Hildegard von Bingen
Demut
Als
das Geschöpf im Anfang umherkreiste (circuivit), sodass es in diesem Drang
auffliegen wollte und fiel, da hoben die Schwingen der Liebe es empor. Das war die
heilige Demut. Diese Flügel waren von großer Macht, weil die Demut den
verlorengegangenen Menschen aufhob. Das geschah durch die Menschwerdung des
Erlösers. Die Liebe hat den Menschen erschaffen, die Demut hat ihn erlöst
(Brief an Abt Adam von Ebrach).
Ehrfurcht
In
diesen Tagen werden aber bei den Menschen oft Ausgelassenheit, Überheblichkeit
und eine Fülle von Vergnügungen fern aller Ehrfurcht (reverentia) auftreten
(Liber divinorum operum 10,20).
Das Eine
Halte
dein inneres Erdreich in Ordnung, damit es nicht ohne ergiebigen Ertrag für die
Nachkommen austrocknet. Sammle das Herz auf das Eine und hefte es nicht an die
Maßlosigkeit einer unruhigen Lebensart (Brief an eine Äbtissin).
Feuer
Der
Heilige Geist durchdringt die ganze menschliche Natur. In der Auserwählung zu
jeglichem Guten zieht er sie so an sich, wie die Sonne die Stürme durchdringt
und durchleuchtet, sodass dieses Durchströmen des heiligen Feuergeistes die
schwankende Natur des Menschen besiegt, wie geschrieben steht: „Alles, was aus
Gott geworden ist, überwindet die Welt“ (1 Joh 5,4). (Heilkunde 2).
Das
Feuer des Heiligen Geistes erlösche niemals in dir, sodass du glücklich
ausharrst in Seinem Geheimnis und zur höchsten Seligkeit gelangst (Brief an
Arnold von Trier).
Er
lasse dich in Seinem Feuer brennen, sodass du immer nach Seiner Gerechtigkeit
hungerst (Das Vermächtnis der Gesetzgebung).
Fülle
Wenn
der Mensch mit Gottes Gnade das Gute zu tun beginnt, lebt er noch nicht in der
Fülle der Heiligkeit (Liber de operatione Dei 3,4).
Ganzopfer
ne
in ceremoniis dei deficiat, / sed ut vivens holocaustum / ante altare dei fiat
– dass es (das Volk) nicht lässig werde in Gottes Dienst, dass es als
lebendiges Ganzopfer vor Gottes Altar werde (Symphonia, O Euchari).
Geduld
Ego
sum columna quae molliri non potest, quia fundamentum meum in Deo est. – Ich
bin eine unbeugsame Säule, denn mein Fundament ist in Gott (Ordo virtutum, 2.
Szene).
Glut
Immerdar
entfache die Glut (Scivias 3,6).
Heilkunst
O
clarissima mater / sanctae medicinae, / tu ungenta per sanctum filium tuum /
infudisti / in plangentia vulnera mortis – O du strahlende Mutter der heiligen
Heilkunst: In Wunden und Wehen des Todes hast linderndes Öl du gegossen durch
deinen heiligen Sohn (Symphonia, O clarissima mater).
Herz
Die
Menschen, welche Gott in die Vergessenheit verdrängt haben, sollen die bösen
Geister fliehen, die sie zu dieser Vergessenheit trieben, um in ihr eigenes
Herz zurückzufinden. Sie sollen auf ihren Schöpfer und Seine Werke achthaben
(Liber vitae meritorum 4,66).
Hören
Das
ist die wunderbare Kraft des Heiligen Geistes, der durch Seine Berührung das
rechte Hören in die Herzen glaubensbereiter Menschen hineinhaucht und so in
ihnen die Erkenntnis weckt, wer Gott in der Macht Seiner Gottheit ist (Scivias
3,6).
Licht
Du
schweifst auf vielerlei Straßen umher und suchst nicht nach einem Heilmittel.
Stehe auf, schaue in rechter Maßhaltung zur Sonne und fliehe nicht vor dem
Licht, indem du es durch Ungerechtigkeit herabsetzt (Brief an Erzbischof Daniel
von Prag).
Name
Et
ne nomen tuum in nobis obscuretur. – Und dass Dein Name in uns nicht verdunkelt
wird (Symphonia, O magne pater).
Einer
ist Gott in drei Personen, eines Wesens und mit gleichem Lobpreis zu ehren. Deshalb
glaube ich an den Herrn und vertraue auf Ihn, und in Ewigkeit werde ich Seinen
Namen nicht aus meinem Herzen tilgen (Scivias 3,8).
Nichts
Wer
im Aufstieg seiner Seele die Weisheit von Gott schöpft und sich doch für nichts
erachtet, der wird eine Himmelssäule (Brief an Wibert von Gembloux 1171).
Das Rad
O
verbum patris, / tu lumen primae aurorae / in circulo rotae es / omnia in
divina vi operans. – O Wort des Vaters, Licht Du der frühen Morgenröte, Du
ruhest im Kreisen des Rades, da Du rundum am Werk bist in göttlicher Macht
(Symphonia, O verbum patris).
O
fili dilectissime, / quem genui in visceribus meis / de vi circueuntis rotae /
sanctae divinitatis – O Sohn, mein allesgeliebter, den ich aus meinem Leibe
gebar aus der Kraft des kreisenden Rades der heiligen Gottheit (Symphonia, O
fili dilectissime).
Seele
O
felix anima, et o dulcis creatura Dei, quae aedificata es in profunda
altitudine sapientiae Dei, multum amas. – O glückselige Seele, anmutsvoll
geschaffen von Gottes Hand, erbaut aus den tiefsten Tiefen der göttlichen
Weisheit, groß ist deine Liebe (Reigen der Tugenden, 1. Szene).
Umfangen
Das
himmlische Begehren schaut in lichterfülltem Wirken unablässig auf den Sohn
Gottes und kann sich seines innigsten Umfangens nicht ersättigen (Scivias
3,10).
Wiedergeburt
Ihm,
der in die tiefsten Finsternisse der Welt hineinleuchtete, sollen die folgen,
welche lebendiger Wohlgeruch sind; denn sie haben den Weg einer geheimen
Wiedergeburt gelobt (Scivias 2,5).
Quellen
o
Hildegardis Epistolarium, hg. v. L. van Acker, Corpus Christianorum.
Continuatio mediaevalis 91.91A, 2 Bde., Turnhout 1991.1993; Briefwechsel,
übersetzt u. erläutert v. Adelgundis Führkötter, Salzburg 21990; Im
Feuer der Taube. Briefwechsel, übersetzt v. Walburga Storch, Augsburg 1997.
o
Liber de operatione Dei. Welt und Mensch, übersetzt u. erläutert v.
H.Schipperges, Salzburg 1965.
o
Liber divinorum operum, hg. v. A.Derolez u. P.Dronke, Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis
92, Turnhout 1996; Das Buch vom Wirken Gottes, übersetzt v. M.Heieck, Augsburg
1998.
o
Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum: Liber simplicis
medicinae (Physica). Liber compositae medicinae (Causae et curae); Heilkunde,
übersetzt u. erläutert v. H.Schipperges, Salzburg 61992; Naturkunde.
Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen in der Schöpfung,
übersetzt u. erläutert v. P.Riethe, Salzburg 41989.
o
Liber vitae meritorum. Der Mensch in der Verantwortung. Das Buch der
Lebensverdienste, übersetzt u. erläutert v. H.Schipperges, Salzburg 31972.
o
Lieder, hg. v. Pudentia Barth, Maria Immaculata Ritscher u.
J.Schmidt-Görg, Sazburg 1969.
o
Ordo virtutum. Reigen der Tugenden, Geleitwort v. Ildefons Herwegen,
hg., eingeleitet u. übersetzt v. der Abtei Sankt Hildegard Eibingen, Berlin
1927; Ordo virtutum. Spiel der Kräfte, hg. v. B.Konermann, Augsburg 1991.
o
Schriften, übersetzt v. J.Bühler, Der Dom, Leipzig 1922.
o
Scivias. Wisse die Wege, übersetzt v. M.Böckeler, Salzburg 21954;
Salzburg 9o.J.
o
Symphonia. Gedichte und Gesänge, hg. u. übersetzt v. W.Berschin u.
H.Schipperges, Sammlung Weltliteratur. Mittellateinische Literatur, Gerlingen
1995.
Verweise
o
Hildegard
von Bingen