Der Maler
Anna schrieb am 6.9.1999 aus Volgograd: Gestern schaute ich in den
Büchern des Volksbundes, gelagert im Panoramamuseum, die Namen der gefallenen
Soldaten an, Ernst Johann war auch dabei. Doch außer Namen, Geburts- und Todestag
stand dort nur noch Gefreiter. Da ich den Mitarbeiter des Volksbundes hier noch
nicht erreichen konnte, bin ich auf gut Glück nach Tschir gefahren. Zunächst
überquert man den Fluß Tschir und fährt dann von der durchgehenden Straße links
ab zum Don. Die ganze Zeit führt die Straße durch russisches Steppengebiet. Wo
der Boden es zuläßt, wachsen kilometerweit Sonnenblumen und Getreide, letzteres
bereits geerntet. Zum Teil sind die Felder gepflügt, andere auch schon mit
Wintergerste wieder grün. Das Straßenbegleitgrün ist rund 30 Meter rechts und
links der Straße gepflanzt. Es ergibt den Eindruck einer großzügig angelegten
Allee und das hunderte von km lang, immer begleitet von Strommasten. Der Aufbau
dieser Infrastruktur hat bestimmt Milliarden gekostet.
Die Landschaft wird immer wieder von Flüssen und scheinbar trockenen Erdrissen
unterbrochen. In den mit Schilf zugewachsenen Flußtälern weidet das Vieh. In
den anderen Gräben könnte ich mir die Armee vorstellen. Schließlich erreichen
wir den Don, der hier sehr breit ist. In eine flache Mulde schmiegt sich der
Ort. Eine Kirche fast am Ufer wird mit roten Ziegeln wieder aufgebaut.
Ansonsten gibt es einen Hafen und die üblichen Dorfhäuser. Der Friedhof liegt
oberhalb des Ortes auf der Klippe. Er ist mit Eisengittern rundum eingefaßt und
sehr groß. Ich wandere einmal herum und finde auch alte Gräber von 1945, doch
keine deutsche Bezeichnung und kein gerades Kreuz.
Ein typisches Grab aus der Zeit habe ich aufgenommen, so könnte
das Grab von Onkel Ernst vor 50 Jahren ausgesehen haben. Wo auch immer er
begraben ist, dort oder beim Kriegerdenkmal an der Hauptstraße am Fluß, er
liegt dort sehr schön.
Von Volgograd aus kommend, wird bei
Kalač-na-Donu der zum Stausee von Cimljansk verbreiterte Don überquert.
Auf der Weiterfahrt überquert man das Flüsschen Liska. Südlich erstreckt sich
nun der Raum Lisinskij, ca. 10 km westlich Bahnhof Čir, in welchem der
neunzehnjährige Gefreite Ernst Johann am 5.12.1942 gefallen ist. Seine Kompanie
konnte ihn nicht mehr begraben, da diese Stelle gleich von Russen besetzt
wurde. Sein Grab könnte sich hier in der Steppe befinden, wenn es nicht dem
Stausee zum Opfer gefallen ist.
Hermann
schrieb in seinen Erinnerungen: Ende Jänner 1943 wurde zuerst die Südgruppe
überwunden. Auch aus dem Donezbecken musste der Rückzug erfolgen. Ein Brief aus
Stalingrad enthielt folgende Bemerkung: „Seid glücklich, daß ihr daheim noch
Brot habt; wir sind hier drei Mann zu einem Teller Suppe.“ Am 3. Feber war der
Kampf der 6. Armee in Stalingrad zu Ende. Die Besatzung hatte zwei
Aufforderungen zur Übergabe abgelehnt.
Die
Sterbeurkunde: Der Gefreite Ernst Johann ist am 5. Dezember 1942 im Raum von
Lisinski, westlich Bahnhof Tschir gefallen. Der Verstorbene war geboren am 17.
Januar 1923.
Der
Brief zur Benachrichtigung vom 20.1.1943: Da der Kompanieführer infolge
Verwundung ausgefallen ist, habe ich die traurige Pflicht, Sie von dem
Heldentod Ihres Sohnes, des Pioniers Ernst Johann des 3. Hauptpionierbataillons
652 in Kenntnis zu setzen. Ich bitte um Nachsicht und Ihr Verständnis dafür,
daß ich diese Nachricht so verspätet herausgehen lasse. Infolge der allgemeinen
Lage und der Zersplitterung des Bataillons fühlte ich mich verpflichtet, erst
einwandfreie und bestätigte Unterlagen zu sammeln, bevor ich mich zu dieser
Mitteilung entschließen konnte. Zu meinem Leidwesen hat diese Arbeit
unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch genommen. Ihr Sohn fiel am 5.12.42 beim
heldenhaften Abwehrkampf gegen stärkste russische Panzerangriffe im Raum von
Lisinski, ca. 10 km westlich Bahnhof Tschir. Er war auf der Stelle tot und hat
nicht zu leiden gebraucht. Leider konnte er trotz größten Anstrengungen durch
die Kompanie nicht beigesetzt werden, da das Zwischengelände von Russen besetzt
wurde und die eigenen Linien noch am gleichen Tage zurückgenommen werden
mußten.
Mitteilung
des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge vom 19.11.1999: Ihr Angehöriger
wurde noch nicht auf einen vom Volksbund errichteten Soldatenfriedhof überführt
oder konnte im Rahmen unserer Umbettungsarbeiten geborgen werden. Nach den uns
vorliegenden Informationen befindet sich sein Grab derzeit noch an folgendem
Ort: Raum Lisinski ca. 10 km westl. Bhf. Tschir.
Herzlichen Dank an Dr. Johanna Kusters, an
Margret Martens, Waltraud sowie Manfred Büns und an den Volksbund für Mitarbeit und Materialien.
Bilder von Ernst: Thomashof
und Großeltern.