Die Gedenkstätte

 

Photographie von Cornelia Attolini

 

Mein Großvater Heinrich Knechten wurde am 7. Juli 1891 in Goch geboren. Er heiratete am 14. Juni 1919 in Kevelaer meine Großmutter Gertruda Rutten eine Niederländerin, die am 12. Mai 1890 in Heijen (Bergen) geboren worden war. Warum fand die kirchliche Trauung nicht in Goch statt? Nun, weil mein Vater bereits unterwegs war.

Niederländischer Stukkateur im Jahre 1965, Quelle: Wikipedia

 

Mein Großvater war von Beruf Stukkateur, der plastische Ausformungen von Mörtel oder Gips auf Wände oder Decken aufbringt. Die Kunst besteht darin, daß diese Gebilde an Ort und Stelle verbleiben und nicht hinabstürzen. Er hatte Humor. Eines Tages füllten seine Töchter in seine Kornflasche Wasser. Nun beobachteten sie gespannt, was geschehen würde. Er las Zeitung und trank immer wieder, wie stets, einen winzigen Schluck aus dem Pinnchen. Schließlich fragte er: „Wer hat denn jetzt wen hereingelegt?“

Meine Großmutter war vor der Heirat in Stellung bei einem Bauernhof. Sie wurde dann für ihre wachsende Familie verantwortlich und zog sieben Kinder groß, zwei Jungen und fünf Mädchen. Ein Sohn, Ernst, starb am 5. Dezember 1942 bei Stalingrad. Nach dem Krieg schrieb sie in einem Brief, daß in Goch alles zerstört sei. Der Wiederaufbau war schwierig und mühsam.

Sie kümmerte sich auch um ihre Enkel, hatte aber große Bedenken, wenn wir Kinder in den Bäumen ihres Gartens herumturnten. Sobald sie erfuhr, daß in der Bücherei neue Werke angekommen seien, war sie gleich dort und las sie mit Begeisterung.

Mein Großvater starb am 3. Juni 1958 in Goch und seine Frau ebendaselbst am 12. März 1962. Sie wurden nebeneinander auf dem Gocher Friedhof bestattet.

Als die Grabstätte eingeebnet wurde, erhielt ich den Grabstein.

 

Photographie von Cornelia Attolini

 

Mein Vater Jakobus Johannes Heinrich Knechten wurde am 17. Dezember 1919 in Goch in der Weezer Straße geboren. Während des Krieges lernte er in Berlin Johanna Jiru kennen, die am 14. Juni 1913 in Deutsch-Gabel (Böhmen) geboren worden war. Ihre Mutter, Johanna Jiru, geborene Gundacker, war aus dem Waldviertel in Niederösterreich. Mein Vater heiratete meine Mutter am 20. Juni 1941 in Neukölln.

Im Krieg war er Pionier in Weißrußland und mußte Bomben entschärfen. Dann wurde er nach Frankreich beordert. Dort wurde er schwer verwundet. Als er wieder in Deutschland war, entging er nur knapp der Bombardierung Dresdens.

 

Photographie von Cornelia Attolini

 

Meine Mutter war von Beruf Blumenbinderin. Darin zeigte sie außerordentlichen Geschmack und Erfindungsreichtum. Sie gab ihr Interesse für Geistiges, für Sprachen (sie sprach neben Deutsch auch Tschechisch) und für Musik (sie spielte Klavier) weiter. Die Vertreibung aus ihrer Heimat löste in ihr ein Trauma aus, das sie nie überwand.

 

Zimmerazalee (Rhododendron simsii), im Dezember blühend,
Quelle: Wikipedia

 

Von Beruf war mein Vater Gärtner, mit der Spezialisierung auf die Kultivierung von Eriken und Azaleen. Um seinen Kindern größere Möglichkeiten zu bieten, organisierte er den Umzug der Familie von Asperden nach Kevelaer.  In der Weezer Straße erbaute er mit viel Eigenleistung ein Haus. Zwölf Jahre war er im Stadtrat tätig. Er gab seinen gesunden Menschenverstand, sein Interesse am Schicksal anderer und seine praktische Lebensauffassung weiter. Er starb am 27. Mai 1995.

 

Photographie von Cornelia Attolini

 

Als das Grab meiner Eltern aufgehoben wurde, brachten mir meine Nichte, ihr Mann, mein Schwager und mein Patenkind den Grabstein aus Anröchter Stein, Grünsandstein, der 500 kg schwer war. Beide Grabsteine wurden im Garten aufgestellt.

Dies ist eine Gedenkstätte geworden. An einem Gedenktag wird eine Kerze angezündet und ein Vaterunser gesprochen.

Im Gedenken sind uns unsere lieben Verstorbenen nahe. Im östlichen Bereich wird nicht von Verstorbenen oder Toten gesprochen, sondern von Entschlafenen. Sie sind nicht getrennt von uns, sie sind uns nicht fern.

Hier ist ein Ort der Ruhe, der inneren Einkehr und des Innehaltens in der Rastlosigkeit unserer Zeit. Hier läßt sich neue Kraft schöpfen. Wir können über das Leben unserer Verwandten nachsinnen, über die Wechselfälle, Gefahren, Schwierigkeiten und Nöte, die sie bewältigen mußten, aber auch über ihre Freuden, ihr Glück, ihre Seligkeit, ihr Lächeln und die Ermutigung, die von ihnen ausging und ausgeht.

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024

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