Johannes Tauler (um 1300-1361)
 
 
Viele Menschen wären gerne Gottes Zeugen im Frieden, so lange ihnen alle Dinge nach ihrem eigenen Willen gehen, und sie wären gerne heilig, wenn ihnen nicht die Übungen und die Arbeit sauer ankämen; sie spürten gerne Gottes Gegenwart und würden gerne den Glauben bekennen ohne jede Bitterkeit, ohne Mühe und ohne Trostlosigkeit. Wenn aber große Prüfungen und Finsternisse über sie kommen und sie Gott weder fühlen noch schmecken und sie innerlich und äußerlich verlassen sind, dann kehren sie wieder um und sind daher keine wahren Zeugen. Alle Menschen suchen Frieden. Sie suchen ihn allerorten, in Werken und Weisen. Ach, könnten wir dem entgehen und Frieden im Unfrieden suchen: Da wird allein wahrer Friede geboren, der bleibt und währt. Was du anders suchest, meinst du wahrzunehmen, doch du irrst dich. Es geht ja darum, in Traurigkeit Freude, in Unfrieden Frieden, in Vielheit Einheit und in Bitterkeit Trost zu suchen. So wirst du in Wahrheit Zeuge Gottes. (Die Predigten Taulers, hg. v. Ferdinand Vetter, Deutsche Texte des Mittelalters 11, Berlin 1910, 85f).
 
Von allem Vergänglichen soll der Mensch bloß und ledig werden. Will er zu Gott gelangen, muss er beständigen Fleiß haben, im Willen und in den Werken Gottes zu wandeln. Er darf nicht heute damit beginnen und morgen wieder davon ablassen. Vielmehr soll er sich allezeit den Übungen hingeben, alle Stunden und Tage, wenn es mit ihm besser werden soll. Er darf nicht jetzt für Gott leben und morgen für das Unbeständige; das wäre unfruchtbar. Davor graut allerdings einigen; sie wagen nicht, Gott zu glauben und sich ihm anzuvertrauen, da sie wie alle anderen leben wollen. (Sermons de J.Tauler, hg. v. A.L.Corin, Bibliothèque de la Faculté de philosophie et lettres de lʼUniversité de Liège 33, Lüttich u. Paris 1924, 247f).
 
Wer ein Ding tief erkennen (mercken: durch eine Marke, ein Kennzeichen, innewerden) will, lenkt all seine Sinne darauf und führt sie in der Seele zusammen, daraus sie geflossen sind, in den Grund: Dies ist der Eingang. Wenn ein Ausgang geschehen soll, ein Übergang außer dem Menschen und über ihn, müssen wir alles eigene Wollen verleugnen, alles Begehren und Wirken. Da soll nur ein lauteres Meinen Gottes bleiben, ein ihm zu eigen Sein und ein ihm Raum Geben, damit er ungehindert in dir geboren werden kann. Wenn zwei eins werden sollen, dann muss sich das eine leidend und das andere wirkend verhalten; soll mein Auge ein Bild sehen, muss es selber bildlos sein. (Die Predigten Taulers, hg. v. Ferdinand Vetter, Deutsche Texte des Mittelalters 11, Berlin 1910, 9).
 
Wer dahin kommt, der findet, was er auf weiten und langen Umwegen gesucht hatte. Da wird dann der Geist über alle Kräfte hinaus in eine wüste Wildnis gezogen, über die niemand sprechen kann, in die verborgene Finsternis des weiselosen Gottes; da wird der Geist so nahe geführt an die Einheit der einfachen, weiselosen Einheit, dass er jede Unterscheidung verliert. Sie ist eine unaussprechliche Finsternis und ist doch das wesentliche Licht. Sie ist eine unbegreiflich wilde Wüste, in der niemand Weg noch Weise findet. (Sermons de J.Tauler, hg. v. A.L.Corin, Bibliothèque de la Faculté de philosophie et lettres de lʼUniversité de Liège 42, Lüttich u. Paris 1929, 71).

 

 

 

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