Die Revolution
entläßt ihre Kinder
Wolfgang Leonhard wurde am 16. April 1921 in Wien geboren. Seine Mutter, Susanne Leonhard, geborene Köhler (1895-1984), schloß sich 1916 dem Spartakusbund an und war 1919/1920 in Berlin Redaktionssekretärin der Kommunistischen Räte-Korrespondenz. Sie wurde Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands und ging 1921 nach Wien. 1922 war sie wieder in Berlin. 1925 trat sie aus der KPD aus. Da sie weiterhin politisch links orientiert war, konnte sie nach 1933 nicht mehr publizieren. Im März 1935 reiste sie mit ihrem Sohn nach Schweden, erhielt aber die Nachricht, ihr drohe eine Verhaftung. Sie fragte ihren dreizehnjährigen Sohn, ob er nach England oder nach Moskau wolle, und er entschied sich spontan für Letzteres. In Rußland wurde ihr Sohn mit dem Vornamen Vladímir angeredet. Sie selbst wurde in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 1936 verhaftet, in das Verhör- und Foltergefängnis Lubjanka und dann in das berüchtigte Butyrkagefängnis verbracht, beide in Moskau. Nach acht Monaten, im Juni 1937, wurde sie zu fünf Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt. Dies geschah im Rahmen der großen stalinschen Säuberungen. Er verfolgte die ganze Generation, welche den Kommunismus aufgebaut hatte. Die Strafe von fünf Jahren war verhältnisweise mild; denn andere erhielten weit höhere Strafen oder wurden gleich hingerichtet. Sie wurde zuerst in die Republik Komi verbracht und im Januar 1938 nach Kočmes bei Vorkutá, das für seine lebensfeindlichen Bedingungen bekannt war. Nach Verbüßung der Strafe wurde sie weiter gefangengehalten, kam ins Invalidenlager Adak und im April 1946 mit anderen Deutschen nach Košva an der Pečora. Hier durfte sie zwischen Sibirien und dem Altajgebiet als Aufenthaltsort wählen. Sie entschied sich für Kalmanka am Altajgebirge, das 45 km südlich von Barnaul liegt. Sie traf im Mai 1946 ein. Hier ging es ihr noch schlechter als vorher.
Ihr Sohn lebte zunächst in einem Kinderheim in Moskau und studierte dann Englisch.
Am 23. August 1939 schloß Hitler mit Stalin einen Nichtangriffspakt, ließ aber am 22. Juni 1941 seine Truppen in Rußland einmarschieren. Am 28. September 1941 wurde Wolfgang mit fast allen anderen Deutschstämmigen umgesiedelt. Die Fahrt im Güterzug dauerte zwei Tage, dann kamen „die unzuverlässigen Deutschen“, von denen viele kein Wort Deutsch sprachen, in Osakarovka, 120 km nördlich von Karaganda, in der kasachischen Steppe an. Sie wurden auf Kolchosen verteilt, die von den zehn Jahre zuvor deportierten „Kulaken“ (Großbauern) in kümmerlicher Weise gegründet worden waren.
Wolfgang wurde 1942 auf der Kominternschule in Ufá zum Funktionär ausgebildet, redigierte 1943 die deutsche Emigrantenzeitung „Freies Deutschland“ in Moskau und wurde 1944 Sprecher beim Radio „Freies Deutschland“ in Moskau.
1945 ging er als Mitglied der „Gruppe Ulbricht“ nach Berlin und baute die Bezirks- und Stadtverwaltung auf. Er arbeitete dann bis 1947 in der Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, dann lehrte er bis 1949 Geschichte an der Parteihochschule „Karl Marx“ in Kleinmachnow, südwestlich von Berlin und östlich von Potsdam.
Seine Mutter erhielt am 19. Juli 1948 die Ausreiseerlaubnis und traf am 19. August 1948 in Ostberlin ein. Sie machte einen gehetzten Eindruck, war eingeschüchtert und verstört.
Als sie im Frühjahr 1949 nach Westdeutschland übersiedelte, wurde sie bis April 1950 vom amerikanischen Geheimdienst festgehalten, lehnte jedoch ab, für ihn zu arbeiten. Sie arbeitete in Stuttgart mit verschiedenen linken Gruppierungen zusammen.
Ihr Sohn brach mit dem System, nachdem ihm entgültig klargemacht worden war, daß es keinen besonderen Weg einzelner Länder zum Sozialismus geben würde, sondern alles von der immer wieder wechselnden Parteilinie Moskaus aus bestimmt würde. In einer abenteuerlichen, dreizehntägigen Flucht gelangte er am 25. März 1949 nach Belgrad und arbeitete in der deutschsprachigen Abteilung des dortigen Rundfunks. Dann wurde ihm deutlich, daß sein Platz als deutschsprachiger Publizist im deutschsprachigen Raum liegt, und er siedelte Anfang November 1950 in die Bundesrepublik Deutschland über. Er wohnte in Köln und schrieb 1953-1955 das Buch „Die Revolution entläßt ihre Kinder“, welches er im September 1955 in Köln veröffentlichte.
Er arbeitete von 1956 bis 1958 am St. Antonyʼs College der Universität Oxford. Hier schrieb er das Buch „Kreml ohne Stalin“. 1963 bis 1964 war er als Senior Research Fellow am Russischen Institut der Columbia-Universität in New York tätig. Anfang 1966 bis zum Sommer 1987 lehrte er in Ann Arbor, Michigan, an der Yale University Geschichte der Sowjetunion sowie Geschichte der internationalen kommunistischen Bewegung, und zwar jeweils von Januar bis Anfang Juni. In der zweiten Jahreshälfte publizierte er in der Bundesrepublik Deutschland Analysen zu den Vorgängen in Osteuropa. Er schrieb regelmäßig in der „Zeit“. Er starb am 17. August 2014 in Daun (Eifel).
Leonhard beschrieb im Werk „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ die Entscheidung im Jahr 1936, nach Moskau überzusiedeln, sein zunächst privilegiertes Leben in einem Kinderheim, in dem Kinder österreichischer und deutscher Eltern untergebracht waren, die aufgrund ihrer kommunistischen Tätigkeit verfolgt worden waren. Die „Säuberungen“ Stalins in den Jahren 1936 bis 1938 änderten diese Situation. Seine Lehrer wurden verhaftet und das Heim aufgelöst. Dem russischen Kinderheim konnte er bald entkommen, indem er ein Studium der englischen Sprache begann. Da er Ausländer war, bezog er sein Stipendium auch nach dem 2. Oktober 1940 weiter. Gleichzeitig erhielt er, mit anderen deutschen und österreichischen Emigranten zusammen, Sonderunterricht durch Walter Ernst Paul Ulbricht (1893-1973), der seit 1941 im Exil in Moskau lebte.
Am 28. September 1941 wurde er zusammen mit anderen Deutschstämmigen verbannt. Dies verfügte Stalin, damit keine Fraternisierung mit den voranrückenden deutschen Truppen erfolge. Leonhard konnte es erreichen, daß er einen Ausweis ohne Aussiedlungsbefehl erhielt, folgte aber dem Rat eines Milizchefs, mit den anderen Verbannten mitzufahren. Sie verbrachten 17 Tage im Güterzug, dann langten sie in der kasachischen Steppe an und wurden auf armselige Siedlungen verteilt. Leonhard wandte sich an den Ortsvorsteher, der es ihm freistellte nach Karaganda zu fahren, um dort sein Studium fortzusetzen. Nach manchen bürokratischen Hürden wurde ihm das auch gestattet.
Er kehrte am 30. April 1945 als Mitglied der „Gruppe Ulbricht“ nach Deutschland zurück und brach 1949 mit dem stalinistischen System. Er floh zunächst nach Jugoslawien und siedelte 1950 nach Westdeutschland über.
[Die „Säuberungen“ Stalins in den Jahren 1936 bis 1938:] Es war der grausamste Vernichtungsfeldzug, der je in einem Staate durchgeführt worden ist (Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 292022, 69.
Einem heutigen Leser mag das vielleicht eigentümlich erscheinen: Meine Mutter war verhaftet worden, ich hatte die Verhaftung meiner Pädagogen und Freunde miterlebt und selbstverständlich längst bemerkt, daß die sowjetische Wirklichkeit ganz anders war, als sie etwa in der Prawda geschildert wurde. Aber irgendwie trennte ich diese Dinge, auch meine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse, von meiner grundsätzlichen politischen Überzeugung. Es war fast, als ob es zwei Ebenen gab: die eine der Tagesereignisse und eigenen Erlebnisse, über die ich mir nicht selten kritische Gedanken machte, die andere war die große „Linie“, die ich zu jener Zeit, „grundsätzlich gesehen“ – trotz mancher Bedenken –, immer noch für richtig hielt (Revolution, 88).
Der Krieg war beendet, und er wurde verständlicherweise nur noch selten erwähnt, denn der sowjetisch-finnische Krieg 1939-1940 war einer der größten militärischen und politischen Mißerfolge der Sowjetunion (Revolution, 93).
„Durch die große Säuberung, die Massenverhaftungen von Generälen, höheren und mittleren Offizieren, war die Sowjetarmee geschwächt worden.“ […] Man scheute selbst nicht davor zurück, verhaftete Offiziere wieder aus den Lagern zurückzurufen, um sie mit neuen Kommandos zu beauftragen (Revolution, 94).
[Am 2. Oktober 1940 wurden Stipendien gestrichen und gleichzeitig Schulgeld eingeführt.] Die Besetzung fast aller wichtigen Funktionen in der Sowjetunion wird von der Absolvierung einer Hochschule abhängig gemacht. Bis zum 2. Oktober 1940 war es praktisch allen begabten und fähigen Kindern der Arbeiter und Bauern möglich, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, die 10-Jahres-Schule und danach die Hochschule zu besuchen. Damit standen ihnen alle Möglichkeiten offen – eine Tatsache, die damals von der sowjetischen Propaganda auch immer betont worden war. Seit dem 2. Oktober 1940 können dagegen in der Regel nur solche jungen Menschen in höhere Positionen aufsteigen, deren Eltern selbst hohe Funktionen innehaben. Der Kreislauf hat sich geschlossen: Die herrschende bürokratische Schicht, die sich seit Ende der 1920er Jahre gebildet und mit den Säuberungen von 1936 bis 1938 durch die Liquidierung der „alten Garde“ ihre Macht konsolidiert und gefestigt hatte, begann sich nun im Jahre 1940 von „Außenseitern“ abzuschließen und tat damit den ersten Schritt, ihre Privilegien und Funktionen zu vererben. (Revolution, 119).
„Jetzt ist die Zeit der Bewährung für den Komsomolzen gekommen“, hörten wir. Wir wußten es, und wohl alle wollten diese Probe bestehen. „Bereits heute früh sind Komsomolzen unseres Instituts zum Bau der neuen Linie der Untergrundbahn eingesetzt worden. Sie muß beschleunigt fertiggestellt werden, als zusätzlicher Luftschutzraum für die Moskauer Bevölkerung“, teilte uns unser Komsomol mit.
Nacheinander sprachen noch einige Komsomolzen. Häufig fiel das Wort вѣроломно (treubrüchig). Immer wieder unterstrichen sie, daß Hitler-Deutschland trotz des Nichtangriffspaktes den Angriff auf die Sowjetunion unternommen hatte. Man spürte die Empörung über den treubrüchigen Überfall und die Entschlossenheit, den Angreifer zurückzuschlagen.
Dieses Gefühl war echt, auch bei denen, die dem Regime kritisch oder oppositionell gegenüberstanden, ja sogar bei denen, deren Eltern in den Stalinschen Zwangsarbeiterlagern gefangengehalten wurden. Was Stalin weder durch Propaganda noch durch Terror jemals vollständig erreichen konnte, hatte nun Hitler fertiggebracht: Die Regierung im Kreml erschien den meisten Menschen in der Sowjetunion in diesen Tagen des Jahres 1941 als echte Interessenvertretung. (Revolution, 138f).
Erstaunlich schnell hatten wir uns in Gruppen zusammengefunden, nahmen die Plakate, Losungen und den Klebstoff in Empfang und erhielten die Anweisung, in welchem Stadtteil wir die Plakate zu kleben hatten. Wir erhielten drei Sorten Plakate: ein kurzes Textplakat, auf dem in großen schwarzen Lettern die damalige Hauptlosung verkündet wurde:
UNSERE SACHE IST GERECHT.
DER FEIND WIRD GESCHLAGEN WERDEN.
DER SIEG WIRD UNSER SEIN.
Interessanter waren die beiden großen Bildplakate. Das eine zeigte in der Mitte den Nichtangriffspakt zwischen der UdSSR und Deutschland vom 23. August 1939. Auf der einen Seite des Bildes sah man friedliche Sowjetbürger, die im Schatten des Paktes und unter seinem vermeintlichen Schutz ihrer friedlichen Arbeit nachgingen, während zur gleichen Zeit von der anderen Seite her ein Nazi mit dem Bajonett den Pakt durchstößt und die Sowjetbürger verletzt. Das andere Bildplakat erschien mir noch wirksamer. Bis dahin hatte ich in der Sowjetunion kein so eindrucksvolles Plakat gesehen, und auch in den ganzen vier Kriegsjahren wurde eine solche Wirksamkeit, meiner Auffassung nach, nie mehr erreicht:
Man sah im Hintergrund den Schatten Napoleons und, skizzenhaft angedeutet, den Untergang seiner Armee beim Übergang der Beresina; vorne, grell gezeichnet, eine Karikatur von Hitler; links oben und rechts unten standen lediglich zwei große Zahlen: 1812 und 1941. Der ganze Text des Plakates bestand lediglich aus vier russischen Worten: „Так было — так будет“, auf deutsch: „So war es – so wird es sein“. (Revolution, 141f).
Es war erstaunlich, wie schnell die völlige Umstellung der Propaganda auf das Nationalgefühl, auf den sowjetischen Patriotismus, auf den Begriff des Vaterländischen Krieges vorgenommen wurde, wie schnell die Begriffe „Partei“, „Sozialismus“ und „Kommunismus“ aus dem propagandistischen Sprachgebrauch verschwanden. (Revolution, 143).
Der Kutscher, selbst ein früherer Kulak, begann zu erzählen, wie in den Jahren 1930 und 1931 die ausgesiedelten und enteigneten Kulaken aus der Ukraine und Mittelrußland in diesem Gebiet angesiedelt worden waren.
Er sprach so gleichgültig und unbeteiligt, als ob es sich um Dinge handelte, die sich vor ewigen Zeiten auf einem weit entfernten Erdteil zugetragen hatten.
„Damals gab es hier überhaupt nichts. Es wurden einfach Pflöcke in die Erde gerammt mit kleinen Tafeln, Siedlung Nr. 5, Nr. 6 usw. Die Bauern wurden dorthin geführt, und man sagte ihnen, daß sie jetzt sich selbst helfen müßten. Dann haben sie sich Erdlöcher gegraben. In den ersten Jahren starben sehr viele durch Kälte und Hunger. Na, und dann haben sie sich allmählich Lehmhütten gebaut, und dann wurde es besser.“ (Revolution, 173f).
Bald erkannten wir, daß die kleinen Hütten weder aus Stein noch aus Holz gebaut waren, sondern aus einer braunen Masse. Fenster waren nicht zu sehen. Jedes dieser kleinen „Häuschen“ hatte lediglich eine Öffnung, die, wie wir später erfuhren, im Winter einfach verstopft wurde. (Revolution, 174).
Am Nachmittag gingen wir zum Natschalnik [Leiter]. Er bewohnte das einzige größere Gebäude der Siedlung. Wir saßen auf dem Boden und warteten geduldig, bis wir hereingerufen wurden. Die Stimmung war unterschiedlich. Die Wolgadeutschen, die alle auf dem Dorf aufgewachsen waren, nahmen die Sache nicht so tragisch. Dort war ein Kolchos [kollektive Landwirtschaft], hier ist auch ein Kolchos. Was ist schon dabei? Schwieriger war es mit den deutschen Emigranten und Spanienkämpfern sowie mit den hochspezialisierten Fachkräften. Der Fernsehingenieur, die Professoren und einige der Emigranten schauten ziemlich trübselig vor sich hin… (Revolution, 175).
So lernte ich das erstemal nach sechsjährigem Aufenthalt in der Sowjetunion etwas über die Verhältnisse im Parteiapparat und im Staatswesen aus eigener Erfahrung kennen. Ich erfuhr, daß manchmal der hingeworfene Satz eines Funktionärs, dem ein kurzer Telefonanruf folgte, mehr wert war als vier offizielle Dokumente staatlicher Dienststellen. (Revolution, 182).
In einer offenherzigen Stunde erzählte mir ein Student über das Leben in den ersten Jahren der Verbannung: „Öfter kamen Parteifunktionäre auf Pferden in die Siedlungen geritten, die noch im Bau waren. Es ging noch gut ab, wenn sie uns nur anbrüllten, verhöhnten und beschimpften. Manchmal kamen sie aber mit Peitschen, und jeder, der ihnen im Weg war, bekam das zu spüren – sogar auf spielende Kinder schlugen sie mit der Peitsche ein. (Revolution, 183f).
Die Berichte der Genossen waren erschütternd. Sie wurden von Kolchos-Vorsitzenden und Brigadeführern gedemütigt und als Deutsche beschimpft und verhöhnt. Schmähworte wurden ihnen nachgerufen und manchmal wurden sie auch tätlich angegriffen. In vielen Fällen waren sie absichtlich in der Versorgung niedriger eingestuft. Bei dem Versuch, sich zu beschweren und auf der Durchführung der allgemeinen Versorgungsgesetze zu bestehen, war ihnen geantwortet worden: „Für euch Deutsche gilt das nicht; seid froh, daß ihr überhaupt etwas zu essen bekommt!“ Manche der deutschen Emigranten hatten in den Dörfern die schlechtesten Behausungen zugewiesen erhalten, mit Löchern und Rissen in Decken und Wänden, so daß sie dem eisigen Wind, dem Buran, schutzlos ausgeliefert waren.
Sie berichteten das nüchtern und sachlich, ohne Haß und Erbitterung. Es war erstaunlich, wie diszipliniert sich die Emigranten verhielten, wie ruhig sie ihr Schicksal hinnahmen. Auch die Wünsche waren äußerst bescheiden. Meist baten sie nur um Abhilfe bei den härtesten Ungerechtigkeiten, die ein Telefongespräch oder ein kurzes Schreiben des Gebietskomitees beheben konnte. Hier und da wurde auch um Kleidungsstücke, Decken, Seife und Nahrungsmittel gebeten. Wir alle erhielten damals – von einigen wenigen, die besondere Arbeit leisteten, vielleicht abgesehen – nur 400 Gramm nasses Brot am Tag, das getrocknet kaum 200 bis 300 Gramm wog. Sonst gab es nichts; kein Fett, kein Zucker, kein Fleisch. (Revolution, 195f).
Diese Bitten hätten für die besonders Bedürftigen unter uns, die Alten und Kranken, sowie die Veteranen des Spanienkrieges trotz der allgemeinen schwierigen Situation durchaus erfüllt werden können. Nicht nur die Funktionäre selbst, sondern auch jeder von uns wußte, daß es in jedem Ort des Karaganda-Gebietes, genau wie überall in der Sowjetunion, „geschlossene Geschäfte“, geschlossene Restaurants, geschlossene Verteiler gab, an die ein bestimmter Personenkreis angeschlossen werden konnte. Jeder wußte, daß auch in dieser für die Sowjetbevölkerung so schweren Zeit in den geschlossenen Geschäften und Restaurants alle Nahrungsmittel in Hülle und Fülle vorhanden waren. (Revolution, 196).
Nach einem kurzen Schlußwort wurde die Zusammenkunft der Emigranten beendet. Allen war klargeworden, daß sie noch geraume Zeit ihr Leben im Karaganda-Gebiet verbringen würden und daß es sich bei der gegenwärtigen Lage der deutschen Emigranten in diesem Raum nicht um örtliche Fehlentscheidungen, sondern um die „offizielle Linie“ handelte. Lediglich gewisse Übertretungen sollten künftig vermieden werden. Die großen Hoffnungen, die viele zu Beginn der Tagung gehegt hatten, waren verflogen. Aber wir alle hatten lange genug in der Sowjetunion gelebt, um nicht zu klagen, uns an alles zu gewöhnen und auch in den schwierigsten und unangenehmsten Situationen irgendetwas Positives zu sehen. So glaubten einige, „daß wir jetzt Verbindung zur Partei hätten“ und „gewiß noch öfter zu Besprechungen eingeladen würden“.
Das war aber nicht der Fall. (Revolution, 197f).
Ich schaute ihn an: Dreckig, zerlumpt, russisch fluchend, stand er vor mir – nur seine quicklebendigen Augen und seine Sommersprossen erinnerten an den früheren „Hubert im Wunderland“.
Auch er beschwerte sich nicht über sein Schicksal, genausowenig, wie ich es getan hatte. Es war für uns eine Selbstverständlichkeit, daß man in der Sowjetunion von höchsten Höhen in die Tiefe geschleudert werden konnte, genauso, wie es manchmal auch umgekehrt war. (Revolution, 209).
In die Kominternschule! Ich konnte es kaum fassen. Erst später fiel mir ein, daß Wilkow mir gar nicht gesagt hatte, wo sie sich eigentlich befand. Daß ich immer jeweils nur das Allernotwendigste erfuhr, hat mich damals im Grunde nur wenig berührt. Mit der Zeit erkannte ich, daß es sich dabei nicht um eine persönliche Eigenart Wilkows handelte, sondern um eine typische Eigenheit der sowjetischen Bürokratie. (Revolution, 222).
Es dauerte nicht lange, bis ich verstand, daß die jetzigen Lebensgewohnheiten meiner Freunde sich völlig von meinen bisherigen unterschieden. Gewiß, auch als Student und Komsomolze wußte ich, daß es viele Gebiete gab, über die man „nicht sprach“. Aber immerhin hatte ich über alles sprechen können, was außerhalb dieses Themenkreises lag. Allmählich begriff ich, daß hier andere Maßstäbe galten. Offensichtlich war das Gebiet, über das man „nicht sprach“, viel größer. (Revolution, 224).
So unterschiedlich die Mitarbeiter der Komintern untergebracht waren, so unterschiedlich war auch die Verpflegung, die sie erhielten.
Alle Funktionäre, die direkt in der Komintern beschäftigt waren, erhielten ihr Essen dreimal täglich im Arbeitsgebäude, dem ehemaligen Pionierpalast.
Die allerhöchsten Funktionäre, die Bewohner des schönen Hotels „Baschkirija“, erhielten außerdem noch große Pajokpakete ins Haus gebracht.
Die übrigen Mitglieder der Komintern wurden von einem geschlossenen Geschäft versorgt, das sich im Parterre des Hotels „Baschkirija“ befand, und erhielten dort, neben ihrem Essen, die Rationen einer Stoßarbeiterkarte sowie gelegentlich noch Sonderzuteilungen.
So waren die Mitglieder der Komintern, je nach ihrem politischen Nutzwert, in allen Fragen der Wohnung und der Verpflegung sorgfältig in ein hierarchisch abgestuftes System eingeteilt. (Revolution, 226).
„Wir haben in dieser Schule einige besondere Regeln. Zunächst einmal dürfen Sie niemals ohne besondere Erlaubnis das Gebiet der Schule verlassen. Ich möchte Sie gleich darauf aufmerksam machen, daß die Nichtbeachtung dieser Regel schwerste Folgen haben kann.
Zweitens ist es selbstverständlich, daß Sie in keinem Brief auch nur die geringste Andeutung machen dürfen, wo Sie sich befinden. Das Wort Kominternschule darf weder in dem Brief noch auf dem Absender stehen.“
Von solchen Sachen hatte ich unschuldiger Student bis dahin noch nie gehört. „Ja, was soll ich denn als Absender angeben?“
„Sie schreiben darauf: Baschkirische ASSR, Kuschnarenkowo, Landwirtschaftliches Technikum Nummer 101. Das genügt völlig.“
(Diese Bestimmung wurde noch verschärft. Wenige Wochen später wurde uns verboten, überhaupt Briefe zu schreiben.)
Sie machte eine Pause, schaute mich durchdringend an und fuhr fort:
„Und nun das Wichtigste. Es ist ihnen nicht gestattet, irgend jemand ihren wirklichen Namen zu nennen und auch nur das geringste über ihr bisheriges Leben zu erzählen. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die Einhaltung dieser Regel unbedingt notwendig ist. Niemand, auch nicht jenen, die Sie von früher her kennen sollten, dürfen Sie Ihren wirklichen Namen nennen.“ (Revolution, 229f).
Im Verlaufe der 10 Monate, die ich an der Schule verbrachte, nahmen wir folgende Themen durch: Geschichte der KPD, Geschichte der KPdSU, Die Weimarer Republik, Der Faschismus, Charakter und Verlauf des Zweiten Weltkrieges, Politische Ökonomie, Dialektischer und historischer Materialismus, Geschichte der Kommunistischen Internationale, Übersicht über die Geschichte Deutschlands. (Revolution, 244f).
Die Erklärungen und Meinungen der oppositionellen Organisationen durften wir deshalb nicht erfahren, weil sie Auffassungen enthielten, die dem Stalinismus wirklich gefährlich sind. Die stalinistische Führung war sich wohl bewußt, daß es völlig risikolos war, uns Reden von Hitler und Goebbels, Manifeste bürgerlicher Parteien oder Enzykliken der Päpste in die Hand zu geben, weil von vornherein feststand, daß sie uns nicht im geringsten beeinflussen konnten. Bücher von Trotzki, Manifeste antistalinistischer Organisationen, die vom marxistischen Standpunkt aus das stalinistische System in der Sowjetunion kritisieren und angreifen, hätten uns dagegen zumindest beeindruckt. (Revolution, 248f).
Offensichtlich bestand (und besteht) auch hierin eine genaue Klassifizierung je nach dem Aufgabengebiet des betreffenden Funktionärs und der Höhe seiner Position, so daß man von einer hierarchisch gestuften Informiertheit sprechen kann. (Revolution, 256).
Er sprach von den Gefahren und der Schönheit eines revolutionären Lebens.
Am Ende seiner kurzen Ansprache nahm er eine Streichholzschachtel heraus: „Vielleicht“, sagte er, „kann ich die Gedanken und Gefühle, die ich jetzt habe, leichter durch ein Beispiel erklären.“
Dabei hatte er schon ein Streichholz herausgenommen und es angezündet. In wenigen Sekunden war das Streichholz verbrannt und nur ein wenig Asche war übriggeblieben.
Michailow schaute uns freundlich, ein wenig nachdenklich an.
„Ist das nicht wie das Leben eines gewöhnlichen Menschen? Es brennt erst klein, dann wird es größer und schließlich verbrennt es. Ein bißchen wertlose Asche bleibt übrig. Ein Mensch lebt, arbeitet, gründet eine Familie, bringt Kinder zur Welt, stirbt, wird betrauert, im besten Fall von seinen Familienangehörigen und einigen wenigen Bekannten. Ein nutzloses und überflüssiges Leben.
Wenn wir dagegen unser Leben betrachten, ein Leben voller Erlebnisse, Gefahren, Reisen, Gefängnisse, verantwortlichen Funktionen, inmitten der Riesenfamilie, die wir Partei nennen, mit einem klaren festen Ziel als Baustein für eine neue Welt, im Tod betrauert von der großen Zahl der Genossen – ist das nicht etwas ganz, ganz anderes als das wertlose Streichholz?“ (Revolution, 292f).
Der arme Willy. Sein ganzes Leben hatte er der Partei gewidmet und fast drei Jahre unter den schwierigsten Bedingungen in Spanien gekämpft. Nun wurde er aufgrund seiner wenigen Sätze im Seminar der „Beihilfe zum Faschismus“, der „Propagierung der Passivität im Kampfe gegen Hitler“ und ähnlicher Verbrechen angeklagt. Ein Redner verglich ihn sogar mit Franco. (Revolution, 299).
Damals war es nur ein Zweifel. Erst viel später erkannte ich, daß es ein Wesenszug des Stalinismus ist, den dialektischen Materialismus seines eigentlichen Sinnes zu berauben, da die Stalinisten die Gesetze der Dialektik nicht anwenden, um die Prozesse innerhalb der Gesellschaft zu erklären und daraus bestimmte Schlußfolgerungen zu ziehen, sondern dazu degradieren [herabwürdigen, entwerten], nachträglich politische Entscheidungen oder Beschlüsse zu rechtfertigen. (Revolution, 318).
Nun nahm ich stets Brot mit, um es ihm abends an irgendeiner abgelegenen Stelle zuzustecken. Er dankte mir jedesmal, war aber äußerst wortkarg. Ich erfuhr lediglich, daß er nach seinem Ausschluß von der Parteischule von keiner Stelle mehr Hilfe erhalten hatte. Dieser Genosse, der so viele Jahre hindurch Sonderaufträge für die Partei ausgeführt hatte, war nun „abgehängt“ und seinem Schicksal überlassen – ein Beispiel für die eiserne Konsequenz und Grausamkeit des Stalinismus jedem Menschen gegenüber, den er nicht mehr gebrauchen kann. (Revolution, 336).
Der Stalinismus kann nicht zulassen, daß durch selbständige Initiative von unten antifaschistische, sozialistische und kommunistische Bewegungen oder Organisationen entstehen, denn er liefe stets Gefahr, daß sie sich seiner Kontrolle zu entziehen und sich gegen Direktiven von oben zu stellen versuchten. Die Auflösung der Antifaschistischen Komitees war daher nichts anderes als die Zertrümmerung erster Ansätze einer vielleicht machtvollen, selbständigen, antifaschistischen und sozialistischen Bewegung. Es war der erste Sieg des Apparates über die selbständigen Regungen der antifaschistischen, links eingestellten Schichten Deutschlands. (Revolution, 478f).
Als Ulbricht seine Rede beendet hatte und die „Internationale“ gesungen wurde, hoben viele die Faust zum alten Rot-Front-Gruß, mit dem sich Parteimitglieder vor 1933 begrüßt hatten. Ulbricht, die Mitglieder des Präsidiums und diejenigem im Saal, die schon mit der „neuen Linie“ vertraut waren, taten es nicht. Darauf ließen auch viele andere wieder ihre Faust sinken. Es war ein kleines, aber typisches Zeichen für die Veränderung, die in der KPD seit 1933 vor sich gegangen war. Von einer revolutionären Oppositionspartei, mit dem Kampfziel der Diktatur des Proletariats, wandelte sie sich zur staatstragenden Partei, die für eine antifaschistische Demokratie, für ein parlamentarisch-demokratisches System eintreten sollte. (Revolution, 494f).
Am meisten diskutierten wir über die „Säuberungen“ – vor allem über die große „Tschistka“ [Säuberung] der Jahre 1936 bis 1938. Mehr als ein Jahrzehnt war seitdem vergangen, und doch kamen wir immer wieder darauf zurück. Waren es nicht die Mitkämpfer Lenins, die Helden der Oktoberrevolution, die von den Salven des NKWD niedergemäht wurden? Waren die anderen hunderttausend Opfer der großen Säuberungen nicht Partisanenkämpfer des Bürgerkrieges und alte Bolschewiki? (Revolution, 603f).
Nach einigen Monaten machte eine andere Broschüre bei oppositionellen Funktionären die Runde. Es handelte sich um einen Auszug aus Koestlers Buch Der Yogi und der Kommissar und war unter dem Titel Sowjetmythos und Wirklichkeit ebenfalls von der Neuen Zeitung herausgegeben worden. Ich war sofort gefesselt, denn schon auf den ersten Seiten war von der Oktoberrevolution die Rede.
Vieles, was ich bis dahin geahnt hatte, wurde hier zusammenhängend geschildert. Ich hatte eine Schrift vor mir, in der der Begriff „Stalinismus“ als Gegensatz von Marxismus vorkam, eine Schrift, in der das gegenwärtige System der UdSSR nicht als Nachfolger der Oktoberrevolution geschildert war, sondern der Beweis erbracht wurde, daß das stalinistische System die Errungenschaften der Oktoberrevolution verraten und ins Gegenteil verkehrt hatte. (Revolution, 612).
Mitte 1949 saßen wir wieder mit einer Gruppe von Funktionären zusammen – einer davon war Offizier der Volkspolizei. „Der RIAS wird in einer halben Stunde eine Sendung zum Tode Rosa Luxemburgs bringen“, bemerkte einer.
„Der amerikanische Sender über Rosa Luxemburg?“
Mißtrauisch schaltete der Volkspolizeioffizier den Apparat ein, aber unser Mißtrauen verschwand bald. Mit objektiven, ja sogar anerkennenden Worten wurde die große deutsche Revolutionärin skizziert. Zugleich wurden Auszüge aus ihrer Schrift Die russische Revolution gebracht, einer Schrift, die in keiner Zeitung der Sowjetzone zitiert und in keiner Parteischule als Studienmaterial ausgehändigt wurde. (Auch in späteren, großen, zweibändigen Reden Rosa Luxemburgs ist sie nicht enthalten.) Diese Schrift zirkulierte unter oppositionellen SED-Funktionären, und ich selbst hatte sie von einem Funktionär, sogar im Gebäude einer SED-Landesleitung erhalten. Nun hörten wir durch den RIAS Auszüge daraus:
Mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Land muß auch das Leben in den Sowjets [Räten] immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf stirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element ist. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grund also eine Cliquenwirtschaft – eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Prolitariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker… (Revolution, 613f).
Beide waren wir nun dem Stalinismus gegenüber oppositionell– aber unsere Opposition hatte verschiedene Wurzeln und berührte andere Fragen. Sie hatte die Leiden und Entbehrungen ihrer Mitgefangenen vor Augen und ihre Empörung war zu jener Zeit sicher heftiger als meine. Sie sprach von den Millionen Zwangsarbeitern, von den Zehntausenden und Hundertausenden alter, verdienter Revolutionäre, die von Stalin zu Konterrevolutionären erklärt und verhaftet worden waren; von den unglaublichen Opfern, vom Ideal, das bis zur Unkenntlichkeit verfälscht worden war.
„Die Sowjetunion ist kein sozialistisches Land!“ (Revolution, 635f).
An jenem Vormittag ging ich nachdenklich allein spazieren. Ich erinnerte mich daran, irgendwo gelesen zu haben, daß kämpferische Atheisten nicht selten aus Jesuitenschulen hervorgegangen seien. Sollte sich das wiederholen? Sollte die SED-Parteihochschule „Karl Marx“ auch die gefährlichsten Ketzer heranziehen? (Revolution, 648).
o ASSR
– Autonome sozialistische Sowjetrepublik. 1956 bis 1991 existierten zwanzig
davon.
Georgien: Abchazien, Adžarien, Nachičevan.
Rußland: Baškirien (Baškortostan), Burjatien, Čečenien,
Čuvašien, Dagestan, Jakutien, Kabardino-Balkarien, Kalmückien, Karelien,
Komi, Mari, Mordvinien, Nordossetien-Alanien, Tatarstan, Tuva, Udmurtien.
Uzbekistan: Karakalpakstan.
o Komintern – Kommunistische Internationale, der internationale Zusammenschluß kommunistischer Parteien zu einer weltweiten gemeinsamen Organisation, die von 1919 bis 1943 bestand.
o Komsomol – коммунистический союз молодёжи kommunistíčeskij sojúz molodëži kommunistischer Jugendverband, der von 1918 bis 1991 bestand.
o Komsomolze – Mitglied des Komsomol.
o KPD – Kommunistische Partei Deutschlands, 1919 gegründet, 1933-1945 unterdrückt, in der Sowjetischen Besatzungszone 1946 mit der SPD zur Sozialistischen Einheitspartei vereinigt und 1956 in Westdeutschland verboten. 1968 wurde in der Bundesrepublik die Deutsche Kommunistische Partei gegründet.
o KPdSU – Kommunistische Partei der Sowjetunion, 1918 gegründet und 1991 verboten.
o NKWD Народный комиссариат внутренних дел Naródnyj komissariát vnútrennich del – Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (1917-1946).
o Pajók паёк paëk – Ration, Verpflegung, regelmäßig zugeteiltes Paket mit Lebensmitteln, Schokolade und Zigaretten.
o RIAS – Rundfunk im amerikanischen Sektor Westberlins.
Dieses Buch habe ich als Fünfzehnjähriger mit klopfendem Herzen gelesen. Es hat mir die Augen für eine Welt geöffnet, die ich nicht kannte, wenn es auch gewisse Parallelen mit der Erziehung in einem Internat gab.
Das Verfahren der „Kritik und Selbstkritik“ ist inspiriert vom Schuldkapitel, bei dem andere angeklagt und eigene Fehler gestanden werden müssen.
Die politische Schulung hat ihr Vorbild in den Exerzitien, bei denen die geistigen Grundlagen der Gemeinschaft in komprimierter Form dargelegt und eingeprägt werden.
Bemerkenswert waren die Wendezeiten Rußlands: die Oktoberrevolution 1917, Der Aufstieg Stalins, die verheerenden „Säuberungen“, die sogenannte Tauwetterperiode, die Niederschlagung der Aufstände in der DDR und in Ungarn, die Beendigung des Prager Frühlings, die Zeit von Glasnostʼ und Perestrojka, der Weg in eine neue Diktatur und in einen Angriffskrieg.
Wie wird es weitergehen? Das ist die bange Frage.
Nicht alle Bücher, die ich in meiner Kindheit und Jugend gelesen haben, sind heute noch aktuell. In diesem Werk wird detailliert geschildert, wie ein Diktator handelt. Da stellt sich die Frage: Nimmt die Anzahl der Diktatoren in unserer Welt zu oder ab?
o Fahrt ins Verhängnis. Als Sozialistin in Stalins Gulag, Herder-Bücherei 989, Freiburg im Breisgau 1983.
o Gestohlenes Leben. Schicksal einer politischen Emigrantin in der Sowjetunion, Frankfurt am Main 1956: Frankfurt am Main 21988.
o Unterirdische Literatur im revolutionären Deutschland während des Weltkrieges, Berlin 1920.
o Am Vorabend einer neuen Revolution? Die Zukunft des Sowjetkommunismus, München, Gütersloh und Wien 1975.
o Anmerkungen zu Stalin, Berlin 2009.
o Das kurze Leben der DDR. Berichte und Kommentare aus vier Jahrzehnten, Stuttgart 1990.
o Die Dreispaltung des Marxismus. Ursprung und Entwicklung des Sowjetkommunismus, Maoismus und Reformkommunismus, Düsseldorf 1970.
o Die linke Versuchung. Wohin steuert die SPD?, mit Elke Leonhard, Berlin 2009.
o Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955; Köln 292022.
o Kreml ohne Stalin, Köln 1959.
o Nikita Sergejewitsch Chruschtschow. Aufstieg und Fall eines Sowjetführers, Luzern und Frankfurt am Main 1965.
o Die politischen Lehren, Sowjetideologie heute, Band 2, Bücher des Wissens, Fischer-Bücherei 461, Frankfurt am Main und Hamburg 1962.
o Spurensuche. Vierzig Jahre nach „Die Revolution entläßt ihre Kinder“, herausgegeben von Gerhard Weber (1913-1998), Köln 1992.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024