Obskuranten
Heinrich Michael Knechten
Als „Obskuranten“ werden in
der Aufklärung des 18. Jahrhunderts die Gegner des Rationalismus bezeichnet.
Berdjaev greift diese Bezeichnung auf, stellt sie aber in den Kontext seiner
Zeit: Obskuranten kämpfen gegen freie Erkenntnis und eine kreative Kultur. Sie
sind der Überzeugung, dass Philosophie und intellektuelle Kreativität zu
sozialem Elend, zum Ruin der Gesellschaft, zu Zerstörung von Staat, Kirche und
Familie führen.
Dabei reichen sich „rechte“
und „linke“ Obskuranten die Hand. Pobedonoscev hielt die Masse des Volkes in
geistiger Passivität. Die russische Revolution wurde durch Mangel an Aufklärung
gefördert. Auch Lenin trat nicht für die Freiheit des Geistes ein.
Dem Obskurantentum liegen
Argwohn und Misstrauen zu Grunde. Furcht vor Revolution (bei den „Rechten“)
oder Konterrevolution (bei den „Linken“) sind bestimmende Motive bei der
Unterdrückung des Denkens. Angst fördert aber nicht die Suche nach Wahrheit.
Obskuranten sind Dogmatiker,
obwohl sie keine Ahnung haben von den mystischen und metaphysischen Aspekten
der Dogmatik. Berdjaev meint, ein beschränkter Geist sei in einer
untergeordneten Stellung ungefährlich. Dies ändert sich jedoch, wenn ihm
weitreichende Entscheidungsbefugnis verliehen wird. So kommt es, dass
Obskuranten die Sophiologie als Häresie verurteilen, obwohl sie „Sophia“
wahrscheinlich für einen Vornamen halten.
Ein Obskurant weiß alles. Ihm
fehlt die Demut vor der unendlichen Fülle des Lichts, die Einsicht in die
eigene Begrenztheit, die docta ignorantia. Wenn allerdings wahre
Erkenntnis behindert wird, schließt Berdjaev, eröffnet dies den Weg zu falscher
Erkenntnis.
(Vgl. Nikolaj A.Berdjaev, Obskuratizm, in: Put',
Oktober 1928, Nr. 13, S. 19-36).
Anmerkung: Berdjaev verwendet den im Russischen ungebräuchlichen
Begriff „obskuratizm“. Er geht wohl auf das lateinische obscuratio
zurück: Verdunkelung, Verfinsterung.