Leiden

 

 

Aus dem Tagebuch: „Wiederum war der Storch bei uns eingekehrt. Er hatte uns einen Jungen gebracht, und zwar am 26. Mai 1904. Er sollte Otto heißen. Mitte Dezember stellten sich bei ihm die Fraisen[1] ein, zweimal täglich und häufiger. Bis Weihnachten hatte er schon 19 Anfälle überwunden. In den Frühjahrsmonaten 1905 bekam Otto immer häufiger seine Fraisenanfälle, und wir hatten wenig Hoffnung, ihn am Leben zu erhalten.“

 

„Hermann geht nun in die Schule. Auch Otto hat sich herausgemausert, als nach einem Jahre die Fraisen aufhörten. Die Mutter hat aber mit dem Jungen viel mitgemacht. Was hat er zusammengeweint in seiner Krankheit, wie viele Nächte mußten geopfert werden, und bei Tag jagte eine Arbeit die andere!“

 

„Otto war 1918 bei uns regelrecht als Lehrling eingeschrieben.[2] Er hat auch die Fortbildungsstätte besucht.“

 

„Otto war in Gablonz in Stellung bei einem Glasexportgeschäfte.“[3]

 

„Am 2. Jänner 1926 ist Otto mit Tante Emma nach Italien gefahren. Das rauhe Klima in Gablonz war für sein Asthmaleiden Gift, und der Arzt hatte ihm empfohlen, sich in Sizilien eine Stellung zu suchen. Er hatte auch bei einer großen Exportfirma in Palermo einen Posten angenommen, und Emma war so besorgt um ihn, daß sie daheim alles im Stiche ließ und mitgefahren ist, um bei ihm Mutterstelle zu vertreten.“[4]

 

„Am 16. April 1929 fuhren Johanna und Tante Emma mit dem Volksbunde nach Italien. Von Rom aus sind sie dann allein nach Sizilien gereist. Von Palermo aus haben sie mit Otto[5] die landschaftlich schönsten Orte und Tempelstätten besucht, Taormina, Syrakus, Messina, die britische Insel Malta. Dann machten sie eine Überfahrt nach Nordafrika. Von Tripolis aus wurde auch eine Autofahrt in die Wüste unternommen. Otto hätte gern noch Tunis und besonders auch die Riviera besucht, aber Johanna hatte es gründlich satt und wollte nur heim. Auf dem mittelländischen Meere hatte sie die Seekrankheit erwischt, und das hat ihr dann die ganze Reise verleidet. Sie waren einen reichlichen Monat unterwegs gewesen. Sie konnten daheim nicht genug erzählen von der Schönheit und Eigenart dieser Reise.“

 

Otto: „Am schlimmsten war es in Syrakus, wo ich in einem halben Jahr nach einer Vorlage, die aber ein Schmierheft war, die ganze Buchführung neben der laufenden Arbeit nachholen mußte. Ich war vorher nie Buchhalter, jetzt hatte ich alles in italienischer Sprache zu bearbeiten, dazu noch in einem dunklem Verschlag. Im Nebenraum kreischte fast ständig die Kreissäge (Kisten für Zitronen usw. wurden hergestellt), und die Tür war meist offen.“

 

Aus dem Tagebuch: „Otto hatte 1929 den Maturakurs in Reichenberg besucht, und wir waren lange im Unklaren, was er damit bezwecken wollte. Nun erst rückte er mit der Farbe heraus, daß er Theologie studieren wollte. In Mariaschein hat er dann Ende Mai 1930 ein zweitesmal maturiert, diesmal über die Gymnasialfächer, und selbstverständlich mit sehr gutem Erfolge, wie es bei ihm nicht anders zu erwarten war. Es war keine Kleinigkeit, innerhalb eines Jahres den ganzen Stoff zu bewältigen, zu dem andere die ganze Gymnasialzeit brauchen.[6] In den Ferien 1935 ist er in ein tschechisches Kloster gefahren, um sich in der tschechischen Sprache praktisch zu betätigen. Er war seit Beginn des neuen Schuljahres, seit Herbst 1937, als Präfekt der oberen Gymnasialklassen in Mariaschein tätig.“

 

Otto

 

Otto: „In zehn Monaten hatte ich mich auf die Matura vorzubereiten, nachdem ich acht Jahre in keiner Schule mehr war. In den Ferien war ich stets beschäftigt. Bereitete Geschichte der Philosophie für den Druck vor. Unser Professor sagte, er mußte fast nichts ändern. Vorträge in allen Vereinen. Jugendbund, Gesangsproben. Manchmal war ich die ganze Woche keinen Tag zu Hause. Im 5. Jahre Theologie war ich Kommunitätspräfekt für 160 Theologen.

 

 

Primiz Otto

 

 

 

Die Primiz von Otto fand am 16. März 1936 in Deutsch-Gabel statt. Seine „Primizbraut“ ist Agnes.

 

Das Gebet auf seinem Primizbild lautet:

 

„O Jesus Christus, ich huldige Dir als dem König der Welt. Alles, was geschaffen ist, wurde für Dich gemacht. Verfüge über mich als über Dein Eigentum. Ich erneuere mein Taufgelübde und widersage dem Teufel, seiner Pracht und seinen Werken und verspreche, als guter Christ zu leben. Ganz besonders verpflichte ich mich, alle Kräfte aufzubieten, um den Rechten Gottes und Deiner Kirche zum Siege zu verhelfen. Göttliches Herz Jesu, Dir übergebe ich meine armseligen Handlungen in der Absicht, daß alle Herzen Dein heiliges Königtum anerkennen und so Dein Friedensreich auf der ganzen Welt fest begründet werde. Amen.“

 

Der junge Otto

 

Otto: „Letzte Monate als Priester Aushilfe in der Seelsorge, auch Predigten. Danach wurde alles zweisprachig im Seminar. Im zweiten Noviziatsjahr hatte ich 45 Oktavaner[7]. Oft unterrichtete ich in verschiedenen Gegenständen, auch drei Stunden nacheinander.“

 

Aus dem Tagebuch: „Ende Dezember 1943 wurde Otto nach Podersanka versetzt. Am 24. April 1944 habe ich ihn dort besucht. Ich fuhr mit dem Frühschnellzuge über Komotau, Saaz, Pladen nach Jechnitz. Von dort ging ich die letzten fünf Kilometer zu Fuß nach Podersanka. Dies ist ein kleiner Ort. Er hatte weder Post noch Auto- oder Bahnverbindung. Das Pfarrhaus, das lange unbewohnt war, war ganz baufällig. Das Schindeldach schadhaft, die Küche klein und unfreundlich, der Ofen wärmte nicht, die Pumpe gab kein Wasser. Mit seinen drei Filialkirchen, die vier bis fünf Kilometer entfernt sind, wird sich Otto gesundheitlich zugrunderichten.“

 

 

 

 

 

                   „Am 21. Feber 1947 erhielt ich endlich einen ausführlichen Brief von Otto. Er hat seine Pfarrei in Podersanka aufgegeben.“

 

 

Grulich (Králíky), Bezirk Senftenberg. Östlichste Stadt Böhmens, im Adlergebirge. Auf dem Marienberg (760 m) entstand 1706 ein Servitenkloster mit einer Wallfahrtskirche, 1883 von den Redemptoristen übernommen. Im Kloster wurden nach 1945 Priester interniert, die zum Holzfällen eingesetzt wurden.[8]

 

 

Grulich

 

 

 

Aus dem Tagebuch: „Otto schrieb dann wieder im Juli 1952. Er war zu dieser Zeit schon seit vier Monaten am Muttergottesberg bei Grulich[9]. Dort hat man gegen hundert alte und kranke Geistliche in einem Kloster untergebracht. Er schrieb, daß dort der Winter sehr lang ist, und zur übrigen Jahreszeit sei es häufig rauh und neblig. Was wird er da mit seinem Asthma ausstehen!“

 

 

 

Gnadenbild in Grulich

 

 

Otto: „1956 mußte ich gegen meinen Willen nach Moravec. Am Tag vor der Abreise arbeitete ich noch. Seit einem halben Jahr war ich beim Umbau der Schule in Grulich beschäftigt. Abends sagte man mir, ich müsse mit, Fahrkarte sei schon gekauft.“

 

 

Moravec

 

 

Aus dem Tagebuch: „Am 8. November 1956 kam endlich wieder eine Karte von Otto. Er teilte mit, daß er sich jetzt mit 80 alten und kranken Ordensleuten in Moravec befindet. Dort bewohnen sie drei alte Häuser. Er sehnt sich aber zurück in seine kalte Kammer, weil er dort allein war. Jetzt sind mehrere in einem Zimmer, und er kann nicht schlafen. Er arbeitet auch wieder im Wald wie in Grulich.“

 

Ottos Grab

 

 

Am Friedhof in Moravec hielt sich Otto gerne auf. Er starb am 9. August 1974.

 

Otto am Friedhof

 

Hauptseite

 

 

 

 



[1] Fraisen (althochdeutsch freisa: Gefahr, Not) – Krämpfe (bei kleinen Kindern).

[2] Otto wurde am 6.7.1918 aus der Knabenbürgerschule in Deutsch-Gabel entlassen. Er erhielt u.a. in französischer Sprache das Prädikat „lobenswert“, in Stenographie („Gabelsberger Kurzschrift“, vgl. Franz Xaver Gabelsberger, Anleitung zur deutschen Rede-Zeichen-Kunst oder Stenographie, München 1834) „vorzüglich“. In böhmischer Sprache hatte er hier offensichtlich keinen Unterricht erhalten.

[3] Firma M.D.Urabin, Gablonz, 20.6.1924: „Zeugnis mittelst welchem ich bestätige, daß Herr Otto vom 13.12.1923 bis zum 30.6.1924 bei mir als Kontorist tätig war. Er fand bei der Erledigung der englischen Post nach meinem deutschen Diktate Verwendung und hat sich als gewissenhaft, fleißig und ehrlich erwiesen und kann ich ihn jedermann bestens anempfehlen.“

[4] Aus den Zeugnissen der Firma Zimmer & Schmidt in Gablonz vom 5.12.1925: „Herr Otto aus Deutsch-Gabel war vom 1.7.1924 bis zum heutigen Tage in unserem Hause als Kontorist in der Buchhaltungs-Abteilung in Verwendung, wo er hauptsächlich die mit der Buchhaltung zusammenhängenden fremdsprachigen Banken- und Vertreter-Korrespondenz, und zwar in englisch, französisch und spanisch, sowie des öfteren auch andere laufende Korrespondenz zu erledigen hatte.“ – „Come impiegato il Sig. è di molto intelligenza e possiede buono cognizioni comerciali. Specialmente è ottimo corrispondente di lingue straniere conoscendo perfettamente il tedesco, il francese, l’inglese, lo spagnuolo ed il cecco, avendo anche qualche conoscenza della lingua italiana e come è dottata di una gran buona volontà non dubbiamo che fra poco non sarà maestro anche della lingua italiana.“ Für den 8.3.1926 bestätigt die Obsthandelsfirma Fratelli Jung (Palermo) seine Beschäftigung bei ihr. Nach der sprachlichen Fortbildung wird er dann ab dem 1.6.1926 bei ihr als Fremdsprachenkorrespondent eingesetzt.

[5] Ab dem 27.6.1928 lebte Otto in Syrakus. Er arbeitete seit dem 15.11.1928 bei der Firma Francesco Milazzo & Figli. Diese stellte ihm am 30.4.1929 ein Zeugnis aus, in dem es u.a. heißt, daß er in italienisch, französisch, englisch und spanisch auch stenographieren kann. Im Zeugnis vom 27.12.1929 schrieb diese Firma u.a., daß er Französisch, Englisch und Italienisch wie seine Muttersprache beherrscht.

[6] Die Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung (Berlin-Schöneberg) bestätigt Otto am 28.5.1930, daß er nach der Methode Toussaint-Langenscheidt die lateinischen Unterrichtsbriefe studiert und auf Grund einer gestellten Prüfungsaufgabe für eine schriftliche Arbeit das Prädikat „Gut“ erhalten habe. Im Reifezeugnis des Bischöflichen Gymnasiums in Mariaschein vom 24.9.1931 werden ihm in den Sprachen folgende Zensuren verliehen: Čechoslovakische Sprache: sehr gut, Lateinische Sprache: gut, Griechische Sprache: genügend

[7] Oktavaner (österreichisch) –Schüler der achten Klasse.

[8] R.Hemmerle, Sudetenland-Lexikon, Würzburg 41992, 175.

[9] P. Jan Pavlík SJ schreibt in seinem Brief vom 31.7.1996 über Otto: „In Králíky wurde er ein Waldarbeiter.“