Trommlerbub Ricardo
Der Autor
Josef Reding wurde am 20. März 1929 in Castrop-Rauxel geboren. Seine Schwester ist Elisabeth Stark-Reding und sein Bruder ist der Maler und Schriftsteller Paul Reding. 1944 wurde er als Teil des Volkssturmes zur Panzerbekämpfung eingesetzt. In der US-amerikanischen Kriegsgefangenschaft lernte er in Zeitschriften und Büchern die Kurzgeschichten Ernest Hemingways kennen, die einen offenen Anfang hatten, eine dramatische Entwicklung hin zum Höhepunkt und einen offenen Schluß.
Reding studierte ab 1953 Germanistik, Psychologie, Publizistik, Kunstgeschichte und Anglistik in Münster. In Champaign machte er seinen Master an der University of Illinois. Er verfaßte Kurzgeschichten, Hörspiele, Gedichte und journalistische Beiträge.
Für dieses Buch trieb er Studien am Geschichtsarchiv der Estados Unidos Mexicanos und an der Bibliothek des Sindicato Español Universitario Madrid.
Er heiratete 1965 und hatte drei Söhne. Er starb am 10. Januar 2020 in Dortmund.
Personen
Hernando Cortez: Hernán Cortés de Monroy y Pizarro Altamirano wurde 1485 in Medellín geboren. Er verfügte nach der Eroberung Tenochtitlans, der Hauptstadt Mexikos, die in diesem Roman geschildert wird, Zwangsarbeit für die indigene Bevölkerung (20. März 1524). Er führte einen Feldzug nach Honduras und entdeckte Kalifornien. Ohne die reichen Gold- und Silberlieferungen aus Neuspanien hätte Kaiser Karl V. in Europa nicht Krieg führen können. Obwohl 1528 bereits schwere Anklagen gegen Cortés vorlagen, er hätte sich dem Kaiser gegenüber unloyal verhalten, ernannte Karl V. ihn zum Ritter vom Heiligen Jakob und zum Generalkapitän von Neuspanien und der Südsee (des Stillen Ozeans). 1529 wurde er Marquis des Tales von Oaxaca. Er erhielt einige Orte Neuspaniens als Besitz. Die dazugehörigen Provinzen, lukrative Städte und alle Häfen behielt sich Karl V. aber selbst vor. Cortés hatte keine politische Macht, da er nicht zum Gouverneur oder Vizekönig Neuspaniens ernannt worden war. Antonio de Mendoza y Pecheco (1490-1552) wurde Vizekönig Neuspaniens. Er traf im November 1535 in Tenochtitlan ein. Cortés sah im Laufe der Zeit ein, daß er Mendoza nicht gewachsen war und kehrte 1541 nach Spanien zurück. Auf Befehl Karls V. versuchte er, Algier anzugreifen, doch 150 Schiffe sanken in einem Orkan. Cortés versuchte in den folgenden Jahren, seine persönlichen Auslagen bei der Eroberung Mexikos zurückerstattet zu erhalten, wurde aber vertröstet. Er starb am 2. Dezember 1547 im Alter von 62 Jahren.
Montezuma: Motēcuhzōma Xōcoyōzin – Zorniger Herrscher der Jüngere, Moctezuma II., wurde um 1465 geboren. Bis 1502 war er Hohepriester des Kriegsgottes Huitzilopochtli, dann wurde er der neunte Herrscher über das Reich der Azteken. Zehn Jahre lang setzte er die Eroberungsfeldzüge in das Bergland des heutigen Bundesstaates Oaxaca fort. Diese Gegend wurde vor allem von Mixteken und Zapoteken bewohnt. Danach verlegte er sich auf die Schwächung der Tlaxcalteken und ihrer Verbündeten. Dies gelang ihm, indem er fast alle ihre Handelsverbindungen abschnitt. Als er 1515 in die Thronfolge der Stadt Texcoco eingriff, brachte er den übergangenen Ixtlixochitl gegen sich auf, der sich nach der Ankunft der Spanier diesen anschloß, um gemeinsam mit ihnen gegen Montezuma zu kämpfen. Montezuma versuchte mehrmals, das kleine Heer unter Cortés zu besiegen. Schließlich befahl er einen Überfall auf deren Küstensiedlung Vera Cruz (das Wahre Kreuz) und die Spanier nahmen ihn deswegen am 14. November 1519 gefangen. Er war nur noch ihre Marionette. Als er von den Azteken verlangte, den Kampf gegen die Spanier aufzugeben, wurde er als Verräter beschimpft und mit Steinen beworfen. Nach einigen Tagen starb er, nämlich am 30. Juni 1520, entweder infolge seiner Wunden oder durch ein spanisches Schwert.
Bartolomé de Olmedo: Bartolomé Ochaita wurde 1485 in Olmedo geboren. 1514 bis 1518 war er Missionar in Santo Domingo. 1519 schloß er sich der Expedition unter Cortés zur Eroberung Neuspaniens (Mexikos) an. Er taufte Malinche, die in der Taufe den Namen Marina erhielt und wertvolle Dienste als Übersetzerin tat. 1524 übertrug ihm Cortés die Leitung des Hospitals „Unbefleckte Empfängnis und Jesus von Nazareth“. Im Oktober dieses Jahres 1524 starb er.
María de Estrada wurde nach 1475 in Sevilla geboren und erreichte 1509 die Neue Welt. Nach einem Schiffbruch lebte sie einige Jahre unter Indigenen in Kuba. Sie heiratete Pedro Sánchez Farfán, von dem in diesem Roman als einem treffsicheren Degenwerfer und zechfreudigen Kumpan häufig die Rede ist, während María mit keinem Wort erwähnt wird. Sie kämpfte in voller Rüstung in der Noche triste und auch auch in der Schlacht von Otumba. Sie war die einzige Frau, die an der Eroberung teilnahm. Sie erhielt mit ihrem mann größeren Landbesitz in der Nähe von Hueyapan.
Die
Handlung
Ricardo Orteguillas Vater fiel in Kalabrien als Reiterhauptmann im Kampf gegen Cesare Borgia (1475-1541), der versucht hatte, Mittelitalien zu einigen. Seine Mutter nahm ihn nach Kuba mit, starb aber am Fleckfieber. Ricardo war nun fünfzehn Jahre alt und ließ sich für die Eroberung Mexikos als Trommler anwerben. Mit der Schleuder konnte er sich verteidigen, aber ein Soldat brachte ihm auch das Fechten bei.
Am 15. August 1519 erreichten 553 spanische Soldaten auf elf Schiffen Mexiko, unter der Leitung des Generalkapitäns Hernando Cortés. Bei einem Kampfspiel führte er dem Kaziken Jaguar-Kralle die Schlagkraft der spanischen Soldaten vor, um ihn einzuschüchtern.
Der Herrscher Montezuma verbot Cortés, ins Festland vorzurücken und befahl ihm, in seine Heimat zurückzukehren.
Am 16. August 1519 begann Cortés jedoch seinen Marsch nach Tenochtitlan (Tenōchtítlan – Stadt des Tenōch; te – Stein, nōch – Kaktusfeige; heute Mexico City). Die Spanier nutzten dabei geschickt die Spannungen der indigenen Bevölkerung unterschiedlicher Territorien aus, um mit denjenigen, welche Montezuma haßten, gemeinsam gegen ihn zu kämpfen.
Von Anfang an zerstörten sie Tempel, in denen Menschenopfer dargebracht wurden.
Cortés ließ seine Schiffe versenken, um den Soldaten zu verdeutlichen, daß es kein Zurück gab.
Die Bewohner der Bergregion Tlaxcalan machten auf die Spanier zwei Angriffe bei Tag und einen bei Nacht. Es starben dabei achttausend ihrer Krieger. Dann waren sie zur Zusammenarbeit bereit.
Als eine kleine Gruppe der Spanier zusammen mit Ricardo und dem Sohn des Kaziken, Kleiner Pfeil, einen hohen Vulkan bestiegen, der als Sitz des Kriegsgottes galt, und beim Abstieg einem Lavastrom ausweichen konnten, war in den Augen der Azteken wieder ein Zeugnis für die überirdische Macht der Spanier erbracht.
In der Stadt Cholula wurde den Spaniern ein Hinterhalt gelegt: von mit Sand bestreuten Tüchern verdeckte Gräben, auf deren Grund angespitzte Pfähle staken, um die Pferde zu töten, Schützen mit vergifteten Pfeilen auf den Dächern der Häuser und eine steinerne Barrikade zur Schließung der Stadttore. Ein Heer von vierzigtausend Kämpfern stand bereit, während die Spanier bisher nur zweitausend Azteken rekrutieren konnten. Die Spanier siegten und richteten ein Blutbad an. Gemeinsam mit tlaxcalanischen und cholulanischen Kriegern setzte Cortés seinen Vormarsch auf Tenochtitlan fort und zog dort am 8. November 1519 ein.
Formell unterstand Cortés dem Gouverneur von Kuba, Diego Velázquez de Cuéllar (1465-1524). Durch die Gründung der Siedlung Vera Cruz machte sich dieser jedoch selbständig und übernahm das Kommando in den eroberten Gebieten. Zur Strafe dafür sandte Velázquez im Jahre 1520 etwa 1200 Soldaten auf achtzehn Karavellen unter der Leitung von Pánfilo de Narváez (1470-1528) nach Mexiko, um ihn verhaften zu lassen und seine Erfolge einheimsen zu können. Doch Cortés besiegte Pánfilos Heer in der Stadt Cempoala, zog dann in Tenochtitlan ein, sah sich aber dort geschulten Kriegern gegenüber, die ihn zur Flucht zwangen. In dieser noche triste (traurigen Nacht; 30. Juni 1520) kamen sehr viele spanische Soldaten um. Cortés gelang es, andere Krieger zu rekrutieren und griff Tenochtitlan von drei Seiten her an. Die Stadt wurde gebrandschatzt und unter der Bevölkerung ein Blutbad angerichtet.
Der Bischof von Burgos, Juan Rodríguez de Fonseca (1451-1524) versuchte, Cortésʼ Erfolge am Hof des Kaisers zu bagatellisieren oder sie Diego Velázquez zuzuschreiben. Er wollte einen seiner Günstlinge als Statthalter von Neuspanien einsetzen lassen. Die Boten, welche Cortés an den Kaiser sandte, ließ er ins Gefängnis werfen; er unterschlug Goldgeschenke und Berichte. In Sevilla verhinderte er den dringend benötigten Nachschub von Soldaten und Waffen. Die Klagen des Bischofs zwangen Cortés, sich zur Rechtfertigung an den Hof des Kaisers zu begeben.
Zitate
„Hallo, Señor
Tintenkleckser! Wieviel Männer haben sich denn auf mein Trommeln hin in Eure
Rolle einschreiben lassen?“
Der Schreiber fuhr herum und blickte in ein helles Jungengesicht.
„Ach du bistʼs,
Ricardo, du grasgrüner Frosch von einem Trommlerbuben! Als ob sich die Soldaten
ausgerechnet auf dein Trommeln hin anwerben ließen! Diese Burschen lockt etwas
anderes.“
„Und das ist?“
„Erstens der Ruhm, unter Hernando Cortez kämpfen zu dürfen. Zweitens das
Handgeld. Drittens der Goldschatz des El Dorado. Viertens die Aufgabe, das
Kreuz des Christentums in die Heidenwelt hineinzutragen…!“ (Ricardo, 12).
Da brachte der Kämmerer auch schon den Degen. Cortez griff
ihn, zog ihn aus der Scheide, prüfte mit dem Daumennagel den Biß der Klinge und
durchschnitt mit einer Quart [die Klinge des Gegners wird nach innen beseitigt]
die Luft, daß es pfiff. Dann legte er den Degen in die Hände des Trommlerbuben,
der auf seine Fahne und auf den Namen Hernando Cortez den soldatischen Eid
geschworen hatte.
Ricardo sah Cortez nur groß und stolz an und schien die Sprache verloren zu
haben.
„Und bedenke wohl den Spruch, der in alle Schwertklingen der Welt eingegraben
sein sollte: ‚Zieh mich nicht ohne Grund aus der Scheide, aber steck mich nicht
wieder hinein ohne Ehre!‘ So, und jetzt schlage noch einmal das Kalbfell,
Ricardo, stoßt in die Fanfaren, Werber, und Ihr, Schreiber, verlest noch ein
letztes Mal meinen Aufruf an die Männer Santiagos!“ [Santiago de Cuba] (Josef
Reding, Trommlerbub Ricardo, Recklinghausen 1954, 16f).
Hinter den maskenstarren Gesichtern der Küstenwächter
drängten sich die Gedanken, kreiste die Furcht.
Doch die Krieger Montezumas wollten Gewißheit haben. Einige der Indios, als
Fischläufer [sie brechen allwöchentlich zur Ostküste auf, die 400 km entfernt
liegt, und bringen Montezuma Fische und Seetiere] besonders mutig und
ausdauernd, wagten es, sich mit Barken den Karavellen zu nähern. Sie steuerten
auf das Schiff zu, von dessen Mastspitze das nachtschwarze Banner mit dem
rotgoldenen Flammenkreuz grüßte: die Karavelle des Cortez!
Als die Fischläufer vor Cortez standen, erschraken sie. Auch die Hautfarbe
dieses Tlaotans [Oberbefehlshaber, König] war weiß wie die des Quetzalcoatl.
[Leuchtende Schwanzfederschlange – Gott des Windes, der Erde, des Himmels und
der Schöpfung, dargestellt als Klapperschlange, deren Körper mit grünen und
scharlachroten Schwanzfedern des heiligen Quetzalvogels bedeckt ist. Bei den
Azteken wurde er auch als bärtiger und weißhäutiger Mann gesehen. Dies bezog
sich auf den toltekischen König Ce Acatl, der als Priester des Gottes
Quetzalcoatl dessen Namen angenommen hatte.] Als der Befehlshaber sie jetzt gar
noch fragte, sie mit unverständlichen Worten anredete und ihnen Geschenke
überreichen ließ, blitzende, erstarrte Tropfen – es waren Glasperlen – da
wußten sie: Quetzalcoatl war wahrhaftig wiedergekommen.
Die Fischläufer brachten die Kunde von den weißen Göttern durch Urwald und
Steppe und Gebirge, trugen die Botschaft durch das Millionenvolk der Azteken,
bis hin zum Palaste Montezumas, des Kaziken aller Kaziken, des Herren der
Herren.
Auch hinter Montezumas bronzefarbener Stirn pochte die Angst.
Ein kurzer Wink. Ein Befehl.
Alsbald rauschte vor dem Standbild des aztekischen Kriegsgottes Huitzolopochtli
[sic! Huitzilopochtli – Kolibri des Südens] das Blut von zweihundert
Menschenopfern: jungen Azteken und Gefangenen der Nachbarstämme. Priester des
Kriegsgötzen öffneten mit Obsidiandolchen [Obsidian ist ein scharfes,
glasartiges Vulkangestein] die Brust der Opfer und rissen das noch zuckende Herz
heraus, das dem Standbild des Huitzolopochtli in Steinschalen dargereicht
wurde. (Ricardo, 27).
Der Kazike [Gouverneur] war in ein Prachtgewand gehüllt. Die
Stirnbinde, in der mehrere hundert blauschwarze Federn steckten, war besetzt
mit erlesenen Diamant-Splittern. Die Brust des Kaziken erwies sich als
gepanzert mit kleinen Platten aus Gold, aus purem, gehämmertem Gold. Der
Umhang, der bis zur Erde hinabreichte, war zusammengewirkt aus schier
unzählbaren winzigen Kolibrifedern. An den Sandalen des Häuptlings baumelten
kleine Goldglocken.
Mit ungläubigen Augen schaute die spanische Mannschaft die Pracht.
Jaguar-Kralle spürte dieses Staunen mit Genugtuung. Und alles andere als Furcht
oder Demut spiegelte sich in seinem Gesicht. Er hoffte sehr und wußte nun, daß
auch die weißen Krieger auf die glänzenden Dinger dieser Welt aus waren. Verachtung grub sich in die Mundwinkel des
Kaziken. (Ricardo, 42).
Dieses Abwarten wurde den Spaniern erleichtert durch den
Anblick der Geschenk-Truhe, die Jaguar-Kralle heranbringen und öffnen ließ. Ihr
Anblick dämpfte im Nu den Zorn des Generalkapitäns und seiner Gefolgschaft. Was
leuchtete aus der Schatzkiste, die durch ihre Verzierungen schon allein ein
Schiff wert sein mochte:
Kunstvoll getriebenes Geschmeide, edle Steine in goldenen Fassungen,
schimmernde Stoffe mit zarten Buntstickereien und Bilder, die aus schillernden
Federn gefügt waren. Nachbildungen von Käfern, Fischen und Hunden in reinem
Gold, Masken, mit Diamanten in Taubeneigröße besetzt!
Das alles bot sich den goldlüsternen Augenpaaren der Spanier. Wahrhaft, hier
mußte das El Dorado sein, hier, wo man einen riesigen Goldschatz lässig
übergibt wie einen Haufen tauben Feldgesteins!
Und Pater Olmedo dachte: Wie hochstehend und entwickelt sind diese
Völkerschaften Mexikos, wenn sie derart kunstvolle Arbeiten schaffen können!
(Ricardo, 45f).
„Montezuma, unser allgewaltiger Herrscher, schickt dir diese Gaben. Er bittet dich, weißer Häuptling, an diesen Geschenken Genüge zu finden. Du möchtest sie hinnehmen und alsbald zurückkehren mit deinen Kriegern und Tierungeheuern in das Reich der Morgensonne. Geht wieder in eure großen Kanus, weiße Männer, sagt Montezuma, und dringt nicht weiter ein in sein Reich!“ (Ricardo, 63f).
Alleingelassen in abgrundtiefer Bestürzung und auswegloser Wirrnis kämpfte der dicke Kazike im Innern den Kampf seines Lebens. Durfte er sich die weißen Götter zu Feinden machen? – Oder durfte er Montezuma erzürnen? – War vielleicht gar die große, morgenrote Stunde gekommen, um im Bündnis mit den starken Hellhäutigen das verhaßte Joch Montezumas abzuschütteln, die Ketten ständigen Gehorchens, Tributzahlens und Opferbringens zu zersprengen? (Ricardo, 73f).
Da zieht sie hin die verlorene Rotte des Hernando Cortez;
ein halbes Tausend Männer, gewandet in knirschendes Leder und klirrendes Eisen.
Männer, deren Gesichter aus tiefbraunem Holz geschnitzt scheinen. Männer, in
deren Rachen trockener Durst hockt und durch deren Adern das Fieber jagt.
Männer, deren ausgedörrte Lippen jetzt „Caramba“ fluchen und gleich „Santa
Maria“ stammeln. Männer, Goldsüchtige und Kreuzfahrer, Soldaten und Abenteurer,
Entdecker und Zerstörer zugleich.
Und um die spanischen Eroberer drängt sich tückische Dschungelhölle wie eine
Mauer aus Gift und Schönheit und Verwesung und Feindschaft. Und Hochflächen
falten sich auseinander und dehnen sich in den brandroten mexikanischen Himmel.
Da will sich wohl die Furcht krallen an einen der schwarzen hispanischen
Gesellen, und die Verzweiflung und der Wahnsinn in dieser aztekischen Ewigkeit
aus Grün und Grau und Unbekannt. (Ricardo, 7: Aus dem Vorwort).
Hernando Cortez aber und alle, die ihn umstanden, auch Ricardo, wußten, was jetzt im Innern der Mexikaner vor sich ging. Dieses Schweigen war nur zugunsten des spanischen Heeres auszudeuten. Jaguar-Kralle, der Kleine Pfeil und die anderen Gabenüberbringer Montezumas würden nach Tenochtitlan berichten müssen, daß Tlaxcalan sich völlig den weißen Männern unterworfen habe. Die Tlaxcalaner hingegen wurden gewahr, daß auch der große Montezuma den Spaniern gegenüber voller Furcht und Ungewißheit war; denn nur wer Furcht hat, bringt Geschenke, sagte eine alte aztekische Volksweisheit. (Ricardo, 125).
Ricardo bewunderte den Kleinen Pfeil in dieser Sekunde mehr als jemals zuvor, mehr als bei dem ehrgeizigen Kampfspiel am Strande. Er wußte, daß es den Aztekenjungen ein Vielfaches an Überwindung der Überlieferung und Tempeldiener-Lehre gekostet haben mußte, bis er bereit war, diesen Zug zur gemiedenen, gefürchteten Stätte seines Landes mitzumachen. Für die Spanier war die Besteigung des Vulkans nur eine Waghalsigkeit, für den Kleinen Pfeil das Zerbrechen einer alten Welt, der Welt, in der er aufgewachsen war. (Ricardo, 145).
Der Trommlerbub aber hatte ebenfalls eine Schlacht gewonnen,
die in seinem Herzen stattgefunden hatte. Er war zuerst verwundert gewesen über
die seltsame Bitte Pater Olvedos, sich nicht an der Bestrafung Cholulas zu
beteiligen und mit Stich und Hieb in die Menschenmenge zu jagen.
Doch als er sah, wie Mord und Brand ein wildes Fest feierten, wie der
Blutrausch nicht nur die hereinbrechenden Tlaxcalaner, sondern auch die Spanier
in den Bann schlug, da war er froh, daß er durch die Worte des Feldkaplans sich
aus diesem unmännlichen und unmenschlichen Treiben herausgehalten hatte.
Er hätte wahrhaftig keine Ehre eingelegt in diesem Schlachten. Und wenn er die
Vernichtung Cholulas mit kühlem Geiste betrachtete, dann unterschied sich das
Verhalten der Weißen, diese blinde Rache, nicht sehr viel von dem Vorhaben der
Eingeborenen, sie auf den Opferaltären ihrer Götzen zu schlachten. (Ricardo,
161).
Das Heer des Generalkapitäns bestand nach den Ereignissen von Cholula aus 3450 Mann: 2000 Tlaxcalanern, 1000 Cholulanern und 450 Spaniern. (Der Rest des spanischen Heeres, zumeist die Seeleute, waren in der Villa Rica de la Vera Cruz stationiert.) Mit diesen Kriegern glaubte Hernando Cortez den Einmarsch nach Mexiko wagen zu können. (Ricardo, 165).
Durch den direkten Weg, den Cortez bei den Meldungen
einschlug – er bediente sich dabei Brieftauben, die an einen Mittelsmann nach
Kuba gingen, von wo aus die Nachrichten dann nach Spanien weiterbefördert
wurden; Beutestücke waren von Sempoalla aus mit einem Gaffelschoner [er hat an
allen Masten Gaffelsegel und keine Rahsegel] der gleichen Person geschickt
worden – war Velasquez ins Unbedeutende zurückgesunken. Nicht mehr sein Name,
sondern der des Generalkapitäns war in aller Munde. Es stand zu befürchten, daß
Kaiser Karl dem Widersacher bei seiner Rückkehr alle Kommandogewalt in den
Kolonien übertragen würde. Velasquez wäre dann zu einem kleinen Verwalter
degradiert.
Der Gouverneur schwor sich, daß es dazu nicht kommen sollte. (Ricardo, 208f).
„Zieh mich nicht ohne Not, und steck mich nicht zurück ohne Ehre!“ Ja, das war in sein Schwert graviert. Und Not war gewiß dagewesen! Die nackte Notwendigkeit, das Leben zu verteidigen, die fremde Waffe vom eigenen Herzen abzuwenden! – Aber Ehre? – Wo war da die Ehre, wenn sie mit fremdem Blut erkauft werden mußte? Wo war da die Ehre, wenn Menschen, die froh gelebt und geschafft hatten, zu zerrissenem Fleisch wurden, zum Fraß für wimmelndes Ungeziefer? (Ricardo, 219).
Pater Olmedo liest die Messe, hält die Pfingstpredigt. Er
spricht über den Geist der Zucht, der die Soldaten beherrschen sollte, wenn der
große Angriff auf Tenochtitlan begänne, auf die Stätte ihrer früheren Kämpfe
und Leiden. Nicht von Rachsucht und blinder Leidenschaft solle ihr Kampf
getrieben sein, sondern von dem Willen, durch die Einnahme der Hauptstadt
wieder ganz Mexiko den Frieden zu bringen.
„Ja, Soldaten. Den Frieden unter dem Kreuz unseres Herrn, das ist das Geschenk,
das wir diesem Reich bringen wollen! Amen!“
Pater Olmedo glaubte inbrünstig an die Worte, die er sprach. Vielleicht
glaubten auch der Generalkapitän und einige Soldaten daran. Doch die
Geschichte, die seit der endgültigen Eroberung Tenochtitlans in Mexiko
geschrieben wurde, ist die Geschichte des Aufruhrs geblieben, des Mordes und
der Grausamkeit.
Doch daran trug nicht der Pater Schuld. Auch nicht das Kreuz, das in den Boden
dieses Landes gerammt wurde. Schuld trugen die Menschen in ihrer Nichtigkeit
und Gier, Schuld trug der Haß. (Ricardo, 245).
Fünfundzwanzig Jahre später, am 2. Dezember 1547, stirbt in Castilleja bei Sevilla ein verbitterter Greis. Sein Tod bleibt unbeachtet. Der Sterbende ist ein Verfemter des spanischen Hofes. Der Kaiser glaubte sich von ihm betrogen, verraten. Günstlinge nahmen an Stelle des hier Sterbenden die Ehrungen entgegen, und mit den Ehrungen das Gold, das der Greis Spanien zu Füßen gelegt hatte. Um diese Zeit gibt es eine ausgebeutete spanische Kolonie namens Mexiko. Sklaven gibt es dort, denen man ein G, das Zeichen für Guerra, Krieg, in die einst so stolz erhobene Stirn gebrannt hat. Und aus den Palästen machen die Gouverneure Pferdeställe und Pulvermagazine. (Ricardo, 254).
Werke Josef
Redings in Auswahl
o Achtung – Autobanditen!, Gütersloh 1956.
o Allein in Babylon. Stories, Freiburg im Breisgau 1966.
o Aussatz, eine Herausforderung, Würzburg 1970.
o Bei Gott kann man nicht petzen, Würzburg 1999.
o Castrop-Rauxel von oben und innen, Castrop-Rauxel 1963.
o Der Automat und der Tramp, Würzburg 1995.
o Der Mensch im Revier. Essays, Köln 1988.
o Die Jäger kommen zurück, Emsdetten 1963.
o Dortmund im Umbruch. Lutz Dittberner, Ansichten eines Dortmunder Malers, zusammen mit Peter Strege, Herzberg am Harz 1985.
o Es fällt in mich ein, Stuttgart 1986.
o Friedland, Recklinghausen 1956.
o Froschmänner und Feuerspringer, Recklinghausen 1955.
o Gold, Rauhreif und Möhren, Recklinghausen 1981.
o Höllenpfuhl Sargasso, Würzburg 1965.
o Lesebuch, Recklinghausen 1994; zusammengestellt und mit einem Nachwort von Gerd Puls, Bielefeld 2016.
o Löschtrupp Larry fällt vom Himmel, Gütersloh 1955.
o Papierschiffe gegen den Strom, Recklinghausen 1963; Freiburg im Breisgau 1984.
o Pestkahn „Stella Maris“, Balve (Hönnetal, Sauerland) 1975.
o Reservate des Hungers. Tagebuch, Recklinghausen 1964.
o Schriftsteller zwischen Isolation und Gewerkschaft, Dortmund 1973.
o Silberspeer und Roter Reiher, Recklinghausen 1952.
o Sprengt den Eisberg und andere Abenteuer, Balve 1981.
o Trommlerbub Ricardo, Recklinghausen 1954.
o Und die Taube jagt den Greif, Freiburg im Breisgau 1985.
o Vater macht den Flattermann, München 1984.
o Wetbacks am Rio Grande, Gütersloh 1954.
o Zum Runterschlucken für Grabner, in: Deutsche Kurzgeschichten II, herausgegeben von Winfried Ulrich, Stuttgart 1967; herausgegeben von Günter Lange Stuttgart 2021, 42-46.
Über Josef Reding
o Gunnemann, Hedwig, Herausgeberin, Fünf Jahrzehnte Leben, drei Jahrzehnte Schreiben. Zeugnisse seines Lebens. Josef Reding. Zu seinem 50. Geburtstag, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Mitteilungen Neue Folge 11 (1979).
o Koch, Gisela, Redaktion, Josef Reding, siebzig. Eine Festschrift, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Dortmund 1999.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2023