„Mädchenpensionat“
mit Lehrjahr
Schloß Horneburg hat
eine neue Bestimmung. 30 Entlaßschülerinnen bezogen ihr neues Heim – Ein
vorbildliches Zuhause im Internat, von E.H., in: Westerholter Volkszeitung,
18.5.1954, Nr. 115. Vest. Schloß Horneburg
nahm gestern morgen seine neuen Insassen auf: 30 schulentlassene Mädchen aus
dem Stadt- und Landkreis Recklinghausen und der weiteren Umgebung, die hier
als Internatsschülerinnen in einem Lehrgang für Lebensmittelberufe das
Fundament erhalten sollen. Sie kamen größtenteils in Begleitung ihrer Eltern
mit ihrem Gepäck angerückt und saßen zunächst ein wenig fremd und
verschüchtert da – wie es eben so ist, wenn man die ersten Schritte in einen
noch unbekannten Lebenskreis tut. Man spürte aber sehr
bald, daß sie von der wohnlichen und warmen Atmosphäre des alten Schlosses
angenehm überrascht waren, daß sich ihrer ein zuversichtliches Gefühl des
Geborgenseins bemächtigte, das den ersten Abschied vom Elternhause nicht
allzu schwer machte. Die Freigabe und
Herrichtung des Schlosses Horneburg ist ein soziales Werk des Landkreises,
das sich in die Reihe seiner anderen sozialen Einrichtungen würdig einfügt.
Hier gilt es zur Lösung eines Problems beizutragen, das viele Eltern berührt:
Wo sollen wir mit unseren schulentlassenen Mädchen hin, die keine Lehrstelle
gefunden haben? Noch sind sehr viele aus dem Arbeitsamtsbezirk Recklinghausen
nicht untergebracht, und die Behörde fühlt sich verantwortlich, zur
Entlastung des weiblichen Arbeitsmarktes beizutragen. Was sollen die Mädchen
hier lernen? Zunächst werden sie alle die hauswirtschaftliche Grundlage für
ihren späteren Beruf als Hausfrau und Mutter erhalten. Daneben läuft die
Spezialausbildung, ein Lehrjahr, das auf die nachfolgende Lehre angerechnet
wird, als Bäckerin, Konditorin, Köchin und Gewerbegehilfin. Der theoretische
und praktische Unterricht wird im Hause erteilt, selbst der
Pflichtberufsschulunterricht wird im Schloß absolviert durch eine Lehrkraft
der Berufsschule Waltrop. Haupt- und ehrenamtliche Lehrkräfte wickeln den
umfangreichen Lehrplan ab, der neben den Spezialfächern für die einzelnen
Berufe fast die gleichen Fächer vorsieht, wie sie früher im Stundenplan der
einjährigen Frauenschule praktiziert wurden. Es ist ganz besonders
erfreulich, daß auch die musischen Stunden (Musik, Literatur) nicht fehlen. Und das alles bezahlt
nicht unser Papa. Die Eltern, die dem Schloß Horneburg ihre Kinder
anvertrauen, würden kaum in der Lage sein, die Kosten für Internat und eine
so gründliche Ausbildung zu bestreiten. Der Kreis übernimmt im Zusammenwirken
mit dem Land alle Unkosten. Die jungen Mädchen erhalten sogar monatlich ein
Taschengeld von 15 DM. Und doch sind sie hier
im wahrsten Sinne des Wortes „in Pension“, wie man früher so schön sagte.
Nach baulichen Veränderungen und mancherlei Neuanschaffungen präsentiert sich
das Haus mit seiner idyllischen Umgebung als ein vorbildliches
Mädchenpensionat. Bei einem Rundgang durch die Etagen sahen wir freundliche
Schlafzimmer in Weiß, die zu dritt belegt werden, einen großen Waschraum mit
Nischeneinteilung, Aufenthalts- und Unterrichtsräume, die in nichts der
familiären Atmosphäre des übrigen Teiles des Schlosses nachstehen. Die „Bäckerei“
war bis auf den Backofen, der in diesen Tagen angeschlossen wird, bereits
komplett. Man kann die Pensionärinnen nur um das Glück beneiden, zu den
Auserwählten zu zählen, denen zwar ein Jahr der Arbeit, aber auch eine Zeit
sorglosen Daseins in fröhlicher Gemeinschaft und historischer,
kulturträchtiger Umgebung bevorsteht. Zum Winter, wenn dann auch die
Landwirtschaftsschülerinnen für einige Monate ins Haus einziehen, wird es
neue Abwechslung und hoffentlich ein gutes Verhältnis zwischen Stadt und Land
geben. Die neugeborenen
Schloßfräuleins sind bei den Schönstätter Schwestern, die einem
Säkular-Institut angehören, in bester Obhut. Sie stellen auch hauptamtlich
zwei Lehrerinnen. In diesen Becher der Freude fällt allerdings für den Landkreis
ein Wermutstropfen: Die Schwestern von der göttlichen Vorsehung, die ein
halbes Jahrhundert lang in opferbereitem Dienst die wechselvolle Geschichte
des Schlosses begleitet haben, wurden vom Mutterhaus nach Münster
zurückberufen. Schwester Oberin und Schwester Gisella sind mit Haus und Baum
und Strauch eng verwachsen; trotz aller Beherrschung spürten wir etwas von
dem Abschiedsschmerz in ihren Herzen. In Gegenwart von Pastor
Ükötter und Beigeordneten Angermann, dem „Vater“ der neuen Einrichtung in
Horneburg, begrüßte Landrat Hoppe die Schönstätter Schwestern, denen nun die
schulische und geistig-seelische Formung der jungen Menschen übertragen
wurde. Den Mädchen rief er ein herzliches Willkommen zu. Wenn sie den guten
Willen zu einer echten Gemeinschaft mitbrächten, würden sie sich in Schloß
Horneburg bald zu Hause fühlen. Die Lehrlinge nahmen
dann beglückt Besitz von ihren Zimmern und machten sich mit der Hausordnung
vetraut. Wir wünschen einen guten Anfang und ein erfolgreiches Ende! |