Kenosis bei Karsavin

Heinrich Michael Knechten

"Gut ist, wer sich selbst einem anderen hingibt. Güte ist Selbsthingabe. Die absolute Güte ist die völlige Selbsthingabe dessen, welcher alles in sich enthält, an einen solchen anderen, welcher das absolute Nichts ist. Wenn es neben Gott und außerhalb Seiner etwas anderes Selbständiges gäbe, so wäre dieses Andere nicht in Ihm und Er könnte sich nicht völlig hingeben und allgütig sein. Die absolute Güte 'wirft' sich selbst restlos in das absolute Nichts hinaus, welches eben dadurch zu ihrer Aufnahme fähig wird und sie aufnimmt, in der Aufnahme sie aber zum Subjekt macht". (Der Geist des russischen Christentums, 317f).

Lev Platonovič Karsavin wird am 1.12.1882 in St. Petersburg geboren. 1916 ist er an der Petrograder Universität Professor für mittelalterliche Geschichte und für Religionsgeschichte. Ab 1919 lehrt er Theologie am Theologischen Institut Petrograd. 1922 wird er des Landes verwiesen. Nach einer Zeit in Berlin und Paris nimmt er 1928 einen Ruf an die Universität Kaunas (Litauen) an, um seiner Heimat näher zu sein. 1948 wird er verhaftet. Er stirbt an Tuberkulose am 12.7.1952 in Abez (Lager Vorkuta, Autonomes Gebiet Komi, östlich von Archangel'sk). Sein umfangreiches Werk harrt bis heute der Rezeption.

Das Thema des Kreuzes, die Kenosis ist der hermeneutische Schlüssel zu seiner Philosophie. Christus ist nicht gekommen, schreibt er in seinem Hauptwerk "Gedicht über den Tod" (1932), um den Tod auszulöschen, sondern um zu zeigen, dass man nur durch den Tod hindurch zum Leben gelangt. Indem Gott ein absolutes Nicht-Sein wird, ermöglicht Er dem Menschen, Gott zu werden (O načalach, 28).

Karsavin schreibt dem Philosophen ins Stammbuch: In Deiner göttlichen Fülle gibt es keinerlei Bewegung. Ohne diese kann es aber kein Leben oder Liebe geben. Dein "Gott" ist gar kein Gott, sondern ein fühlloser und absurder Götze!

Er liest aber auch dem Theologen die Leviten: Du möchtest die Vollkommenheit Gottes retten. In Wirklichkeit ist Dein Gottvater jedoch ein entarteter Vater, da Er mit der Passion Seines Sohnes nicht mitleidet. So wird der lebendige Gott getötet! (Gedicht über den Tod).

Auf diese Weise hat Karsavin Philosophen und Theologen seiner Zeit vor den Kopf gestoßen. Sie straften ihn durch Nichtbeachtung.

Karsavin führt die Linie Solov'evs fort, die vom Begriff "Alleinheit" (vseedinstvo) geprägt ist. Durch Christus nehmen alle Menschen am trinitarischen Leben des Gottes der Liebe teil.

Einige Werke Karsavins:

Sekundärliteratur zu Karsavin::

Wolfgang Heller, Karsavin

Lubomir Zak, Philosophia crucis

Hauptseite