Die
Briefe von Semën Frank an Fritz Lieb
bearbeitet von Christoph und Klaus Bambauer
Einführende Bemerkungen zu S.Frank und
F.Lieb
Da weder Semën L.Frank noch Fritz Lieb eine bedeutende Rolle in der gegenwärtigen Geistesgeschichte spielen und nicht zuletzt daher eine Kenntnis ihrer Personen und Werke nicht voraus gesetzt werden können, sollen in den folgenden Ausführungen in der gebotenen Kürze die wichtigsten Daten ihrer Biographien sowie ihre bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen Erwähnung finden, um den zwischen ihnen stattgefundenen Briefwechsel wenigstens ansatzweise in einen gewissen Kontext zu stellen. Die anschließend abgedruckten Briefe befinden sich im Nachlass Fritz Lieb der Universitätsbibliothek Basel (Handschriftenabteilung, Signaturen Aa 332, 1; Aa 333, 1-27; Aa 334, 1).
Leben und Werk Semën L.Franks
Semën Ljudwigowitsch Frank wurde am 16.1.1877 als Sohn eines jüdischen Arztes in Moskau geboren. Die Familie Frank gehörte zur damaligen gesellschaftlichen Oberschicht, sodass ein Verkehr mit der russischen Intelligenzia zur Tagesordnung gehörte. Nach dem frühen Tod seines Vaters (1882) wurde Frank besonders durch den Vater seiner Mutter (Rozalija Moiseevna), Moisej Rossanskij, beeinflusst, der sich insbesondere durch seine gründlichen Kenntnisse der jüdischen Theologie auszeichnete. Nach dem Studium verschiedener orientalischer Sprachen schrieb Frank sich 1894 unter dem Einfluss politischer Interessen an der juristischen Fakultät der Universität Moskau ein, doch wandte er sich wenig später verstärkt philosophischen und ökonomischen Fragen zu und studierte ab 1899 in Berlin u.a. Philosophie bei prominenten Denkern wie z.B. Simmel, Windelband und Riehl (politische Aktivitäten brachten ihm ein zweijähriges Universitätsverbot in Russland ein). Anfang des 20. Jahrhunderts ging Frank mit seiner Mutter und ihrem neuen Mann nach Petersburg, wo er mehrere Jahre an einem Gymnasium Philosophie lehrte und bei dieser Gelegenheit seine spätere Frau kennen lernte. Da Frank über keine feste Arbeit verfügte, hielt er sich mit Übersetzungen vom Deutschen ins Russische über Wasser, zu denen u.a. auch Schleiermachers "Reden über die Religion" und Kuno Fischers "Geschichte der neuen Philosophie" zählen. Er trat der religiös-philosophischen Gesellschaft bei, der u.a. auch Berdjajew und Bulgakow angehörten und entwickelte in diesem geistigen Klima, welches noch durch die Herausgabe einer spirituell-philosophischen Zeitschrift mit seinem Freund Peter Struwe genährt wurde, schrittweise seine eigene philosophische Position, die er in den folgenden Jahrzehnten in vielen Büchern und Aufsätzen ausarbeitete. 1912 wurde Frank Privatdozent an der Universität Petersburg und veröffentlichte 1915 sein erstens systematisches Hauptwerk "Der Gegenstand des Wissens", indem er sich besonders mit der alten platonischen Frage nach dem Wesen des Wissens auseinandersetzt, wobei er diese traditionelle Thematik allerdings vor dem Hintergrund der Erkenntnistheorien des Deutschen Idealismus sowie des Neukantianismus diskutierte und die nicht zuletzt in der damaligen philosophischen Diskussion virulente Problematik des Psychologismus aufgriff. Schon in diesem recht frühen Werk Franks wird seine Sympathie für den Neuplatonismus plotinischer Prägung sowie für die Philosophie des Nikolaus von Cues deutlich, die auch seine späteren Arbeiten durchzieht. 1921 wurde Frank nach einer kurzen wissenschaftlichen Tätigkeit in Saratov Professor an der Universität Moskau, musste jedoch bald danach wie viele andere Intellektuelle aufgrund der russischen Revolution fliehen und ging nach Berlin, wo er als Lektor für russische Literatur und Philosophie an der slawistischen Fakultät unterkam. Von Berlin aus entfaltete Frank eine rege Publikations- und Vortragstätigkeit, wobei ihn letztere z.B. nach Frankreich, Holland, Polen und auf den Balkan führte. Da Frank Jude war, verlor er 1933 seine Stellung in Berlin und flüchtete nach Südfrankreich, wo er schließlich nach einer Umarbeitung sein früher schon fertig gestelltes Werk "Das Unergründliche" 1939 veröffentlichen konnte. Diese Arbeit kann neben seinem Erstling von 1915 als das durchdachteste und gründlichste Werk Franks bezeichnet werden und schließt inhaltlich vor allem an die cusanische Konzeption Gottes als transrationalem Zusammenfall der Gegensätze an. Allerdings folgten in den Jahren danach in kurzem Abstand noch die beiden religionsphilosophischen Arbeiten "Licht im Dunkel" und "Gott mit uns", welche nach den eher theoretisch-philosophischen (obzwar immer auch religiös orientierten) Arbeiten Franks gezielt genuin theologische Fragen aufgreifen und diskutieren. 1945 ging Frank nach London (wo der Rest seiner Familie auf ihn wartete) und stellte dort u.a. sein letztes großes Werk "Realität und Mensch" fertig. Da er schon länger an einer Herzkrankheit litt und zudem im Spätsommer 1950 Lungenkrebs diagnostiziert wurde, musste Frank in diesem Jahr seine philosophische Arbeit einstellen und starb schließlich am 10. Dezember 1950. Er wurde auf dem russischen Friedhof in Hendon im Nordwesten von London begraben. Der Sohn Viktor Semënowitsch Frank (1909-1972) wurde in St. Petersburg geboren und verließ mit seiner Familie Russland, um sich in Deutschland niederzulassen, wo er die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin besuchte. Er schrieb 1936 seine philosophische Doktorarbeit über "Russische Fern-Ost-Politik im XVII. und XVIII. Jahrhundert".
Leben und Werk Fritz Liebs
Fritz Lieb kam am 10.6.1892 in einer Pastorenfamilie in Rothenfluh (Schweiz) zur Welt. Seit 1912 studierte Lieb orientalische Sprachen in Basel und Berlin und danach in Basel, in Berlin und Zürich Theologie. Die wirtschaftlichen Probleme der Arbeiter brachten Lieb verstärkt zur Reflexion über soziale Fragen, sodass er sich u.a. mit dem Marxismus beschäftigte und in der Arbeiterbewegung tätig wurde. Nach einem Praktikum bei Karl Barth, mit dem er freundschaftlich verbunden war, reichte Lieb 1923 in Basel seine theologische Dissertation über Franz von Baader und Kant ein und heiratete im selben Jahr die Pfarrerstochter Ruth Staehlin. Ein Jahr später folgte an der selben Universität seine Habilitationsschrift über die frühe Entwicklung von Franz von Baader, welche ihn für die nächsten Jahre zum Privatdozenten in Basel machte. 1931 bekam Lieb eine außerordentliche Professur für östliches Christentum in Bonn, die er allerdings wenig später unter Einfluss des Nationalsozialismus aufgeben musste. Darauf war er von 1934-37 im französischen Clamart/Paris tätig und pflegte regen Kontakt zu den russischen Emigranten. Besonders enge Beziehungen unterhielt Lieb mit N.A.Berdjajew, mit dem er nicht nur freundschaftlich verbunden war, sondern ihm auch bei der Organisation philosophischer Veranstaltungen half. 1937 wurde F.Lieb Extraordinarius für Dogmatik und Theologiegeschichte in Basel. Im Laufe der Zeit wurde er zu einem eifrigen Sammler wertvoller russisch-slawischer Literatur des 16. bis 19. Jahrhunderts. Seine Sammlung von über 13000 Büchern befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Basel. 1958 wurde Lieb persönlicher Ordinarius in Basel und 1962 emeritiert. Am 6.11.1970 starb Lieb schließlich in Basel. Neben seinen religiösen und philosophischen Interessen beschäftigten Lieb auch geologische und paläontologische Fragen, und er konnte auch auf diesem Gebiet Erfolge verbuchen. Eines seiner wichtigsten geisteswissenschaftlichen Werke ist das 1962 in Zürich veröffentlichte "Sophia und Historie. Aufsätze zur östlichen und westlichen Geistes- und Theologiegeschichte", in dem Lieb sich entschieden für die Werthaftigkeit des östlichen Denkens aussprach. Abgesehen von Arbeiten zu allgemeinen religiös-philosophischen Themen (z.B. einer Studie zu Hamann (München 1926)) ist auch noch das 1929 in Tübingen erschienene Werk "Das westeuropäische Geistesleben im Urteile russischer Religionsphilosophie" als für dieses Thema relevant zu nennen. Liebs definitive religiös-philosophische Position kann wahrscheinlich am besten als eine Vermittlung zwischen der Theologie Barths und der russischen Religionsphilosophie umrissen werden.
Die Briefe von Semën Frank an
Fritz Lieb
Brief 1
Berlin, den 17. XI. [19]28
W. So. Passauerstr. 22 II1)
Lieber Herr Kollege!
Gestern war bei mir Schestow, erzählte von seiner
Vortragsreihe in der Schweiz, sagte zugleich, er hätte auch meine
angeregt. Er empfahl mir, wenn ich geneigt bin, Ihnen zu schreiben. Nun möchte
ich Ihnen mitteilen, dass ich gerne bereit wäre, eine solche Vortragsreihe nach
schweizerischen und süddeutschen Städten zu machen. Ich könnte Ihnen einen
Vortrag anbieten, der vielleicht allgemeines Interesse finden würde: "Die
russische und die deutsche Geistesart in ihren gegenseitigen Beziehungen".
Ich habe soeben diesen Vortrag in Leipzig, auf Einladung der "deutschen
Akademie" in der Aula der Universität vor etwa 500 Zuhörern und, wie mir
scheint, mit Erfolg gehalten. Meine Hauptthese ist dabei die Wahlverwandtschaft
zwischen russischem und deutschem Geiste, die ich auf Grund einer Analyse der
russischen Religiosität und der deutschen Mystik, (die ich entscheidend für den
deutschen Geist halte) beweise. Könnten Sie mir diese Vortragsreise
arrangieren, so würde ich sehr dankbar sein. Schestow bat mich noch, Ihnen
dabei mitzuteilen, dass der Name des Studenten, der diese Angelegenheiten
führt, Pewsner ist.
Ich möchte gerne – auch abgesehen von dieser
Angelegenheit – von Ihnen wieder was hören. Schestow erzählte mir, wie eifrig
Sie russische Bücher kaufen.2) Wollen Sie, dass ich für Sie etwas bei den
russischen Antiquariaten in Berlin was suche, so bin ich gerne bereit, Ihnen
behilflich zu sein.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr S.Frank
Anmerkungen
1) Die erste 4-Zimmer-Wohnung fand Familie Frank
in Schönberg in der Karl-Schrader-Straße. In den folgenden Jahren lebte die
Familie Frank in Berlin in sechs verschiedenen Wohnungen. Es war für einen
Ausländer unmöglich, die Instandhaltung einer Wohnung zu finanzieren oder die
Wohnung zu kaufen oder nur ein Untermieter zu sein. Erst später waren sie in
der Lage, eine eigene Wohnung zu mieten. Möglicherweise dadurch, dass Frank als
ein ausländischer Journalist bei Berdjajews in Paris beheimateter Zeitschrift
"Der Weg" [Put’] akkreditiert war, war dies möglich. Franks Berliner
Adressen waren: Karl-Schrader-Str.1 (eine recht große Wohnung), Joachim-Friedrich-Str.
48, 3-4 Räume mit einem Balkon; Passauer Straße, Neue Kantstr. 27, eine große
Wohnung mit zwei Balkons im vierten Stock; Hectorstr. 20, lebten sie im
Parterre; Nestorstr. 11 mit einer großen Küche, einem großen Esszimmer und
einem Raum, in dem Viktor und Vasilij schliefen, im ersten Stock eines
Sommerhauses (vgl. Boobbyer, Das Leben von S.L.Frank, Athens 1995, S. 247 A.
15. Zit. Boobbyer, S.L.Frank).
2) Vgl. dazu: Die russisch-slawische Bibliothek
Lieb in der Universitätsbibliothek Basel, in: F.Lieb, Sophia und Historie,
Zürich 1962, S. 19-30.
Brief 2
Rehbrücke bei Potsdam
Villa Krizon den 17. 01. [19]29
Sehr geehrter und lieber Herr Kollege!
Herr Mislin schrieb mir, dass Sie wieder in Basel
sind. Ich danke Ihnen für die Vermittlung bei den Vorträgen in Basel und Zürich
(aus Zürich habe ich von Herrn Lourié (?) eine Einladung zum Vortrag erhalten.
Der Vortrag soll am 29. Juni stattfinden).1) Nun möchte ich Sie noch fragen:
wäre es nicht möglich, wie Sie es einmal geplant haben, auch in Freiburg i/Br.
anschliessend einen Vortrag zu veranstalten. Abgesehen von materiellen Rücksichten
wäre es mir besonders interessant, Husserl und Heidegger kennenzulernen, und in
ihrer Anwesenheit einen Vortrag zu halten. Und zwar möchte ich dabei nicht den
Baseler Vortrag über den russischen und deutschen Geist wiederholen, sondern es
wäre mir lieber, den Züricher Vortrag zu wiederholen, wo ich gebeten wurde,
über Erkenntnistheorie ("Das Rätsel der Transzendenz" – aus Anlass
meines Aufsatzes im "Logos" zu sprechen.
Verzeihen Sie, dass ich Sie wieder belästige.
Mit besten Grüßen an Sie und Ihre Familie
Ihr sehr ergebener S.Frank
Anmerkung
1) S.Frank hielt seinen Vortrag über das Thema
"Deutsche und russische Geistesart" am 27. Juni 1929 in der
Ortsgruppe Basel der Kantgesellschaft.
Brief 3
Berlin, den 5. II. 1929
W SO Passauerstr. 22
Lieber Herr Kollege!
Verzeihen Sie, dass ich meinerseits Ihren lieben
Brief so lange unbeantwortet liess. Ich hatte diese Zeit viel zu tun, und
inzwischen kam noch der Tod von Peter Struwe,1) am nächsten Tag nach Ihrem
Briefe, in dem Sie mir eine Besserung mitteilten. Also bitte nochmals um
Entschuldigung.
Was Ihre Zeitschrift betrifft, so gratuliere ich
Ihnen herzlich zum Erfolg, und bin natürlich gerne bereit, in ihr
mitzuarbeiten. Ich bin zwar kein Theologe, sondern meinem Berufe nach
Philosoph, aber es wird sich schon etwas finden, was auch für Ihre Zeitschrift
hoffentlich von Interesse sein wird. Ich könnte etwa einen Teil meines
Vortrages über russische und deutsche Geistesart (der in anderer Stelle
erscheinen wird), in entsprechender Umarbeitung etwa als "Die russische
Orthodoxie und die deutsche Mystik" Ihnen anbieten. Doch es wird wohl noch
Zeit sein, darüber später ausführlich zu sprechen.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Bemühungen zur
Veranstaltung meines Vortrages in Basel. Nun möchte ich sie in diesem
Zusammenhange um folgendes bitten.
Zunächst: es wäre mir sehr wichtig, wenn der
genaue Zeitpunkt, d.h. Tag des Vortrages rechtzeitig, d.h. möglichst schon
jetzt bestimmt wäre. Sie können ihn ganz frei wählen (nur Pfingsten bin ich
besetzt, und im Juli möchte ich mich ausruhen – der einzige Monat im Jahr, wo
meine Kinder Schulferien haben und wir gewöhnlich aufs Land ziehen). Die
rechtzeitige Bestimmung des Tages des Vortrags ist in zwei Hinsichten wichtig:
1. habe ich auch hier in Berlin Vorträge am russ[ischen] wissensch[aftlichen]
Institut,2) und muss vorher wissen, wann ich frei und wann besetzt bin, damit
keine Kollision entstehe. 2. wenn ich jetzt schon resp. in kürzester Frist den
Tag meines Vortrags kenne, so kann ich mit den Kantgesellschaften in den
naheliegenden deutschen Städten (Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt/a.Main) mich
in Verbindung setzen, dass ich auch dort anschliessend Vorträge halte. Das
müsste aber schon in der nächsten Zeit verabredet werden, denn die
Kantgesellschaften stellen ihren Vortragsplan sehr zeitig fest.3)
Zweitens. Schestow sagte mir, die finanziellen Bedingungen des
Vortrags in der Schweiz wären so, dass man nur durch mehrere Vorträge auf seine
Kosten kommen und etwas verdienen könne. Bei mir kommen noch die hohen Visa auf
mein Sowjetpass in Betracht (Übrigens: wird mein Sowjetpass – wir aus Russland
ausgewiesenen und in Deutschland lebenden sind genötigt, den Sowjetpass zu
behalten, weil die Deutschen nach den [fehlt in Fotokopie] nicht das Recht
haben, uns Nansenpässe zu erteilen – nicht ein unüberwindliches Hindernis zur
Erlangung des Schweizerischen Visum sein!)4). Also: Könnten nicht, wie es bei Schestow
der Fall war, anschließend Vorträge in anderen schweizerischen Städten (Zürich,
Bern?) veranstaltet werden? Verzeihen Sie, dass ich Ihre Güte sofort weiter
missbrauche. Da ich aber Geld brauche und außerdem meine physischen Kräfte sehr
beschränkt sind, so lohnt sich diese Vortragsreihe nur, wenn man dabei wirklich
etwas verdienen kann.
Ich danke Ihnen – und unbekannterweise Ihrer Frau
Gemahlin – für die gütige Einladung, bei Ihnen abzusteigen.
Also ich erwarte von Ihnen womöglich schnelle
Antwort, zunächst auf den ersten Punkt, d.h. genaue Zeitbestimmungen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr S.Frank
PS. Außer meinem Vortrage über russische und
deutsche Geistesart könnte ich noch folgende Themata bieten: "Tolstoi als
Denker (das hat mir aber Schestow offenbar vorweggenommrn); "Ein
russischer Nietzsche (Konstantin Leontjew)", "Russlands Schicksal und
die gegenwärtige Weltanschauungskrise", "Psychoanalyse und
Mystik".
Anmerkungen
1) Pëtr Bernhardowitsch Struwe
(26.10.1870-26.2.1944, Paris), berühmter russischer Publizist und Politiker der
russischen vorrevolutionären Jahre, der Weißen Bewegung und der russischen
Emigration. Mitverfasser der Sammelbände "Vechi" und "Iz
glubiny", Redakteur der Zeitschriften "Russkaja mysl’" [Der
russische Gedanke] (Moskau 1907-1918, Sofia/Prag/Berlin 1921-1924, Paris 1927,
"Vozroshdenie" [Wiedergeburt] (Paris 1925-1927).
2) Das russische-wissenschaftliche Institut war im
Winter 1922/23 eingerichtet worden. Es hatte das Ziel, eine förmliche
Erziehungsinstitution für emigrierte Gelehrte zu werden. Besonders unterstützte
es die unabhängige akademische Forschung in der russischen Kultur, um in einen
Dialog mit anderen Akademien einzutreten und um systematische Kurse für
russische Studenten, die in Deutschland ausgebildet wurden, vorzubereiten. Es
strebte auch an, die Erziehung von jungen Menschen zu vervollständigen, die die
Hochschule in Russland nicht hatten beenden können. Seine wichtigsten Lehrer
waren: Hessen [Sergius H., 1887-1950, Philosoph und
Erzieher. Hessen studierte an deutschen Universitäten, bevor er nach Russland
zurückkehrte und Dozent an den Universitäten in St. Petersburg und Tomsk wurde.
Im Jahre 1922 verließ Hessen Russland und lebte zunächst in der Tchechoslowakei
und nach 1935 in Polen. Nach 1945 war er Prof. für Erziehungswissenschaft an
der Universität Lodz], Kaminka [A.I.Kaminka gründete in Berlin zusammen mit V.D.Nabokow
und I.V.Hessen die Zeitschrift "The Helm" [Rul’]. Außerdem gründete
Kaminka gemeinsam mit Nabokov die Zeitschrift "Right" (Pravo)]. sowie
eine Anzahl der Emigrantengruppe einschließlich Berdjajew, Iljin, Karsawin. Die
Hauptfinanzierung kam aus deutschen Quellen, Im Dezember wurde 1922 wurde
Sergius Hessen zum Vorsitzenden des Projekts gewählt, um das Institut ins Leben
zu rufen. Im Januar 1923 wurde ein Organisationskommittee gegründet, das
Aichenwald, Berdjajew, A.Tschuprow, Frank, Karsawin und Losskij einschloss. Die
erste Zusammenkunft wurde eröffnet in der Alten Architektur-Akademie in Berlin
am 17. Februar 1923. Es gab 446 Bewerbungen, die 260 Studenten in der
philosophischen Abteilung einschlossen, wo Frank tätig war. Berdjajew, Frank, Kisewetter
und Struwe gaben zu dieser Zeit Vorlesungen. und der Erfolg war beträchtlich.
Im Herbst wurde Frank Dekan der neuen Historisch-Philologischen Fakultät. Er
gab einen obligatorischen Kurs über die Geschichte der alten Philosophie sowie
ein Seminar über Philosophie. Bei der Eröffnung des akademischen Jahres hielt
er einen Vortrag über die Wichtigkeit der Bewahrung und Entwicklung der
russischen nationalen Kultur. Iwan Iljin war Dekan der Rechts-Fakultät,
Prokopowitsch der Wirtschafts-Fakultät und W.I.Jasinskij Rektor des Instituts.
In Berlin wurde das Institut manchmal erwähnt als die Russische Universität.
Dennoch verließen viele der berliner russischen Intellektuellen das Institut,
um nach Paris oder Prag zu gehen. Schon im Herbst 1923 war das Institut
teilweise nach Prag verlegt worden, das zum Hauptzentrum des russischen
akademischen Lebens in Europa wurde. Frank blieb eine zentrale Gestalt des
Instituts, da er 1932 zu seinem Direktor ernannt wurde [vgl. den Hinweis in
Brief 12, der für die Ernennung das Jahr 1929 annimmt]. All dies verdeutlicht,
dass Frank in diesen frühen Jahren in Berlin ebenso mit Verwaltungsaufgaben als
auch mit akademischen Verpflichtungen belastet war.
3) S.Frank hielt lt. Mitteilungen der
Kantgesellschaft schon zuvor folgende Vorträge: Am 25. November 1925 in Aachen,
Thema: "Zur Metaphysik der Seele", veröffentlicht in: Kantstudien Bd.
XXXI, Heft 1, 1926, S. 351-373. Schon am 6. Mai 1925 sprach S.Frank in der
Ortsgruppe Berlin der Kantgesellschaft über "Die russische Weltanschauung".
In der Ortsgruppe Minden referierte Frank am 8. März 1926 über "Die
russische Weltanschauung". Frank beschäftigte sich auch mit der
Hochkirchlichen Vereinigung, die von 1929 an von dem bekannten Marburger
Theologen Friedrich Heiler geleitet wurden. Heiler, den Frank kannte und
bewunderte, hatte ein gleiches Interesse wie Frank an Mystik und
universalistischem Christentum. Im Jahre 1934 schrieb Frank eine Reihe von
Artikeln für Heilers Zeitschrift "Eine heilige Kirche", ebenso
verfasste er Artikel für "Hochland", eine katholische Zeitschrift mit
sozialer Ausrichtung, gegründet von dem Publizisten Carl Muth.
4) Im Blick auf die von Semën Frank hier
angesprochene Passangelegenheit galt folgende Regelung: Eines der Hauptprobleme
der z.B. in Berlin ankommenden Russen war ihr legaler Status. Das
Nansen-Kommitee der Liga der Nationen gab ein besonderes Dokument aus, dass den
Namen "Nansen-Pass" trug, der gedruckt war für alle Russen, die den
Emigrantenstatus beantragten. Der Pass konnte dazu benutzt werden, für die
Beschaffung von Visa zu dienen oder ins Ausland zu reisen. Er berechtigte auch
den Besitzer zur Beantragung zur Erlaubnis zu beständigem Aufenthalt. Die
Franks jedoch wie viele andere Emigranten, die 1922 ihr Land verlassen musste,
erhielten die Nansen-Pässe nicht. Sie blieben dabei, Inhaber ihrer Sowjetpässe
zu bleiben trotz der Tatsache, dass die letzte Seite von Franks Pass
feststellte, dass er niemals mit der Androhung der Strafe der Exekution in die
UdSSR zurückkehren dürfte. Dies war der Grund für manche Schwierigkeit, als die
Familie Deutschland 1937/38 verlassen wollte.
Brief 4
Berlin, den 12. III. 1929
Lieber Herr Kollege!
Verzeihen Sie, dass ich Sie nochmals mit meiner
Angelegenheit belästige. Auf meinen letzten Brief habe ich bis jetzt keine
Antwort von Ihnen. Nun steht die Sache aber so, dass ich eine womöglich
schnelle Antwort haben muss. Im Laufe der nächsten Woche muss ich mich nämlich
für eine Reihe von Vorträgen hier in Berlin für das Sommersemester
verpflichten. Wenn also meine Vortragsreise nach Basel nicht fallen gelassen
ist, so müsste ich mindestens ungefähr den Termin vorher wissen. Vorläufig bin
ich noch ganz frei, und Sie könnten den Termin nach Ihrem Ermessen wählen. Wenn
es also irgendwie geht, so teilen Sie mir bitte im Laufe der nächsten 8 Tage
mit, ob und für wann – wie gesagt, wenigstens ungefähr – mein Vortrag bestimmt
ist.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr S.Frank
Brief 5
Rehbrücke bei Potsdam
Villa Krizon den 16. VII. [19]29
Mein lieber Lieb, ich habe Ihnen bis jetzt nicht
geschrieben, weil ich dachte, Sie wären noch auf Reisen. ich hoffe, sie sind
jetzt schon wieder zu Hause.
Zunächst, nochmals tiefsten herzlichsten Dank für
den großen freundschaftlichen Dienst, den Sie mir mit dem langfristigen
Darlehen erwiesen haben. Ich habe jetzt meine kurzfristige Schulden
konvertiert, und bin befreit von dem peinlichen Angstgefühl, ständig über einem
Abgrunde zu balancieren. Bitte schicken Sie mir weiter von sich kein Geld mehr.
Ich hoffe, dass ich mit 400 M. auskommen werde; wenn nicht, so weiß ich schon
selber, wo ich einen wahren Freund habe, an den ich mich nötigenfalls wenden
kann.
Durch Vermittlung Berdjajews habe ich eine gute
Summe Geld für meine Kur von den Amerikanern erhalten. Es ist fast schon
beschlossen, dass ich nach Badenweiler gehe, also wieder ganz in Ihrer Nähe
sein werde, und ich hoffe, Sie werden mich öfters besuchen. Ich selber kann
doch nicht zu Ihnen herüberkommen.1)
Mit Vasmer2) habe ich von Ihnen und der
Möglichkeit Ihrer Habilitation in Berlin gesprochen, und habe ihm sehr
überzeugend dargetan, wie wichtig für alle Russlandforscher Ihre Anwesenheit in
Berlin sei. Er hat mir versprochen, sich dafür einzusetzen. Von den Theologen
kennt er Deissmann3) ganz gut. Ich habe hier ein zweites Exemplar von "Orient
und Occident" zugeschickt erhalten, und habe es Vasmer übergeben, der
keins hatte.
Ich erinnere mich auch der schönen Tage, die ich
bei Ihnen in Basel verbrachte, und möchte Ihnen und Ihrer lieben Frau nochmals
für die mir erwiesene liebevolle Gastfreundschaft herzlich danken. Haben Ihre
Kinderchen mein kleines Geschenk erhalten?
Mit herzlichsten Grüßen von mir und meiner Familie
an Sie, Ihre Frau und Kinder
Ihr S.Frank
Anmerkungen
1) Während des Sommers 1929 ging es Frank – ebenso
wie seiner Frau Tatjana – recht schlecht. Er verbrachte die Zeit auf dem Lande
und widmete sich leichter Lektüre. Während dieses Sommers litt er an einer Art
von nervlicher Depression und sprach mit sich selbst, fast bis zum Punkt der Halluzination. Tatjana arrangierte für ihn, sich
in einem Sanatorium in Badenweiler zu erholen. Er wurde ihm sehr durch einen
Psychiater geholfen, der, mit Franks Worten "mich immer schaukelte wie
eine gute Kinderfrau" (aus privaten Erinnerungen von Tatjana Frank). Seine
Mangel an Kraft kulminierte in einigen Herzproblemen im frühen Jahr 1936, die
ihn für eine Anzahl von Wochen ans Bett fesselten. Der örtliche russische Arzt
behandelte ihn ohne Bezahlung. Insgesamt stellt Boobbyer, S.L.Frank, fest:
"Vielleicht war das größte Problem des Krieges die Versuchung zur
Verzweiflung. Die Einsamkeit war ein Grund dafür. Ein anderer war Franks
Gesundheit, die niemals gut war. Er hatte Brustschmerzen, Prostataleiden und
Darmprobleme und war gewöhnlich in einem Zustand von Erschöpfung irgendeiner
Art. Wie immer war er anfällig für morbide Gedanken: "Ich möchte es
vorziehen, im alten Europa zu sterben, vielleicht mit dem alten Europa."
Manchmal fiel er in Selbstverachtung, indem er an Binswanger schrieb: "Es
gibt nichts an mir zu bewundern" (S. 181f.).
2) Max Vasmer (1886-1962). Er wurde in Petersburg
als Sohn deutscher Eltern geboren, dort Studium der slawischen Philologie und
Indogermanistik, 1910 Habilitation, 1917 Professor in Saratow, 1919 in Dorpat
(Tartu), 1921 in Leipzig, 1925-1947 Berlin, 1947-48 Stockholm, 1949-1956 Freie
Universität Berlin. M.Vasmer konnte es erreichen, dass mit seinem Antritt an
der Humboldt-Universität Berlin auch ein Seminar für Slawische Philologie
gegründet wurde, das bald die Bezeichnung Slawisches Institut erhält. M.Vasmer
ist der letzte Professor auf dem Berliner Lehrstuhl, der
sprachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen zu fast allen slawischen Sprachen
und zugleich auch Vorlesungen zur russischen Literatur von der ältesten Zeit
bis ins 19. Jhdt. hält. Unter seiner Leitung werden die
"Veröffentlichungen des Slawischen Instituts" und die
"Zeitschrift für slawische Philologie" herausgegeben. Als M.Vasmer
Leider der russischen Abteilung an der Berliner Universität wurde, erreichte er
es für Frank, in den Jahren 1931-33 Vorlesungen zu halten. Diese Vorlesungen
waren bei den Studenten stets beliebt. In Franks Vorlesungsraum war alles ruhig
– Hitlers Popularität wuchs an – und häufig gab es Straßenkämpfe. Franks
Vorlesungsstil war weniger professoral als eher meditativ. Er hatte Notizen,
aber er bezog sich wenig auf sie. Er sprach sehr langsam und hatte ein
"magnetisches" Gesicht und ebensolche Augen. Trotz aller
Anstrengungen waren Franks Versuche, in das deutsche Leben einzudringen, nicht
sehr erfolgreich. Der einzige Philosoph, mit dem er in aktivem Kontakt stand,
war Max Scheler. Im Todesjahr Schelers schrieb Frank, dass in diesem Jahr
Berlin zur Wüste geworden war und dass er wie ein Eremit lebe.
Die franksche finanzielle Situation in Berlin war
– wie seine Briefe zeigen – meist unstabil. Allein die Wohnung musste in Berlin
sechsmal gewechselt werden.
Es gibt eine Geschichte, dass Karsawin einst von
einem deutschen Professor gefragt wurde: "Wie existiert ihr Russen
finanziell?". Er antwortete: "Ganz einfach. Frank und ich leihen
fortwährend Geld voneinander". (Vgl. Boobbyer, S.L.Frank S. 122).
3) Adolf Deissmann (1866-1937), Professor für
Neues Testament in Heidelberg und seit 1908 in Berlin.
Brief 6
Badenweiler, den 10. VIII. [19]29.
Mein lieber Lieb, ich bin seit einigen Tagen schon
hier. Werden Sie, wie Sie es versprochen haben, zu mir hierher herüberkommen?
Für mich wäre es eine große Freude! Wo sind Sie jetzt eigentlich – in den
Bergen oder schon zu Hause?
Nun noch eins. Sie erinnern sich dass Mislin beim
Verabschieden mich fragte, ob ich geneigt wäre, nach Les Ains (ich glaube, so
wird’s geschrieben?) zu kommen und dort einen Vortrag zu halten, was ich
bejahte. Nun, wenn das überhaupt nicht leere Worte waren, so wäre es am
bequemsten, wenn die Sache überhaupt zustandekommt, die Reise an meinen
hiesigen Aufenthalt an der Grenze der Schweiz anzupassen. Am bequemsten wäre es
mir, wenn es ungefähr zwischen dem 5.-12. September geschehe, weil ich ungefähr
bis zum 5. Sept. hier zur Kur bleibe. Auch die Visumgeschichten könnten nicht
vorher erledigt werden. Schreiben Sie bitte an Mislin (natürlich von sich aus,
ohne meine Initiative zu erwähnen) und fragen Sie ihn, ob er die Sache
angreifen will (die Einladung geschieht, wie er sagte, durch Vermittlung der
Studentenschaft). Außer dem Baseler Vortrage habe ich noch einen, der auf
allgemeines Interesse rechnen darf, nämlich "R.M.Rilke und seine
Beziehungen zur russischen Geistesart".1)
Wie geht es Ihnen? Ich habe für den
"Put" eine Besprechung von "Orient u. Occident"
geschrieben, die wohl bald erscheinen wird. Und dann werde ich, auf
Aufforderung des Leiters der "Theologischen Blätter" in Jena, K.L.Schmidt,
eine Besprechung Ihres Büchleins über die russischen Denker schreiben.
Herzliche Grüße an Sie, Ihre Frau und die lieben
Kinderchen
Ihr S.Frank
Anmerkung
1) "In einem langen Artikel für Berdjajews
religiöse Zeitschrift "Der Weg" (Put’) über Rainer Maria Rilke, einen
Dichter, den er sehr bewunderte und in "Das Unergründliche" zitierte,
drückte Frank seine große Bewunderung für Rilkes Suche nach unmittelbarer
religiöser Erfahrung aus und stellte fest, dass Rilke wie alle genuinen
Mystiker ein Gefühl für den Atem und die Tiefe des göttlichen Seins mit einem
Sinn für eine persönliche Beziehung mit Gott verband. Was Frank über Rilke
sagte, ist in gleicher Weise auf ihn selbst anwendbar. Mit "Das
Unergründliche" war Frank ebenso ein Mystiker wie ein Philosoph geworden.
Sein Universum war personalisiert worden. Bis zu einem gewissen Umfang war er
immer ein Mystiker, aber das Leben in Berlin scheint diese Tendenz verstärkt zu
haben. Die Isolation zog Frank einwärts in seine Seele. Vielleicht führte ihn
die Unsicherheit der äußeren Welt dahin, das Ewige einer mystischen
Wirklichkeit zu suchen. Jedoch ist dies Spekulation. Was deutlich ist, ist
dies, dass viel von "Das Unergründliche" ein Versuch ist hin zu einer
philosophischen Beschreibung von Franks inneren religiösen Erfahrungen"
(vgl. Boobbyer, S.L.Frank S. 174f.)
Brief 7
Berlin, den 12. 9. 1929
Mein lieber Fjodor Iwanowitsch!
Gestern abend hier
angekommen, bis Frankfurt sehr nett mit Struwe geplaudert. Heute besuchte ich
Jasinsky,1) alles ganz günstig. Er wollte nur mich abwarten um die Sache zu
beschließen. Heute wird Ihnen ein Paket mit Manuskripten der beiden Bände
unserer Schriften ("Tolstoi") und "Aus der russischen
Geisteswelt" zugeschickt. Der Redacteur des ersten Bandes ist I.Iljin, ich
werde ihm schreiben, er soll Ihnen einige Details angeben (genauen Titel,
Reihenfolge der Aufsätze). Im zweiten Bande fehlt noch ein Aufsatz von I.Iljin.
Unter uns gesagt, ist das kein großer Verlust. Ich muss ihm aber schreiben,
dass er den Aufsatz schnell (im Laufe des Monats) Ihnen zuschicken soll, denn
seine Teilnahme an der Sammlung wurde beschlossen und sonst gibt es eine
Beleidigung. Jedenfalls wird der Aufsatz nichts unpassendes
enthalten, und Sie können Ihr Urteil an Hinrichs schon jetzt abgeben. Zuerst
kommt wohl der Druck von "Tolstoi".
Ich bitte nur um eins: seien Sie bitte aufmerksam
und verlieren Sie um Gottes willen nichts von den Manuskripten.
Mit herzlichen Grüßen an Ihre Frau und Kinder von
mir und meiner Frau
Ihr S.Frank
Anmerkung
1) Wsewolod Iwanowitsch Jasinskij (1884-1933),
Ingenieur, Erster Direktor des Russischen wissenschaftlichen Instituts (Februar
1923-November 1931) (s.o.).
Brief 8
Berlin, den 21. X. [19]29
Mein lieber Lieb, herzlichen Dank für Ihre Karte.
Wir werden jetzt auf die Antwort des Verlegers warten; ich hoffe, Sie werden
mich sofort benachrichtigen, wenn Sie sie erhalten haben werden. Dann würde ich
– wenn die Antwort günstig sein wird – Ihnen noch die Reihenfolge der Aufsätze
in den Sammlungen mitteilen. Eine sofortige Zahlung des Honorars wäre natürlich
sehr erwünscht, aber soll keine unbedingte Forderung sein. Mit Iljin stehe ich
selber in Verbindung, er ist sehr launisch, ich weiß noch nicht, ob er
überhaupt seinen Aufsatz schreiben wird, aber es könnte auch ohne ihn gehen.
Anbei sende ich Ihnen meinen Aufsatz über
"Rilke und die russische Geistesart". Ich bitte Sie sehr, die
Angelegenheit nicht auf lange aufzuschieben. Wenn der Aufsatz für die
"neue Schweiz. Rundschau" nicht passen würde, so habe ich noch andere
Möglichkeiten, d.h. Verbindungen mit deutschen Zeitschriften. Da ich jetzt
hauptsächlich von den Aussichten auf zukünftiges Honorar für literarische
Arbeiten lebe, so ist es für mich sehr wichtig, dass sie sich womöglich rasch
realisieren.
Über den Erfolg von Orient und Occident freue ich
mich sehr.
Wann erwarten Sie das freudige Ereignis in Ihrer
Familie?
Mit herzlichen Grüßen an Sie, Ihre Frau und die
Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 9
Berlin, den 24. X. 29
Mein lieber Lieb, ich erwarte länger Nachricht von
Ihnen und bekomme keine. Zunächst bittet Jasinsky mich sich bei Ihnen über das
Schicksal unserer zwei Bände zu erkundigen. Sie müssten sie schon vor einem
Monat erhalten haben. Bitte, schreiben Sie mir doch, wie die Sache damit steht.
Und dann habe ich Ihnen einen Zeitungsartikel von mir geschickt, mit der Bitte,
ihn durch Vermittlung Bunins1) oder irgendwie anders in der Schweizerischen
Presse unterzubringen. Auch darauf erwarte ich eine Antwort von Ihnen.
Ich habe jetzt außerdem einen Aufsatz "R.M.Rilke
u. die russische Geistesart" (ca. 1 ¼ Druckbogen) verfasst. Wäre es
möglich, ihn in einer gut zahlenden schweizerischen Zeitschrift unterzubringen?
Mir geht es, trotz vielen Schwierigkeiten, im
Allgemeinen relativ gut. Wie geht es Ihnen, was gibt es neues?
Mit herzlichen Grüßen von mir [Rest fehlt in der
Fotokopie]
Anmerkung
1) Iwan Alekseevitsch Bunin (10.10.1870 Woronesh -
08.11.1953, Paris), russischer Schriftsteller und Dichter, erhielt 1933 den
Literatur-Nobelpreis.
Brief 10
Berlin, den 11. XI. [19]29
Mein lieber Lieb, ich und meine Frau senden Ihnen
und Ihrer Frau unsere herzlichsten Glückwünsche zur Geburt Ihres Töchterchens.
Ich hoffe, dass alles gut überstanden ist und dass Ihre Frau jetzt schon gesund
ist.
Wenn Sie von allen Besorgnissen wieder frei sind,
so erinnern Sie sich bitte wieder meiner Angelegenheiten und schreiben Sie mir,
zunächst, wegen dem Schicksal unserer Bände. Wie steht es mit ihnen? Hat sich Hinrichs entschlossen, sie zu verlegen? Wie steht
es weiter mit meinem Aufsatz über Rilke? Auch von Bunin bekomme ich bis jetzt
keine Nachricht vom Schicksal meines Zeitungsaufsatzes.
Verzeihen Sie, dass ich Sie wieder damit
belästige. Ich hoffe eben, dass die Familiensorgen schon vorbei sind!
Mit herzlichsten Grüßen an Ihre Frau und die
Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 11
Berlin-Charlottenburg,
den 28. September 1929
Mein lieber Lieb!
Ich habe an Sie eine Bitte. Sie werden sich
erinnern, dass damals, als ich bei Ihnen war, ich mich mit Bunin verabredete,
dass er versuchen wird, mir die Möglichkeit zu verschaffen, an der Neuen
Züricher Zeitung mitzuarbeiten. Da ich aber von Bunin auf einer Karte, die ich
ihm aus Badenweiler schrieb, überhaupt keine Antwort erhielt, so will ich auch
nicht riskieren, ihm meinen Aufsatz, den ich jetzt geschrieben habe, direkt zu
schicken und erwarte Ihre Vermittlung. Ich glaube, Sie können Bunin sogar
telefonisch erreichen. Bitte, setzen Sie sich mit ihm in Verbindung, und
versuchen Sie durch ihn oder jemand anderen, den Aufsatz in der schweizerischen
Presse unterzubringen. Nachdem ich einen Monat in Badenweiler sorglos verlebt
habe, sitze ich jetzt wieder ohne Geld, und es ist mir sehr wichtig, dass ich
die Möglichkeit erhalte, an einer schweizerischen Zeitung mitzuarbeiten.
Damals war noch die Rede, dass Bunin auch einen
Zeitschriftenaufsatz von mir in einer allgem[einen]
schweizerischen Zeitschrift (ich glaube Neue Schweizerische Rundschau)
unterbringen könne. Ich schreibe jetzt über "Rilke und die russische
Geistesart" und werde mir erlauben, auch diesen [...] Ihnen zu schicken.
Anbei 1. das Manuskript 2. zwei Besprechungen von
mir Ihres "Russischen Geisteslebens" – im "Put" und in den
Jenaer Theologischen Blättern (letzten in einem Korrekturbogen).
Zugleich schicke ich Ihnen per Kreuzband meinen
Aufsatz über Tjutschew und das Buch von [..].
Wie geht es Ihnen? Ich möchte gern von Ihnen was
hören. Haben Sie die Manuskripte unserer zwei Bände schon erhalten, und wie
steht es mit ihnen bei Hinrichs?
Mit herzlichsten Grüßen von mir und meiner Frau an
Sie, Ihre Frau und die lieben Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 12
Berlin-Charlottenburg,
Neue Kantstr. 27 den 18. XII. [19]29.
Mein lieber Lieb!
Herzlichen Dank für Ihre Karte, trotz des
negativen Ergebnis Ihres Versuches. Ich habe mit Jasinsky gesprochen, und wir
haben uns geeint, Sie zu bitten, weitere Versuche in dieser Richtung zu machen.
Um die Aufgaben leichter zu machen, könnte man auf jegliches Honorar für die
Autoren verzichten (wir haben im Institut eine Summe für Honorare, wollten sie
aber sparen).
Nun habe ich an Sie wieder eine neue Bitte, die
mit der ersten gewissermassen konkurriert und an der ich mehr persönlich
interessiert bin. Soeben ist mein Buch über die Sozialphilosophie erschienen
(in russ. Sprache). Wenn ich Exemplare habe, so schicke ich Ihnen sofort eins.
(Oder Sie könnten sich eins durch Vermittlung Berdjajew[s] als
Rezensionsexemplar verschaffen). Nun haben Sie mir einmal versprochen, einen
Verleger für die Übersetzung ins Deutsche zu suchen. Ich schicke Ihnen eine
Inhaltsübersicht in deutscher Sprache und außerdem zwei meine[r] deutsche[n]
Aufsätze, die die Themen einiger Kapitel des Buches behandeln (aber im Buch
nicht in dieser Form, gefasst sind). Aus dem Inhaltsverzeichnis und den beiden
Aufsätzen könnte der Verleger ein ziemlich klares Bild vom Inhalt des Buches
erhalten. Es ist ein wissenschaftliches Werk, das aber trotzdem ziemlich
populär geschrieben und für weitere Kreise bestimmt ist. Sein Umfang ist ca. 12
Druckbogen à 36 000 Buchstaben. Vielleicht wird sich dafür Mohr interessieren?
Was hier in Hinsicht des Honorars wichtig wäre, ist den Übersetzer sofort nach
Einlieferung des Manuscript[s] zu honorieren (ungefähr 30 Mark pro Druckbogen).
Verzeihen Sie diese neue Belästigung, Sie sind
aber unsere [...] ("Heiratsvermittler") in litterarischen
Angelegenheiten.
Mit herzlichem Gruß an Sie, Ihre Frau und die
lieben Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 13
Berlin-Charlottenburg
Neue Kantstr. 27 den 8. II. [19]30
Mein lieber Lieb, schon
längst wollte ich Ihnen schreiben. heute aber schreibe ich Ihnen aus einem ganz
besonderen Anlasse, und zwar streng vertraulich:
Ich weiß nicht, ob Sie schon darüber von der
Familie Struwe Nachricht haben. Es handelt sich um folgendes. Soeben ist hier
aus Paris ein Telegramm von Saitzew, dem Redacteuer von [...] eingetroffen, an
Iljin, der es mir sofort mitgeteilt hat. Das Telegramm lautet:
"Paris. 8.II. 15 Uhr. Struwe verschwunden
zwischen Belgrad Paris letzte Nachricht Dienstag Telegramm Insbruck
'unerwartete Hindernisse komme später Papa' bitten Auskunft Saitzew".
Nach Dienstag, den 4. ten, sind also keine
Nachrichten von Struwe. Dass Pëtr Bernardowitsch nach Paris reisen sollte,
wusste ich längst (der Plan der Reise war schon vor der Geschichte mit Kutjepow
gefasst). Wahrscheinlich haben Saitzew und die Söhne aus Paris schon Nina
Alexandrowna angefragt und eben weil sie nichts wusste, uns nach Berlin
telegraphiert. – Nun, haben Sie vielleicht irgend eine
Nachricht von Pëtr Bernardowitsch? Wollte er Sie auf dem Wege nach Paris
besuchen?
War er bei Ihnen? Hat er Ihnen unterwegs
geschrieben? Einer von seinen hiesigen Freunden (in Berlin), der Verbindung mit
Innsbruck hat, (der Nationalökonom Höffding) hat telegraphisch gebeten, im
Insbrucker Polizeipräsidium nachzufragen.
Dass mit P.B. die Bolschewisten die Geschichte mit
Kutjepoff wiederholten, d.h. ihn entführten, scheint uns allen hier aus vielen
Gründen ziemlich unwahrscheinlich. Aber – schließlich ist, jetzt auch das
Unmögliche möglich! Aber auch abgesehen davon – vielleicht ist er Opfer eines
Unglücksfalls! – Ich will Nina Alex. nichts schreiben, erstens weil es zwecklos
ist (weil sie höchstwahrscheinlich von Paris aus schon benachrichtigt worden
ist) und zweitens, weil ihr, wegen hochgradiger Sklerose, jede Erregung
lebensgefährlich sein kann. Aber ich bitte Sie, mir sofort zu telegraphieren,
ob Sie etwas von Struwe wissen, und wenn ja, was nämlich. Oder, wenn Sie schon
in telegraphischer Verbindung wegen diesem Falle mit der Familie stehen, so
schreiben Sie mir bitte, aber sofort (Telegrammadresse: Berlin, Neue Kantstr.
27).
In den nächsten Tagen schicke ich Ihnen 1. mein
Buch über Sozialphilosophie das ich nur soeben erhalten habe. 2. 50 Mark –
erste Ratenzahlung zur Abzahlung meiner Schuld.
Herzlichste Grüße an Sie, Ihre Frau und die
Kinderchen.
Ich erwarte also von Ihnen umgehend Antwort.
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr S.Frank
Brief 14
Berlin 9. II. [19]30
Mein lieber Lieb, gestern schickte ich Ihnen einen
aufgeregten Brief wegen des Schicksals P. Bern[ardowitschs], weil ein Telegramm
aus Paris uns beunruhigt hat. Schon heute hat sich die Sache glücklicherweise
aufgeklärt: Peter Bernard[owitsch] ist in Paris eingetroffen. Die ganze Unruhe
ist durch seine Unberechenbarkeit verursacht. Verzeihen Sie, dass ich Sie
unnütz aufregte. Alles ist gut, was ein gutes Ende nimmt – wie das russische
Sprichwort sagt.
Mit herzlichstem Gruß
Ihr S.Frank
Brief 15
Berlin-Charlottenburg
Neue Kantstr. 27 den 19. Mai 1930
Mein lieber Lieb, eine Ewigkeit habe ich von Ihnen nichts gehört. Ich
bin vor Ihnen schuldig, weil ich mit der Rückzahlung meiner Schuld im
Rückstande bin. Ich war zwei Monate lang (März-April) in Belgrad, und meine
Frau konnte es ohne mich nicht tun. In diesen Tagen schicke ich Ihnen die
nächste Rate.
Nun habe ich an Sie eine sehr dringende und eilige
Bitte. Die Manuscripte unserer zwei Aufsätze-Sammlungen (des russ. wiss.
Instituts) liegen offenbar bei Ihnen ohne jede Bewegung. Es scheint also, dass
es mit Hinrichs nicht geht. Bitte, schicken Sie jetzt diese Manuscripte uns
zurück (eingeschrieben, per Adresse. Russisch. Wissensch. Institut, Berlin W.
10, Königin Augustastr. 53a). Wir haben jetzt die Möglichkeit erhalten, sie
hier herauszugeben. Aber bitte sehr, tun Sie es sofort, wir haben es sehr
eilig. Wenn Sie irgend etwas Neues von den Absichten
Hinrichs wissen, so teilen Sie es bitte mir gleichzeitig mit zur Orientierung,
ohne aber die Rücksendung des Manuscripts aufzuschieben.
Ich habe hier gehört, dass Sie nach Bonn
übersiedeln. Ist es wahr? Und wenn ja, wann wird es geschehen? Das würde mich
sehr freuen, da wir näher zueinander sein würden, und event. uns treffen
könnten, obgleich es natürlich sehr schade ist, dass der Plan der Übersiedlung
nach Berlin offenbar fallengelassen ist.
Mir geht es materiell etwas besser als im vorigen
Jahr. Durch Vermittlung von Vasmer habe ich einen Lehrauftrag vom Ministerium
erhalten, im Rahmen des "Slawischen Institut[s]" Vorlesungen aus dem
Gebiete der Gesch[ichte] der geist. Strömungen in Russland zu halten. Die
Vergütung ist ziemlich miserabel – 600 M. im Semester – aber es macht mir Spaß,
wieder nach langen Jahren ein richtiges Kolleg vor Studenten abzuhalten.
Meine Tochter kommt, durch Vermittlung von Mislin,
Anfang Juni in eine Familie in Neuchatel. Auf dem Wege dahin wird sie sich ein
paar Tage in Basel aufhalten, wird bei Frl. Mahler wohnen und Sie natürlich
besuchen. Mit ihr werde ich Ihnen auch Ihre Bücher zurückschicken. Also, ich
erwarte sofortige Antwort resp. Zusendung der Manuscripte.
Mit herzlichsten Grüßen an Sie, Ihre liebe Frau
und Ihre Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 16
Berlin-Charlottenburg
Neue Kantstr. 27 den 6.VII.[19]30
Mein lieber Lieb, besten Dank für Ihren Brief, und
jetzt müssen Sie Ihrerseits mein langes Schweigen verzeihen. Ich habe viel
Sorgen, und außerdem fühl ich mich wieder nach einem ganzen Jahr Arbeit so
müde, dass ich mit allen meinen Angelegenheiten im Rückstande bin.
Die Manuscripte unserer Bände haben wir erhalten,
danke. Wir hatten hier die Möglichkeit, durch Gewährung eines Subsidiums vom
Institut dem Verleger die Arbeiten herauszugeben. Inzwischen haben wir bei
diesen schlimmen Zeiten das Geld schon anderwärts verbraucht, und sind wieder
sitzen geblieben.
Was meine Schuld [gegenüber] Ihnen betrifft, so
schäme ich mich, mit meinen Zahlungen im Rückstande zu sein. Sie haben mir 400
deutsche Mark= 496 Schw. Franc überwiesen, und ich habe Ihnen in zwei Raten zu
60 Schw. Francs 120 gezahlt. Also bin ich (die Zinsen noch nicht gerechnet)
jetzt Ihnen 376 Fr. schuldig. In diesem Jahre habe ich eine furchtbar teure
Wohnung, die die Hälfte meines Einkommens verzehrt, und deshalb war es mir
schwierig, die Schuld rascher auszuzahlen. Jetzt sind in Berlin die Wohnungen
viel billiger geworden, und ich hoffe von September an die Möglichkeit zu haben,
in monatlichen Raten regelmäßig meine Schuld Ihnen zu zahlen.
Besten Dank für die Bemühungen bei Mohr wegen
meinem Buche. Ich will jetzt den Versuch machen, durch [Paul] Tillich in
Frankfurt irgendwie mein Buch unterzubringen – aber bei den jetzigen
Verhältnissen ist es sehr schwer.
Diesen Brief überbringt Ihnen meine Tochter – das
ist eben der Anlass, weshalb ich mich zu ihm aufgerafft habe. Sie bringt Ihnen
auch Ihre Bücher.
Mit vielen herzlichen Grüßen an Sie, Ihre Frau und
die Kinderchen
Ihr S.Frank
Brief 17
Berlin, den 14.VII. [19]30
Mein lieber Lieb, ich habe an Sie eine Bitte. Sie
schrieben mir seinerzeit (im Herbst), dass mein Aufsatz über Rilke und Russland
von der "neuen Schweiz. Rundschau" angenommen ist. Da ich jetzt
wieder in Geldverlegenheit bin, so bitte ich Sie anzufragen (durch Bunin oder
wie Sie es am besten finden), ob ich nicht einen Vorschuss erhalten könnte. Von
deutschen Zeitschriften und Verlegern ("Hochland",
"Reichl") habe ich mehrmals, wenn mein Aufsatz lange nicht erschien,
einen Vorschuss bekommen. Bitte, schieben Sie die Sache nicht zu lange auf, und
wenn möglich, bewirken Sie mir den Vorschuss. Verzeihen Sie, dass ich Sie
wieder in Anspruch nehme, vielleicht wird es Ihnen nicht schwer fallen, in
dieser Richtung Schritte zu unternehmen.
Ich danke Ihnen für den freundlichen Empfang
meiner Tochter, von dem sie mir berichtete. Reisen Sie irgendwann in die
Ferien? Ich und meine Frau müssen leider wegen der zu teuren Wohnung, an die
wir bis zum 1. Sept. durch Vertrag gebunden sind, in Berlin bleiben, trotzdem
sowohl ich als meine Frau uns beide ziemlich todmüde fühlen.
Mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihre Familie
Ihr S.Frank
Antworten Sie mir bitte auf jeden Fall, damit ich weiß, woran ich bin.
Brief 18
Berlin, den 30. I. [19]31
Lieber Fjodor Iwanowitsch, soeben habe ich Ihre
Karte erhalten, die ich in aller Eile beantworte. Ich freue mich sehr auf unser
Wiedersehen. Ich hätte Sie natürlich zu mir eingeladen, aber meine Wohnung ist
so klein u. unbequem, dass es absolut nicht geht, auch habe ich keine einzige
übrige Schlafgelegenheit. Wolfers, mit dem ich gerade in der letzten Zeit
wieder in Verbindung stehe, ist mit seiner Frau nach der Schweiz abgereist. Ich
weiß nicht, ob er zum 3. I. schon zurück sein wird. – Am besten tun sie so:
steigen Sie am Bahnhof Charlottenburg ab, lassen Sie dort Ihre Sachen u. kommen
Sie zu mir. Das nötige wird sich schon hier machen lassen. Am Bahnhof
Charlottenburg gibt es billige Hotels, und ich wohne etwa 8 Minuten vom
Bahnh[of]. Speisen werden Sie natürlich bei mir. – Unser Institut steht Ihnen
natürlich selbstverständlich zur Verfügung, das osteuropäische (sowie auch das
slawische von Vasmer) ist vom 3. I. den ganzen Tag
geöffnet, mit dem ukrainischen habe ich überhaupt keine Verbindung. Also auf
baldiges Wiedersehen. Mein Telefonanruf ist [...] 35-86. Das von Wolfers –
Lützow 50 [...].
Mit herzlichen Grüßen
Ihr S.Frank
Brief 19
Berlin, den 3. II. [19]31
Mein lieber Lieb, ich möchte Sie nochmals bitten,
mir umgehend zu schreiben, wie eigentlich die Sache mit meiner Kandidatur
steht. Ich habe gar nicht im Sinn, mich irgendwie aufzudrängen, aber es wäre
schade, wenn durch Mangel an Verbindung und nicht zeitige Nachricht die Sache
verpufft wäre. Von Tschizewsky erhielt ich neulich einen Brief, wo er schreibt,
er sei in Halle gewählt und schon bestätigt und von Bonn nichts erwähnt.
Andererseits habe ich aus katholischen Kreisen die Nachricht erhalten (ob sie
zutreffend ist, weiß ich nicht), als ob [...] schon für Bonn endgültig berufen
sei. Es ist sehr wichtig, zu wissen, ob ich in die Kandidatenliste überhaupt
aufgenommen werde oder nicht. Denn sowohl Vasmer als auch Sering1) wollen hier
bei Richter meine Kandidatur unterstützen. Sering wollte auch an den
Nationalökonomen in Bonn schreiben – hat es einen Sinn? Also bitte sehr, geben
Sie sich die Mühe und schreiben Sie mir kurz, wie die Sache steht. Ich will es
niemandem übelnehmen, wenn man jemand anderen mir vorziehen würde, und würde
auf Gott vertrauend, auch nicht verzweifeln, wenn ich auch brodlos bleibe. Nur
eines möchte ich verhüten, dass wegen nicht rechtzeitiger Information die
Sache, wenn Möglichkeit verloren gehe.
Meinen Berdjajew Aufsatz aus den Schriften des
Instituts kann ich nur nach dem Einholen einer Ermächtigung des Vorstands Ihnen
z[ur] Verfügung stellen, was in der nächst[en] Woche geschehen wird. Fragen Sie
bitte Berdjajew an, ob er damit einverstanden ist.
In Erwartung einer schnellen Antwort von Ihnen,
mit herzlichem Gruß an Sie u. Ihre Familie
Ihr S.Frank
Anmerkung
1) Max Sering (1857-1939) – Zweiter Vizepräsident
der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas (DGSO), Direktor des
Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen.
Brief 20
Berlin-Charlottenburg
Neue Kantstr. 27 den 1. März 1931
Mein lieber Lieb, ich fühle mich in allen
Hinsichten vor Ihnen unendlich schuldig und fürchte, ob Sie mir nicht im Ernst
böse sind. Trotz meinem Versprechen, Ihnen meine Schuld während dieses Jahres
abzutragen, habe ich Ihnen noch keinen Pfennig geschickt. Zu meiner
Entschuldigung kann ich nur eins sagen. Trotz meiner Hoffnungen ging und geht
es mir wieder in diesem Jahre unendlich schwer. Mein Gehalt wurde mir wieder
gekürzt, und die schwere wirtschaftliche Krise in Deutschland lässt sich auch
durch Erschwerung und Kürzung aller möglichen Nebeneinkommen spüren. Ich stecke
bis an den Kopf in Schulden und muss mich winden und drehen, wie ich mag. Ich
habe an Sie aber eine Bitte resp. einen Vorschlag, der vielleicht ermöglichen
wird, meine Schuld an Sie zu begleichen. Vor 1½ Jahren, kurz nach unserer
Zusammenkunft in Badenweiler habe ich durch Ihre und Bunins Vermittlung einen
Aufsatz in die "Neue Schweizerische Rundschau" über "Rilke und
die russische Geistesart" geschickt, und Sie schrieben mir damals, der
Aufsatz sei von der Redaction angenommen worden. Könnten Sie sich nicht
erkundigen, wann eigentlich der Aufsatz veröffentlicht werden soll resp.
bewirken, dass es demnächst geschehe, oder auch einen Vorschuss auf diesen
Aufsatz mir erbitten? Ich möchte nämlich das ganze Honorar zur Abzahlung meiner
Schuld an Sie (300 Mark, Zinsen noch nicht mitberechnet) verwenden. Durch
Vermittlung in dieser Angelegenheit würden Sie mir einen großen Dienst
erweisen, nämlich meine moralischen Gewissensbisse lindern, und würden sich
selber verhelfen, zu Ihrem Gelde zu kommen. Jedenfalls bitte ich Sie vielmals
um Verzeihung, bitte nehmen Sie Rücksicht auf meine Lage und seien sie mir
bitte nicht böse. Verlieren Sie nicht den Glauben an meine Gewissenhaftigkeit,
es ist mir selber unendlich peinlich, dass ich Ihnen gegenüber so, wie man auf russisch sagt [...] handle.
Abgesehen davon möchte ich gern von Ihnen was
hören. Ich weiß, dass Sie schon längst in Bonn sind, weiß aber gar nichts von
Ihrem Leben und Wirken dort. Den "Orient und Occident" bekomme ich
auch nicht zu sehen. Wie geht es Ihnen, sind Sie von
Bonn befriedigt? Wie geht es Ihrer Familie? Ich habe bis jetzt die schönsten
Erinnerungen an die Tage in Basel, die ich in Ihrem Hause verbrachte, und über
unsere Zusammenkünfte in Badenweiler. – Im Februar hielt ich in Prag, Berlin
und Holland Vorträge über Dostojewskij. Mislin wollte mir diese Vorträge auch
für die Schweiz veranstalten, aber daraus wurde nichts.
Also bitte nochmals, seien Sie mir nicht böse, und
lassen Sie etwas von sich hören.
mit herzlichem Gruß an Sie, Ihre Frau und die
Kinderchen
Ihr S.Frank
Ich weiß Ihre Adresse in Bonn nicht, ich schicke
den Brief an die Bonner Universität und hoffe, dass er Sie dort erreichen wird.
Brief 21
Berlin-Charlottenburg
Neue Kantstr. 27 den 4. Apr[il] 1931
Mein lieber Fjodor Iwanowitsch!
Herzlichen Dank für Ihren Brief. Wir Russen sagen
in solchen Fällen [...] (lieber spät, als überhaupt nicht). Erschüttert hat
mich die Nachricht vom Schicksal meines Aufsatzes über Rilke. Nur eins kann ich
nicht begreifen: woher kam denn die Meldung, der Aufsatz sei von der Redaction
der "Neuen Schweiz. Revue" schon angenommen? Ich bin Bunin natürlich
nicht böse, dass er den Aufsatz verloren hat – das kann jedem passieren – aber
das[s] er es so lange mir nicht gemeldet hat, ist wirklich eine Schweinerei.
Ich weiß nicht, ob es überhaupt Sinn hat, dass ich ihm schreibe.
Glücklicherweise habe ich eine Kopie des
Aufsatzes. Ich habe jetzt aber wenig Lust, mich mit Bunin und [...] ihn mit der
"Neuen Schweizer. Revue" darüber nochmals in Verbindung zu setzen.
Für mich ist es hauptsächlich in materieller Hinsicht ein Schlag. Ich habe fest
damit gerechnet, dass der Ertrag des Aufsatzes ungefähr meine Schuld an Sie
begleichen wird. (Sie haben mir damals 400 Mark überwiesen, ich habe Ihnen in
zwei Raten 120 schw. Francs = 97 M. geschickt, bleibe Ihnen also noch 303 M.
schuldig). Ich danke Ihnen herzlich für Ihre großmütige Haltung in dieser
letzten, mir so peinlichen Angelegenheit, kann aber Ihr Angebot, die Hälfte der
Schuld als gestrichen zu betrachten, natürlich nicht annehmen, -–höchstens mit
Dank Ihren Verzicht auf die Zinsen.
Könnten Sie mir vielleicht jetzt verhelfen, den
Rilke-Aufsatz irgendwo mit gutem Honorar unterzubringen? Wenn nicht, so könnte
ich ihn Ihnen für "Orient u. Occident" zur Verfügung stellen. Er ist
doch betitelt "Rilke und die russische Geistesart" und ist der
Beziehung zwischen Rilkes Mystik und der russischen Religiosität gewidmet, also
würde für Ihre Zeitschrift, soviel ich sehe, gut passen (der
Dostojewskij-Aufsatz wird auf deutsch im Hochland
erscheinen), der Basler Vortrag ist Eigentum des russ. wissensch. Instituts, in
dessen Schriften er erscheinen muss. Wenn der Aufsatz über Rilke Ihnen nicht passen
würde (oder wenn Sie imstande sind, ihn irgendwo anders gewinnbringender
unterzubringen) so könnte ich für "Or[ient] u. Occ[ident] einen Aufsatz
über Peter Tschaadajew aus Anlass seines 75jährigen Todestages schreiben. Also
ich erwarte von Ihnen Nachricht und schicke Ihnen entweder sofort den
Rilke-Aufsatz oder beginne für Sie den Aufsatz über Tschaadajew zu schreiben.
Ich habe weder Ihren Dostojewskij-Aufsatz noch die
letzten Hefte von "Or[ient] u. Occident" (ich glaube, die zwei
letzten) erhalten. Es scheint, dass mich hier in Berlin alle Freunde vergessen
haben. Ich lebe hier ganz vereinsamt, und in allen Hinsichten ziemlich
trostlos. Nach Bonn zu Ihnen würde ich natürlich sehr gerne kommen, aber die
Gelegenheit dazu (in Form eines Vortrages) müssen Sie mir erst verschaffen. Ich
war einmal in diesem Winter am Rhein im Industriegebiet mit Vorträgen über die
religiöse Lage in Russland; da Sie mir aber hartnäckig nichts geschickt haben
und ich sogar Ihre Adresse nicht wusste, konnte ich mich mit Ihnen damals nicht
verabreden.
Ich habe mit Ihnen noch einige sehr wichtige
Angelegenheiten zu besprechen, will aber zuerst Ihre Antwort auf diesen Brief
abwarten.
Mit herzlichsten Grüßen an Ihre Frau u. Kinder,
und an K.L.Schmidt
Ihr S.Frank
Ich schreibe nach Bonn, in der Hoffnung, dass der
Brief dadurch Sie jedenfalls erreichen wird.
Brief 22
Berlin, den 26. X. [19]31
Mein lieber Lieb, Sie werden mir wohl verzeihen,
dass ich Ihre Karte nicht rechtzeitig beantwortete. Was Ihren Vorschlag
betrifft, die Aufsätze des russ. wiss. Instit[uts] einzeln herauszugeben, so
wollen wir zunächst doch den Versuch machen, sie in einem Bande herauszugeben.
Und zwar sind wir jetzt bereit, nicht nur auf Honorar gänzlich zu verzichten,
sondern auch eine entsprechend[e] Summe als Pfand für die event[uellen]
Unkosten beim Verleger zu hinterlegen. Wäre es nicht möglich, Hinrichs in
dieser Form von neuem an der Sache zu interessieren? oder Mohr? Ich will bei
mehreren Verlegern anfragen, um das Beste wählen zu können. Die Sammlungen
kennen Sie ja. Die Tolstoi-Sammlung ist jetzt schon veraltet. Einzelne Aufsätze
aus ihr würden in die Samml[ung] "Aus der russischen Geisteswelt"
aufgenommen werden.
Anbei übersende ich Ihnen das soeben erschienene
Monatsblatt der "Russ. Bruderhilfe". Das Blatt ist ganz populär,
meist für [...]kreise bestimmt. Auf die ganze Aktion aber, die erst in den
Anfängen steckt, lege ich sehr viel Wert, es könnte hieraus ein Geldfond zur
Unterstützung der russischen religiösen Arbeit entstehen. Der Verein hat jetzt
schon sehr viel Anklang in Deutschland und verdrängt "Licht im
Osten".
Herzlichste Grüße an Ihre Frau und Kinderchen.
Meine genaue Adresse obenstehend.
Ihr S.Frank
Brief 23
Villingen den 17. 11. [19]31
Mein lieber Lieb [...] (lieber spät, als überhaupt
nicht) – sagt ein russ. Sprichwort. Herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich
befinde mich schon seit Anfang Sept[ember] auf einer langen Vortragsreise
gerade zu Gunst[en] d[er] russ[ischen] Bruderhilfe (dieser Verein entspricht
jetzt vollkommen den Bedingungen, die Sie stellen. Er wird von zwei Pastoren in
Lemgo i/Lippe geleitet, Ewerbeck und Hottling, die sich durchaus auf
ökumenisch-kirchl. Boden stellen u. der russ[ischen] Kirche helfen wollen, ich
bin mit beiden [...] befreundet u. bin mit ihnen ganz solidarisch). Der
Rilke-Aufsatz wird Ihnen aus Berlin nach Bonn geschickt werden. Er hat 24
Maschinendruckseiten, das entspricht, wie ich glaube, etwa 12-14 Seiten Ihres
"Orient u. Occid[ent]. Aber bitte, verlieren Sie diesmal das Manuscript
nicht – es ist das letzte Exemplar. Was Sie von meiner Schuld schreiben, habe
ich zwar nicht genau verstanden, nur eins verstehe ich, dass Sie mir wegen
meiner Pleite nicht böse sind (meine Tochter, die Sie kennengelernt haben,
musste in Paris wegen Appendicitis operiert werden, und ich stecke jetzt wieder
bis über die Ohren in Schulden). Ich bin jetzt ganz in Ihrer Nähe, an der
Schwarzwaldbahn. Von übermorgen, Samstag den 19 mittags bis Montag, den 20ten
Mittag, bin ich in Hornberg an der Schwarzwaldbahn, eine Stunde von Offenburg
entfernt (ich halte dort Sonntag abends meinen Vortrag
über Bolschewismus u. das Schicksal d. Christenheit, mit dem ich jetzt
herumreise). Meine Adresse obenstehend. Nun habe ich einen Vorschlag an Sie.
Könnten Sie nicht Sonntag herüber kommen aus Basel (oder auch Samstag)? Das
wäre besonders schön! Ich könnte sogar, wenn es Ihnen besser passte, bis
Dienstag früh dort bleiben. Schreiben Sie mir sofort (nicht nach 6 Monaten!)
dorthin eine Karte, ob ich Sie erwarten kann. Dann geht es nach Singen u.
Umgebung, wo ich noch 7 Vorträge habe, dann will ich mich 8 Tage ausruhen, und
auf der Rückreise spreche ich noch am 8. Ort in Kassel. Meine ständige Berliner
Adresse ist jetzt Berlin-Halensee, Hectorstr. 20 Gartenh. bei Kelch.
Ihr S.Frank
Brief 24
Berlin-Halensee
Hectorstr. 20, den 22.I.1932
Mein lieber Lieb, besten Dank für Ihre Karte.
Gestern erfuhr ich, dass Vasmer vom Dekan der philos. Fakultät Bonn
telegraphisch über Kandidaten für russisches Lektorat u. russische Geschichte
angefragt wurde (wo ich nicht in der Kandidatenliste stand) und telegraphisch
mich dafür empfahl. Ich wollte gerade Ihnen darüber schreiben, als ich Ihre
Karte erhielt. Abei übersende ich Ihnen Daten zu meinem curriculum vitae und
Schriften. Nehmen Sie daraus, was Sie für zweckmässig finden (Dass ich die
juristische und nicht die hist.-phil. Fakultät absolviert habe, brauchen Sie
vielleicht lieber nicht zu erwähnen).
Ich glaube, mich könnte sowohl der Slawist an der
Univ. Leiden (Holland, Prof. van Wijn, der mich sehr schätzt), als auch Prof.
Th. Braun (für russische Geschichte an der Leipziger Universität, ehemals
Germanist in Petersburg) empfehlen. Van Wijn’s Adresse ist: Leiden. Holland,
Nieuwestr. 36, Braun‘s Adresse – Leipzig, Gottschedstr. 4. 1) Van Wijn könnten
Sie ganz sicher erwähnen als einen Sachverständigen in dieser Frage.
Ich bitte Sie, halten sie mich im Bilde, wie die
Sache weitergeht. Hier im Kultusministerium bei Richter wird sich wohl Vasmer
(und auch Sering) für mich einsetzen. Meinen Vortrag über russische und
deutsche Geistesart kennt auch der Philosoph Hans Driesch in Leipzig, der meine
philosophischen Arbeiten sehr schätzt (Leipzig, Zöllnerstr.1). Auch Stählin
hier in Berlin würde mich wahrscheinlich empfehlen. Raten Sie mir bitte, ob ich
selber noch irgendwelche Schritte und welche in dieser Angelegenheit
unternehmen soll.
Das russ. wiss. Institut
ist nicht mehr zu retten, und für mich wäre es ein Ausweg aus der ganz
hoffnungslosen Lage, in die ich gerate.
Also nochmals herzlichsten Dank. Ich erwarte von
Ihnen weitere Nachrichten.
Haben Sie damals durch meinen Sohn Victor im
slawischen Institut kleine süße Geschenke für Ihre Kinder von uns erhalten?
Mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihre Familie
Ihr S.Frank
Anmerkung
1) Im April 1933 hatte Frank an Berdjajew/Paris
geschrieben, indem er ihn darum bat, ihm eine Beschäftigung bei der YMCA zu
besorgen.
Brief 25
Mein lieber Lieb!
Ihnen u. Ihrer lieben Familie meine herzlichsten
Glückwünsche zu Weihnachten! Möchte gerne etwas von Ihnen hören. Nach meiner großen
Vortragsreise im Herbst bin ich längere Zeit krank gewesen – Herzschwäche!
Jetzt bin ich – leider zum Director des Russ.
Wissensch. Instituts gewählt worden – natürlich ehrenamtlich – und muss mich
abquälen, als Kapitän eines sinkenden und fast schon gesunkenen Schiffes. Das
neue Heft von "Or[ient] u. Occ[ident]" habe ich nicht erhalten. Ist
mein Rilke-Aufsatz erschienen? Wird er erscheinen? Kommen Sie irgend einmal nach Berlin? Schreiben Sie mir doch ein Paar
Zeile[n].
Mit herzlichen Grüßen
Ihr S.Frank (Berlin-Halensee, Hectorstr. 20)
Brief 26
Berlin-Halensee
Hectorstr. 11, den 27. Februar 1934
Lieber Fjodor Iwanowitsch, eine ganze Ewigkeit
liessen Sie mich von sich nichts hören. Von Ihnen habe ich aber das
Wesentlichste gehört und weiß, dass Sie nach der Schweiz zurückkehren. Nun habe
ich an Sie eine Bitte, von der im allgemeinen Ihnen
schon Berdjajew schrieb. (Ich wandte mich unmittelbar an Berdjajew, und er
teilte mir mit, dass die Sache in Ihren Händen liegt). Ich möchte Sie nämlich
um freundliche Vermittlung bitten, beim Gotthelf-Verlag in Bern, der die
"Reihe religiöser Russen" herausgibt. Ich habe nämlich ein teilweise
schon fertig geschriebenes Werk, das in diese Reihe passt.1) Schon seit 20
Jahren beschäftige ich mich mit der "negativen Theologie"
("docta ignorantia"), deren Prinzip den Grundgedanken meines
erkenntnistheoretischen Systems, wie es im "Gegenstande der
Erkenntnis" dargelegt ist, bildet. Nun ziehe ich jetzt, als meine
vielleicht letzte Lebensarbeit, die religionsphilosophischen Konsequenzen aus
dieser meiner Hauptintuition. Ich schreibe an einer Arbeit (auf deutsch) "Das Unergründliche".2) Es ist ein
Versuch einer spekulativen Mystik. Ich weiß (aus Ihren Randbemerkungen zu
meinem Aufsatz über Rilke – der Aufsatz erscheint übrigens in
"Germanoslavicae" in Prag), dass meine Anschauungen Ihnen nicht
besonders zusagen. Man bezichtigt mich oft des Pantheimus, obgleich mein
Standpunkt absolut fern davon ist und auf der Grundlage der christlichen Mystik
sich entwickelt (Meister Eckart, Nicolaus von Cues, Baader). Ich glaube, dieser
Standpunkt ist der östlichen christlichen Mystik nahe – ich habe auch tiefe
Berührungspunkte mit russischen Denkern wie Kirejewsky und Wl. Solowjew. Der
verstorbene Eugen Trubetzkoj nannte mein Buch "Gegenstand der
Erkenntnis" einen wesentlichen Schritt vorwärts auf der Bahn von Wl.
Solowjew.3) Also sowohl sachlich als auch weil ich einen genügenden Namen
besitze, um als russischer Denker zu gelten, darf ich eine Stelle in der
"Reihe religiöser Russen" beanspruchen. Da außerdem die
Veröffentlichung in einem deutschen Verlag jetzt fast so viel als ausgeschlossen
ist, hoffe ich, dass Sie mit der Vermittlung in dieser Angelegenheit nicht
[...] werden. Es wäre für mich in erster Linie an sich wesentlich, die
Ergebnisse langjähriger Arbeit zu veröffentlichen. Zugleich wäre mir dabei auch
materiell geholfen – ich lebe jetzt fast nur von den Gaben des Heiligen
Geistes.
Die Arbeit würde nicht besonders umfangreich sein,
etwa 12 – 15 Druckbogen, natürlich auch ohne gelehrten Apparat, aber für
gebildete Laien geschrieben.
Ich hoffe, bald von Ihnen eine Antwort in dieser
Angelegenheit zu bekommen. Wenn notwendig, könnte ich Ihnen auch eine
Inhaltsübersicht der Arbeit schicken, obzwar die endgültige Systematisierung
nur bei Beendigung der Arbeit möglich ist.
Ich schäme mich, Sie bei dieser Gelegenheit
nochmals um Entschuldigung zu bitten, dass ich bis jetzt Ihnen noch mehr als
300 Mark schuldig geblieben bin.
Mit herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Familie – ich
erinnere mich so gut Ihrer lieben Kleinen, die jetzt wahrscheinlich schon groß
sind –
Ihr S.Frank
Anmerkungen
1) N.Berdjajew schrieb in einem undatierten Brief
an F.Lieb: "Ich erhielt einen Brief von S.Frank. Er bitte, ihm dazu zu
verhelfen, im Gotthelf-Verlag sein neues religiös-philosophisches Buch
herauszugeben. Er hält es für die Frucht seiner ganzen philosophischen
Tätigkeit. Es wäre gut, ihm dazu zu verhelfen. Das hängt ja mit dem von uns
besprochenen Plan zusammen. Schreiben Sie auch Lutz darüber". Bei dem hier
von S.Frank angesprochenen Buch handelt es sich um "Das
Unergründliche".
2) S.Frank, Das Unergründliche, hg. von Alexander
Haardt, Freiburg i.Br. u. München 1995. Vgl. auch Boobbyer, S.L.Frank, S.
162-175. Frank schrieb dieses von ihm am höchsten geschätzte Werk in seinen
letzten Berliner Jahren als einen Höhepunkt seiner intellektuellen und
spirituellen Entwicklung. Es enthält eine Synthese seiner Erkenntnistheorie,
Sozialphilosophie und persönlichen Erfahrung. Anfangs schrieb er es in Deutsch,
als er mit dem Werk in den frühen 30er Jahren begann. Er vollendete es Ende
1935. Doch da er keinen Verlag finden konnte, überarbeitete er es. Nach seinem
Umzug nach Frankreich im Jahre 1938 übersetzte er es ins Russische, und es
wurde in Paris 1939 in dieser Sprache veröffentlicht. Was die Veröffentlichung
anbelangt, so interessierte sich der Schweizer Verleger Fritz Karger für das
Manuskript. Doch die Veröffentlichung realisierte sich nicht, da S.Frank
Nicht-Arier war. Karger beschloss, dass es finanziell nicht tragbar sei, es
herauszugeben. Es gäbe dafür keinen Markt in Deutschland oder Österreich (s.
auch Einleitung). "Franks primäres Interesse lag darin, Das
Unergründliche übersetzt zu bekommen, und sein Scheitern, es in Deutsch zu
veröffentlichen, war eine persönliche Tragödie. Frank verbrachte den Sommer des
Jahres 1938 damit, eine russische Übersetzung anzufertigen, und das Endprodukt,
so fühlte er, war eine Verbesserung der früheren Version. Dies jedoch war für
ihn ein großer Vorteil. Er konnte seine russische Leserschaft nicht sehen, und
seine Möglichkeit eines Dialoges mit einem breiteren deutschen Publikum war verstrichen.
Franks Enttäuschung war der Grund für eine Herzattacke, befördert durch eine
fortwährend Steigerung der Ermüdung, durch zu viel Bergwandern und Schwimmen.
Er erklärte Binswanger [Schweizer Psychiater, mit der er befreundet war und
einen Briefwechsel führte], dass er 'nahe an der Grenze der anderen Welt' gewesen
sei. Er wurde bettlägerig und las Ferdinand Ebners Die Welt und die Liebe.
Dies bezeichnete er als eine große Tröstung. Frank gewann seine völlige Stärke
bis 1939 nicht wieder" (so Boobbyer, S.L.Frank, S. 177).
3) S.Frank, Der Gegenstand des Wissens. Grundlagen
und Grenzen der begrifflichen Erkenntnis, Freiburg/München 2000 (Bd. 1 der
Gesamtausgabe in 8 Bänden mit ausführlicher Einleitung der Herausgeber, S.
9-72). Inzwischen erschien eine russische Neuauflage dieses grundlegen Werkes,
Moskau 2000.
Brief 27
Basel, Tullingerstr 56 bei Frl. Dr. Mahler
den 21. I. [19]38
Lieber Lieb,
Ich bin wieder einmal in Basel, und da ich höre,
dass Sie auch nach Ihrem Wandern hierher zurückgekehrt sind, möchte ich sehr
gern Sie wieder einmal sehen und mit Ihnen ein Stündchen plaudern. (Ich selber
habe Deutschland endlich verlassen und siedele nach Frankreich um!)
Hier bleibe ich nur ein paar Tage – wie lange, weiß
ich noch selber nicht – so dass,- wenn Sie Ihrerseits Lust haben, mich zu sehen
– ich Sie bitten muss, womöglich sofort sich mit mir in Verbindung zu setzen.
Sie können mich fast jederzeit – mit Ausnahme nur zwischen 1-3, wann ich mich
dem Nachmittagsschlafe widme – hier telephonisch erreichen- 44.546-, um eine
Begegnung zu verabreden, oder auch einfach zu Frl. Mahler jederzeit kommen.
Mit herzlichen Grüßen
in alter Freundschaft
Ihr S.Frank
Brief von Tatjana Frank an
Fritz Lieb
Berlin, 9.3.1930
Sehr geehrter Herr Professor!
Ich wende mich an Sie mit einer großen Bitte. Als Semën
Ljudwigowitsch für 2 Monate nach Belgrad fuhr, riet er mir mich in der
folgenden Angelegenheit an Sie zu wenden.
Wir haben eine 17½ Jahre alte Tochter
Natalie,1) die Ende April mit dem Lyzeum fertig ist, und wir beabsichtigen sie
für ein Jahr entweder nach der französischen Schweiz oder nach England zur
Bereicherung ihrer Sprachkenntnisse zu schicken. Ob sie mit englisch oder
französisch beginnt, ist dabei gleichgültig und hängt davon ab, was sich
schneller bietet.
Sie in eine Pension zu schicken, sind wir aus
materiellen Gründen nicht in der Lage, und deswegen haben wir uns gedacht, sie
in eine Familie zu schicken als sogenannte "Haus-Tochter", oder
einfach als Kinderfräulein.
Einen Gehalt brauchte sie dann nicht zu bekommen,
aber dafür 3-4 Stunden Freizeit um Sprachkurse besuchen zu können und etwas
Taschengeld. Sie beherrscht die deutsche und die russische Sprache vollkommen.
Ich würde sie gerne bereits am 1. Juni ins Ausland schicken. Als Frl. Mahler
uns besucht hat, sagte sie, dass bei Ihnen in der Schweiz das Sitte ist und
dass es unschwer einzurichten wäre. Ich schreibe auch in derselben
Angelegenheit und bitte Sie sehr, Frl. Mahler den Brief zu übersenden, da ich
ihre Adresse nicht kenne.
Ich werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie sich
dieser Sache etwas annehmen. Grüßen Sie bitte Ihre Frau von mir und küssen Sie
Ihre Kinder, von denen mir Semën Ljudwigowitsch viel erzählt hat.
Ihre Tatjana Frank
Anmerkung
1) Natalia Frank hatte zur Kriegszeit zwei Kinder
und blieb zuhause in London. Jedoch Paul Scorer, Ihr Ehemann war Freiwilliger
und arbeitete bei Intelligenzprüfungen. Er wurde in der Bay von Biskaja im
Herbst 1943 vermisst.
Brief von Natascha Frank an
Fritz Lieb
31.VII.[19]30
Sehr geehrter Herr Professor!
Mit vielem Dank sende ich Ihnen die Bücher zurück.
Entschuldigen Sie, dass ich die französischen Wörterbücher nicht mitschicke.
Wenn Sie erlauben, würde ich sie gern noch eine zeitlang behalten, denn ich
kann sie hier sehr gut gebrauchen.
Besten Gruß an Sie, Ihre Gattin und die Kinderchen
Hochachtungsvoll
Natascha Frank
Werke Franks
Weiterführende Literatur
Die Bibliographie wurde erstellt von Heinrich Michael Knechten.