Gedanken Fausts vor dem Tode
Heinrich Michael Knechten
1922 veröffentlicht Berdjaev einen Beitrag zum Buch Oswald Spenglers, Der Untergang des Abendlandes (Bd. 1, Wien 1918, Bd. 2, München 1920). Er sagt, Spengler fühle sich wie ein Europäer mit einer faustischen Seele, mit Bestrebungen, welche ins Unendliche gehen.
Die Hauptthese Spenglers ist: Jede Kultur geht in das Stadium des Zerfalls, in Zivilisation über. Kultur ist von ihrer Grundlage her religiös, Zivilisation areligiös. Spengler hält sich für einen Menschen der Zivilisation, da er nicht religiös sei. Kultur leitet sich von "Kult" her, sie ist mit dem Kult der Vorfahren verbunden, sie ist unmöglich ohne heilige Überlieferungen. Philosophie und Kunst existieren nur in der Kultur. In der Zivilisation sind sie unmöglich und auch unnötig, da es ihr um Herrschaft geht. Sie braucht höchstens Ingenieurskunst. Kultur ist organisch, Zivilisation mechanisch. Kultur geht es um Qualität, der Zivilisation um Quantität. Kultur weckt schöpferische Kräfte, Zivilisation blockiert sie.
Berdjaev bedauert, dass Spengler sich durch seine Areligiösität das Verständnis von Kultur verstellt. Wenn er nicht so voreingenommen wäre, könnte er wahrnehmen, wie sich in Russland ein neuer Typ von Kultur entwickelt (Solov'ev, Dostoevskij).
(Vgl. Nikolaj A.Berdjaev, Predsmertnye mysli Fausta, in: Osval'd Špengler i zakat Evropy, Moskau 1922)
Anmerkung
Berdjaev malt schwarzweiß.
Als Beleg diene folgendes Zitat aus O.Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Bd.
2, München 581923, 237: "Dem Christentum Dostojewskis gehört
das nächste Jahrtausend."