St.-Michaels-Gymnasium Steyl
Sommer 1933
(Seite 1) Die Anstalt umfaßt Schule und Internat für sämtliche Schüler. Sie wurde 1875 durch P. Arnold Janssen zum Zwecke des Ordensnachwuchses gegründet. Der Reichsminister des Innern hat durch Erlaß vom 1. März 1931 (Nr. III 3850 / Mich. Gymn. Steyl / 26. 2.) „das St.-Michaels-Gymnasium des Missionshauses in Steyl als Gymnasium, als der entsprechenden deutschen Schulart gleichwertige Vollanstalt“ anerkannt.
Die Aufgabe der Anstalt zeichnete der Gründer in seiner Festpredigt am Gründungstage, dem 8. September 1875:
Was aus dem Hause werden wird, wissen wir noch nicht; denn nicht alles erreicht sein Ziel, wozu es bestimmt ist… Soll ich heute eure Augen nicht hinrichten und euch auseinandersetzen, was das ist, was wir erstreben? Dann muß ich vom edlen, erhabenen Missionswerke der katholischen Kirche reden. Denn nichts anderes ist der Zweck dieses Hauses, als das Evangelium auf der Welt verbreiten zu helfen unter den Völkern, die Gott noch gar nicht oder nicht auf die rechte Weise kennen; Jünglinge dafür heranzuziehen und die herangebildeten Missionare auszusenden… Die ganze Erde ist der Weinberg des Herrn, und wir wollen Arbeiter für diesen Weinberg ausbilden und entsenden, und zwar in die entferntesten und vernachlässigsten Gegenden desselben, dorthin, wo fast nur wilde Reben wachsen, welche keine Trauben tragen, und wo alles mit Dornen, Disteln und unnützen Schierlingspflanzen durch- und überwachsen ist. Es müssen uns freilich diese Arbeiter erst noch kommen…
(Seite 2-4)
1. Chronik
über das Schuljahr 1932/33
April [1932] |
5. |
Beginn des Schuljahres mit feierlichem Hochamt; Stundenplan; abends Hansa-Lloyd-Film „Bremen“ nebst Vortrag über Schiffahrt, Auf- und Niedergang und Wiederaufstieg der deutschen Handelsflotte. |
Mai |
1. 8.
29. |
Goldenes Profeßjubiläum des ehrwürdigen Br. Martinus [Jürgens; 1855-1942]. Tragikomischer Vortrag von Herrn Linnartz, Köln. [Textverlust in der Kopie] (Seite 3) jährige Visitationsreise in den Missionsgebieten der Unsrigen. P. Bayerlein [-Marianski, Josef; 1868-1940] berichtet aus dem Missionsleben in Argentinien. |
Juli |
17. 20. 23. 24. 26. |
P. Demond [Heinrich; 1885-1959] spricht über die Missionsmethode auf den Philippinen. Familienfest; Ausflug nach St. Leonhard [Bauernhof in Belfeld]. Die Primaner besuchen das Passionsspiel auf der Freilichtbühne in Tegelen [ehemals St. Anna: Erholungspark der Steyler]. P. Janser [Peter; 1878-1959] fesselt die Schüler durch seine „Reise um die Welt“ und sein neues Arbeitsfeld „Indien“. Professor Ferrol hält einen Vortrag „Mathematische Intuition“ und Lehrproben aus dem Gebiete der Mathematik. |
August |
3. 7. 11. |
Rev. [Reverendus – Hochwürden] P. Generalsuperior Gier [Wilhelm; 1867-1951; er war der dritte Generalsuperior der Gesellschaft des Göttlichen Wortes und zwar von 1920-1932] besucht Steyl und erzählt den Schülern über die neueste Entwicklung unserer Gesellschaft. Abschiedsfeier der Missionare: 57 Patres, 28 Brüder. Ferienfahrt der Schüler in die Heimat. Während der Herbstferien [sic] beherbergte das Internat eine Anzahl armer Kinder aus Essen und Wuppertal. Neuernennungen: Der bisherige Leiter der Schule, P. Provinzial Dr. Tellkamp [August; 1885-1950], zum Direktor des Missionskollegs Heiligkreuz, Neiße; P. Gerhard Crone [1885-1967], bisher Leiter in Heiligkreuz, zum Direktor an unserer Schule; St. Ass. [Stellvertretender Assessor] Dr. Heida zum Direktor nach St. Adalbert, Ostpreußen; an seine Stelle tritt Ass. Martin [Alfons; 1904-1990] ins Lehrkollegium ein; der bisherige Schulvorstand, P. Görgen [Eduard; 1885-1967], zum Provinzial; P. Hermann Feldmann [1881-1959] tritt als neuernannter Rektor des Missionshauses an seine Stelle. – Zum Präfekten wird P. Franz Lillig [1899-1990] ernannt. |
September |
9. |
Die Schüler kehren aus den Ferien zurück. |
Oktober |
16. 23. |
„Der Herbst im Liede“ (Liederabend). Film: „Amorira“; Filmaufnahmen von Flores. [Regie: P. Simon Buis (1892-1960), 1932; über das Bambusbuschvolk von Borado-Likowali]. |
November |
20. |
Cäciliafeier unseres Chores. Vorträge unserer Missionare während der Wintermonate: P. Lorscheid [Christian; 1875-1937]: Die Flores-Mission. P. Nowak [Richard; 1885-1955]: Lichtbildervortrag über Mittel- und Ostneuguinea. P. Wiesenthal [Franz; 1879-1955]: Die Flora Neuguineas. P. Nötscher [Joseph; 1877-1956]: Die religiösen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Argentinien. P. Provinzial Bram [Gerhard; 1879-1951]: Land und Volk in Argentinien. P. Schmidt [Andreas Paul; 1894-1969]: Schule und Wissenschaft in Chile. P. Provinzial Pfad [Paul Eucharius; 1875-1954]: Über Brasilien. P. Regional Buttenbruch [Theodor; 1886-1944]: Akkomodation auf den Philippinen. P. Regional Mohr [1914-2010]: Lichtbildervortrag über Sitten in Japan. P. Loy [Ferdinand; 1892-1969]: Freund und Leid in Kansu [Gānsù; hierher stammte die Qin-Dynastie; gelegen zwischen Tibet und der Inneren Mongolei, teilweise in der Wüste Gobi]. P. Regional Rosenbaum [Franz; 1897-1961]: Sitten und Missionierung in Honan [Hénán; in der östlichen Mitte Chinas]. |
Dezember |
6. 8.
25. 27. 28. |
Nikolausfeier. Immakulatafeier [Fest der Unbefleckten Empfängnis der Gottesgebärerin; Gründungstag der Steyler Mission 1875]: Adventsspiel. In den Weihnachtsferien erfreuten sich die Schülerherzen am Theater, Gesang und Musik. Häusliche Weihnachtsfeier. Apostel- und Nachfolgespiel von Max Mell [1882- 1971; Das Apostelspiel, München 1923, Uraufführung 1925 in Berlin]. Molière [Jean-Baptiste Poquelin; † 1673]: Der Geizhals [LʼAvare – Der Geizige, 1668]. |
Januar [1933] |
2.-4. 3. 18. |
(Seite 4) Wiederholung der [Theater-]Spiele. Herderfilm: „Wie ein Buch entsteht“ [Die Herdersche Verlagsbuchhandlung wurde 1801 in Meersburg von Bartholomä Herder (1774-1839) gegründet und 1810 nach Freiburg im Breisgau verlegt]. |
Februar |
2. |
Rundfunkübertragung aus dem Missionshaus Steyl: |
März |
14./15. 29. 21. |
Reifeprüfung unter Vorsitz von Oberstudienrat Giesing: Sämtliche 27 Prüflinge erhielten das Zeugnis der Reife; 6 haben mit „gut“ bestanden [Die Note „Sehr gut“ wurde kaum verliehen]. Film: Wunder der Schöpfung [Regie: Hanns Walter Kornblum, Johannes Meyer und Rudolf Biebrach, 1925]. Rundfunkübertragung: Eröffnung des Reichstages [Staatsakt in der Potsdamer Garnisonkirche mit Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler]. |
April |
4. |
Schulschluß, Dankgottesdienst, Zeugnisverteilung. |
Abbildung auf Seite 7
(Seite 4-8)
2.
Arbeitsgemeinschaften
a) Im Sommer 1932
1.
Altsprachliche: a) Plautus, Captivi,
12 Teilnehmer (Sandkamp [Hermann; 1880-1953]).
b) Sprachwissenschaftliche Erläuterungen zur lateinischen Grammatik, 10
Teilnehmer (Üffing [Anton; 1869-1945])
2. Geschichtliche: Niederländische Kultur, 16 Teilnehmer (Schwägerl)
3. Mathematische: Feldmessung, 7 Teilnehmer (Richartz [Michael; 1893-1982])
4. Physikalische: Dynamo und Generator, 6 Teilnehmer (Söger [Konrad; 1875-1955])
[Textverlust; wohl: b) Im Winter 1932/33] (Seite 5)
1. [Textverlust]
2. Etymologische Erklärung der lateinischen Sprache, 7 Teilnehmer (Üffing [Anton; 1869-1945])
3. Erdkundliche: Grönlandkunde [? Textverlust], 6 Teilnehmer (Schwägerl)
4. Mathematische: Kurvenzeichen [sic], 6 Teilnehmer (Richartz [Michael; 1893-1982])
5. Physikalische: Schaltung und Schalttafel, 9 Teilnehmer (Söger [Konrad; 1875-1955])
c) Während des ganzen
Schuljahres
Wir wollen Jung-Missionare sein! Kreuzesritter Christi! Noch stehen wir hinter der Front. Aber wir überblicken mit Spannung das Schlachtfeld – wir verfolgen das hin und her – Auf und Nieder der vordersten Reihen. Wir wissen, wo die ersten und besten Führer und die tapfersten Trupps stehen. Wir leben und erleben, fühlen und empfinden mit ihnen Freud und Leid. Wir möchten mutig in die Lücken einspringen, die nagende Not vertreiben. Wir wollen wirken und arbeiten, uns opfern für das Gelingen des Frontkampfes!
Uns Kreuzesritter treibt das Wort des Weltenheilandes, unser Berufsideal! Uns begeistert der Missionspapst, die Taten unserer Frontmissionare.
[Pius XI. (1857-1939; Papst seit 1922) hatte am 28. Februar 1926 das apostolische Rundschreiben Rerum ecclesiæ über Pflicht und Art der Förderung der Heiligen Missionen herausgegeben.]
*
Im Südturm summt der Motor der Schnitzergruppe, Balken für Kreuze und Brettchen für Weihwasserbecken werden hier aus Palm, Eichen oder Satin-Holz zugesägt. [Satinholz glänzt in gehobeltem Zustande seidenartig. Es kommt bei verschiedenen Baumarten in Lateinamerika, Afrika und Asien vor.] Mit der Säge läuft eine Schmirgelscheibe parallel. Die rauhen Kanten und Sägeflächen werden glasglatt geschliffen. – Nicht jeder kann hier oben Monteur spielen. Neulich hatte der „Schreinermeister“ im Turm einen Widerstand erfunden. Der Motor schnurrte und brummte hoch und tief. „Eine feine Sirene!“ meinte der Erfinder, und schon war die Sicherung durchgebrannt.
Aber das Geschäft blüht, und die Gruppe ist im fünften Stock wohl auf der Höhe. – Die Schnitzer sind Sonnenkinder. Sie leben in Licht und Luft. Zwei Fenster gehen zur
[Textverlust] (Seite 6)
selbst die Säge, sie hämmern und hobeln, daß die Späne fliegen.
Eine Filiale zum Turm liegt wie ein rechtes Schwalbennest hoch oben unter dem Dachfirst des Mittelbaues. Nach Vorlagen und Entwürfen führen hier mehr als dreißig fleißige und geschickte Hände Kerb- und Flachschnitte aus. Hier beginnt die Laufbahn der Schnitzer. Hier machen die Lehrlinge der Quarta, unter den kritischen Augen eines Primaners, ihre ersten „Löcher“.
Mit dem Missionar [P. Regional Mohr; 1914-2010] zum Rosenkranzzimmer! Es liegt im dritten Stock auf der Sonnenseite des Südbaues. In stiller, romantischer Abgeschiedenheit war es ehemals die Perle des Hauses, das Neapel aller Klassenzimmer.
Wir treten ein.
„Habt ihr euch aber nett im Zeichensaal eingenistet!“
„O bitte, Hochwürden, nicht wir, sondern die Zeichengruppe hat den Kuckuck gespielt. Hier sind wir auf dem eigentlichen Stammzimmer der Gruppe! …“
Vierzig gewandte Hände reihen hier Perle an Perle. Alle Klassen sind vertreten. Sie sitzen in Grüppchen zusammen. Die Primaner reden in einem gehobenen Stil über Mathematik. Die Sekundaner haben jüngst einen sonnigen Tagesausflug gemacht: marschiert, gesungen, abgekocht. Jeder hat etwas Besonderes erlebt – so erzählen sie lachend durcheinander. Die Tertianer haben Karl May gelesen. Man hört es aus ihren hitzigen Worten – Karl May hat scharfe Kritiker gefunden! Wir gehen mit dem Missionar zu den Schränken, wo das kleine Volk arbeitet. Sie erleben den Vortrag von P. Ivo Schäfer [1887-1964] und Msgr. Lörks [Joseph; 1876-1943] über Neuguinea noch einmal nach. Sie wollen ausnahmslos Neuguineamissionare werden!
„Will denn keiner nach Japan?“ fragt der Pater. „Japan? Da kann man ja nicht reiten, da ist alles wie hier!“
Wir durchstöbern die Schatzkästen der Rosenkranzgruppe. Wie blinken und blitzen die blauen und roten und weißen Glasperlen!
„Die Rosenkränze sind herrlich! Schön und regelmäßig gekettet. Blau ist die Farbe der Japaner!“ – „Bitte, Hochwürden, den Bund schenken wir Ihnen!“ – „Tausend Dank! Ein Missionar kann alles gebrauchen… Die Japaner bevorzugen lange Rosenkränze. Sie tragen sie um den Hals.“
Die nächste Dose bringt die Sorte. Schöne, schwarze, armlange Rosenkränze. Wir haben dem „Japaner“ 150 Rosenkränze geschenkt.
[Textverlust] (Seite 7)
„O, wir haben im vergangenen Jahre über 4500, fast 5000 Rosenkränze gemacht. Die Arbeit ist recht gemütlich. Wir singen, erzählen, lassen vorlesen oder das Grammophon laufen… Mit den Einnahmen der Ferien bestreiten wir die Unkosten. Alles andere ist für die Mission!“ –
Die Freimarkengruppe zählt ungefähr zwanzig Mitglieder. Das Zimmer ist voll besetzt. Diese arbeiten geschäftig unter den tiefhängenden Lampen mit Pinzette und Vergrößerungsglas in den Albums [Alben]. Andere sortieren oder waschen Marken. [Sie weichen die Briefe mit den darauf geklebten Marken in Wasser ein und lösen dann die Marken ab.] Der Führer sitzt an der blitzneuen „Erica“ und erledigt die Korrespondenz. [Karl Bruno Naumann zu Königsbrück (1844-1903) gründete 1868 in Dresden eine Werkstatt für Feinmechanik. Erika hieß eine Reiseschreibmaschine.] Marken kommen und gehen. Europa, Amerika, Asien, Afrika, Australien sind in den Arbeitskreis eingeschaltet. Weltkorrespondenz! Hier oben wird viel Kopfarbeit geleistet. Die Gruppe wirtschaftet tüchtig und hat immer gute Bilanz. Im letzten Jahre erzielte sie einen Reingewinn von fast 2000 Mark. Der Geldumsatz war mehr als dreimal so groß.
Neben der Eingangstüre hängen die mahnenden Worte: Wir opfern unsere Arbeit für die Missionen auf!
Zwei Missionslesezimmer dienen der Missionswissenschaft. Durch zahlreiche Missionsbriefe und -zeitschriften mit flammenden Artikeln, mit den neuesten Berichten und Statistiken, bleiben wir gegenwartsnahe. Sie unterrichten uns über Erfolge und Mißerfolge der Missionare. So lernen wir schon heute die Kämpfe und Schwierigkeiten unseres Berufes kennen. Mit Sturmeifer studieren die Mittelklassen die weiten Erntefelder der SVD [Societas Verbi Divini – Gesellschaft des Göttlichen Wortes, Steyler Mission]. Der gesammelte Stoff wird verarbeitet und in Kartotheken geordnet. Sie vergrößern Missionskarten und arbeiten sie mit farbigen Tuschen bis zur Vollendung aus. Sogar die chinesischen Schriftzeichen mit all ihren Windungen, Bogen und Häkchen sind peinlich sauber nachgezeichnet… So arbeiten wir uns in den Missionsgedanken hinein…
[Textverlust] (Seite 8)
Das wissen wir! Aber die warmen Dankesworte und Dankesbriefe unserer Missionare sind ein sprechendes Zeugnis, die ehrenvollste Anerkennung unserer Arbeit.
Auch wir wollen rütteln an dem Bau des Heidentums. Darum haben wir unseren Missionsdienstag, schreiben wöchentlich eine Gebetsmeinung aus, halten Missionskommunionen. Missionsfeiern und Missionsabende, gemeinsam und auf den einzelnen Klassen, beleben und erregen immer wieder unsern Eifer und unsere Begeisterung.
So arbeiten, opfern und beten wir für unsere Missionen, schulen uns zur Selbständigkeit, lernen Organisieren und Führen in unseren Gruppen.
In dieser Arbeit wollen wir heranreifen zu würdigen Söhnen unseres seligen Vaters [Arnold Janssen], um auch anderen später Vater und Führer zu sein.
Wir, die Jugend der SVD!
F. B. U I a [Franz Brüggemann; 1913-1942/1945 Unterprima a]
(Seite 8f)
3. Aufgaben
für die Reifeprüfung
Deutscher Aufsatz. Zur Wahl:
1. Welche Einflüsse hemmten die Entwicklung des deutschen Volkes in der Nachkriegszeit? (Von 6 Schülern gewählt).
2. Impressionismus und Expressionismus in der Malerei (Ein Stilversuch) (Von 12 Schülern gewählt).
3. „Hanneles Himmerlfahrt“ [Drama von Gerhart Hauptmann, Uraufführung 1893]; Besprechung einer Radioübertragung im Langenberger Rundfunk. (Von 3 Schülern gewählt).
4. Auf welchen Gebieten hat der Katholizismus auch in unserer Zeit seine Kulturkraft bewiesen? (Von 6 Schülern gewählt).
Lateinisch: Übersetzung aus Cicero, De off. [De officiis – Über die Pflichten] I, 85-87.
[(85) Omnino qui
rei publicæ præfuturi sunt,duo
Platonis præcepta
teneant: unum, ut utilitatem civium sic tueantur, ut, quæcumque agunt, ad eam referant obliti
commodorum suorum, alterum,
ut totum corpus rei publicæ curent, ne, dum partem
aliquam tuentur, reliquas deserant. Ut enim tutela, sic procuratio rei publicæ ad eorum utilitatem, qui commissi sunt, non ad eorum, quibus commissa est, gerenda
est. Qui autem parti civii
consulunt, partem neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem
inducunt, seditionem atque discordiam; ex quo evenit, ut
alii populares, alii studiosi optimi cuiusque videantur,
pauci universorum.
Überhaupt sollen jene, die den Staat leiten wollen, zwei Vorschriften Platons befolgen [Platon, rep. 342c und 420b]: Die eine, daß sie den Nutzen der Bürger so im Auge behalten, daß sie, was auch immer sie tun, sich auf ihn beziehen und ihre eigenen Vorteile vergessen sollen, und die andere, daß sie für den gesamten Körper (Organismus) des Staates sorgen sollen, damit sie nicht, wenn sie nur einen Teil im Auge behalten, die übrigen außer acht lassen. Wie nämlich der Schutz, so ist auch die Fürsorge für den Staat zu deren Nutzen durchzuführen, die anvertraut worden sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist. Diejenigen, welche sich nur um einen Teil der Bürger kümmern, und den (anderen) Teil vernachlässigen, führen eine sehr schädliche Vorgehensweise in die Bürgerschaft ein, Aufruhr und Zwietracht. Daraus kommt, daß die einen als Vertreter der Volkspartei erscheinen, andere als besonders bemüht um die Aristokraten, jedoch nur wenige um alle.
(86) Hinc apud Athenienses magnæ discordiæ, in
nostra re publica non solum seditiones, sed etiam pestifera
bella civilia; quæ gravis et fortis civis et in re publica dignus principatu
fugiet atque oderit tradetque se totum rei publicæ neque
opes aut potentiam consectabitur totamque eam sic tuebitur, ut omnibus
consulat. Nec vero criminibus falsis in odium aut invidiam quemquam vocabit
omninoque ita iustitiæ honestatique adhærescet, ut, dum ea conservet, quamvis
graviter offendat mortemque oppetat potius, quam deserat illa, quæ dixi.
Daher
kam bei den Athenern große Zwietracht, in unserem Staat nicht nur Aufruhr,
sondern auch verderbenbringende Bürgerkriege; diese wird ein charakterfester
und mutiger Bürger , welcher der führenden Stellung im
Staate würdig ist, meiden und hassen und er wird sich ganz dem Staate widmen
und weder nach Reichtum noch nach Macht jagen und er wird den ganzen Staat so
schützen, daß er für alle sorgt. Aber er wird nicht
durch falsche Anschuldigungen bewirken, daß jemand ein
Opfer des Hasses oder Neides wird und überhaupt soll er derart an Gerechtigkeit
und Ehrbarkeit festhalten, daß er, wenn er bloß diese
bewahrt, wenn er auch noch so heftig Anstoß erregt und dem Tode entgegengeht,
jene Dinge, von denen ich gesprochen habe, eher (bewahrt), als daß er sie aufgibt.
(87) Miserrima omnino est ambitio honorumque
contentio, de qua præclare apud
eundem est Platonem „similiter facere eos, qui
inter se contenderent, uter potius rem publicam administraret, ut si nautæ
certarent, quis eorum potissimum gubernaret“. Idemque præcipit, „ut eos adversarios existimemus, qui arma contra ferant,
non eos, qui suo iudicio rem publicam velint“,
qualis fuit
inter P. Africanum et Q. Metellum
sine acerbitate dissensio.
Am
elendesten überhaupt ist der Ehrgeiz und der Wettstreit um Ehrenämter, worüber
bei demselben Platon (rep. 448b und 567c) in
prächtiger Weise geschrieben steht, „daß diejenigen,
welche miteinander streiten, wer von beiden eher den Staat verwalten soll, in
ähnlicher Weise handeln, wie wenn Matrosen streiten würden, wer von ihnen am
besten das Steuer führe.“ Derselbe schreibt vor, „daß
wir diejenigen für Feinde halten, welche die Waffen gegeneinander erheben, und
nicht diejenigen, die nach ihrem Urteil den Staat schützen wollen“, wie es
zwischen P. Africanus (Publius Cornelius Scipio Æmilianus
Africanus minor Numantinus; 185/184-129 vor Christus)
und Q. Metellus (Quintus Cornelius Metellus Macedonicus;
Konsul 143 vor Christus) einen Streit gab, aber ohne Erbitterung.]
Griechisch: Übersetzung aus Xenoph. Memorab. [Xenophon,
Memorabilien / Erinnerungen an Sokrates] II, 2, § 1-4 und 6.
[(1) Er
bemerkte auch, daß sein ältester Sohn Lamprokles sich gegen seine Mutter ungehörig betrug
(χαλεπαίνοντα).
Sage mir, mein Sohn, sprach er, kennst du irgendwelche Menschen, welche
undankbar (ἀχαρίστους)
genannt werden? Durchaus, antwortete der junge Mann. Hast du nun darauf
geachtet, was die tun, welche man so nennt? Ja, erwiderte jener; man nennt
nämlich die undankbar, die Gutes empfangen haben, dafür jedoch keinen Dank
wissen, obwohl sie ihn ausdrücken können. Scheint es dir nun nicht so, daß man die Undankbaren zu den Ungerechten (ἐν τοῖς
ἀδίκοις) rechnet?
Sehr wohl, war die Antwort.
(2)
Hast du auch schon einmal bedacht, ob etwa, gerade wie der Sklavenhandel mit
Freunden ungerecht zu sein scheint, mit Feinden aber gerecht, so auch Undank
gegenüber den Freunden ungerecht ist, gegenüber den Feinden jedoch gerecht?
Durchaus, meinte jener, ich glaube sogar, daß ein
jeder ungerecht ist, der sich nicht bemüht, seinen Dank abzustatten, mag er nun
etwas Gutes von einem Freund oder von einem Feind empfangen haben.
(3)
Sollte also nicht, wenn dies sich so verhält, offensichtlich die Undankbarkeit
(ἀχαριστία)
eine Art Ungerechtigkeit sein? Jener stimmte zu. Sollte demnach nicht jemand
desto ungerechter sein, je größere Wohltaten er empfangen hat, ohne sie zu
vergelten? Auch damit war jener einverstanden. Wen sollten wir nun wohl finden,
sagte er daraufhin, der von jemandem größere Wohltaten empfangen hat, als die
Kinder von ihren Eltern? Die Eltern haben ihnen, die vorher noch nicht lebten,
das Dasein gegeben, um soviel Schönes zu sehen und an
soviel Gutem teilzuhaben, wie es die Götter den
Menschen gewähren. (οὓς οἱ γονεῖς
ἐκ μὲν
οὐκ ὄντων
ἐποίησαν εἶναι, τοσαῦτα
δὲ καλᾲ ἰδεῖν καὶ
τοσούτων ἀγαθῶν μετασχεῖν
ὅσα οἱ
θεοὶ παρέχουσι τοῖς ἀνθρώποις.)
Dies scheint uns nun auch über alles wertvoll zu sein, daß
jeder sich ganz besonders scheut, all dies aufgeben zu müssen; und auch die
Staaten haben für die größten Verbrechen den Tod als Strafe bestimmt, weil sie
durch Androhung dieses größten Übels dem Unrecht steuern zu können glauben.
(4) Und
du nimmst doch nicht etwa an, daß die Menschen wegen
des Liebesgenusses Kinder zeugen; denn an Gelegenheit dazu fehlt es gewiß nicht an den Straßen und in den Häusern. Bekanntlich
überlegen wir auch, welche Mutter uns die besten Kinder schenken wird und mit
dieser verbinden wir uns zur Zeugung von Kindern.
(6) Und
es genügt auch nicht, allein für die Ernährung zu sorgen, sondern dann, wenn
die Kinder reif zu sein scheinen, etwas zu lernen, dann unterweisen die Eltern
sie in dem, was sie selbst für das Leben Nützliches wissen, ,
und wenn sie glauben, daß ein anderer als Lehrer
geeigneter sei, schicken sie die Kinder zu ihm, ohne Scheu vor den Kosten, und
mühen sich in jeder Weise, daß ihre Kinder so überaus
tüchtig wie möglich werden.]
Französischer Aufsatz. Zur Wahl:
1. Les beautés
de la tragédie de Racine. (6 Schüler.)
2. La glorification de la religion chrétienne dans lʼœuvre de Chateaubriand. (9 Schüler.)
3. Edifices célèbres
de Paris (12 Schüler.)
[Textverlust. Mathematik:] (S. 9)
1. Wieviel kann man für ein Unternehmen bei Berechnung von 5 % Zinseszinsen bieten, wenn es voraussichtlich in den nächsten vier Jahren weder Gewinn noch Verlust bringt, dann aber 20 Jahre lang einen Gewinn von 8000 Mark jährlich abwerfen wird?
2. Der Querschnitt eines Kanals sei ein gleichseitiges Trapez. Die Breite der Sohle wie die Länge der Böschungslinie betrage a Meter. Ermittle das Fassungsvermögen als Funktion des Böschungswinkels; für welchen Winkel ist es am größten?
3. Schalte bei der Parabel y= 0,34 x2+1,12x zwischen die Abszissen x0= 0 und x2= 3 eine neue x1 so ein, daß die von der Kurve, der Ordinate y1 und der x-Achse begrenzte Fläche gleich der Fläche ist, die von der Kurve, der Verlängerung der Ordinate y1 und der durch P1 gehenden Parallelen zur x-Achse gebildet wird.
4. Der Satz aus der Optik, daß alle parallel zur Achse eines parabolischen Spiegels auffallenden Strahlen so reflektiert werden, daß sie durch den Brennpunkt gehen, ist an der Parabel y2 = 4x und dem Strahle y = 3 analytisch abzuleiten.
Namen der Abiturienten:
Borgmann, Ernst |
Prange, Alois |
Brühl, Erich |
Reismann, Joseph |
Burgmer, Alois |
Rüffer, Joachim |
Engel, Matthias |
Schleking, Heinrich |
Gerhards, Peter |
Schlüter, Bernhard |
Gesigora, Roman |
Schöpfer, Anton |
Gremler, Hugo |
Terfloth, Bernhard |
Herbers, August |
Thora, Joseph |
Hüngsberg, Peter |
Tiems, Johannes |
Laudenberg, Wilhelm |
Venne, Peter |
Laumann, Heinrich |
Voell, Johannes |
Müller, August |
Weiler, Nikolaus |
Nottebaum, Adam |
Wurtscheid, Walter |
Otte, Bernhard |
|
(Seite 9-12)
4. Frohe
Stunden
Die erste Fahrt ins
neue Deutschland
Das war in Steyl schon fast Tradition: die Oberprima fuhr jedes Jahr nach Aachen. Die Klasse vor uns, die Klasse davor – und so mag man wohl Klasse an Klasse aneinanderreihen können. Da war es klar. Auch wir wollten für unseren Osterausflug denselben Weg wählen.
Um 6 Uhr sollten zwei Omnibusse aus Venlo vorfahren [omnibus – für alle; die Abkürzung Bus ist sprachlich nicht sinnvoll; ebenso wie Automobil – Selbstbeweger, Auto heißt „selbst“]. Aber Holländer sind gemütlich. Eine halbe Stunde konnten wir warten, und dann kamen die „Dinger“ endlich angebrummt. Im Nu sind Butterbrote und Äpfel verstaut. Wir hinterher, wippen auf den weichen Polstern und schmettern: „Wer recht in Freuden wandern will“.
Die Fahrt beginnt. Zuerst altbekanntes Gebiet. Bis Roermond waren wir schon oft getippelt [21 Kilometer]. Mit Echt kommt „unerforschtes“ Land. [Am Sylvestertag 1938 siedelte Edith Stein, Sr. Benedicta a Cruce, in den Karmel Echt über, um hier sicherer leben zu können, wurde aber 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und in der Gaskammer ermordet.] An Susteren und Sittard rattern wir vorbei und sind plötzlich in der „holländischen Schweiz“. Freilich durch die Drouwenheide, mit ihrer schwindelnden Höhe von 240 Metern, geht es nicht. Unsere Autos machen es
[Textverlust] (Seite 10)
Alpen. Ich bin Holländer und kenne sie persönlich. Felsen ragen auf, Schlünde gähnen. Das ist Schweizerlandschaft in Holland.
Die Grenze! SA-Leute marschieren vorbei. [SA – Sturmabteilung, sie schützte Veranstaltungen der Nationalsozialisten und bekämpfte linke Parteien.] Fahnen, schwarz-weiß-rote und Hakenkreuze. Was können wir anders als singen: „Deutschland, Deutschland über alles?“ Meine Kameraden schauen; denn viel hat sich seit den letzten Herbstferien geändert, und dieses neue Deutschland wollen sie besuchen, und Aachen ist das Ziel. Der Tag der nationalen Erhebung, der 21. März, steht noch frisch in Erinnerung.
Gegen 10 Uhr ist Aachen erreicht. Unsere Autos halten hoch oben auf dem Lousberg [264 Meter Höhe; möglicherweise von lugen – Schauinsland]. Herr Schuhmacher [sic], dessen Sohn wir kurz vorher auf unseren Friedhof in Steyl zur letzten Ruhe geleitet hatten, begrüßt uns; wir haben einen kundigen Führer [Zögling Wilhelm Schumacher; 22.4.1913 - 31.3.1933; sein Grab befand sich in der 4. Reihe unten rechts 2. e]. Tief unten die Stadt. Deutschlands Ruhmesgeschichte entfaltet sich: wir stehen vor dem Rathaus. „Du, ich glaub, Rethel ist der Sohn eines napoleonischen Beamten und einer deutschen Mutter gewesen“, sagt mein Nachbar. – „Schon früh ist er irrsinnig geworden; die Fresken hier hat er nicht vollenden können.“ [Alfred Rethel (1816-1859), Historienmaler der Spätromantik, entwarf die Karlsfresken im Aachener Rathaus und vollendete vier davon. Joseph Kehren der Ältere (1817-1880) vollendete den Zyklus nach den Studien Rethels. Beide gehörten zur Düsseldorfer Malerschule.] Wir wollten feststellen, welche Bilder von ihm und welche von seinen Schülern stammen; nicht voreilig wollten wir zum Bädecker [Baedeker] greifen. Des gewaltigen Karl markante Züge graben sich unserer Phantasie ein; er begleitet uns, bis wir in der Schatzkammer vor seinen Gebeinen stehen. Ich beschaue den silbervergoldeten Marienschrein. Der kostbarste Schatz aber soll das Lotharkreuz sein, und darin wieder die antike Kamee. die den jugendlichen Kaiser Augustus darstellt. Aufmerksam betrachten wir das „Sigillum Caroli glorissimi regis“ [das Siegel Karls des glorreichsten Königs]. Oben ein R, unten ein L, links ein K, rechts ein S und in der Mitte das Zeichen AV [untereinander], das A und O und U in sich schließt.
Der Dom. Eine seltsame Kirche, die Münsterkirche! Römischer Baustil, Gotik und Barock. Von 796 bis heute hat man daran gearbeitet und alte Gemälde entdeckt, wenn man Neues schaffen wollte. Am meisten interessierte mich der Krönungsstuhl Karls des Großen. Auf diesem steinernen Stuhl hätte wohl mancher von uns gern sitzen und beten mögen, genau so wie jener große Karl. Lange stand ich vor der Kanzel. Der Führer schob die Holzhülle fort, und nun sah ich Elfenbeinschnitzereien, griechische Götter. Eine schwer verständliche Welt, die Welt des Mittelalters, wo Apollo selbst auf einem Ambo einen Ruheplatz fand [Ambo – erhöhtes Lesepult, hier für die Kanzel].
Draußen eine Überraschung. Eine heiße Quelle. Frauen kommen, füllen ihre Eimer und gehen mit dem dampfenden Wasser hinweg. Das Schauspiel reizt uns, wir trinken aus der hohlen Hand, einem kleinen Becher, einer Papiertüte. Ein köstliches Bild, die verzerrten Gesichter! [Die Aachener Thermalquellen sind schwefelhaltig].
Gegen Mittag fahren wir weiter, – nach Geilenkirchen. Alsdorf! Hier war das Unglück gewesen. Halbverkohlte Knappen im Schacht, draußen wartende Frauen und Kinder und die Angst: „Wird er leben? – Oder ist auch er tot?“ [Am 21. Oktober 1930 ereignete sich auf der Schachtanlage Anna II eine Schlagwetterexplosion. 271 Bergleute wurden getötet.] Nun aber ragen aufgeschüttete, schwarze Massen empor, mit Kiefern bestanden. Heller Sonnenschein! – Rädersurren! „Nos numerus sumus!“ [Nos numerus sumus et fruges consumere nati. – Wir sind [bloß] Zahl/Nullen und geboren, um Feldfrüchte/Kohl zu essen. Horaz, Epistulæ II, 1, 27]. Die Toten ruhen, das Leben geht [weiter].
St. Joseph, unser Haus in Geilenkirchen, wird sichtbar. Stürmisch begrüßen wir unseren früheren Unterpräfekten, Herrn P. Schumacher [Josef; 1892-1951], der nun hier als Präfekt wirkt. Beim Mittagessen rechnen es sich die Unterprimaner als Ehre an, uns bedienen zu dürfen. Wir eilen durch alle Zimmer und Apostolatsräume. [Briefmarkenapostolat, Rosenkranzgruppe, Schreinergruppe für Kreuze und Weihwasserbecken, Schnitzergruppe für Heiligenfiguren]. Wirkliche Künstler sind sie, die Geilenkirchener Mitschüler. Christusfiguren, eine künstlerisch einzigartig vollendete Pietà, Engel und Heilige. Nein, so etwas hatten wir doch noch nicht fertig gebracht!
Heimkehr! Heinsberg ist das letzte deutsche Städtchen auf unserer Fahrt. Dann wieder Holland. Im Omnibus wird es allmählich dunkel; nun beginnt erst die rechte Gemütlichkeit. Wir singen Lieder, ein Lied nach dem andern. An Roermond geht es vorbei, dann an Reuwer, und schon ist wieder unser geliebtes Steyl erreicht.
H. R. O I b
[Laut dem Abiturientenverzeichnis aus dem Jahre 1934 kommen für das Namenskürzel H. R. der Oberprima b folgende Personen in Betracht: Hermann Reintjes, Heinrich Richwien, Hermann Rode und Heinrich Rüsing.]
[Textverlust] (Seite 11)
„Halli, hallo! Wir fahren, wir fahren durch die Welt!“ Unsere beiden Daagwagen [Schnellastwagen der 1920er Jahre; hier Omnibusse] stampfen und stoßen und fauchen, jagen sich auf den Teerstraßen wie zwei Sommerfalter nach. Häuser fliegen vorbei, Felder, Wälder. Die Straßen in Stadt und Dorf fangen uns ein und lassen uns wieder los. Hinter uns her immer ein grauer „Staubschwanz“. Wir fahren über die Maasbrücke. Venlo liegt hinter uns. Es geht jetzt in Richtung Hertogenbosch durch die Peel, eines der größten Moore Hollands. Rechts und links Krüppelkiefern. Dann wieder Ebenen, die flimmern vom Glanz und Glast, Moor, Torfhaufen, grau-grüne Grasoasen dazwischen. Zuweilen ragt aus den verdämmernden Dingen am Horizont ein spitzer Kirchturm heraus. Wir fahren weiter, und alles versinkt hinter den weihrauchblauen Fernen. –
Üden! Wir betreten die große Pfarrkirche; denn unser Missionshaus St. Willibrord liegt noch etwas weiter abseits. Großartig ist die Kuppel über der Vierung. Nach viertelstündiger Fahrt stehen wir vor der Missionshauspforte. Überall freundliche Gesichter und winkende und grüßende Hände. Beim Mittagessen singt unser Klassenchor „den Trompeter an der Katzbach“ und den „Jagdgesang“. [Julius Moses/Mosen (1803-1867), III. Sammlung: „Von Wunden ganz bedeckt / Der Trompeter sterbend ruht / An der Katzbach hingestreckt. / Der Brust entströmt das Blut.“ (Die erste von acht Strophen.)] Wie das dröhnt, deutsche Stimmen, das merkt man. Auch die Holländer singen, uns zu Ehren, ihre Nationalhymne. Nach dem Essen gehtʼs in den Turnsaal. Dort ist ein Lautsprecher aufgestellt, und es tanzen die Melodien und Marschweisen über den Holzboden. Dazu machen die „Üdener“ ihre zackigen, exakten Freiübungen. Einige von uns turnen als Gegenleistung an Reck und Ringen, wie die Holländer sagen, sogar besser als sie selber. So vergeht die Zeit. Gegen drei Uhr rutschen wir bereits wieder auf den Lederpolstern des Omnibus herum. Wir singen: „Mein Hut, der hat drei Ecken, drei Ecken hat mein Hut“, „Vom Barette schwankt die Feder.“ Nymwegen ist unser Ziel, aber zuerst die „Heiliglandsstiftung“. Die Eindrücke: Welliges Auf und Nieder der sandigen Hügel, Kiefern-, Fichten- und Buchenhaine. Dort mitten [sic] orientalische Formen und südliche, morgenländische Raumgestaltung; und über allem ein blaßgrauer Julihimmel. Zum Schluß ein Gang in die Erlöserkirche. Während wir unter den weißen Bogenbändern des wuchtigen Portals stehen, singt in unseren Ohren ein seltsames, klagendes Glockentönen. Ich fühle dieses Lied des Ostens [des Orients]. – Unsere Augen klettern in die hohe Kuppel an der Farbenleiter hinauf bis zu dem Lichtmittelpunkt, dem weißen Heiligen Geist. Er schwebt als Lichtquelle in all den Farbenkreisen. Einzig sind die impressionistischen Übergänge dieser Farbenglocke. In den Seitenkapellen Darstellungen aus der Apostelgeschichte, alle im impressionistischen Stil. Man kann untertauchen in den Farben, und doch kann man sich kaum satt trinken. In dieser Kirche ist die Frage von der Flächenmalerei und der monumentalen Kirchenkunst glänzend gelöst. –
Nach der Rundfahrt durch die Stadt besuchen wir die alte Befestigung und die Reste des Römerlagers am Ufer des Waal. Die mürben Mauern sehen mürrisch grau aus dem satten Grün der Anlagen. Man fühlt die Zeit gehen. Da steht noch eine Chorruine der Karlskapelle, die brüchige, braunrote Barbarossakapelle und die uralte Römermauer, nilpferddick. Wir treten auf eine Terrasse. Sie ist drei Türen groß und liegt gleich vor dem Eingang der Barbarossakapelle. P. Direktor gibt uns einen geschichtlichen Überblick über den Bataveraufstand [im August des Jahres 69], hier stand Civilis [Iulius Civilis; 25 bis nach 70]… Unten auf dem Fluß schwere Handelsschiffe, Kräne kreischen, Ketten klirren, Schiffssirenen heulen, Leute schreien, Motoren takken. Im Geiste höre ich den harten Hammerschlag des römischen Rudermeisters, das Quietschen der Dollen [drehbare eiserne Gabeln an der Bordwand zur Aufnahme der Ruder] und das Krachen der runden Rinderringe. Alles ist vergangen, verweht wie Worte, versunken.
Wir fahren über die deutsche Grenze. Überall der neue Farbendreiklang Schwarz-Weiß-Rot an den Zollgebäuden. – Goch, unser letztes Ziel, ist erreicht. Wir schauen uns (Seite 12) in Eile, aber in tiefer Ehrfurcht, das Geburtshaus unseres seligen Vaters Arnold Janssen an. Die Schlichtheit, Einfachheit, Geradheit, ganz der Geist Vater Arnolds. – Es dämmert bereits. Schnell durchfliegen wir die letzte Strecke bis Steyl. Wir singen: „Abend wird es wieder“, „Ave maris stella“.
J. J. UIb [Joseph Junkersfeld, Unterprima b]
Tertianer -
Stilblüten
Investitur ist die Einsetzung der Bischöfe zwischen Stab und Ring.
Dieser wohltuende Balsamduft, den man mit Freuden aufatmet, läßt einen zu einer wunderbaren Harmonie erklingen und ruft ganz unbeschreibliche Gefühle in unserer Seele wach.
Er gestattete ihr aber nicht den Wunsch, den sie stotternd mit den Tränen im Auge seufzte.
Es war ein köstlicher Traum, der bald in der Tat versetzt wird.
Der Zorn der Hausfrau verwandelt sich in Hiebe, die die Katze reichlich empfängt.
Die Gemahlin des Königs war auch gerührt und warf den Sängern die Rose von ihrer Brust vor.
Viele Fürsten lagen mit der Kirche in schiefem Verhältnis.
In der ganzen katholischen Kirche wird dies Fest hochgefeiert und an diesem Tage schleicht eine besondere Stimmung in den Herzen der Christen.
… Genau wie eine Katze, die vorne leckt und hinten beißt, war der alte Herr Schmidt. Den meisten galt er schlechter als ein Hund; denn der Hund wedelt nur mit dem Schwanze, aber dieser Schmeichler mit dem Munde.
An den Füßen trägt der Mann schwere, braune, eisenbeschlagene Nägel.
Alle Großen des Reiches zogen zu ihren Schwertern.
Da Ihr schon so lange nichts mehr von Euch hören laßt, sehe ich mich gezwungen, die scheinbar in den Fluß gefallene Brücke des Briefwechsels von neuem ihre Bogen schlagen zu lassen.
Im Jahre 711 wälzte sich Dschebel al Tarick bei Xerez de la Frontera mit dreimalhunderttausend Moslim über die Pyrenäen (aus einem Klassenaufsatz).
[Auf den Seiten 15 bis 22 folgt ein Bericht über die Geschichte der Anstalt: Die ersten 8 Kurse Reifeschüler 1879-1885.
Auf Seite 23 werden die im Ersten Weltkriege gefallenen fünfzehn Schüler des St.-Michaels-Gymnasiums Steyl aufgeführt.]
Nachwort
1875 hieß es: „Die ganze Erde ist der Weinberg des Herrn, und wir wollen Arbeiter für diesen Weinberg ausbilden und entsenden, und zwar in die entferntesten und vernachlässigsten Gegenden desselben, dorthin, wo fast nur wilde Reben wachsen, welche keine Trauben tragen, und wo alles mit Dornen, Disteln und unnützen Schierlingspflanzen durch- und überwachsen ist.“
Hier wurden andere Religionen mit Dornen, Disteln und unnützen Schierlingspflanzen gleichgesetzt.
1933 dagegen war es bereits möglich über Akkomodation auf den Philippinen zu sprechen: Die andere Kultur wird in ihrer Werthaftigkeit ernstgenommen und das bisher europäisch geprägte Christentum passt sich ihr an.
„Wir wollen Jung-Missionare sein! Kreuzesritter Christi! Noch stehen wir hinter der Front. Aber wir überblicken mit Spannung das Schlachtfeld – wir verfolgen das hin und her – Auf und Nieder der vordersten Reihen. Wir wissen, wo die ersten und besten Führer und die tapfersten Trupps stehen. Wir leben und erleben, fühlen und empfinden mit ihnen Freud und Leid. Wir möchten mutig in die Lücken einspringen, die nagende Not vertreiben. Wir wollen wirken und arbeiten, uns opfern für das Gelingen des Frontkampfes!“
Die missionarische Arbeit wird mit militärischen Termini umschrieben.
„Auch wir wollen rütteln an dem Bau des Heidentums. Darum haben wir unseren Missionsdienstag, schreiben wöchentlich eine Gebetsmeinung aus, halten Missionskommunionen. Missionsfeiern und Missionsabende, gemeinsam und auf den einzelnen Klassen, beleben und erregen immer wieder unsern Eifer und unsere Begeisterung.“
Die nichtchristlichen Religionen sollen in ihren Grundfesten erschüttert werden.
Das erste Thema für den Aufsatz in Deutsch beim Abitur lautete: „Welche Einflüsse hemmten die Entwicklung des deutschen Volkes in der Nachkriegszeit?“
Am 21. März 1933 hörten die Schüler die Rundfunkübertragung, welche von der Eröffnung des Reichstages berichtete. An diesem „Tag von Potsdam“ versicherte Adolf Hitler, die Rechte des Reichspräsidenten, des Reichstages und des Reichsrates nicht anzutasten.
Wie diese Sendung auf die Schüler wirkte, läßt sich an einem Reisebericht erkennen: „Die Grenze! SA-Leute marschieren vorbei. Fahnen, schwarz-weiß-rote und Hakenkreuze. Was können wir anders als singen: „Deutschland, Deutschland über alles?“ Meine Kameraden schauen; denn viel hat sich seit den letzten Herbstferien geändert, und dieses neue Deutschland wollen sie besuchen, und Aachen ist das Ziel. Der Tag der nationalen Erhebung, der 21. März, steht noch frisch in Erinnerung.“
Seltsam wirken in dieser Situation die Mahnungen Ciceros, die von den Abiturienten zu übersetzen waren, daß der Regierende sich um alle Menschen im Staat zu kümmern und für sie zu sorgen habe, dass er sich vor Machtgier und vor dem Anstiften von bewaffneten Auseinandersetzungen zu hüten habe.
Die Lektüre dieses Heftes kann Schaudern hervorrufen. Der erste Teil des Buches „Mein Kampf. Eine Abrechnung“ war 1925 in München erschienen, der zweite 1926. In diesem Buch werden Judenhaß und Streben nach Diktatur deutlich. Die schlimmen Handlungen der Schlägertrupps, die versuchten, alle niederzuknüppeln, die eine andere Meinung als sie selbst hatten, war nicht unbemerkt geblieben. Und doch gab es Stolz auf dieses neue Deutschland.
Herzlichen Dank an Norbert Nordmann für die Überlassung der Kopie.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Düsseldorf 2023