Herz Jesu
in Schildgen
Dieses Kleinod war mir völlig unbekannt; nie hatte ich davon gehört. Eines Tages luden mich Freunde zu einer Besichtigung ein, und ich war auf der Stelle begeistert. Was für eine Kirche!
Herz Jesu in Schildgen, Der Altarturm mit der Krone für „Christus König“, Photographie von H. M. Knechten
Der Flurname Schildgen (sprich: Schildchen, im Bergischen Land: Schildschen) leitet sich von der Lage des Ortes ab, er liegt nämlich wie ein gewölbter, dreieckiger Schild auf einer Anhöhe.
Bis 1974 gehörte er zu Odenthal und seit 1975 zu Bergisch Gladbach. Im Jahre 1830 zählte der Hof Nittum als ältester Siedlungskern 129 Einwohner. Im Jahre 2017 waren es in ganz Schildgen 6222 Einwohner.
Als Hauptverkehrsstraße führt mitten durch Schildgen die Altenberger-Dom-Straße.
Der Hügel, auf dem sich heute die Katholische Pfarrkirche erhebt, diente der Gemeinde Odenthal als Hinrichtungsstätte. Für 1602 sowie für 1612 und 1613 sind insgesamt vier Hexenverbrennungen bekannt.
1908 wurde in Schildgen und Katterbach ein Kirchenbauverein gegründet. 1927 schenkte Reichsgraf Ferdinand von Wolff-Metternich zur Gracht von Burg Strauweiler (1845-1938) der Filialgemeinde das Grundstück „Am Galgenberg“.
Aus Kostengründen erwarb die Gemeinde eine vormalige Werkhalle der Sprengstoff AG Carbonit in Schlebusch, in welcher Maschinen repariert worden waren. Das 1887 gegründete Unternehmen hatte sich zur Zeit des Ersten Weltkrieges zu einem bedeutenden Hersteller von Sprengbomben auf Trinitrotoluol-Basis mit mehreren tausend Mitarbeitern entwickelt. Nach schweren Unfällen im Jahre 1926 wurde die Produktion jedoch eingestellt und die zerstörten Gebäude wurden nicht wieder aufgebaut. Heute befindet sich an diesem Ort die Waldsiedlung in Leverkusen.
Die Außenmauer, Photographie von Cornelia Attolini
Die aus Stahlträgern konstruierte Halle besaß den Vorteil eines basilikalen Zuschnittes. Es erfolgte 1928 eine Ummauerung, der Verputz und die innere Verkleidung folgten.
1929 wurde die Kirche Herz Jesu geweiht, die als Filialgemeinde zur Pfarrei St. Pankratius in Odenthal gehörte.
Der Seelsorgebereich Schildgen wurde 1936 Rektoratsgemeinde und 1940 Rektoratspfarre mit eigenem Pfarrer. Während des Zweiten Weltkrieges kamen Pfarrer Giesen, Gemeindemitglieder und Soldaten durch deutschen Beschuß ums Leben. 1952 wurde ein schlichtes Pfarrhaus erbaut.
Da die Gemeinde wuchs, wurde 1956 ein südwestlich dieser Kirche gelegenes Grundstück erworben. Gottfried Böhm (1920-2021) plante ein ganz anders konzipiertes Gotteshaus, für das 1959 der Grundstein gelegt wurde. Es wurde 1960 geweiht.
Links der Glockenturm mit dem Hahn, rechts der Taufkapellenturm mit der Taube, im Hintergrund die ehemalige Kirche, heute Pfarrsaal, Photographie von Cornelia Attolini
1961 wurde die frühere Kirche von Gottfried Böhm zum Pfarrsaal umgebaut. 1963 wurde die Gemeinde eine selbständige Pfarrei. Heute bilden Herz Jesu Schildgen, St. Clemens Paffrath und St. Konrad Hand die Katholische Pfarreiengemeinschaft Bergisch Gladbach - West.
Der Glockenturm mit dem Hahn, Photographie von H. M. Knechten
Diese Kirche erinnert an eine mittelalterliche Karawanserei an der Seidenstraße, die Ruhe, Geborgenheit und Sicherheit in der feindlichen Wüste verleiht.
Baumaterial sind hauptsächlich grobkörniger Sichtbeton und Glas. Die Fensteröffnungen sind mit scharfen Kanten übergangslos in die äußere Mauer geschnitten und ornamental abgedeckt. Die Oberkante der Mauer ist mit einem in den Beton geprägten Reliefband verziert. Neben dem Eingangstor ist zur Straße hin eine Nische, in der eine Skulptur des heiligen Sebastians steht, die 1929 von der Schützenbruderschaft für den Vorgängerbau gestiftet worden war.
Glockenturm, Altarturm mit Krone, Taufkapellenturm mit Taube und Beichtturm mit Kugel, Photographie von H. M. Knechten
Der Baukomplex wird von sechs runden Türmen unterschiedlicher Höhe überragt. Der kleinste ist über dem Eingangsportal angebracht und trägt ein Kreuz.
Der freistehende Glockenturm mit fünf Glocken wird von einem Wetterhahn überragt, der nicht nur die Windrichtung anzeigt, sondern auch zur Wachsamkeit und zur Treue aufruft: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ (Mk 14, 30). Im Erdgeschoß ist eine Kapelle, welche mit einer Gittertür versehen ist. An der Rückwand ist ein umrahmtes Mosaik des heiligen Christophorus, entworfen vom Kölner Maler Robert Rexhausen (1928-1983). Der mit einem Lendenschurz bekleidete Träger (φόρος phóros) Christi (des Jesuskindes) geht in einer hügeligen Landschaft durch die Furt eines Flusses. Rechts neben dem Glockenturm ist das Kirchenschiff des Vorgängerbaues, heute Pfarrsaal.
Die übrigen Türme erheben sich über den liturgischen Stätten, über dem Altar, der Taufkapelle und den beiden Beichtkapellen. Der Altarturm trägt eine Krone. Dies ist ein Hinweis auf Christus den König. Der Taufkapellenturm ist mit einer Taube geschmückt. Dies erinnert an die Taufe Jesu Christi. „Als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Siehe, da tat sich ihm der Himmel auf und er sah den Geist Gottes herabfahren und über sich kommen“ (Mt 3, 16). „Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ (Jes 11, 2).
Ornamental gestaltete Glaswand, Photographie von Cornelia Attolini
Die rechte Seite des Innenhofes ist mit einer ornamental gestalteten Glaswand abgeschlossen, hinter der ein Atrium angelegt ist. Es weist einen Kreuzweg des Kölner Bildhauers Theo Heiermann (1925-1996) auf, der aus kleinen Bronzereliefs besteht, welche mit grünem Glas hinterlegt sind, an die Dornenkrone erinnernd. Somit ist das Atrium ein Raum der Besinnung über das Leiden des Herrn.
Kreuzwegstation von
Theo Heiermann, Ecce homo, Siehe da, der Mensch (Joh 19, 5) und Dornenkrone,
Photographie von Cornelia Attolini
In der Mitte des kleinen Raumes, der von zwei Seiten her betreten werden kann, ist der siebenseitige Taufstein aus Muschelkalk aufgestellt. Heinrich Eichhoff (1893-1974) hatte ihn 1938 für die Vorgängerkirche geschaffen. Der Sockel mit Füßen und der ursprüngliche Deckel wurden entfernt, der jetzige flache Deckel wurde hinzugefügt.
Im Atrium ist an der Wand des Taufkapellenturmes ein Brunnen angebracht. Das Wasser fließt, gleichsam von der Taufstätte kommend, aus drei kleinen Öffnungen (als Symbol für die Dreieinigkeit; getauft wird „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“) über eine rechteckige Brunnenschale in ein flaches, rundes Becken im Zentrum des Hofes. Hier handelt es sich um die Quadratur des Kreises: ein Viereck wird in einen Kreis überführt. Das Viereck steht für die Welt und der Kreis für die Unendlichkeit der Ewigkeit, für die Vollkommenheit, für das Unvergängliche. Die Taufe schenkt durch die erlangte Gemeinschaft mit Gott beständiges Leben in der Gemeinschaft mit Ihm.
Der Boden des Atriums ist ornamental gepflastert.
Innenraum, Photographie von Cornelia Attolini
Der Kirchenraum erhält vor allem durch eine zum Atrium gewandte Glaswand Licht. In die Glaswand sind zwei Türme über den Beichtstühlen integriert. Der Gedanke, welcher dahintersteht, ist der dreifache Weg: purificatio - illuminatio - unio (Reinigung - Erleuchtung - Vereinigung). Das läßt sich gleichsetzen mit den Sakramenten der Versöhnung, der Taufe und dem Empfang der Heiligen Geheimnisse, der Eucharistie.
Die Decke des Innenraumes wird von gußeisernen Stützen getragen. Die Kirchenbänke entstanden nach Entwürfen von Gottfried Böhm. Auf dem Boden sind großformatige rote Fliesen. Gottfried Böhm entwarf auch die zwölf bronzenen Apostelleuchter.
Der Altarbereich ist durch einen von einem umlaufenden Lichtband umgebenen Baldachin betont, welcher rechteckig das Dach durchstößt. Gott teilt sich dem Menschen mit. Darüber erhebt sich die größte der Turmhauben.
Im sepulchrum („Grab“) der Altarmensa (des Altartisches) ruhen Reliquien der Heiligen Ursula und Gereon, die bereits im Altar der Vorgängerkirche waren.
Die zwei Glasampeln für das Ewige Licht schuf der Schildgener Glaskünstler Karl Alexander Dedy. Die von dem Kölner Bildhauer Theodor Antonius Heiermann (1925-1996) entworfene Tabernakeltür zeigt zwölf Bienen als Symbol für die zwölf Apostel. Auf den Tabernakel ist ein auf vier Säulchen ruhender Baldachin gestellt, unter dem das Kreuz Christi auf einem kegelförmigen Sockel steht, darunter die betrübten Maria und Johannes, während der römische Hauptmann Longinus Christi Seite mit einer Lanze öffnet: „Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles“ (Aus der Präfation der Votivmesse vom Heiligsten Herzen Jesu). Dies ist die Thematik des Patroziniums „Herz Jesu“. Ein Patrozinium (patrocinium – Beistand) ist die Schutzherrschaft der Kirche, der Kirchentitel (titulus ecclesiæ).
In der rechten Nische hinter dem Altar befindet sich eine Reliquie des heiligen Papstes Pius X. (1835-1914). Der Goldschmied Wilhelm Polders III. (1914-1992) in Kevelaer schuf 1956 das tabernakelförmige Reliquiar. Es wurde zwei Jahre nach seiner Heiligsprechung angefertigt. Dieser Papst ordnete die Kirchenmusik neu; daher bemühte sich der Cäcilienverein erfolgreich um die Reliquie. Unterhalb der Reliquie ist das Wappen dieses Papstes, links stehen zwei Sänger und rechts zwei Kommunionkinder.
Papst Pius X. setzte sich nämlich für eine frühzeitige Erstkommunion der Kinder ein, warb für eine aktive Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie, kämpfte aber leider auch gegen den „Modernismus“, speziell gegen die historische Forschung an der Bibel.
In der linken Nische hinter dem Altar steht die Marienfigur von Heinrich Eichhoff aus dem Vorgängerbau. In einer Nische der Südwand befindet sich eine hölzerne Skulptur des heiligen Antonius von Padua aus dem 18. Jahrhundert. Die Pietà von Heinrich Eichhoff an der Westwand war bereits in der Vorgängerkirche aufgestellt.
Heinrich Eichhoff, Pietà, Photographie von Cornelia Attolini
Robert Rexhausen, Glasfenster: Kelch, Ölzweig, Birne und Apfel, Photographie von H. M. Knechten
Die vierzehn Fenster in der südlichen und westlichen Außenwand wurden nach Entwürfen des Kölner Malers Robert Rexhausen (19222-2002) farbig verglast. Illustriert ist der Schöpfungspsalm 104, welcher Himmel, Erde und die ganze Natur preist. Zu sehen sind Blüten, Blätter und Früchte sowie Musikinstrumente zum Lobe Gottes, der sich in Seiner Schöpfung offenbart. Auf der ersten Scheibe steht: „Laudate Dominum“, lobet den Herrn. Dies ist der Beginn des kurzen Psalmes 117. Kurz vor dem Ende der Bildfolge erscheint auf einem Notenblatt das Exsultet, der Beginn des Osterlobes in der Osternacht.
o Darius, Veronika, Der Architekt Gottfried Böhm. Bauten der sechziger Jahre, Bonn 1983; Düsseldorf 1988.
o Euskirchen, Claudia, Olaf Gisbertz und Ulrich Schäfer, Einführung von Udo Mainzer, Nordrhein Westfalen I: Rheinland, Georg Gottfried Julius Dehio (1850-1932), Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, 5 Bände, Berlin 1905-1912; München und Berlin 2005, 1086 (Schildgen).
o Hoffmann, Godehard, Pfarrkirche Herz Jesu in Bergisch Gladbach - Schildgen, Rheinische Kunststätten, Heft 531, Köln 2011.
o Kahle, Barbara, Deutsche Kirchenbaukunst des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1990, 142-145 (Öffnung des Raumes durch das Licht), 158-165 (Betonbauten der 60er und 70er Jahre. Plastisch-dynamische Architekturströmungen im Kirchenbau), 165-168 (Zur Bildhaftigkeit des neuen Kirchenbaus), 169-174 (Gestalterische Elemente zur Hervorhebung des liturgischen Zentrums), 183-189 (Taufkapellen), 193f (Atrien), 195-197 (Der Kirchturm), 214-224 (Bemerkungen zum Verhältnis des Sakralen und Profanen).
o Sommerberg, Engelbert, Katholische Kirchengemeinde Herz Jesu Bergisch Gladbach - Schildgen. Chronik (1908-1985), Schildgen 1985.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024