Die alttestamentliche Leseordnung Jerusalems im 5. Jahrhundert

 

 

Heinrich Michael Knechten

 

 

Das früheste Zeugnis einer Verlesung des Pentateuchs findet sich in Neh 8,2f: Da brachte der Priester Esra die Tora vor die Gemeinde und las daraus vom frühen Morgen bis zum Mittag.

 

In dieser frühen Phase gab es an den Festen Eklogadie. Dabei wird ein biblischer Abschnitt, der sonst in lectio continua (fortlaufender Lesung) verwendet wird, herausgenommen und einem bestimmten Tage zugeteilt.

 

In neutestamentlicher Zeit begegnet bereits die regelmäßige Verlesung des Pentateuchs: Denn Moses hat von alten Zeiten her in jeder Stadt seine Verkündiger und wird an jedem Sabbat in den Synagogen verlesen (Apg 15,21). Auch die Prophetenlesung ist für diese Zeit bezeugt: Nach der Lesung des Gesetzes und der Propheten sandten die Vorsteher der Synagoge zu Paulus und zu denen, die bei ihm waren, und ließen ihnen sagen: Männer, wenn ihr reden und das Volk ermahnen wollt, so sagt es (Apg 13,15).

 

Justin berichtet um 150 nach Christus als erster über die Verlesung des Alten Testamentes im christlichen Gottesdienst: Am Tag, den man Sonntag nennt, versammeln sich alle, die in Städten oder auf dem Lande wohnen, am gleichen Ort und es werden die Erinnerungen der Apostel oder die Schriften der Propheten verlesen, solange es angeht (1. Apologie 67,3). Unter Propheten versteht Justin in der 1. Apologie 31,7 und 44,12 alle alttestamentlichen Schriften.

 

Im Rahmen der Schilderung einer Bischofsweihe nennen die Apostolischen Konstitutionen, die um 400 in Syrien entstanden sind, die Verlesung des Gesetzes und der Propheten, unserer Briefe (der apostolischen Briefe des Neuen Testaments), der Apostelgeschichte und der Evangelien (8,5,1). Dieses Lesesystem wurde in Antiochien im Anschluss an die synagogale Ordnung neu herausgebildet. Allerdings wird in der Synagoge das Bedeutsamste (die Tora) am Anfang gelesen, während im christlichen Gottesdienst das Bedeutsamste (das Evangelium) am Schluss gelesen wird.

 

Das Itinerar der galizischen Pilgerin Egeria bezeugt, dass die Schriftlesungen um 380 dem jeweiligen Fest oder Gedächtnis und dem Ort (der Station) angepasst sind (25,10; 29,5; 31,1). In Jerusalem herrscht also das Prinzip der Eklogadie. Inhaltlich erfahren wir, dass der Bischof bei der Katechumenenunterweisung mit dem Buche Genesis beginnt (46,2).

 

Glücklicherweise besitzen wir ein Dokument, das uns die Lesordnung Jerusalems im 5. Jahrhundert präzise beschreibt. Dieses Lektionar der Heiligen Stadt blieb in armenischer Sprache erhalten. Es ist das erste offizielle liturgische Dokument Jerusalems. Hier wird der Kult nach Errichtung der Konstantinischen Basilika beschrieben.

 

Die Ostervigil

 

Sie ist die Keimzelle, aus der sich die Lektionssysteme entwickelt haben. Ablauf und Schrifttexte sind folgendermaßen:

 

 

1. Lesung. Gen 1,1-3,24: Schöpfung der Welt und Sündenfall. Vertreibung aus dem Paradies.

2. Lesung. Gen 22,1-18: Das Opfer Isaaks.

3. Lesung. Ex 12,1-24: Einsetzung des Osterfestes.

4. Lesung. Jonas 1,1-4,11: Sendung, Ungehorsam, Bestrafung und Rettung Jonas. Bußpredigt Jonas und Bekehrung Ninives.

5. Lesung. Ex 14,24-15,21: Vernichtung der Ägypter am Roten Meer und Lobgesang Israels.

6. Lesung. Jes 60,1-13: Die zukünftige Herrlichkeit Zions.

7. Lesung. Hiob 38,2-28: Der Schöpfer der Welt stellt Fragen an das Geschöpf.

8. Lesung. 4 Kön 2,1-22: Elias Entrückung. Elisäus macht das Wasser gesund.

9. Lesung. Jer 38,31-34: Der Neue Bund.

10. Lesung. Jos 1,1-9: Befehl zur Überschreitung des Jordans. Ermahnung zur Treue.

11. Lesung. Ez 37,1-14: Auferstehung der Toten.

12. Lesung. Dan 3,1-90: Bewahrung der drei Jünglinge im Feuerofen und ihr Lobgesang. Kehrverse werden nach Vers 35a und Vers 51 gesungen.

 

Psalm 64. Antiphon ist Vers 2: Dir gebührt Lobgesang, o Gott, auf Zion, und zu Dir wird das Gebet gerichtet in Jerusalem.
1 Kor 15,1-11: Die Zeugen der Auferstehung Christi.
Alleluja mit Psalm 29: Ich will Dich erheben; denn Du hast mich in Schutz genommen.
Mt 28,1-20: Das leere Grab. Der Auferstandene erscheint den beiden Marien. Bestechung der Wache. Erscheinung in Galiläa und Missionsbefehl.

 

Die Lesungen stellen ein vielschichtiges Miteinander dar. Es geht vor allem um die Auferstehung Christi. Darauf deuten außer den neutestamentlichen Lesungen die 5. Lesung (Befreiung der Israeliten aus der Hand der Ägypter), die 4. Lesung (Errettung Jonas), die 12. Lesung (Bewahrung der drei Jünglinge im Feuerofen), die 8. Lesung (Entrückung Elias) und die 11. Lesung (Auferstehung des Volkes). Die 3. Lesung spricht vom Osterfest.

 

Es fehlt aber auch nicht die Anspielung auf die Leiden Christi im Typos des Opfers Isaaks (2. Lesung). Gott hat Seinen einzigen Sohn hingegeben (Joh 3,16). Abraham ist Vorausbild für Gottes Hingabe des Sohnes.

 

Die 1. und die 7. Lesung verweisen auf den Schöpfer, der die Macht hat, Christus aus dem Tod aufzuerwecken. Die 1. Lesung (Sündenfall) und die 4. Lesung (Jonas Bußpredigt) verdeutlichen, dass die Auferstehung eine Neuschöpfung ist.

 

Gott schließt mit seinem Volk einen Neuen Bund (9. Lesung).

 

Das Thema der Taufe begegnet in der 10. Lesung mit dem Befehl der Überschreitung des Jordans und der Ermahnung zur Treue, zur Erfüllung der Taufversprechen.

 

Die 6. Lesung weitet den Horizont bis zur Parusie, indem sie von der künftigen Herrlichkeit Zions spricht. Bisher ist der Zusammenhang zwischen dem urchristlichen Osterfest und der Parusie nur wenig beachtet worden.

 

Die Lesungen spannen also einen weiten Bogen. Das Osterfest steht innerhalb der Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zur Wiederkunft des Herrn. Hier offenbart sich eine archaische Kraft des Zusammenschauens (B.Fischer). Bei Egeria zeigte sich eine historisierende Tendenz der Jerusalemer Liturgie. Das altarmenische Lektionar verdeutlicht hingegen, dass sie in einen größeren Horizont eingebettet ist. Es handelt sich hier um eine Überschreitung der Geschichte.

 

Im Targum, der aramäischen Übersetzung des Alten Testaments, gibt es eine Tradition der Vier Nächte: Weltschöpfung (Gen 1) – Opfer Abrahams (Gen 22) – Befreiung aus Ägypten (Ex 14) – Vollendung der Welt (Jes 60). Jüdische und christliche Ostertradition sind sich hier nah.

 

Gen 1; Gen 22 und Ex 14 gehören zum Grundbestand der alten und universalen Tradition der Lesungen für die Ostervigil.

 

Das georgische Lektionar bearbeitet die Jerusalemer Leseordnung: Die 2. Lesung ist auf Vers 19 erweitert, die 3. Lesung bis Vers 42, die 7. Lesung bis 39,35, die 12. Lesung bis Vers 96. Die 8. Lesung ist dagegen auf 4 Kön 2,1-14 gekürzt.

 

Gründe für diese Änderungen sind: Die 2. Lesung ist um eine biographische Notiz erweitert (historisierende Tendenz). Die 3. Lesung weist mit Vers 42 auf die Nacht des Wachens, die Ostervigil, hin. Die 8. Lesung streicht die Heilung des Wassers und damit den Hinweis auf die Taufe. Die 12. Lesung verweist mit Vers 96 auf Gott, der allein auf diese Weise retten kann.

 

Das älteste syrische Lektionssystem ist in der Handschrift Add. 14528 des Britischen Museums, die aus dem 6. Jahrhundert stammt, erhalten. Die Redaktion erfolgte wohl im 5. Jahrhundert. Es bietet für die Ostervigil folgende 12 alttestamentliche Lesungen: Spr 30,1-14a; Hiob 27,1-28,28; Dan 3,23-4,3; Jonas 1,17b-4,11; Jos 2,1-24; 2 Kön 24,1-25; 4 Kön 2,1-15a oder 4,8-37; Jer 16,16-17,13; Ez 37,15-28; Jes 52,1-10 oder 60,1-22; Gen 22,1-19; Ex 12,51-14,26. Darauf folgen Ps 29 mit der Antiphon Vers 3a, 1 Kor 15,1-26 oder Eph 1,1-2,22, Alleluja mit Ps 92 und Mt 28,1-7b (Dort werdet ihr Ihn sehen).

 

Mehr als die Hälfte dieser Lesungen geht mit dem altarmenischen Lektionar auf einen gemeinsamen Grundbestand zurück: Dan; Jonas; 4 Kön 2; Ez; Jes 60; Gen; 1 Kor 15 und Mt.

 

Allerdings fällt auf, dass die alttestamentlichen Lesungen eine aufsteigende Ordnung haben. Weisheit und Hiob stehen der weltlichen Weisheit nahe. Darauf folgen Josua und Könige, die sich mit Weltgeschichte beschäftigen. Diese Anordnung steht im Gegensatz zur Jerusalemer Leseordnung. Es ist außerdem eine Neuerung, dass Schriftlesungen zur Auswahl angeboten werden (Spr; 2 Kön; Jes). Manche Lesungen sind unverhältnismäßig lang. Die syrische Leseordnung ist also wohl nicht ein Stück gewachsener Gemeindeliturgie, sondern die bewusste Schöpfung einer Einzelpersönlichkeit.

 

 

Die Heilige Woche

 

 

Zunächst fällt auf, dass die Heilige Woche eine Einheit für sich darstellt. Sie beginnt wie die Ostervigil mit der Verlesung des Anfangs der Heiligen Schrift. Dies weist darauf hin, dass vor der Einführung der Vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern lediglich ein sechstägies Fasten üblich war. Nur der Montag bis Freitag sind mit alttestamentlichen Lesungen ausgestattet, da nur an diesen Tagen streng gefastet wird. An Samstagen und Sonntagen der Fastenzeit ist das Fasten weniger streng und es wird eucharistische Liturgie gefeiert. Diese Tage gelten als die Tage der Gegenwart des Herrn; daher werden sie durch neutestamentliche Lesungen ausgezeichnet.

 

Von der Struktur her sind die Lesegottesdienste von Montag bis Mittwoch regelmäßig gebaut, am Donnerstag und Freitag dagegen unregelmäßig. Die Unregelmäßigkeit ist Zeichen hohen liturgischen Alters. Diese Gottesdienste sind älter als die der ersten drei Tage der Heiligen Woche.

 

Der Donnerstag ist dadurch hervorgehoben, dass seine erste Lesung der zweiten Lesung der Osternacht entspricht. Der Freitag ragt durch die hohe Zahl seiner Lesungen und durch mehrfachen Gottesdienst heraus. Der Gottesdienst der zehnten Stunde weist zwei Lesungen auf, die auch in der Sechsten Stunde begegnen. An den Mittwochen der Fastenzeit begegnen sonst zwei alttestamentliche Lesungen, außer am Mittwoch der 2. Woche.

 

Welcher Gottesdienst ist älter? Für die 10. Stunde spricht die Schlichtheit der zwei Lesungen. Andererseits könnte der Gottesdienst der 6. Stunde in seiner Länge eine Reminiszenz an das alte Fest der Quartodezimaner sein, die Ostern am 14. Nisan, in der Nacht nach der Kreuzigung Jesu feierten. Hier zeigt sich eine Nähe zum jüdischen Osterfest. Die Quartodezimaner fasten am Osterfest. Inhalt ihres Gottesdienstes ist die Trauer über das Leiden und den Tod des Herrn.

 

Am Donnerstag und Freitag steht die Kommentierung des Leidens Christi im Vordergrund.

 

Am Montag bis Mittwoch ist zunächst eine Auszeichnung durch drei alttestamentliche Lesungen festzustellen. Das Auswahlprinzip ist: Je ein Buch aus dem Pentateuch, aus der Weisheitsliteratur und aus den Propheten. Die Lesungen erklären den Sinn des Leidens und Todes Christi. Die Themen sind: Sünde und Erlösung, Mahnungen zu einem der Weisheit entsprechenden Leben, überraschenderweise auch Trost, weil das nahe Osterfest seinen Schatten vorauswirft.

 

Das georgische Lektionar kürzt am Großen Freitag in der 6. Stunde die Sacharja-Lesung auf 14,5-9 statt 14,5-11. Damit ist der Satz: „Jerusalem wird sicher bleiben“ gestrichen, der für Georgien nicht so interessant ist. Jetzt endet die Lesung mit: „Der Herr wird dann  König sein über die ganze Erde“. Diese Aussage war einem so entlegenen Land sicher nicht unrecht. Außerdem lässt sich in diesem Gottesdienst das Wachsen der Liturgie beobachten. Unmittelbar an die Sechste Stunde wird die Vesper angefügt, die zwei weitere alttestamentliche Lesungen enthält: Jes 57,1-4; 59,15-21: Der Gerechte kommt um, Gemäß den Taten wird der Herr vergelten, und Klgl 3,52-66: Die Wasser gingen über mein Haupt.

 

Die erste bis sechste Fastenwoche

 

Diese Wochen stellen die entwicklungsgeschichtlich nächste Stufe des Kirchenjahres dar. Wir schreiten also von Ostern aus rückwärts, um das allmähliche Wachsen der liturgischen Ausgestaltung des Kirchenjahres nachzuvollziehen. Die Gottesdienste finden jeweils zur 10. Stunde statt.

 

 

Der Mittwoch der 1. und der 3.-6. Fastenwoche hat jeweils zwei alttestamentliche Lesungen. Alle Freitage sowie die zweite Fastenwoche als alter Fastenbeginn sind ausgezeichnet durch drei Lesungen. Gelesen werden:

 

 

Die Lesung aus den Büchern Exodus und Sprüche erfolgt in lectio continua. Die Lesung aus Micha und Sacharja geschieht nach dem Prinzip der Eklogadie. Dtn, 1 Kön, Hiob, Joel, Jes und Jer werden in Bahnlesung (E.Ranke) vorgetragen. Dabei wird die Abfolge des biblischen Textes eingehalten, aber einzelne Abschnitte werden ausgespart.

 

Thematisch ist der Stoff folgendermaßen aufgeteilt:

 

 

Diese sechs Wochen stehen eigenständig da. Dies zeigt, dass der Beginn der Fastenzeit als Kirchliches Neujahr angesehen wurde. Daher beginnt die Lektüre biblischer Bücher mit ihrem Anfang.

 

Deutlich ist der Zusammenhang mit der Ostervigil. Ihre 3. und 5. Lesung (Ex), 6. Lesung (Jes), 7. Lesung (Hiob) und 9. Lesung (Jer) stellen Fortsetzung und Gipfelpunkt der Leseordnung der Fastenzeit dar. Dieses Lesesystem hat sich also aus der Ostervigil entwickelt.

 

Das syropalästinensische Lektionar stammt aus der Zeit nach 843. In diesem Jahr wird der Sonntag des Anathema eingeführt. An diesem ersten Sonntag der Großen Fastenzeit wird des Sieges der Ikonenverehrung mit dem VII. Ökumenischen Konzil gedacht. Dieser Sonntag begegnet bereits im Lektionar. Der Grundbestand des Lektionars stammt allerdings aus dem frühen 6. Jahrhundert. Es lässt sich in Bezug auf die alttestamentlichen Lesungen der Fastenzeit an zwei Stellen direkt mit dem altarmenischen Lektionar vergleichen:

 

 

Aus der Gegenüberstellung der Lesungen in der Fastenzeit im syropalästinensischen Lektionar, verglichen mit denen im altarmenischen, wird deutlich, dass bei den Syropalästinensern das Jerusalemer Lesesytem zugrundeliegt, aber vielfach deformiert wird. Die Joellesung des 3. Mittwochs wird auf Vers 27 verkürzt und auf den 3. Freitag verschoben. Die Jesajalesung des 3. Freitags ist von Jes 42,1-8a auf Jes 42,5-10 geändert und auf den 4. Freitag verschoben. Das syropalästinensische Lesesystem macht einen trümmerhaften und verworrenen Eindruck.

 

In der Fastenzeit findet die Katechumenenunterweisung statt. Dafür sieht das altarmenische Lektionar folgende altestamentliche Lesungen vor:

 

 

Bei der Katechumenenunterweisung wird also durch die Lesungen in folgende Themen eingeführt: Taufe, Bekehrung und Sündenvergebung. Das Glaubensbekenntnis wird durch Abschnitte der Schrift erläutert: Der Eine Gott und Schöpfer. Die Menschwerdung, das Leiden, die Verherrlichung und das Gericht Christi. Die Auferstehung der Toten.

 

Das georgische Lektionar hat der Katechumenenunterweisung einen liturgischen Rahmen gegeben. Sie sind in den Gottesdienst der Dritten Stunde der 5. und 6. Fastenwoche eingefügt (Montag bis Freitag). Sieben der neun alttestamentlichen Lesungen stimmen beim georgischen mit dem altarmenischen Lektionar überein, davon drei an der gleichen Stelle.

 

Die Epiphanievigil

 

Die Große Fastenzeit und das Osterfest gehören dem beweglichen Kirchenjahr an;  Epiphanie gehört zum unbeweglichen. Die Epiphanievigil steht am Beginn des altarmenischen Lektionars. Sie wird am 5. Januar zur 10. Stunde gefeiert und enthält elf alttestamentliche Lesungen:

 

 

Die Bedeutung des Epiphaniefestes lässt sich daraus ersehen, dass es eine Vigil besitzt. Eine Vigil zeichnet ein Fest aus. Die 1., 3. und 11. Lesung schlagen die Brücke zur Ostervigil. Ostern ist das Fest aller Feste, daher gibt es in der Epiphanievigil Anlehnungen an die Leseordnung der Ostervigil.

 

Die Feier der Epiphanie ist das ursprüngliche Gedenken der Geburt Christi. In Jerusalem konnte erst 560 durch Kaiser Justinian das Fest am 25. Dezember eingeführt werden, während es ringsum schon gefeiert wurde. Das altarmenische Lektionar vermerkt am 25. Dezember: An diesem Tage feiert man in anderen Städten die Geburt Christi. Die Gegner der chalzedonensischen Zwei-Naturen-Lehre aus dem Jahre 451 sahen im neuen Fest ein Auseinanderreißen von ewiger (6.1.) und irdischer (25.12.) Geburt Christi.

 

Mit dem Fest der Epiphanie wird der Zyklus des Erlösungsmysteriums eröffnet. Es enthält im Keim das Ostergeheimnis. Umgekehrt setzt die Feier des Osterfestes das Geheimnis der Menschwerdung Gottes voraus und stellt seinen Zielpunkt dar.

 

Mit elf Lesungen ist der Rang der Epiphanievigil gegenüber der Ostervigil etwas vermindert. Prägend sind die Lesungen aus dem Buche Jesaja in der 2. sowie 6. bis 10. Lesung (Jes 7,10-17; 9,4b-6; 11,1-9; 35,3-8; 40,10-17; 42,1-8a). Jesaja gilt als Prophet der Geburt des Messias. Die Lesung aus Micha ist wegen der Erwähnung des Ortes Bethlehem gewählt. Am Ort, an welchem die Hirten die Botschaft der Engel vernahmen, welche die Geburt Christi verkündeten, wird dieser Gottesdienst gefeiert. Die Lesung aus dem Buche der Sprichwörter setzt Christus mit der Weisheit gleich. Paulus greift dies in 1 Kor 1,23f auf: Wir verkünden Christus als Gottes Weisheit.

 

Nach dem syropalästinensischen Lektionar wird das Fest der Geburt Christi, hier als Theophanie bezeichnet, am 25. Dezember gefeiert. Der Begriff Theophanie blieb später allein der Feier am 6. Januar vorbehalten. Am 6. Januar wird die Wasserweihe und damit das Fest der Taufe Christi im Jordan begangen. Vier alttestamentliche Lesungen der Epiphanievigil sind dem altarmenischen und dem syropalästinensischen Lektionar gemeinsam. Sie wurden lediglich auf die Vigil der Theophanie am 25.12. übertragen. Es handelt sich bei den vier Lesungen um die folgenden:

 

 

 

Die 2. und die 4.-7. Lesung des altarmenischen Lektionars bleiben erhalten, werden aber wesentlich modifiziert. Die gesamte Leseordnung wird stark reduziert, um den langen Gottesdienst zu kürzen.

 

Das viergliedrige Schema, das auch in der Ostervigil des syropalästinensischen Lektionars begegnet, ist ein altertümlicher Brauch der Lauren und Landgemeinden Palästinas.

 

Es sind hier also zwei Bewegungen möglich:

 

 

Heiligenfeste

 

 

Bisher waren alttestamentliche Lesungen nur im Zusammenhang mit dem Stundengebet begegnet. Bei den Heiligengedenktagen finden sie sich jedoch auch in der eucharistischen Liturgie. Allerdings ist vor dem Evangelium jeweils noch eine Lesung aus den neutestamentlichen Briefen oder aus der Apostelgeschichte eingefügt. Alttestamentliche Lesungen stehen nie selbstständig dem Evangelium gegenüber.

 

Es handelt sich in der Hauptsache um Gedenktage, die sich auf Gestalten aus oder Begebenheiten in der Umgebung Jerusalems beziehen. Es sind Lokalfeste Jerusalems. Das Fest des Propheten Jesaja könnte als Gegendatierung (H.Goussen) zum 6. Januar auf den 6. Juli gelegt worden sein, da Jesaja die Geburt des Messias ankündigt. Der Ort des Theotokos-Gedächtnisses am 15. August ist der 3. Meilenstein vor Bethlehem, der im Protoevangelium des Jakobus 17,2 als Ruheort der ermüdeten Maria eine Rolle spielt. Das Fest könnte um 434 eingeführt worden sein, und zwar als Echo auf die Entscheidung des Ökumenischen Konzils von Ephesus im Jahre 431.

 

Die Lesungen entstammen nach Möglichkeit Schriften der Heiligen, deren Gedächtnis begangen wird, oder Schriftstellen, an denen sie erwähnt sind, beziehungsweise in denen ein Typos ihres Gedächtnisses gesehen wurde. Unter dem Propheten Zacharias wird der im Evangelium erwähnte Sohn des Barachias verstanden. Die Tagesperikope ist Mt 23,34-24,1a. Die Lesung aus dem Buche Sacharja erfolgt aufgrund der Namensgleichheit.

 

Im georgischen Lektionar ist der Heiligenkalender gegenüber dem altarmenischen Lektionar ungleich stärker entwickelt. Auch das Lesesystem ist ausgeweitet worden. Hier folgen einige Beispiele mit alttestamentlichen Lesungen:

 

 

Der 17. Januar hat im altarmenischen Lektionar nur neutestamentliche Lesungen, die in fast gleicher Abgrenzung auch im georgischen Lektionar aufgeführt werden. Die übrigen Gedächtnistage wurden neu eingeführt. Jeder Tag des Jahres ist im georgischen Lektionar bereits mit einer Gedächtnisfeier oder mit mehreren Gedächtnissen ausgestattet. Darin zeigt sich ein später Zustand der Entwicklung des Kirchenjahres.

 

Bei den alttestamentlichen Lesungen spielen die Weisheitsbücher eine große Rolle, gefolgt von den Prophetenbüchern. Auch an Festen christlicher Heiliger wird jetzt häufig das Alte Testament gelesen. Dies begegnete im altarmenischen Lektionar in der eucharistischen Liturgie nur am Feste Maria Theotokos.

 

In der Textauswahl zeigen sich Schemata. Häufig wird auf andere Gedächtnistage verwiesen, welche die gemeinte Lesung aufführen. Auch das Commune ist stark erweitert. Im altarmenischen Lektionar gibt es nur die Weihe aller Altäre.

 

Im syropalästinensischen Lektionar begegnen vier Formulare, für alle Heiligen, Propheten und Patriarchen, Weihe der Kirchen und für heilige Frauen. In beiden Lektionaren (dem syropalästinensischen und dem altarmenischen) sind dem Commune nur neutestamentliche Lesungen zugeteilt.

Im georgischen Lektionar gibt es ein weiter entfaltetes Schema. Es finden sich Formulare für die Gottesmutter, das Kreuz, die Apostel, die Märtyrer, Hierarchen, Gerechten, Selige und Bekenner, für Könige, zur Feier der Kirchgründung und der Kirchweihe. Bis auf die Liturgieformulare für Propheten und Könige begegnen immer auch alttestamentliche Lesungen. Bei den Gedächtnissen einzelner  Propheten sind Lesungen angegeben, die aus deren Schriften stammen oder deren Namen enthalten. Das Commune der Propheten enthält allerdings nur neutestamentliche Lesungen.

 

Gelesen werden im Commune überwiegend Weisheitsbücher, in zweiter Linie Prophetenbücher. Am Tage der Gründung einer Kirche wird auch Gen 28,5-22 (Dies ist das Haus Gottes), bei der Kirchweihe auch Ex 40,15-32 (Die Weihe des Heiligtums) sowie 3 Kön 7,51-8,67 (Die Überführung der Bundeslade in den Tempel) gelesen. Bei beiden Gedenktagen sind aus dem Alten Testament auch mehrere Prophetenlesungen und jeweils ein Abschnitt aus den Weisheitsbüchern vermerkt.

 

Das alttestamentliche Lesesystem des altarmenischen Lektionars

 

 

Die Prophetenlesungen nehmen den größten Raum ein. Unter ihnen genießt das Buch Jesaja besondere Wertschätzung.

 

Nie gelesen werden im Jerusalemer Gottesdienst folgende alttestamentliche Bücher: Lev, Num, Ri, Rut, 3 Kön, 1 Chr, 2 Chr, Esra, Neh, Est, Jdt, Tob, 1 Makk, Koh, Hld, Weish, Sir, Hos, Obd, Nah, Hab, Zef, Hag, Mal, Bar, Klgl.

 

Alttestamentliche Lesungen kommen bei folgenden Gelegenheiten vor: In der Epiphanievigil, in der Katechumenenunterweisung (hier noch ohne liturgischen Rahmen), in der Fastenzeit (Lesegottesdienst der 10. Stunde), in der Heiligen Woche, in der Ostervigil, bei Gedenktagen alttestamentlicher Heiliger, der Bundeslade und der Theotokos (in der eucharistischen Liturgie).

 

Das Alte Testament passt besonders zu den Vigilien und zur Fastenzeit, in welcher sich die Christen auf das Kommen des Herrn vorbereiten. Im Alten Testament wird der Herr angekündigt und sehnlichst erwartet. In der eucharistischen  Liturgie gibt es nur dann eine alttestamentliche Lesung, wenn es der Inhalt des Gedenktags nahelegt.

 

Ein Sonderfall sind die Psalmen. Sie stellen keine Lesungen dar, sondern sind Gebete. Als Antiphonen deuten sie, in welcher Weise die Lesungen verstanden werden. Damit haben sie eine hermeneutische Schlüsselstellung.

 

Das älteste erhaltene syrische Lektionssystem ist charakterisiert durch Bearbeitung und eigenwillige Anordnung des Stoffes.

 

Das syropalästinensische Lektionar bietet den Eindruck einer Auflösung der Jerusalemer Leseordnung.

 

Das georgische Lektionar ist vom Stoff her stark erweitert, nicht nur hinsichtlich der alttestamentlichen Lesungen. Deutlich lässt sich das allmähliche Wachsen der Liturgie beobachten. Allerdings war bereits im 11. Jahrhundert in Vergessenheit geraten, dass diese Leseordnung ursprünglich aus Jerusalem stammt.

 

Das Gedächtnis für alttestamentliche Heilige und das Fest der Bundeslade weisen auf die wurzelhafte Verbindung des Christentums mit dem Ursprung hin (Röm 11,18b). Die Lese- und Kultordnung Jerusalems dient im 4. und 5. Jahrhundert als Modell für andere Kirchen. Pilger aus aller Welt strömen nach Jerusalem und versuchen zu Hause, das Gesehene und Erlebte nach Möglichkeit umzusetzen. Neben der dramatischen Kraft der Gottesdienste am Ort des Geschehens wirkt auch die archaische Kraft des Zusammenschauens (B.Fischer) faszinierend. Schriftlesung und Liturgie sind vergegenwärtigende Verkündigung (R.Zerfaß).

 

Bibliographie

 

 

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