Das Altarkreuz von Bernhard Gewers

 

 

Im Jahre 1965 wurde die Neue Kirche in Horneburg mit Stein- und Bronzearbeiten des Künstlers Bernhard Gewers (1927-2012) ausgestattet. Das zentrale Altarkreuz zieht die Blicke auf sich. Vorder- und Rückseite des Kreuzes sind gleichgestaltet.

 

 

Das Antlitz des Gekreuzigten ist von Leiden gezeichnet und drückt Ergebung aus. Die Rippen treten infolge der Atemnot stark hervor. Der Bauch ist eingefallen. Die Arme umfangen gleichsam den ganzen Kosmos. Die parallelen Beine folgen alter Tradition, die in der Orthodoxie bewahrt worden ist. Die Gotik hatte die Füße aufeinander genagelt dargestellt, um den Schmerz zu betonen. Die überlängte, lichtschimmernde Gestalt deutet auf die Auferstehung hin.

Bevor die vier Lebewesen an den Enden des Kreuzes vorgestellt werden können, ist es notwendig, ein Prophetenwort zu lesen:

„Ein Sturmwind kam von Norden her, eine große Wolke und ein Feuer, das hin- und herzuckte, und Glanz war rings um sie [die Wolke] her. Aus seiner Mitte, aus der Mitte des Feuers [strahlte es] wie das Funkeln glänzenden Metalls. Aus seiner Mitte her erschien die Gestalt von vier lebenden Wesen; dies war ihr Aussehen: Die Gestalt eines Menschen hatten sie. Vier Gesichter hatte jedes und vier Flügel hatte jedes von ihnen. Ihre Beine waren gerade Beine und ihre Fußsohlen wie die Fußsohlen eines Kalbes; sie funkelten wie das Funkeln blanker Bronze. Menschenhände waren unter ihren Flügeln an ihren vier Seiten; die vier hatten ihre Gesichter und ihre Flügel. Ihre Flügel berührten sich, einer mit dem anderen; sie wandten sich nicht um, wenn sie gingen; sie gingen, ein jedes gerade vor sich hin. [Das war] die Gestalt ihrer Gesichter: Das Gesicht eines Menschen und das Gesicht eines Löwen hatten die vier rechts, das Gesicht eines Stieres hatten die vier links, das Gesicht eines Adlers hatten die vier.“ (Ez 1,4-10).

 

 

Ein Engel mit Heiligenschein, Flügeln und gefalteten Händen. Unter ihm ist das leere Grab Christi mit den Leinentüchern: „Da kommt Simon Petrus, der ihm folgte, ging hinein in die Gruft und sieht die Leinentücher daliegen und das Schweißtuch, das auf seinem Haupte war, nicht zwischen den Leinentüchern liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem [besonderen] Ort.“ (Joh 20,6f).

Eine zweite Deutung weist auf das achtendige Kreuz, mit Aufschrift, Querbalken (patibulum) und gerader Fußstütze. Dies entspricht dem Kreuz der griechisch-katholischen Kirche.

Eine dritte Auslegung deutet dieses Zeichen als Kreuz des Petrusamtes mit Binde- und Lösegewalt im Himmel, in der Kirche und in der Welt: „Ich sage dir: Du bist Petrus [der Fels], und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,18f).

 

 

Eine vierte Interpretation sieht in dem abgebildeten Gegenstand ein Brot. Matthäus berichtete zweimal von einer Brotvermehrung (Mt 14,13-21; 15,32-39). Bernhard Gewers zog eine Verbindungslinie vom Tabernakel (Baum und Brot des Lebens) über das Ambo (Wort des Lebens) zum Kreuz (aus dem Tod Christi erwächst das Leben).

 

Der babylonische Astralgott Nabu ist der Wassermann. Wenn die Sonne in das Sternzeichen des Wassermannes wanderte, markierte dies den Beginn der Regenzeit. Der Wassermann war das Zeichen der Wintersonnenwende. Die Bibel hat die Änderung zum Menschen und weiterhin zum Engel vorgenommen. Mensch oder Engel stehen für den Geist. Sie verkörpern den göttlichen Willen.

Irenäus und Hippolyt (beide um 200) deuteten die vier Lebewesen Ezechiels zum ersten Mal als Evangelisten. Hieronymus und Gregor der Große gaben die heute übliche Zuweisung an.

Das Matthäusevangelium beginnt mit der Genealogie, mit dem Stammbaum Jesu, legt also seine menschliche Herkunft dar (Mt 1,1-17). Daher wird Matthäus durch den Menschen symbolisiert. Der Mensch ist Abbild der Menschwerdung Christi.

Nachdem Jesus vierzig Tage in der Wüste gefastet hatte, bestand er die drei Versuchungen und „siehe, Engel kamen herbei und dienten ihm“ (Mt 4,11). Dies würde das Symbol des Engels für Matthäus erklären.

 

 

Ein mähniger Löwe; seine Vorderbeine stehen, während die Hinterbeine schreiten.

Das Sternbild des Löwen zeigt die Sommersonnenwende an. Der Löwe verkörpert die Kraft und steht zugleich für die Macht Gottes.

Für die Verbindung des Löwen mit der Auferstehung Christi sind zunächst zwei Stellen aus dem Buche Genesis zu lesen und dann eine Fabel, die vor 200 in Alexandrien entstand:

„Da bildete Gott, der Herr, den Menschen [aus] Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Odem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebende Seele“ (Gen 2,7).

„Juda ist ein junger Löwe, vom Raub, mein Sohn, bist du hochgekommen. Er kauert sich hin, er schläft wie ein Löwe und wie eine Löwin. Wer wird ihn wecken?“ (Gen 49,9).

„Wenn die Löwin ihr Junges gebiert, bringt sie es tot zur Welt und umsorgt das Junge, bis der Vater am dritten Tage herbeikommt, ihm ins Gesicht haucht und es so zum Leben erweckt“ (Physiologus 1, hg. v. Francesco Sbordone, Rom 1936; Hildesheim 21991; Stuttgart 2005, 6).

Das Markusevangelium beginnt mit der Bußpredigt Johannes’ des Täufers in der Wüste (Mk 1,1-8). Daher ist sein Symbol der Löwe, der in der Wüste lebt.

 

 

 

Der Stier steht für die Frühlingstagundnachtgleiche. Er verkörpert die Fruchtbarkeit und ist damit auch ein Zeichen für die Schöpferkraft Gottes.

Das Lukasevangelium beginnt mit der Erzählung, dass Zacharias ein Rauchopfer darbrachte (LK 1,8-10). Da zu dieser Zeit auch Tieropfer dargebracht wurden, sah die Tradition statt des Rauchopfers ein Schlachtopfer. Das hervorragendste Opfertier ist der Stier. Damit ist er auch ein Symbol des Opfertodes Christi.

 

 

Der Skorpion steht für die Herbsttagundnachtgleiche. Da es sich hierbei um ein gefährliches und schädliches Tier handelt, wurde es durch den Adler ersetzt. Dieser steht für die Schnelligkeit. Der scharfblickende Adler steht für die Allwissenheit Gottes, aber auch für die Himmelfahrt Christi.

Das ewige Wort kam aus der Höhe (Joh 1,1-18). Daher wurde als Symbol für das Johannesevangelium der Adler gesetzt.

Da die Evangelistensymbole an den Ecken des Kreuzes angebracht sind, verkörpern sie auch die vier Paradiesesflüsse (Gen 2,10-14): Pischon, Gihon, Tigris und Eufrat. Damit ist ausgedrückt, dass der Strom des Lebens, der vom Kreuz ausgeht, und damit auch die Botschaft der Evangelisten, sich auf die ganze Welt erstreckt.

 

Weitere Kunstwerke von Gewers in Horneburg:

·       Der Kreuzweg

·       Die Marienskulptur

·       Weitere sakrale Kunst

 

Bibliographie

·       Gewers, Georg, u. Heimatverein Hagen am Teutoburger Walde e. V., Hg., Bernhard Gewers. Bildhauer und Zeichner. Mit Texten v. Johannes Brand u. Carina Plath, Berlin 2020.

·       Lurker, Manfred, Wörterbuch biblischer Bilder und Symbole, München 1973; München 31987, 220-222 (Lebewesen, die vier).

·       Sachs, Hannelore, Ernst Badstübner u. Helga Neumann, Erklärendes Wörterbuch zur christlichen Kunst, Hanau, Leipzig u. Berlin o.J. [1989]; Regensburg 102012.

 

Für den Text und die Photographien © Pfr. Dr. Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2021

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