme hätte sich nicht damit einverstanden
erklärt, dass die Quelle des Bösen in Gott liege. Gerade das quälte ihn ja.
Sein Denken bleibt antinomisch, es lässt sich nicht logisch erläutern. Aber
sein sittlicher Wille ist rein, er ist auch nicht einen Augenblick durch
inneres Böses vergiftet. Böhme ist ein frommer Christ, mit heißem Glauben, mit
reinem Herzen. Er vereinte in sich [S. 77] Schlangenweisheit mit Einfachheit
des Herzens [vgl. Mt 10,16], mit Glauben. Dessen muss man bei der Beurteilung
Böhmes stets eingedenk sein. Böhme war kein Pantheist und kein Monist, wie er
auch kein Manichäer war. Carrière sagt mit Recht, dass Böhme weder Pantheist,
noch Dualist war.
Böhmes Idee vom Ungrund wurde in der deutschen Identitätsphilosophie,
die von den Quellen der christlichen Offenbarung, vom christlichen Realismus
abgerückt war, nicht nur entfaltet, sondern auch entstellt. Darum neigte die
deutsche Metyphysik zum Impersonalismus, zum Monismus, und lehrte von Gott als einem
Werdenden im Weltprozess. Aber Böhmes Voluntarismus war für die Philosophie
sehr befruchtend, ebenso wie die Lehre vom Kampf der entgegengesetzten
Prinzipien, des Lichtes und der Finsternis, und von der Notwendigkeit des
Gegenwurfes für die Offenbarung der positiven Prinzipien. Böhmes Metaphysik ist
eine musikalische christliche Metaphysik, und darin ist sie für den deutschen
Geist charakteristisch. Hierin besteht ihr Unterschied zur architektonischen
christlichen Metaphysik des Thomas von Aquin, die für den lateinischen Geist
charakteristisch ist. Die deutschen Metaphysiker des 19. Jahrhunderts machten
den Versuch, ein musikalisches Thema durch ein System von Begriffen
auszudrücken. Darin liegt die Großartigkeit ihres Unterfangens, und darin liegt
auch der Grund des Zusammenbruches dieser Systeme. Gegenwärtig ist eine
Böhme-Renaissance möglich. Es werden über ihn eine Reihe neuer Bücher
geschrieben. Er könnte dazu beitragen, dass nicht nur die Gewohnheiten
griechischen Denkens und mittelalterlicher Scholastik, sondern auch jener
deutsche Idealismus überwunden werden, auf den er selber einen inneren Einfluss
ausgeübt hat. Uns Russen müssen Böhme wie auch Fr. Baader näher stehen als
andere westliche Denker. Unseren geistigen Eigenschaften entsprechend, sind wir
berufen, eine Philosophie der Tragödie aufzubauen. Der optimistische
Rationalismus europäischen Denkens ist uns fremd. Böhme liebte die Freiheit so
sehr, dass er die wahre Kirche nur dort sah, wo Freiheit ist. Böhme
beeinflusste russische mystische Strömungen am Ende des 18. und zu Beginn des
19. Jahrhunderts, [S. 78] aber man machte ihn sich in naiver Weise und ohne
schöpferische Verarbeitung zu eigen. Er wurde ins Russische übersetzt und drang
sogar in einfache Volksschichten, in die Volkstheosophie durch, wo man ihn fast
als Kirchenvater verehrte. Es ist interessant, dass Alexander Herzen in seinen
Briefen über das Studium der Natur mit Begeisterung von Böhme sprach. Später
lässt sich Böhmes Einfluss bei Vl. Solov'ev feststellen, aber er ist bei ihm von
rationalistischer Schematik verdeckt. Vl. Solov'evs Philosophie kann nicht als
eine Philosophie der Freiheit und Philosophie der Tragödie anerkannt werden. Im
russischen Denken zu Anfang des 20. Jahrhunderts steht der Schreiber dieser
Zeilen Böhme am nächsten. Die Hüter der Orthodoxie, die an der Entlarvung von
Häresien einen besonderen Geschmack finden, fürchten den Einfluss Böhmes als
eines Nichtorthodoxen, als eines Protestanten, Gnostikers und Theosophen. Da
aber die ganze westliche Welt nicht orthodox, das ganze Denken Westeuropas kein
orthodoxes Denken ist, muss unter diesem Gesichtspunkt jede Berührung mit dem
westlichen Denken vermieden und als Ärgernis und Übel bekämpft werden. Das ist
reinstes Obskurantentum und die Forderung, zu unserer alten Denkarmut
zurückzukehren. Die christliche Welt nährte sich in ihrer schöpferischsten
Periode vom antiken heidnischen Denken. Böhme ist jedenfalls mehr Christ
gewesen als Platon, der bei uns nach patristischer Tradition sehr geschätzt
wird, mehr noch als Kant, den viele orthodoxe Theologen verehren, wie z.B.
Metropolit Antonij. (f) Böhme ist sehr schwer verständlich, und es lassen sich
aus ihm sehr verschiedenartige und einander entgegengesetzte Schlüsse ziehen.
Die Bedeutung Böhmes für die christliche Philosophie und christliche Theosophie
sehe ich darin, dass er bemüht war, den machtvollen Einfluss, den das
griechische und lateinische Denken auf das christliche Bewusstsein ausübte,
durch sein schauendes Denken zu brechen, und dass er sich in das Urmysterium
des Lebens versenkte, das vom antiken Denken verdeckt wurde. Die christliche
Theologie, [S. 79] und zwar nicht nur die katholische, ist derart mit dem
griechischen Denken, mit dem Platonismus, dem Aristotelismus und Stoizismus
verwachsen, dass ein Attentat auf die Gewohnheiten dieses Denkens als Attentat
auf die christliche Offenbarung erscheint. Waren doch auch die griechischen
Kirchenlehrer Schüler der griechischen Philosophie, sie waren Platoniker, und
ihr Denken hatte das Gepräge der Beschränktheit des griechischen Rationalismus.
Diesem Denken gelang es nicht, das Problem der Persönlichkeit, das Problem der
Freiheit, das Problem der schöpferischen Dynamik zu lösen. Böhme ist nicht nur
kein Aristoteliker, sondern auch kein Platoniker, und sein Einfluss liegt
außerhalb des Kampfes zwischen östlichem Platonismus und westlichem
Aristotelismus. Böhme steht nur Heraklit nahe. Ich bin der Ansicht, dass in der
christlichen Philosophie nicht nur der Aristotelismus, sondern auch der
Platonismus zu überwinden ist, als statische und die Welt zerspaltende
Philosophie, die unfähig ist, die Geheimnisse der Freiheit und des Schöpfertums
zu begreifen. Böhmes Lehre von der Sophia, der Göttlichen
Weisheit, zu der ich in meiner zweiten Studie
übergehe, ist kein christlicher Platonismus, ihr Sinn ist, wie die russische
Sophiologie sich zu Bewusstsein zu bringen bemüht ist, gänzlich anders. Böhmes
Lehre von Ungrund und Freiheit indes ist in Richtung einer Unterscheidung zwischen
göttlichem Abgrund und göttlicher Freiheit einerseits und meontischem Abgrund
und meontischer Freiheit andererseits zu entfalten. (17) Im letzten
unaussprechlichen Geheimnis wird auch dieser Unterschied aufgehoben, aber an
der Schwelle dieses Geheimnisses ist diese Unterscheidung noch zu machen.
Anmerkungen
von Nikolaj A.Berdjaev
(1) Die Ausgabe, die ich benutze und nach der ich
die Zitate anführe, ist: Jakob Böhme's sämmtliche Werke hg. v. K.W.Schiebler, 7
Bde., Leipzig 1831-1847. (g) Von den Büchern über Böhme benutzte ich
[Ergänzungen der Angaben durch Heinrich Michael Knechten]: Franz von Baader,
Vorlesungen über J.Böhme's Theologumena und Philosopheme, Sämmtliche Werke, hg.
v. F.Hoffmann, Bd. 3, Leipzig 1852 [Zweiter Nachdruck: Aalen 1987]; Ders., Vorlesungen
und Erläuterungen zu Jacob Böhme's Lehre, hg. v. J.Hamberger, Sämmtliche Werke,
Bd. 13, Leipzig 1855 [Zweiter Nachdruck: Aalen 1987]; Moriz Carrière, Die
philosophische Weltanschauung der Reformationszeit in ihren Beziehungen zur
Gegenwart, Stuttgart 1847 (darin gibt es ein umfangreiches Kapitel über Böhme);
Hans Lassen Martensen, Jakob Böhme. Theosophische Studien, Leipzig 1882;
Gottlieb Christoph Adolf von Harless, Jakob Böhme und die Alchymisten, Berlin
1870, zweite Auflage Leipzig 1882; Émile Boutroux, Études d'histoire de la
philosophie. Le philosophe allemand Jacob Boehme, vierte Auflage Paris 1925;
Paul Deussen, Jacob Boehme, dritte Auflage Leipzig 1922; Werner Elert, Die
voluntaristische Mystik Jakob Böhmes, Berlin 1913; Heinrich Bornkamm, Luther
und Böhme, Bonn 1925; P.Hankammer, Jakob Böhme, Bonn 1924; Jakob Böhme und
Görlitz. Ein Bildwerk. Gedenkgabe der Stadt Görlitz zu seinem 300jährigen
Todestage, im Namen des Görlitzer Magistrats hg. v. Richard Jecht, Görlitz
1924; Rufus M.Jones, Geistige Reformatoren des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts, autorisierte Übers. v. E.C.Werthenau, Berlin 1925, Quäkerverlag
(der Autor ist Amerikaner); Rudolf Steiner, Die Mystik im Aufgange des
neuzeitlichen Geisteslebens, Berlin 1901 [fünfte Auflage: Dornach 1960]; und
die zuletzt erschienene, sehr gründliche Untersuchung über Böhme: Alexandre
Koyré, La philosophie de Jacob Boehme, Paris 1929 [dritte Auflage: Paris 1979].
(2) Ich halte es für unrichtig, die alten
Gnostiker als christliche Häretiker zu bezeichnen. Aus dem religiösen
Synkretismus der hellenistischen Epoche hervorgegangen, entstellten sie nicht
so sehr das Christentum durch die heidnische Weisheit des Ostens und
Griechenlands, als sie diese Weisheit durch das Christentum bereicherten.
(3) Der J.Böhme nahestehende christliche Theosoph
des 18. Jahrhunderts Oetinger sagte von J.Böhme, "Gott habe ihm durch
Offenbarung gezeigt, welche diejenige Grundweisheit sei, welche zur hl. Schrift
gehört". (Carl August Auberlen, Die Theosophie Fr. Chr. Oetingers nach
ihren Grundzügen, Tübingen 1847, S. 113.)
(4) Hierauf weist ganz richtig Bornkamm in seinem
Buch "Luther und Böhme" hin, obwohl er die Verwandtschaft Böhmes mit
Luther übertreibt.
(5) A.Koyré, La philosophie de Jacob Boehme, Paris
1929, S. 25 u. 30.
(6) Sehr gut ausgedrückt ist dies bei Valentin
Weigel, in: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde, Jena 1917,
183 [korrigiert und vervollständigt nach dieser Ausgabe. H.M.Knechten].
"Gott ist in sich selber einig und hat keinen Namen. Er heißt gut, und
niemand ist gut, denn allein er, Gott. Er wird aber entweder für sich selbst,
absolute, betrachtet, ohne alle Kreaturen, wie er in seiner verborgenen
Einigkeit ist, oder respectu creaturarum, wie er sich hält und erzeigt in der
Offenbarung mit seiner Kreatur. Absolute, allein für sich selbst, ohne alle
Kreatur, ist und bleibt Gott personlos, zeitlos, stättelos, wirkungslos,
willenlos, affektlos, und also ist er weder Vater noch Sohn noch heiliger
Geist, er ist die Ewigkeit selber ohne Zeit, er schwebt und wohnt in sich
selber an jedem Ort, er wirkt nichts, will auch nichts, begehrt auch nichts.
Denn was sollte er wirken, begehren oder wollen? Ist er doch mit seiner seligen
Ruhe und Ewigkeit das vollkommene All, es ist ihm alles gegenwärtig und nichts
zukünftig noch vergangen, darum begehrt er nichts, darum hofft er nichts, er
besitzt alle Dinge in sich selbst, und ist keines Dinges bedürftig. Deus
potentia quidem semper, sed affectu non semper pater fuit, et antequam genuerat
non erat pater, sed omnipotens Deus [Gott war von seiner Potentialität her
immer, doch vom Affekt her nicht immer Vater, und bevor er (den Sohn) zeugte,
war er nicht Vater, sondern allmächtiger Gott. H.M.K.]
Aber respektive d.i. in, mit und durch die Kreatur wird er persönlich, wirkend,
wollend, begehrend, nimmt Affekte an sich, oder läßt sich unserthalben Personen
und Affekte zuschreiben. Da wird er zum Vater und wird zum Sohne und ist der
Sohn selber, er wird zum hl. Geiste und ist selber der hl. Geist, er will, wirkt
und schafft alle Dinge und ist alle Dinge, er ist aller Wesen Wesen, aller
Lebendigen Leben, aller Lichter Licht, aller Weisen Weisheit, aller Vermögenden
Vermögen."
(7) Ein Nachfolger Böhmes, der Engländer John
Pordage [1607-1681], spricht vom "Auge des Ungrundes aus der
Ewigkeit". Vgl. seine Theologia Mystica, London 1683. [Siehe auch: John
Pordage, Sophia, Amsterdam 1699].
(8) Das Nichts im Sinne eines μη
ον (me on), nicht eines ουκ ον (ouk on).
(9) Elemente des Voluntarismus finden sich auch
bei Duns Scotus, aber sie sind ganz anderer Art als bei Böhme.
(10) In seiner letzten Periode, der Periode der
Philosophie der Mythologie und der Offenbarung, verdankt Schelling seine
grundlegenden Ideen Böhme, aber er war sehr ungerecht gegen ihn und fällte über
ihn Urteile, zu denen er nicht berechtigt war.
[Die folgenden Zitate, die innerhalb des russischen Textes fehlerhaft und
unvollständig wiedergegeben sind, wurden berichtigt und ergänzt nach:
Schellings Werke, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. v.
M.Schröter, 6. Ergänzungsband: Philosophie der Offenbarung. Erstes und Zweites
Buch. 1858, München 1954, 121.123-126. H.M.Kn.].
"Was dem Theosophismus zu Grunde liegt, wo er immer zu einer wenigstens
materiell wissenschaftlichen oder speculativen Bedeutung gelangt – was
namentlich dem Theosophismus Jakob Böhmes zu Grunde liegt, ist das an sich
anerkennenswerthe Bestreben, das Hervorgehen der Dinge aus Gott als einen wirklichen
Hergang zu begreifen. Dieß weiß nun aber Jakob Böhme nicht anders zu bewerkstelligen,
als indem er die Gottheit selbst in eine Art von Naturproceß verwickelt. Das
Eigenthümliche der positiven Philosophie besteht aber gerade darin, daß sie
allen Proceß in diesem Sinne verwirft, in welchem nämlich Gott das nicht
bloß logische, sondern wirkliche Resultat eines Processes wäre. Positive
Philosophie ist insofern vielmehr in direktem Gegensatz mit allem und jedem
theosophischen Bestreben." (S. 121).
"J.Böhme ist wirklich eine theogonische Natur, aber eben dieß hinderte
ihn, sich zur freien Weltschöpfung, und eben damit auch zur Freiheit der
positiven Philosophie zu erheben. J.Böhme spricht bekanntlich viel von einem
Rad der Natur oder der Geburt, einer seiner tiefsten Apperceptionen, wodurch er
den Dualismus der Kräfte in der mit sich selbst ringenden, sich selbst gebären
wollenden aber nicht könnenden Natur ausdrückt. Aber eben er selbst ist
eigentlich dieses Rad, er selbst diese Wissenschaft gebären wollende,
aber nicht könnende Natur." (S. 123).
"Diese Rotation seines Geistes zeigt sich äußerlich auch dadurch, daß
J.Böhme in jeder seiner Schriften wieder von vorn anfängt, die oft genug
erklärten Anfänge immer wieder exponiert, ohne je weiter oder von der Stelle zu
kommen. In diesen Anfängen ist er immer bewundernswürdig, ein wahres Schauspiel
der mit sich selbst ringenden, nach Freiheit und Besonnenheit verlangenden
Natur, die aber, unfähig, in wirkliche Bewegung überzugehen, immer auf
demselben Punkt rotatorisch sich um sich selbst bewegt. Sowie J.Böhme über die
Anfänge der Natur hinaus und ins Concrete geht, kann man ihm nicht mehr folgen;
hier verliert sich alle Spur, und es wird stets ein vergebliches Bemühen
bleiben, ihn aus dem verworrenen Concept seiner Anschauungen ins Reine zu
schreiben, wenn man auch nacheinander Kantsche, Fichtesche,
naturphilosophische, zuletzt sogar Hegelsche Begriffe dazu anwendet." (S.
124).
"Dem Rationalismus kann nichts durch eine That, z.B. durch freie
Schöpfung, entstehen, er kennt bloß wesentliche Verhältnisse. Alles
folgt ihm bloß modo aeterno, ewiger, d.h. bloß logischer Weise, durch immanente
Bewegung; denn das ist nur ein verfälschter Rationalismus, der z.B. die
Entstehung der Welt durch eine freie Entäußerung des absoluten Geistes
erklären, der überhaupt thätliche Schöpfung behaupten will. Der falsche Rationalismus
nähert sich eben darum dem Theosophismus, der nicht weniger als jener im bloß
substantiellen Wissen gefangen ist; der Theosophismus will es wohl
überwinden, aber es gelingt ihm nicht, wie am deutlichsten an J.Böhme zu sehen.
Wohl kaum hat je ein anderer Geist in der Glut dieses bloß substantiellen
Wissens so ausgehalten wie J.Böhme; offenbar ist ihm Gott die unmittelbare
Substanz der Welt; ein freies Verhältniß Gottes zu der Welt, eine freie
Schöpfung will er zwar, aber er kann sie nicht herausbringen. Obgleich
er sich Theosophie nennt, also Anspruch macht, Wissenschaft des Göttlichen zu
seyn, ist der Inhalt, zu dem der Theosophismus es bringt doch nur die
substantielle Bewegung, und er stellt Gott nur in substantieller Bewegung dar.
Der Theosophismus ist seiner Natur nach nicht minder ungeschichtlich als der
Rationalismus. Aber der Gott einer wahrhaft geschichtlichen und positiven
Philosophie bewegt sich nicht, er handelt. Die substantielle
Bewegung, in welcher der Rationalismus befangen ist, geht von einem negativen
Prius, d.h. von einem nichtseyenden aus, das sich erst ins Seyn zu bewegen hat;
aber die geschichtliche Philosophie geht von einem positiven, d.h. von dem
seyenden Prius aus, das sich nicht erst ins Seyn zu bewegen hat, also nur mit vollkommener
Freiheit, ohne irgendwie durch sich selbst dazu genöthigt zu seyn, ein Seyn
setzt, und zwar nicht sein eignes unmittelbar, sondern ein von seinem
Seyn verschiedenes Seyn, in welchem jenes vielmehr negirt oder suspendirt als
gesetzt, also jedenfalls nur mittelbar gesetzt ist. Es geziemt Gott,
gleichgültig gegen sein eignes Seyn zu seyn, nicht geziemt ihm aber, sich um
sein eignes Seyn zu bemühen, sich ein Seyn zu geben, sich in ein Seyn zu
gebären, wie J.Böhme dieß ausdrückt, der als Inhalt der höchsten Wissenschaft,
d.h. der Theosophie, eben die Geburt des göttlichen Wesens, die göttliche
Geburt ausspricht, also eine eigentliche Theogonie. Demgemäß war es wohl
begründet, wenn wir das Phänomen des Theosophismus (denn ein Phänomen ist er
auf jeden Fall, besonders in J.Böhme) als ein Zurückfallen in den der
Wissenschaft vorausgegangenen Proceß erklärten, als Versuch, sich in den
vorwissenschaftlichen theogonischen Proceß zurückzuversetzen. Daß nun freilich
die positive Philosophie nicht Theosophismus seyn könne, dieß liegt schon
darin, daß sie eben als Philosophie und als Wissenschaft bestimmt worden; indeß
jener sich selbst nicht Philosophie nennen und auf Wissenschaft
verzichtend aus unmittelbarem Schauen reden will." (S. 124-126).
Man könnte Schelling selber viel mehr als Böhme der Neigung zu Naturalismus und
Rationalismus bezichtigen. Schellings Intuitionen, die hauptsächlich
philosophischen Charakter trugen, waren weniger ursprünglich als die
Intuitionen Böhmes. Aber Schellings Bemerkung, dass der Theosophismus
unhistorisch und für das Verständnis der Geschichte ungünstig sei, trifft zu.
(11) Vgl. Franz von Baaders Sämmtliche Werke, Bd.
13, Vorlesungen und Erläuterungen zu Jakob Böhmes Lehre, hg. v. J.Hamberger,
Leipzig 1855 [Zweiter Nachdruck: Aalen 1987], S. 65.
(12) Dies hebt A.Koyré, La philosophie de Jacob
Boehme, Paris 1929, 158, sehr hervor.
(13) Dies legt Koyré in seinem Buch, S. 395f, gut
dar.
(14) Vgl. Charles Secrétan, La philosophie de la
liberté, 2 Bde., Paris 1849.
(15) Die vortreffliche Geschichte des deutschen
Idealismus: Richard Kroner, Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921/1924
[zweite Auflage in einem Bd. 1961], weist neben Eckehart und Luther auch auf
Böhme als Quelle der deutschen Philosophie hin.
(16) Vgl. das kürzlich erschienene, in seinem
Material sehr interessante zweibändige Werk von Auguste Viatte, Les sources
occultes du Romantisme. Illuminisme, théosophie, 1770-1820, Paris 1928
[Nachdruck: Paris 1979], worin überall der ungeheure Einfluss Böhmes festgestellt
wird.
(17) Die moderne Psychologie und Psychopathologie
decken wissenschaftlich den Ungrund in der menschlichen Seele auf und nennen
ihn das Unbewusste. Aber sie machen keinen genügenden Unterschied zwischen dem
Unterbewussten und dem Überbewussten, zwischen dem unteren und dem oberen
Abgrund. Vgl. die Zusammenfassung in: Georges Dwelshauvers, L'inconcient, Paris
1925.
Mit dem Ungrund hängt auch der archaische Mensch zusammen. In dieser Hinsicht
ist Bachofen besonders wichtig. (h)
Anmerkungen
von Heinrich Michael Knechten
(a) Russisches Original: Из
этюдов о
Яковe Беме.
Этюд I. Учение
об Ungrund'е и
свободе, Путь
№ 20, 1930, 47-79 (Klepinina, Bibliographie, Nr. 349).
Übersetzt von Heinrich Michael Knechten. Hierfür
wurde die Übertragung von Hans Ruoff, Jakob Böhmes Lehre von Ungrund und
Freiheit, in: Blätter für Deutsche Philosophie 6
(1932/1933), 315-336 (Klepinina, Bibliographie, Paris 1978, Nr. 349a),
vervollständigt und korrigiert.
Französische Übersetzung in: Jacob Boehme, Mysterium magnum, 2 Bde., Paris
1946, 5-28 (L'«Ungrund» et la liberté; Klepinina, Bibliographie, Nr. 47,1)
(b) Angelus Silesius (Johann Scheffler), Sämtliche
poetische Werke, hg. v. H.L.Held, Bd. 2: Jugend- und Gelegenheitsgedichte,
dritte Auflage München 1949 (Nachdruck: Wiesbaden 2002), 27 ("Unter einem
Bildnis Jakob Böhmes").
Siehe auch: Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe,
hg. v. L.Gnädinger, Stuttgart 1984, bibliographisch ergänzte Ausgabe 2000,
Erstes Buch, Nr. 80, 39 ("Ein jedes in dem seinigen"):
"Der Vogel in der Lufft / der Stein ruht auff dem Land /
Jm Wasser lebt der Fisch / mein Geist in GOttes Hand."
Sowie: Cherubinischer Wandersmann, hg. v. L.Gnädinger, Stuttgart 1984, Vierdtes
Buch, Nr. 32, 156 ("Eins jeden Element"):
"Jm Wasser lebt der Fisch / die Pflantzen in der Erden /
Der Vogel in der Lufft / die Sonn im Firmament:
Der Salamander muß im Feur erhalten werden:
Jm Hertzen JESU ich / als meinem Element."
(c) Das Denken Eckeharts wird von den Dominikanern
Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg (um 1240 - um 1318/1320) angeregt. Es
stützt sich auf Augustinus, Dionysios Areopagita sowie auf jüdische und
arabische Philosophie und Theologie.
(d) Ivan Karamazov fragt, ob die höhere Harmonie,
die Erkenntnis von Gut und Böse, das Glück der Menschheit die Tränen eines
einzigen Kindes wert sind. Vgl. F.M.Dostoevskij, Brat'ja Karamazovy, 5. Buch,
4. Kapitel (Bunt – Die Auflehnung).
(e) Wörtlich: er wirkt wie ein innerliches
Dazutrinken (vnutrennja pripivka). H.Ruoff übersetzt: "er wirkt wie ein
Serum". Fr. Stephen Janos übersetzt: "acting moreso like an inner
engrafting".
(f) Antonij (Chrapovickij), Metropolit von Kiev
und Galič (1863-1936), Ersthierarch der Russischen Orthodoxen
Auslandskirche. Berdjaev denkt vor allem an seine später in der Orthodoxie
umstrittene Magisterdissertation: Psychologische Daten zu Gunsten der
Willensfreiheit und der Sittlichkeit, St. Petersburg 1887, zweite Auflage 1888.
(g) Da die Böhme-Zitate innerhalb des russischen
Textes außerordentlich fehlerhaft wiedergegeben sind, wird korrigiert nach:
Jakob Böhme's sämmtliche Werke hg. v. K.W.Schiebler, Bd. 1, zweite Auflage,
Leipzig 1860, Bde. 2-7, erste Auflage, Leipzig 1832-1847.
(h) Johann Jakob Bachofen (1815-1887), Soziologe,
Geschichtsphilosoph und Mythenforscher, Gesammelte Werke, 10 Bde., Basel
1943-1967. Siehe auch Claude Lévi-Strauss, La pensée sauvage, Paris 1962.