Der Fall

 

Inhalt

 

Einführung. 2

Bücher, die mich prägten. 3

Das Friedensgebet 4

Die Friedenswoche. 5

Unterstützung eines Kinderhorts in Nicaragua. 5

„Jugendliche grün und kommunistisch beeinflussen!“. 5

Ausschluß aus der Seniorenarbeit 5

Meine Motivation. 7

Arbeit für ungelernte Kräfte. 9

„Niemand hält das Handeln des Kaplans für gut“. 12

Solidaritätserklärung. 14

Parteimitgliedschaft nicht ungewöhnlich. 15

Aus der Parteipolitik heraushalten. 16

Sich nicht einmischen. 16

Kritik an meiner Friedensarbeit 16

Das abgelehnte Ferienlager 16

…ins Messer laufen lassen. 17

„Pfarrjugend in Zusammenhang mit Grüner Liste“. 17

„Die Katholische Jugend kompromittiert“. 17

„Ihr Schlangenbrut!“. 18

„Die kirchliche Jugend bloßgestellt“. 21

Mehr Information. 21

Musikkreis hat schwere Bedenken. 21

Situation der Jugendarbeit „sehr schlecht“. 21

Gegen die „Nachrüstung“. 22

Am Sonntag nichts über die Arbeitswelt! 23

Keine Zusammenarbeit der Leiter mit dem Kaplan. 24

„… aber man muß ihm auch eine Aufgabe geben“. 25

Als Handwerker arbeiten. 27

Knechten geht 28

… Sie so fertig gemacht haben. 31

Engstirnigkeit 32

Das Wort Gottes in angenehmen Tönen. 33

Harmonie in der Gemeinde. 34

Ein grüner Wurm.. 37

Menschenrechte in der Kirche. 39

Befreiung von meinen Aufgaben. 40

Die Versetzung in ein Behindertenheim.. 40

Nachwort 41

 

 

Einführung

Heute ist vom Niedergang der Grünen Bewegung die Rede. Da mögen die heftigen Emotionen und schroffen Verfügungen als seltsam und unverständlich erscheinen, die in diesem Bericht mit Originaldokumenten aus den Jahren 1983/1984 geschildert werden. Außerdem erscheint angesichts der gegenwärtigen Kriege ein Eintreten für Abrüstung als verfehlt; doch damals war eine andere Situation.

Wie kam es zu dieser Situation? Ich begann meinen Dienst als Geistlicher in herkömmlicher Weise. Im Religionsunterricht versuchte ich, die Gestalt Jesu Christi näherzubringen, aufzuzeigen, was Kirche bedeutet, was die hauptsächlichen Glaubensaussagen sind und welche Inhalte in der Heiligen Schrift für das christliche Leben wichtig sind.

Eines Tages legten zwei Schüler Protest ein. Sie sagten, das alles sei ja schön und gut, aber heute gäbe es brennende Probleme, um die wir uns dringend zu kümmern hätten. Viele Kriege würden geführt, die verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung hätten. Die internationalen Handelsbedingungen seien so, daß die Erzeuger der Lebensmittel oder die Förderer der Bodenschätze eine so geringe Entlohnung erhielten, daß sie davon kaum leben könnten. Die Umwelt sei mittlerweile so verschmutzt, daß das Weiterleben auf diesem Planeten Erde gefährdet sei. Die Rechte der Frauen würden vielerorts immer noch mit Füßen getreten.

Ich besorgte mir einen Katalog der Medien für Schulunterricht, und die beiden wählten ihnen geeignet erscheinende Filme aus, die ich im Unterricht vorführte. Sogleich gab es Protest von seiten einiger Schüler, die im Religionsunterricht ausschließlich religiöse Themen wünschten. Ich wies auf den offiziellen Lehrplan hin, in dem auch die neuen Themen zu finden seien, doch sie meinten, dies sei eine Knieerweichung der zuständigen Entscheidungsträger.

Bücher, die mich prägten

Ich besorgte mir Literatur über die genannten Themen. Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir folgende Werke:

o  Galeano, Eduardo Hughes (1940-2015), Las venas abiertas de América Latina, La Habana 1971; Die offenen Adern Lateinamerikas. Die Geschichte eines Kontinents von der Entdeckung bis zur Gegenwart, Übersetzung von Leonardo Halpern, Redaktion von Frieder Hammer und Anneliese Schwarzer de Ruiz, Wuppertal 1972. – In poetischer Weise (!) zeigte Galeano die Ursachen des Elends vieler Menschen in Lateinamerika auf.

o  The Global 2000 Report to the President of the U. S. [Jimmy Carter]. Entering the 21st Century. A Report, prepared by the Council on Environment Quality and the Department of State. Gerald O. Barney, New York 1980; Global 2000. Bericht an den Präsidenten, herausgegeben vom Council on Environment Quality [Rat zur Umweltqualität] und dem Außenministerium. Gerald O. Barney, Übersetzung von Thomas Berendt, herausgegeben von Reinhard Kaiser, Frankfurt am Main 1980. Das Buch war einerseits einseitig, weil lediglich die Interessen der Vereinigten Staaten Amerikas berücksichtigt wurden, andererseits prophetisch; denn manche Probleme der Zukunft wurden vorhergesagt, zum Beispiel der Kampf um die Ressource Wasser.

o  Rüstung und Abrüstung im Atomzeitalter. Ein Handbuch, herausgegeben vom Stockholm International Peace Research Institut (SIPRI), Reinbek 1977. Hier wurde aufgezeigt, daß die Rüstung wertvolle Ressourcen verbraucht, finanzielle Mittel abzweigt, die für humane Zwecke notwendig wären, und letztlich die Konflikte in der Welt anheizt.

o  Daly, Mary (1928-2010), Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Womenʼs Liberation, Boston 1973; Jenseits von Gottvater, Sohn & Co. Aufbruch zu einer Philosophie der Frauenbefreiung, Übersetzung von Marianne Rebekus, Übersetzung der Einleitung des ersten Kapitels von Barbara Henninges, München 1980.

o  Cardenal Martínez, Ernesto (1925-2020), El evangelio in Solentiname, 2 Bände, Salamanca 1975,1978; Das Evangelium der Bauern von Solentiname. Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika, Übersetzung von Anneliese Schwarzer de Ruiz, 2 Bände, Wuppertal 1976.1978.

Das Friedensgebet

Am 5. Januar 1983 wurde das Friedensgebet, das am 14. Januar 1983 stattfinden sollte, vorbereitet. Daran beteiligt waren der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und die Frauengemeinschaft. Der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend warf mir vor, eine Frau am Friedensgebet beteiligen zu wollen, die zwar Mitglied der Kolpingsfamilie unserer Gemeinde, aber auch Mitinitiatorin der soeben gegründeten Grünen Liste Oer-Erkenschwick war.

Die Friedenswoche

Vom 22. bis zum 30. Januar 1983 fand die Friedenswoche statt. Ich beteiligte mich mit einem Informationsstand zu den Problemen der „3. Welt“. Der Vorsitzende der Stadtcaritas warf mir am 24. Januar 1983 vor, die Caritasjugend mit in die Friedenswoche eingebracht zu haben.

Unterstützung eines Kinderhorts in Nicaragua

Ich hatte nacheinander in zwei Städten einen „Dritte-Welt“-Laden gegründet. Hinter diesen Läden stand jeweils eine Aktionsgruppe.

Heute wird von Eine-Welt-Läden gesprochen. Damals galten die „industrialisierten Länder“ (Europa, Japan und Nordamerika) als Erste Welt, die Sowjetunion als Zweite Welt und die „Entwicklungsländer“ als Dritte Welt.

Nachdem ich Nicaragua besucht hatte, unterstützte ich einen Kinderhort in Estelí, Nord-Nicaragua. Ich sandte fabrikneue Kinderschuhe, Spielzeug, Malutensilien und Geld dorthin.

„Jugendliche grün und kommunistisch beeinflussen!“

Ich beantragte am 10. Januar 1983 die Aufnahme in die Grüne Liste Oer-Erkenschwick, um den oben skizzierten politischen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Diese Nachricht wurde von der Stimbergzeitung am 26. Januar 1983 veröffentlicht.

Die Pastoralreferentin, welche zugleich Mitglied des Jugendrates war, warf mir am gleichen Tag, 26. Januar 1983, vor, die Jugendlichen „grün und kommunistisch“ beeinflussen zu wollen; daher sei das von mir geplante Ferienlager kritisch zu hinterfragen.

Ausschluß aus der Seniorenarbeit

Am nächsten Tag, 27. Januar 1983, erhielt ich folgenden Brief:

„Man kann nur einem Herrn dienen“

[„Niemand kann zwei Herren dienen“ (Mt 6, 24)]

 

Sehr geehrter Herr Kaplan Knechten,

 

ich bin sehr traurig darüber, daß ich so einen Brief an einen Priester schreiben muß, denn ich achte, ehre und schätze Sie Alle.

 

Es ist für mich unvorstellbar, daß sich ein Priester so erniedrigt. Wenn Sie Ihre Meinung nicht ändern, möchte ich nicht, daß Sie noch einmal einen Nachmittag für unsere älteren Leute gestalten. Ich glaube, daß unsere älteren Pfarrangehörigen sehr schockiert sind über Ihre Haltung. Ich kenne viele Mütter, die sehr traurig darüber sind, weil sich ihre Kinder auch in diesem grünen Milieu bewegen. Was wollen Sie diesen Eltern sagen, wenn diese einmal mit ihren Sorgen zu Ihnen kommen? Sie haben Jedem die Möglichkeit genommen, ob Jung oder Alt, bei Ihnen Rat oder Trost zu suchen, da Sie sich selbst festgelegt haben.

 

Sie sind doch nach Erkenschwick gekommen, um das Wort Gottes zu verkünden und den Menschen zu helfen. Auch hier gibt es oft große Not, nicht nur in der dritten Welt.

 

In der Hoffnung, daß noch Alles gut wird verbleibe ich

 

Mit freundlichen Grüßen

T. W.

 

Soweit dieser Brief. Für den 14. April war im Rahmen der Seniorenarbeit ein Diavortrag über die Bibel geplant, den ich halten sollte. Er wurde abgesagt.

Meine Motivation

Ein Redakteur rief mich am folgenden Tag an (28. Januar 1983), und teilte mir mit, zwei Gemeindemitglieder hätten sich öffentlich von mir distanziert. Daraufhin versuchte ich, meine Motivation zu beschreiben:

 

1.   Zur parteipolitischen Tätigkeit eines katholischen Priesters

– In einem Hirtenwort zu dieser Frage stellten die katholischen Bischöfe der BRD im Jahre 1973 fest:
„Die Übernahme einer Führerstellung oder der aktiv militante Einsatz in einer bestimmten politischen Partei soll jedem Priester untersagt sein, es sei denn in bestimmten außergewöhnlichen Fällen, wo das Wohl der Gemeinschaft so etwas wirklich verlangt. […] Solche ‚außergewöhnlichen Fälle‘ oder Notstände sind für die Bundesrepublik heute nicht gegeben. Zwar schließt das nicht von vornherein aus, daß ein Priester als Bürger eines Staates Mitglied einer Partei ist, sofern diese nicht inhumane oder antichristliche Ziele verfolgt. Abzulehnen ist jedoch, daß sich ein Priester öffentlich innerhalb einer Partei, für eine Partei sowie für die Wahl einer Partei einsetzt.“

– Das neue kanonische Gesetz, das zum 1. Adventssonntag dieses Jahres [1983] in Kraft tritt, bestimmt folgendes:
Priester sollen sich aus dem politischen Tagesgeschehen heraushalten. Sie dürfen keine mit öffentlicher Gewalt verbundenen Ämter ohne Genehmigung durch den örtlichen Bischof übernehmen. Er könne ihnen eine Rolle in politischen Parteien zugestehen, wenn das „dem gemeinsamen Wohl oder dem Schutz kirchlicher Rechte“ dienlich sei.

– Dessen ungeachtet, geben die Bischöfe unseres Landes vor jeder Wahl ein Hirtenwort heraus, das ausschließlich Positionen einer bestimmten Partei enthält; allerdings ohne namentliche Nennung dieser Partei.

– Ein Stadtratsmitglied sagte mir, es werde erwartet, daß katholische Geistliche diese bestimmte Partei unterstützen.

2.   Zu meiner Parteinahme für die Wählergemeinschaft „Grüne Liste“

– Einsatz für die soziale Not der „3. Welt“ erfordert nicht nur karitative Tätigkeit (Hilfssendungen und Finanzierung von Selbsthilfeprojekten), sondern auch politische Arbeit vor Ort, da die Verursacher der Not auch in unserem Land anzutreffen sind.

Friedensarbeit: Es ist meine Überzeugung, daß wir in Christus Frieden finden, aber diese Überzeugung hat auch Konsequenzen. Wenn das Überleben der Menschheit durch die gegenwärtige Hochrüstung in Frage gestellt ist, wenn viele Menschen verhungern, weil das notwendige Geld statt in Entwicklungshilfeprogramme in Rüstungsausgaben geht, darf ich als Priester nicht neutral bleiben.
Um ein Zeichen zu setzen, habe ich in dieser Woche meinen Wehrpaß in zwei Hälften zerschnitten und, jeweils mit einem Begleitbrief, die eine Hälfte an das Verteidigungsministerium und die andere Hälfte an das zuständige Kreiswehrersatzamt gesandt.
Im letzten Weltkrieg waren Priester im Militärdienst tätig; diesen Dienst könnte ich im Falle eines neuen Krieges nicht verrichten.

Ökologie: Wenn unsere Umwelt stirbt, kann ich es nicht mit bloßen Appellen bewenden lassen. Gott hat die Welt erschaffen, nicht damit wir sie zerstören und damit der Generation nach uns die Lebensmöglichkeit nehmen.

Gleichberechtigung: Immer wieder wird berichtet von Gewalt gegen Frauen, von ungleicher Ausbildung und Bezahlung, von ungerechten Renten, von ungenügendem Mutterschutz sowie von der doppelten Unterdrückung der Frauen in der „3. Welt“, nämlich durch das Elend ihrer Lebensbedingungen und zusätzlich durch die auf die Bedürfnisse der Männer zugeschnittene Gesellschaft. Um Gleichberechtigung zu erreichen, ist politischer Einsatz notwendig.

3.   Zur Reaktion auf meine Parteinahme
– Die Verantwortlichen der Pfarrgemeinde distanzierten sich von meinem politischen Engagement.
– Beschimpfungen, Drohungen und Behinderung meiner Arbeit waren die Folge.
– Dies ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz (Artikel 3, 3) und gegen das Gebot der Toleranz.
Artikel 3, 3 des Grundgesetzes lautet:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

 

Arbeit für ungelernte Kräfte

Am gleichen Tag, 28. Januar 1983, sandte ich das oben wiedergegebene Schriftstück „Meine Motivation“ an die zuständigen Stellen der Diözese und bat mit folgendem Begleitbrief um ein Gespräch:

In der letzten Zeit hat eine Entwicklung meiner Tätigkeit als Kaplan in der Gemeinde stattgefunden, über die ich Ihnen gerne persönlich berichten möchte. Aber folgendes möchte ich Ihnen schon jetzt mitteilen:

 

1.   Einige Erfahrungen
– Einige Besucher sagten angesichts meiner Wohnverhältnisse (Wohnung, Wohnlage): „Du bist reich, daß Du so wohnen kannst!“
– Ich erlebe, daß meine Stellung, mein krisensicherer Arbeitsplatz, mein Gehalt mich von vielen Katholiken unserer Pfarrgemeinde trennen, die eben nicht solch eine Stellung etc. haben.
– Ich erfahre, daß politische „Neutralität“ die herrschenden Kräfte unterstützt, die Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Kriegsgefahr und Elend in der „3. Welt“ verursachen.

2.   Als Priester seinen Lebensunterhalt durch körperliche Arbeit verdienen
a) Motivation
– Paulus spricht mehrmals davon, daß er seinen Lebensunterhalt selber verdient, und sich nicht von den Gemeinden unterstützen läßt:
„Wir mühen uns ab, indem wir mit eigenen Händen arbeiten“ (1 Kor 4, 12).
„Wenn andere an dem, was euch gehört, teilhaben dürfen, dann nicht wir erst recht? Aber wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht“ (1 Kor 9, 12).
„Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen, und haben euch so das Evangelium verkündet“ (1 Thess 2, 9).
„Wir haben uns gemüht und geplagt, Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen“ (2 Thess 3, 8).
Eine Ausnahme machte er nur mit der Gemeinde in Philippi: „Ihr wißt selbst, ihr Philipper, daß ich beim Beginn der Verkündigung des Evangeliums, als ich aus Mazedonien aufbrach, mit keiner Gemeinde durch Geben und Nehmen verbunden war außer mit euch“ (Phil 4, 15).
– Franz Kamphaus sprach vom Zeugnis für das Unbezahlbare (in: Leidenschaft für Gott, Freiburg 1981, 95).
– Christian Modehn schilderte den Abscheu, den französische Priester vor dem Luxus der deutschen entwickeln (in: Publik-Forum 1983, Nr. 2, 25).
– Solidarität mit denen, die ungesichert leben.

b) Einwände
– Im Vergleich zur Situation vor fünfzig Jahren haben wir heute in Deutschland Priestermangel.
– Deshalb sollte alle verfügbare Zeit in die Seelsorge, in das geistliche Leben und in das Studium gesteckt werden. Es gilt zum Beispiel, mehr Hausbesuche zu machen.
– Eine ungelernte Arbeit entspricht nicht der Würde des Priesters.

c) Antwort auf die Einwände
– Im Vergleich zur „3. Welt“ haben wir hier einen Überfluß an Priestern. Meine Freunde in Lateinamerika und Afrika haben Pfarreien von zwanzigtausend Gläubigen und mehr auf einer Fläche, die der des rechten Niederrheins entspricht.
– Qualität ist erforderlich, nicht nur Quantität. Die sogenannte Unterschicht ist faktisch weithin ohne Seelsorge. Es ist für Priester leichter, eine Erlaubnis zum Weiterstudium zu erhalten als zur körperlichen Lohnarbeit.
– Jesus hatte einen „Zug nach unten“ (in: Adolf Holl, Jesus in schlechter Gesellschaft, Stuttgart 1971).

3.   Politische Arbeit des Priesters
(siehe den vorigen Abschnitt: „Meine Motivation“).

4.   Schlußfolgerungen
Ich stelle mir als Elemente meiner Arbeit folgendes vor:
– Normale Gemeindearbeit, soweit möglich
– Eine ungelernte Teilzeitarbeit verrichten. Arbeitslos sein, wenn es zeitweise keine Arbeit gibt.
– Wohnung in einem Wohngebiet einfacher Menschen mit einer Wohnungsausstattung ähnlich wie bei ihnen.
– Engagement zur Linderung sozialer Not hier und in der „3. Welt“, auch politisch.
– Suche nach Gemeinschaft.

Ich möchte also nicht die Tätigkeit eines Arbeiterpriesters ausüben, sondern strebe eine Verbindung zwischen Gemeindearbeit und körperlicher Arbeit an.

Bis zu einem Gespräch,
mit herzlichem Gruß
Heinrich Knechten

 

„Niemand hält das Handeln des Kaplans für gut“

Am folgenden Tag (29. Januar 1983) erschien in der Stimbergzeitung folgender Artikel:

Kaplan beruft sich auf das Grundgesetz

Kirche denkt noch nicht an Konsequenzen

Ein Mitglied des Pfarrgemeinderates, der außerdem noch Mitglied des Kirchenvorstandes und Vorsitzender des Kirchenchores ist, stellte fest:

„In unserer Kirchengemeinde hält niemand das Handeln des Kaplans für gut.“ Nach seiner Meinung sei das Vertrauensverhältnis stark gestört. In der Gemeinde wachse, nicht zuletzt gestärkt durch die „offizielle“ Kritik, der offene Protest gegen Knechten. Er fuhr fort: „Ich weiß von einigen, die nicht mehr in die Kirche kommen, weil Kaplan Knechten die Messe liest.“ Ferner haben bereits Gemeindemitglieder die Absicht geäußert, dem Bischof zu schreiben, er möge den Kaplan versetzen. Er schloß: „Wir müssen noch einige Gespräche führen. Vielleicht gibt es noch einen Kompromiß, wenn Kaplan Knechten einen Schritt zurück macht.“ In der Sache jedenfalls bleibt er hart und wendet sich vehement gegen die Mitgliedschaft bei den „Grünen“. Zwar könne man nicht belegen, daß der Seelsorger seine Arbeit dazu benutze, um grüne Politik in die 6.000 Seelen starke Gemeinde zu tragen, aber er habe die Sorge, daß dieses geschehe. Zu den parteipolitischen Betätigungen der ehrenamtlichen Kirchenkräfte meinte er: „Das kann man nicht vergleichen. Schließlich kann man den Bürgern eine vom Grundgesetz garantierte freie Meinungsäußerung nicht verbieten.“

Der Leiter der christlichen Arbeiterjugend empfindet Knechten als Bereicherung für die kirchliche Jugendarbeit. Die Mitgliedschaft in den „Grünen“ stört ihn wenig, und eine politische Beeinflussung durch den „grünen“ Kaplan hat er in der Gruppenarbeit nicht kennengelernt. „Ich verstehe das Theater nicht.“

 

Am gleichen Tag. 29. Januar 1983, veröffentlichte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Ausgabe Ostvest, folgenden Beitrag:

Streit um politische Betätigung:

Kirche kontra „grünen“ Kaplan

Pfarrgemeinderat läßt Dampf ab –

Haussegen hängt schief

 

In der Pfarrgemeinde hängt der Haussegen schief. Kaplan Heinrich Knechten, vor wenigen Wochen vom Niederrhein an den Stimberg gewechselt, sieht sich in den letzten Tagen zunehmender Kritik und massiven Vorwürfen ausgesetzt. Der Grund: Der Pfarrgemeinderat befürchtet, mit der Beschäftigung des 33jährigen Kaplans den „grünen Wolf“ im Schafspelz in ihren Reihen gefunden zu haben. Knechten ist vor kurzem der Wählergemeinschaft der „Grünen“ beigetreten und hat damit für Diskussions- und Zündstoff gesorgt, den er so „in dieser Form nicht erwartet“ habe.

Seither sieht sich der engagierte junge Geistliche zusehends dem Druck einiger Gemeindemitglieder und des Pfarrgemeinderates ausgesetzt, was in anonymen Anrufen und offen ausgesprochener Mißachtung gipfelt. So weiß der Kaplan von Anrufen zu berichten wie: „Wir brauchen einen Kaplan und keine grüne Tomate“ bis hin zu Ankündigungen: „Von Ihnen möchten wir nicht getraut werden.“

 

Vor allem von Seiten der gewählten Kirchenvertreter weht Knechten der Sturm der Empörung entgegen. Entfacht wurde er durch die Beteiligung zweier Gruppen der Gemeinde an der Friedenswoche und entwickelte sich in seiner ganzen Stärke in der letzten Pfarrgemeinderatssitzung. Die Teilnahme an der Friedenswoche wurde untersagt, ein bereits zugesagter Stand der Dritte-Welt-Gruppe wurde vom Vorsitzenden des Caritasverbandes zurückgezogen und Kaplan Knechten „das Mißtrauen ausgesprochen“. Die Stimmung beschrieb der Vorsitzende des Caritasverbandes und Knechten-Kritiker mit: „Es ging hoch her!“

Dabei waren es gerade Mandatsträger, die in dem Kirchengremium gegen den „Grünen“ Knechten Front und ihm seine parteipolitische Tätigkeit zum Vorwurf machten. Ein Mitglied des Kirchenvorstandes sagte: „Ich halte es für grundsätzlich falsch, wenn ein Geistlicher sich parteipolitisch betätigt!“ Daß andernorts politische Betätigungen von Geistlichen in seiner eigenen Partei nicht unüblich sind, ließ ihn kalt. Allerdings räumte er ein, daß eine Mitgliedschaft eines Geistlichen in seiner Partei keinen so großen Wirbel ausgelöst hätte. Er selbst zeigte sich von den „spontanen Reaktionen“ der Gemeindemitglieder äußerst überrascht.

Solidaritätserklärung

Drei Tage später (1. Februar 1983) meldete die WAZ::

Solidaritätserklärung für Kaplan Heinrich Knechten

Priester bezeichnen Vorkommnisse als skandalös

Offener Brief an den Pfarrgemeinderat

Scharfe Kritik am Verhalten

„Unserem Mitbruder Heinrich Knechten ist in aller Öffentlichkeit schweres Unrecht widerfahren. Wir respektieren seine persönliche Entscheidung und bekunden ihm unsere volle Solidarität.“ Mit dieser Stellungnahme reagierten jetzt sechs Geistliche in einem offenen Brief an den Pfarrgemeinderat und bezeichneten die Vorgänge um die Mitgliedschaft von Kaplan Heinrich Knechten bei den Grünen als schlichtweg skandalös.

Die Unterzeichner, vier Geistliche aus Datteln und zwei aus Waltrop, fragen sich: „Wie kann ein Pfarrgemeinderat – oder zumindest seine Sprecher – sich zu der Ungeheuerlichkeit verirren, den guten Ruf eines Kaplans, der erst seit wenigen Wochen in der Gemeinde ist, in dieser Form zu untergraben?“

Weiter stellen sich die Unterzeichner auf den Standpunkt, daß man zwar über das politische Engagement Knechtens unterschiedlicher Meinung sein könne, jedoch sei dies kein Grund, „in aller Öffentlichkeit derart mit einem Menschen umzugehen, der nichts getan hat, als sich zu seiner persönlichen Überzeugung zu bekennen und Flagge zu zeigen. Wo bleibt da die demokratische Grundhaltung der Toleranz, die wir vom Evangelium her auch für eine grundlegende christliche Tugend halten?“

Und, ungeachtet des je eigenen politischen Standortes, wollen die Geistlichen vom Pfarrgemeinderat wissen: „Darf es in unseren Gemeinden – auch unter den Priestern – keinen legitimen Pluralismus der politischen Meinungen geben? Warum kann ein Priester – entsprechend seiner persönlichen Überzeugung – nicht Mitglied einer politischen Partei werden wie es andernorts in anderen Parteien durchaus üblich ist? Kann eine konservativ-bürgerliche Partei für sich mehr das Recht in Anspruch nehmen, christliche Werte und Ideale zu vertreten als eine prophetisch-kritische?“

Parteimitgliedschaft nicht ungewöhnlich

Am nächsten Tag (2. Februar 1983) schrieb die WAZ:

Kaplan

„Gegen die reine Mitgliedschaft in einer Partei haben wir prinzipiell nichts einzuwenden.“ Diese Äußerung machte jetzt der Generalvikar des Bistums Münster gestern bei seinem Besuch der Schachtanlage Haard auf Anfrage der waz. Allerdings konkret wollte er sich zum Fall des „grünen“ Kaplans Heinrich Knechten nicht äußern. „Wir haben bisher unsere Informationen nur aus der Presse bezogen und wollen zunächst einmal alle Seiten hören.“ Zum Problem der bloßen Parteimitgliedschaft meinte der Generalvikar, daß dies keine ungewöhnliche Sache sei. Der Fall Knechten sei bisher der einzige. Allerdings habe es in der Vergangenheit schon einmal Streit um eine Mitgliedschaft gegeben.

Unterdessen mehren sich die Solidaritätskundgebungen für Kaplan Heinrich Knechten, der mittlerweile auch aus den Reihen von Kirchenmitgliedern Unterstützung erhält. Aber auch aus den Pfarreien der Nachbarstädte erhält der vom Pfarrgemeinderat kritisierte Kaplan zunehmend Unterstützung.

Aus der Parteipolitik heraushalten

Am folgenden Tag, 3. Februar 1983, hatte ich ein Gespräch mit dem Personalchef der Diözese. Er sagte, ein Geistlicher solle sich aus der Parteipolitik heraushalten.

Sich nicht einmischen

Am nächsten Tag, 4. Februar 1983, war eine außerordentliche Sitzung des Pfarrgemeinderates. Es wurde über den „Fall Knechten“ beraten. Der Inhalt des Solidaritätsbriefes von Dattelner und Waltroper Geistlichen wurde abgelehnt. Diese Geistlichen seien schlecht informiert gewesen, hätten sich gegen den Pfarrgemeinderat dieser Gemeinde gestellt und in die inneren Angelegenheiten einer anderen Pfarrgemeinde hineingemischt.

Kritik an meiner Friedensarbeit

Am 7. Februar 1983 war eine Sitzung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Ich wurde scharf kritisiert, weil ich zum Friedensgebet am 21. Februar 1983 eine Frau eingeladen hatte, die zwar Mitglied der Kolpingsfamilie unserer Gemeinde, aber außerdem Mitglied der kürzlich gegründeten Grünen Liste Oer-Erkenschwick war. Außerdem wurde mir vorgeworfen, daß ich die Caritasjugend in die Friedensgruppe eingebracht hätte.

Das abgelehnte Ferienlager

Da sich die Jugendgruppenleiter der Pfarrei weigerten, mit mir zusammenzuarbeiten, organisierte ich selber ein Ferienlager. Ich fand einen Ort in Osttirol und bestellte einen Bus. Dann lud ich am 21. Februar 1983 die Jugendlichen mit einem Brief ein, den ich in den Schulen verteilen ließ. Außerdem informierte ich die Eltern, deren Zustimmung ja erforderlich war.

Alle Jugendlichen, die sich bereits für dieses Ferienlager interessiert hatten, traten zurück. Es gab keinerlei weitere Anmeldungen und ich mußte alle Vereinbarungen, die ich getroffen hatte, absagen.

…ins Messer laufen lassen

Am 28. Februar 1983 fand eine Gruppenleiterrunde der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg statt. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte die Pfadfinderschaft ins Messer laufen lassen und sie nicht vor der Friedensgruppe in Schutz genommen, als es um die Vorbereitung der Friedenswoche ging.

„Pfarrjugend in Zusammenhang mit Grüner Liste“

Am 7. März war eine Sitzung des Pfarrverbandsrates. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte in der Jugendzeitschrift „Oerfeige“ die Katholische Pfarrjugend in Zusammenhang mit der Grünen Liste Oer-Erkenschwick gebracht. – Tatsache war, daß ich lediglich die verschiedenen Jugendgruppen ohne Kommentar aufgezählt hatte. Allerdings war an einer anderen Stelle dieser Jugendzeitschrift ein Artikel der Grünen Liste Oer-Erkenschwick.

„Die Katholische Jugend kompromittiert“

Am folgenden Tag, 8. März war eine Sitzung des Beirates des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. In äußerst scharfer Form wurde mir vorgeworfen, die Caritasjugend in die Friedenswoche eingebracht zu haben und den Bund der Deutschen Katholischen Jugend durch die Darstellung in der erwähnten Jugendzeitschrift Oerfeige kompromittiert zu haben

Ihr Schlangenbrut!“

Am gleichen Tag, 8. März 1983, schrieb ich folgenden Text, der im Oktoberheft der Zeitschrift „Imprimatur“ veröffentlicht wurde, allerdings ohne die Einleitung, was die Aussagen, die ich auch auf mich selbst bezogen hatte, zu einem einseitigen Angriff auf andere verfälschte.

Seit 1983 gab es einige Veränderungen in Richtung auf die unten gestellten Forderungen. Es erschien eine Bibel in gerechter Sprache und auch liturgische Texte wurden dahingehend überarbeitet. Die Missionsmethoden haben sich geändert und integrieren oftmals autochthone Überlieferungen und Kulturen in ihre Arbeit. Stellungnahmen zur Gerechtigkeit, zum Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung sind allgemein geworden. Die Anstrengungen, das Elend vieler Menschen zu lindern, wurden größer. Dennoch ist die Anzahl hungernder und armer Menschen sowie kriegerischer Auseinandersetzungen gestiegen, nicht zuletzt durch Korruption, Machtmißbrauch, „Vorwärtsstrategie“, Unfähigkeit und Trägheit.

 

Vorbemerkung

Die folgende Aktualisierung des 23. Kapitels im Matthäusevangelium ist im Ton aggressiv, aber diese Aggressivität entstammt im Kern der matthäischen Vorlage. Die acht Wehe-Rufe korrespondieren mit den acht Seligpreisungen: Hier Aufruf zur Umkehr, dort Verheißung.

Außerdem möchte ich anmerken, daß ich selber seit fünf Jahren Geistlicher bin, sodaß ich gleichfalls unter dem Gericht dieser Worte stehe.

 

Weherufe an Schriftkundige und Geistliche

Jesus wandte sich an alle, die ihm folgten:

Schriftkundige und Geistliche legen die Bibel aus und hüten die religiösen Überlieferungen. Tut, was sie sagen, aber hütet euch davor, so zu leben wie sie!

Sie bürden den Menschen schwere Lasten auf, jedoch verwirklichen sie ihre Forderungen nicht selbst.

Sie handeln, um von Menschen gesehen zu werden. Sie tragen beim Gottesdienst besondere Gewänder oder ein kostbares Kreuz. Sie sind stolz auf silberne oder goldene Abendmahlsgeräte oder Taufutensilien.

Bei Hochzeiten und Geburtstagsfeiern sitzen sie auf den Ehrenplätzen; in der Kirche haben sie Sitze an besonderer Stelle.

Sie genießen es, wenn man sie auf der Straße respektvoll grüßt. Sie lassen sich mit  Herr Pfarrer“ anreden. Aber ihr sollt euch keine Ehrentitel zulegen; denn ihr seid alle Schwestern und Brüder! Wer sich selbst ehrt, den wird Gott erniedrigen.

 

Wehe euch, Schriftkundige und Geistliche, ihr Heuchler!

Ihr verschließt den Menschen den Zugang zu einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens. Ihr selbst wollt sie nicht aufbauen, aber ihr hindert auch andere daran, sich für diese Ziele einzusetzen.

Wehe euch, Schriftkundige und Geistliche, ihr Heuchler!

Ihr verrichtet eure Gebete, aber in Wirklichkeit seid ihr Betrüger und Ausbeuter. Euer Reichtum verursacht das Elend der „3. Welt“. Ihr werdet streng bestraft.

Ihr kümmert euch um den Kirchenvorstand, um Bauten und um die Erhaltung und Vermehrung des Kirchenvermögens. Euer Herz schlägt dort, wo der Besitz ist.

Wehe euch! Ihr wollt andere führen und seid selbst blind. Ihr kämpft gegen die Abtreibung, aber nicht dagegen, daß in Ländern Lateinamerikas, Afrikas oder Asiens Menschen gefoltert, unterdrückt oder getötet werden.

Wehe euch! Ihr spendet hundert Mark an Misereor oder Brot für die Welt, aber ihr geht nicht an die Wurzel des Übels. Ihr seid wohltätig, aber ihr kämpft nicht um Gerechtigkeit für die Menschen der „3. Welt“.

Ihr macht Reisen, um Menschen zu bekehren. Ihr entfremdet ihn seiner einheimischen Kultur und macht so ein Kind des Verderbens aus ihm.

Wehe euch, Schriftkundige und Geistliche, ihr Heuchler!

Ihr tretet für den Frieden in den Gemeinden ein, aber die Aufrüstung mit Atomraketen in Ost und West kümmert euch nicht. Ihr verrichtet den „Dienst an der Einheit“, aber jagt in Wirklichkeit Andersdenkende aus euren Gemeinden heraus.

Ihr redet schöne Worte von der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt, ihr hebt jedes Papier auf, das auf euren Kirchplatz gefallen ist, aber in Wirklichkeit seid ihr mitverantwortlich für die Umweltzerstörung, weil ihr nicht entschlossen genug gegen die Ideologie eines unkontrollierten Wachstums auftretet.

Wehe euch, Schriftkundige und Geistliche, ihr Heuchler!

Ihr klagt seit Jahren über den wachsenden Priestermangel, gebt aber Frauen und Verheirateten keine Chance auf ein Amt in der Kirche. Ihr wundert euch, daß jetzt auch die Frauen, die doch bisher so „treu“ waren, aus den Gemeinden ausziehen, aber ihr seid weiterhin frauenfeindlich: Schon eure Sprache verrät euch, wenn ihr sagt: „Laßt uns alle Brüder sein!“

Wehe euch! Euch gehen Gesetz und Ordnung über alles. Auf das Äußere legt ihr wert, aber auf das Innere kommt es euch nicht an?

Wehe euch, Schriftkundige und Geistliche, ihr Heuchler!

Ihr baut früheren hervorragenden Christen schöne Gedenkstätten und druckt edle Bücher mit ihren Lebensbeschreibungen.

Ihr sagt: Hätten wir zur Zeit der Martyrer gelebt, wir hätten sie sicher nicht getötet. Wenn aber in jeder Sekunde ein Mensch an Hunger stirbt, stöhnt ihr: „Dagegen können wir nichts tun!“

Ihr Schlangenbrut, wie wollt ihr dem Verderben entgehen?

Wie oft habe ich euch Menschen gesandt, die euch wachrütteln sollten: Franziskus, Katharina von Siena, Martin Luther, Dorothy Day, – aber ihr wolltet nicht.

Und Jesus verließ den Tempel.

„Die kirchliche Jugend bloßgestellt“

Am 21. März 1983 war Pfarrgemeinderatssitzung. Mir wurde vorgeworfen, die kirchliche Jugend mit dem Artikel in der Jugendzeitschrift „Oerfeige“ bloßgestellt zu haben.

Mehr Information

Am 7. April 1983 fand ein Gespräch mit dem Personalchef der Diözese und dem Pfarrer statt, der eine Bestandsaufnahme der negativen Äußerungen von Pfarreimitgliedern über mich vornahm. Einige hätten gedroht, sie werden die Kirche verlassen, sobald sie mich am Altar sähen. Sein Fazit war: „Die Gemeinde kommt nicht zur Ruhe.“

Es wurde mir auferlegt, geplante Aktionen vor der Ausführung abzusprechen, damit auf jeden Fall vermieden werde, daß Zeitungsartikel veröffentlicht werden, in denen erst post festum [nach dem Fest: nach dem Handeln] Informationen überkommen. Auch ich sollte vom Pfarrer mehr Informationen erhalten.

Musikkreis hat schwere Bedenken

Am 13. April 1983 meldete der Jugendmusikkreis „Lebenszeichen“ schwere Bedenken an, mit mir zusammenzuarbeiten. Mein Vorgänger habe bessere Jugendmessen gestaltet, sagten sie. In der Folge weigerten sie sich, Musik zu machen, wenn ich den Gottesdienst hielt. Ich engagierte eine Jugendband von außerhalb, bezahlte sie von meinem Gehalt und feierte mit ihnen eine Jugendmesse, zu der zahlreiche junge Menschen kamen.

Situation der Jugendarbeit „sehr schlecht“

Am 24. April 1983 war eine Pfarrversammlung. Der Vorsitzende der Stadtcaritas sagte, die Situation der Katholischen Jungen Gemeinde in unserer Gemeinde sei sehr schlecht. Er gab mir die Schuld daran.

Gegen die „Nachrüstung“

Am 19. Juni 1983 nahm ich in einer Predigt gegen die „Nachrüstung“ Stellung. Die Reaktion einiger Gemeindemitglieder war: „Politik gehört nicht auf die Kanzel!“

Am 24. Juni 1983 veröffentlichte die Stimbergzeitung meinen Leserbrief:

„Es geht um die Vorbereitung für einen gewinnbaren Atomkrieg“

 

Betr.: Nuklearrüstung in Ost und West

„Wir leben in einer Vorkriegs- und nicht in einer Nachkriegszeit“, sagte Eugene Rostow, der Leiter der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde der USA im Dezember 1982. Spätestens dieses Zitat dürfte deutlich machen, daß es den USA (wie auch der UdSSR) nicht um Abrüstung, sondern um Kriegsvorbereitungen für einen gewinnbaren Atomkrieg geht. Wo aber wird der stattfinden?

US-Admiral La Rocque erklärte am 29 April 1981: „Die militärischen Planer der USA sind überzeugt, daß es früher oder später zu einem Krieg zwischen den USA und der UdSSR kommen wird – und dieser Krieg wird ein nuklearer sein. Die Nordamerikaner gehen davon aus, daß der Dritte Weltkrieg in Europa ausgefochten wird.“

Angesichts solcher Erwartungen ist es mir nicht verständlich, warum die katholischen Bischöfe in ihrem Hirtenwort zum Frieden die Entscheidung über die „Nachrüstung“ den Politikern überlassen. Eine einzige weitere Drehung an der Rüstungsschraube gefährdet das Leben der Bundesbürger und anderer Europäer. Eine Politik der Stärke, die eine „günstige Verhandlungsposition“ in Genf demonstriert, spielt mit dem Leben von Millionen Zivilisten. Jeder mündige Bürger ist daher aufgerufen, die „Nachrüstung“ in Ost und West zu verhindern. Ich halte gewaltlose Blockaden und auch einen Generalstreik für legitime Mittel dazu; denn es geht um unser Überleben!

Am Sonntag nichts über die Arbeitswelt!

Vom 7. bis zum 28. Juli 1983 war ich in der Trappistenabtei Cîteaux, die 1098 als Zisterzienserabtei gegründet worden war. Ich putzte Fenster und reinigte Wände. Im Gespräch mit Arbeiterpriestern versuchte ich herauszufinden, wie sich Gemeindearbeit und körperliche Arbeit in einem Betrieb miteinander vereinbaren lassen und stellte fest, daß dies nur in einer Gemeinschaft möglich ist.

Vom 22. August bis zum 30. September 1983 nahm ich an einem Industrieseminar teil und arbeitete in einem Glaswerk in Stolberg. Ich beschäftigte mich in meiner Freizeit zusammen mit anderen mit Volkswirtschaft und erfuhr, was das Magische Sechseck bei den wirtschaftspolitischen Zielen ist. Es geht um Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Umweltschutz und gerechte Vermögensverteilung.

Diese Ziele sind kaum gleichzeitig zu erreichen. Wirtschaftswachstum kann zum Beispiel der Umwelt schaden.

Fred Marcus, Karikatur wohl aus einer Herbstausgabe der Zeitschrift Publik-Forum im Jahre 1983.

Zum Thema gibt es von Fred Marcus zwei Bücher:

o  Soutane an der Wäscheleine. Eine Liebeserklärung besonderer Art, Würzburg 1964.

o  Himmlische Teufeleien. Der geistliche Stand in der Karikatur, Rosenheimer Raritäten, Rosenheim 1983. Seite 5: „Ich hoffe, mit dem lieben Gott auf Du zu stehen. Ich habe das feste Vertrauen, daß es oben einen gibt. Er hat fröhliche Augen.“ – Seite 6: „Sein grundsätzliches Ja zur Kirche, die er als Lachender verändern möchte, spricht aus jeder Zeichnung.“

An meinem letzten Arbeitstag schenkte mir ein Kollege eine Karikatur von Fred Marcus: Sieben Geistliche suchen Jesus, sie schauen in die Ferne und beschatten ihre Augen, um besser sehen zu können. Ein kleines Mädchen mit Puppe hat Jesus gefunden und zeigt auf ihn, aufgeregt mit dem Zeigefinger wippend. Jesus aber legt den Finger auf seine Lippen und macht: „Pst!“

Während der Zeit des Industrieseminars hatte ich an Samstagen und Sonntagen frei. So predigte ich am 4. September 1983 in Oer-Erkenschwick über das Thema: „Kirche und Arbeiterschaft“. Die Reaktion einiger Gemeindemitglieder war: In der Predigt sei das Wort „Gott“ nicht vorgekommen. „Am Sonntag wollen wir nicht auch noch etwas über die Arbeitswelt hören!“

Keine Zusammenarbeit der Leiter mit dem Kaplan

Im Oktober 1983 wählte der Bund der Deutschen Katholischen Jugend die Pastoralreferentin als meine Nachfolgerin zum geistlichen Beirat.

In der Pfarrgemeinderatssitzung vom 31. Oktober 1983 wurde mitgeteilt, daß sich der Jugendverband zum Ende des Jahres 1983 aufgrund zu weniger Mitglieder auflöse.

Einige Gruppenleiter sind nicht mehr gewillt, mit Herrn Kaplan zusammenzuarbeiten. Sie sind bereit, weiterhin die Gruppenstunden selbständig abzuhalten. Herr Kaplan Knechten zeigte sich von dieser Mitteilung überrascht. Dann zählte er seine Aktivitäten in der Jugendarbeit seit 1982 auf. Der Vorsitzende der Stadtcaritas sagte dennoch: „Die Jugendarbeit in dieser Gemeinde ist ein Scherbenhaufen!“

„… aber man muß ihm auch eine Aufgabe geben“

Am 16. November 1983 schrieb mein Vater einen Brief an den Bischof von Münster:

 

Sehr geehrter Herr Bischof!

Unser Sohn, Kaplan Heinrich Knechten, zurzeit in Oer-Erkenschwick, berichtete uns bei seinem Besuch hier in Kevelaer, daß er nun doch versetzt würde?

Bei der Primiz meines Sohnes 1978 in Oelde sagte der dortige Pfarrer in seiner Predigt: „Eine Kirche kann man mit Geld erbauen; einen Priestersohn der Kirche zu geben ist mehr, als einen Dom zu bauen.“

Nun, der Glanz einer Primiz ist im harten Alltag schnell dahin. Wir waren froh und dankbar, daß mein Sohn bei seiner ersten Kaplansstelle in eine so gute Gemeinde kam bei einem so verständigen Pastor. Diese vier Jahre dort waren echte Arbeit in der Gemeinde, in der Schule und im Gottesdienst.

Dann kam diese leidige Versetzung nach Oer-Erkenschwick, die von vornherein unter Mißverständnissen, Vorurteilen und Diffamierungen stand. Schon allein, daß der vorherige Kaplan dort nicht auszog und unser Sohn seine Möbel, Bücher und so weiter in einem nassen Keller lagern mußte. Schon gleich erfuhr er, der neue Pfarrer wäre lieber ohne Kaplan.

Bei seinem Einzug begleitete ihn sein früherer Pfarrer und sagte beim Abschied zum neuen Pfarrer: „Machen Sie mir den Heinrich nicht kaputt!“ Dies mußte auf den neuen Pfarrer wie eine Bombe gewirkt haben!

Man müßte doch als Pastor und als der Ältere einen jungen Kaplan behutsam und verständnisvoll in die Gemeinde einführen und alles mit ihm als dem neuen Mitarbeiter besprechen, und nicht nur nach Negativem suchen?

Wenn man sich vorstellt, zwei Erwachsene, alleinstehend, in einem Haus, unterhalten sich nur schriftlich und sprechen nicht miteinander! Das kennzeichnet die Lage.

Unser Sohn raucht und trinkt nicht, lebt vegetarisch und in gewählter Armut. Daß er sich anders kleidet und einen Bart trägt, ist doch kein Grund, voreingenommen zu sein?

Ein Spruch sagt: „Der Mensch wächst mit der ihm gestellten Aufgabe.“ Aber man muß ihm auch eine Aufgabe geben und darf ihn nicht ignorieren, soweit das unter Priestern möglich ist. Seit unser Sohn in Oer-Erkenschwick ist, sehen wir, daß er zur Langeweile verurteilt ist.

Daß er nach neuen Wegen sucht, um an die überall abnehmenden Gläubigen zu kommen, zeigt doch seine Arbeit, die Gründung von „3.-Welt“-Läden und sein Einsatz für Lateinamerika.

Daß er mit den Grünen sympathisiert ist bei der heutigen Jugend auch kein Wunder. Ich billige das auch nicht, bin lange Jahre schon bei der CDU im Stadtrat in Kevelaer, und habe in den langen Jahren als Kommunalpolitiker gelernt: Der politische Gegner ist nicht ein Feind.

Aber daß in diesem Zusammenhang eine Zeitungskampagne gegen ihn gestartet wurde, billige ich überhaupt nicht, besonders, wenn diese, wie ich erfahren habe, aus den Reihen derjenigen kam, die von Anfang an gegen ihn waren. Hier hatten sie endlich eine Gelegenheit, den ungeliebten Kaplan abzuschießen, wie man so sagt. Das ist ihnen nun auch gelungen.

Mit seinem früheren Pastor hatten wir ein offenes, freundschaftliches Verhältnis und konnten mit ihm alles besprechen, mit seinem gegenwärtigen Pfarrer nicht. Von sich aus hat er nie versucht, mit uns zu sprechen, obwohl wir als Eltern oft genug beim Sohn waren.

Vieles wäre noch zu sagen, aber das sprengt den Rahmen eines Briefes. Gerne möchten wir uns mit Ihnen, lieber Herr Bischof, nochmal unterhalten, wenn eine Möglichkeit besteht.

Aber zum Schluß möchten wir unsere Sorge zum Ausdruck bringen: Wie denn, wenn man so eine sensible Priesterseele in den Selbstmord oder zum Absprung treibt? Wer will das verantworten?

Daß unser Sohn bemüht ist, ein guter Priester zu sein, zeigt nicht zuletzt sein Eifer, sein Urlaubsverhalten, Exerzitien, Kloster in Frankreich, Arbeiterseminar, vier Wochen als Arbeiter in der Glasfabrik.

Es müßte doch möglich sein, dem Sohn eine Stelle zu geben, in der er sich entfalten kann, im Rahmen des Möglichen?

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Knechten senior

Als Handwerker arbeiten

Am 18. November 1983 schrieb die Stimbergzeitung:

Kaplan Knechten will als Handwerker arbeiten

Gedanke kam nach sechswöchigem Industrieseminar / Aber Geistlicher will anderen nicht den Arbeitsplatz wegnehmen

„Die Kirche redet ja nur … sie interessiert sich nicht für Schichtarbeiter … sie lebt von meinem Geld.“ So urteilt die Arbeiterschaft häufig über die Institution Kirche. Grund genug für Kaplan Heinrich Knechten, einen denkwürdigen Entschluß zu fassen: Er will sich einen Arbeitsplatz suchen, an dem er auf Dauer handwerklich tätig sein kann. Allerdings stellt sich für den Seelsorger die Frage, ob er dadurch nicht einem anderen Menschen den Arbeitsplatz wegnimmt. Außerdem müßte darüber nachgedacht werden, ob es in einer Zeit des Priestermangels nicht wichtiger wäre, voll und ganz in der Gemeinde zu wirken.

Ausgangspunkt und Anstoß zu diesen Überlegungen war die Teilnahme des Kaplans an einem sechswöchigen Industrieseminar des Bistums Aachen in Herzogenrath. Ziel der Bildungsveranstaltung: Die Erörterung von Lösungsmöglichkeiten, wie das gestörte Verhältnis von Arbeiterschaft und Kirche wieder repariert werden kann. Das Seminar bot Heinrich Knechten Gelegenheit, einen Monat lang als „Handlanger“ in dem Stolberger Glaswerk mit „anzupacken“, Kontakt zu Arbeitern zu bekommen.

Knechten: „Mir wurde klar, daß vier Wochen Arbeit nicht genügen, um dazu beizutragen, daß Kirche und Arbeiterschaft einander näherkommen. Das ist der Grund für meinen Entschluß, arbeiten zu gehen.“

Über die beiden erwähnten Fragen macht sich der Kaplan folgende Gedanken: „Mein Gehalt kommt aus der Kirchensteuer. Gerade Arbeiter kritisieren, daß ich auf ihre Kosten lebe. Für sie erwecke ich den Eindruck, Gottesdienst und Predigt für Geld zu verkaufen. Das läßt sich aber nur ändern, wenn ich mir meinen Lebensunterhalt selber verdiene. Dadurch wird deutlicher, daß das Evangelium, wie Paulus sagt, unentgeltlich ist.“

„Die Suche eines Arbeitsplatzes, ein eventueller Verlust und erneutes Suchen, läßt mich wahrscheinlich die Situation der Arbeitslosen besser verstehen. So könnte ich mich auch stärker als in der Kirche üblich, für ihre Belange einsetzen. Da ich in der normalen Gemeindearbeit fast keine Arbeiter finde, ist es notwendig, daß ich zu ihnen gehe.“

„Noch ein grundsätzliches Wort zur Kirchensteuer: Der Staat erhält drei Prozent für den Einzug dieser Steuer. Es entsteht häufig der Eindruck einer Ehe von Kirche und Staat. Natürlich unterhalten die Kirchen Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten und Heime, Friedhöfe sogar. Sozialer Dienst gehört zur Kirche. Aber muß sie dadurch gleich die zweitgrößte Arbeitgeberin der Bundesrepublik sein? Ist es nicht wichtig, die Trägerschaft schrittweise abzubauen und so Seelsorge für Randgruppen unter zeitlichem und interessemäßigem Aspekt leichter möglich zu machen?“

Heinrich Knechten versteht dies alles als Diskussionsanregung und würde sich freuen, wenn Vorschläge gemacht würden, was in dieser Situation zu tun ist.

Knechten geht

Unter dieser Überschrift meldete die Stimbergzeitung am folgenden Tag, dem 19. November 1983:

Kaplan Heinrich Knechten wird spätestens bis Mitte nächsten Jahres Oer-Erkenschwick verlassen. Das erfuhr die Stimberg Zeitung gestern aus Kreisen der Kirchengemeinde. Nach diesen unbestätigten Informationen soll der Bischof von Münster Knechtens Versetzung auf dringende Bitten der Gemeindegremien und des Pastors verfügt haben. Spannungen zwischen Pfarrgemeinderat und Pastor auf der einen und dem seit knapp einem Jahr in Oer-Erkenschwick tätigen Kaplan auf der anderen Seite sind seit langem bekannt. Sie wurden zum ersten Mal sichtbar, als Knechten den „Grünen“ beitrat.

Keine Schritte selbst unternommen

Am 21. November 1983 war in der WAZ zu lesen:

Pfarrgemeinde reagiert auf Ankündigungen ihres Kaplans:

„Wir werden ihm keine Steine in den Weg legen“

Abwanderungsgedanken widerspruchslos hingenommen – Keine Schritte selbst unternommen

„Wir respektieren den Entschluß unseres Kaplans, wenn er den Wunsch hat, sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzuschauen.“

Mit diesen Worten reagierte jetzt ein Pfarrgemeinderatsmitglied, der Vorsitzende der Stadtcaritas, auf entsprechende Ankündigungen Heinrich Knechtens, demnächst seinen seelsorgerischen Weg als Priester mit Arbeitnehmern an ihren Arbeitsplatz zu gehen. (Die waz berichtete bereits.)

Gerüchte, wonach der Unmut in der Kirchengemeinde schon so weit fortgeschritten sei, und die baldige Versetzung Knechtens aus der Gemeinde bereits in Münster gefordert worden wäre, traten sowohl der Vorsitzende der Stadtcaritas als auch der Vorsitzende des Kirchenchores entschieden entgegen: „Dies ist unwahr und eine glatte Lüge“, war der einmütige Tenor.

Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, daß der junge Geistliche nicht gerade uneingeschränkt von den führenden Leuten in der Gemeinde getragen wird.

Die Mitgliedschaft bei den „Grünen“ und sein kompromißloses Eintreten in Fragen der Dritten Welt und im Verhältnis der Kirche zur Arbeiterschaft haben für ein unterkühltes Klima gesorgt. Vor allem wird moniert, daß Knechten zu viele Alleingänge starte und seine Ansichten dem Pfarrgemeinderat aus der Presse und nicht aus erster Hand bekanntwerden. Auch im Bereich der Jugendarbeit gibt es Vorbehalte.

Allerdings wäre dies, so der Vorsitzende der Stadtcaritas, kein Grund, die Zusammenarbeit von Seiten der Kirche aufzukündigen.

Jedoch geht die Liebe nicht soweit, den Kaplan mit aller Macht von seinen Abwanderungsgedanken abzubringen: „Wir werden ihm keine Steine in den Weg legen.“

… damit es keinen Eklat gibt

Am folgenden Tag, dem 22. November 1983, erschien ein Artikel in der Stimbergzeitung, aus dem ich Folgendes zitiere:

„Versetzung erst Mitte ʼ84, damit es keinen Eklat gibt…“

Kaplan Knechten bestätigt Samstag-Meldung der Stimberg Zeitung / „Chronologie eines Konflikts“ / „Politik gehört nicht auf die Kanzel“

Kaplan Heinrich Knechten, erst im letzten Jahr in die Gemeinde gekommen, wird versetzt. Die Stimberg Zeitung berichtete bereits kurz am Samstag darüber, jetzt bestätigte der Geistliche diesen Bericht: „Jawohl, ich werde gehen, aber dies hat nichts, wie am Wochenende von zwei Kirchenvorstandsmitgliedern behauptet, mit meinen Überlegungen zu tun, mir einen handwerklichen Arbeitsplatz zu suchen.“

Vielmehr, so läßt Knechten deutlich durchblicken, ist es der Widerstand von einigen Gemeindemitgliedern, die für das Ende seiner Tätigkeit in der Gemeinde verantwortlich seien.

Es folgt eine Chronologie dieses Konfliktes, die mit der Aufzeichnung am 3. November 1983 endet. Der Pfarrer der Gemeinde berichtete an diesem Tag dem Personalchef der Diözese, während des Pfarrfamilienabends am 29. Oktober 1983 sei an allen Tischen, an die er kam, Kritik über mich laut geworden. Auch die Jugend habe mit mir Schwierigkeiten. Daraufhin sagte der Personalchef: Die negative Einstellung der Erwachsenen wegen meiner Parteinahme für die Grüne Liste schlage bis zu den Jugendlichen durch. „Die Versetzung erfolgt erst Mitte 1984, damit es keinen Eklat gibt.“

… Sie so fertig gemacht haben

Am gleichen Tag, 22. November 1983, erhielt ich folgenden Brief:

Lieber Herr Knechten!

Ich bin gerade nach Hause gekommen und habe mich bei meiner Mutter erstmal ausgeheult und jetzt weine ich immer noch. Ich finde es wirklich so eine Schweinerei, was da alle mit Ihnen gemacht haben. Sie haben gesagt, daß der Pastor alle gefragt hat, ob Sie nun bleiben sollen oder nicht. Aber mich zum Beispiel hat er nicht gefragt, und die anderen alle, die mit Ihnen zu tun haben, die Sie ein bißchen kennen, hat er nicht gefragt.

Ich frage mich, warum?

Ich finde es auch schlimm, daß die angeblichen „Christen“ oder Katholiken Sie so fertig gemacht haben, daß Sie sogar weinen.

Die können von Ihnen doch nicht verlangen, daß Sie in einer so kurzen Zeit die ganzen Dinge wieder ganz machen, die andere kaputt gemacht haben. Und vor allen Dingen haben Sie doch eine Menge auf die Beine gebracht.

Aber das hat ja alles keinen Zweck, wenn ich Ihnen das schreibe, aber wenn sich eine Gelegenheit bietet, werde ich das alles sagen, das schwöre ich Ihnen.

Hoffentlich finden Sie das nicht blöd, daß ich Ihnen geschrieben habe, aber ich wollte nur zeigen, daß ich an Sie glaube, und nicht an alle diese Heuchler.

Ihre M. K.

Engstirnigkeit

Am gleichen Tag, 22. November 1983, erhielt ich auch diesen Brief:

Sehr geehrter Herr Kaplan Knechten!

Seit Tagen lese ich die Artikel über Sie in der Stimbergzeitung und bin erschrocken über die Engstirnigkeit des Gemeindevorstands und einiger Gemeindemitglieder. Jeder Staat, der sich demokratisch nennt, lebt von der Meinungs- und damit auch Parteien-Vielfalt. Es ist traurig und beschämend, wenn Bürger, die sich einer gesetzmäßigen Partei anschließen, derart beruflich bekämpft werden.

Ich schätze alle Mitbürger, erst recht, wenn sie den Beruf des Priesters ausüben, die ihren politischen Standort offen bekennen, anstatt ihn zu verstecken.

Ihr Bemühen, in die Kirchenarbeit mehr Lebensnähe, sprich Berufserfahrung hineinzutragen, finde ich einfach toll. Seit meiner Kindheit empfand ich den Gottesdienst oft als abgehobene, rein religiöse Zeremonie, die mit relevanten täglichen Problemen, Sorgen und Ängsten wenig zu tun hatte.

Meine Bindung zur Kirche lockerte sich immer mehr. Während meines Studiums wurde ich Mitglied der Katholischen Studentengemeinde in Hannover. Der Studentenpfarrer beschäftigte sich in den Predigten unter anderem auch mit unseren Problemen als Studenten. In dieser Zeit festigte sich wieder mein Verhältnis zur Kirche.

Mit großem Interesse folgte ich Ihrem Gottesdienst, als Sie über Ihre Arbeitserfahrungen in dem Stolberger Glaswerk berichteten. Einen solchen lebensnahen Gottesdienst hatten mein Freund und ich außerhalb einer Studentengemeinde nicht erwartet.

Ich glaube, wenn es mehr Priester gäbe, die neben der Gottesverehrung auch Alltagssorgen mit in den Gottesdienst einbeziehen würden, könnten sich mehr junge Leute mit dem Gottesdienst identifizieren.

Lassen Sie sich nicht von Ihrem Weg abbringen!

Voll Hochachtung

R. N.

Das Wort Gottes in angenehmen Tönen

Am folgenden Tag, 23. November 1983, erhielt ich einen weiteren Brief:

Lieber Herr Knechten!

Wir kennen uns zwar kaum, doch fühl ich mich durch die Behandlung, die Sie erfahren mußten (müssen) tief betroffen.

Ich verfolge Ihre Aktivitäten zwar immer nur als Außenstehende, aber Ihr Engagement, Ihre Ideale wirken so ermutigend und hoffnungsvoll auf mich.

Ich bedaure, daß Menschen das Wort Gottes nur in für sie angenehmen Tönen hören wollen und schon Anstoß daran nehmen, wenn der Verkünder danach lebt.

Für mich sind Sie ein Priester, der überzeugt, der sich nicht scheut, Zeugnis abzulegen, der wahrhaftig ist. Sie beziehen Position, andere leider nicht.

Jesus erregte damals auch Anstoß. Sie wären sicher in seiner Mitte gewesen.

Ich hoffe, der Weg, den Sie gehen müssen, wird nicht so schwer, und ich schreibe Ihnen, damit Sie nicht zweifeln. Ich glaube, er ist richtig und wichtig.

Dieser Meinung sind auch meine Eltern, und sie bitten mich, Ihnen dies zu sagen.

Viele Grüße

C. N.

Harmonie in der Gemeinde

Am folgenden Tag, 24. November 1983, druckte die Stimbergzeitung folgenden Leserbrief ab:

Letzten Schubs gegeben

Folgender Leserbrief zu der Auseinandersetzung um Kaplan Heinrich Knechten erreicht uns von Pfarrer Bernhard Liesner aus Rapen:

Was erwartet eine Gemeinde von einem Kaplan und Pfarrer vor allem: Es muß „laufen“, und am besten wie geschmiert. Das Schlimmste, was es geben kann, ist: „Sand im Getriebe.“ Und es muß „Ruhe“ in einer Gemeinde sein. „Wogenglätter“ und „Feuerlöscher“, darin sehen viele auch heute noch die vornehmliche Aufgabe eines Priesters. Obwohl Jesus ja gesagt hat, daß er gekommen ist, „Feuer auf die Erde zu werfen“, und daß er will, „daß es brennt“.

Jetzt ist das „Kind“ in den Brunnen gefallen. Sicher hat Kaplan Knechten manchmal etwas leichtsinnig auf dem Brunnenrand balanciert. Aber ist das nicht auch das Recht und die Chance für einen Kaplan, manchmal Dinge zu sagen und zu tun, die man als Pfarrer nicht (mehr) sagen und tun kann, weil man ja besonders für die Harmonie in der Gemeinde verantwortlich ist? Eigentlich hätten diejenigen, welche ihn jetzt haben fallen lassen, ihn doch stützen müssen, aber sie haben es nicht getan, sondern ihm noch den letzten Schubs gegeben, weil er nicht in die Vorstellung hineinpaßte, die man von einem „richtigen“ Kaplan hat.

Abgesichert war sicher nicht alles, was Kaplan Knechten getan hat, und es war auch sicher nicht alles „klug“. Wer das selbst nicht mal erlebt hat – und ich habe das als Kaplan erlebt –, daß man mehr aus einem Gefühl heraus etwas tut, von dem man meint, daß man es tun müsse, der wird einen Mann wie Knechten wohl kaum verstehen können. Ich habe mich jedenfalls in manchem wiedergefunden, was er als Denkanstoß beispielsweise zum Thema „Kirche und Arbeiterschaft“ gesagt hat und über seine priesterliche Existenz.

Das ist sicher seine Tragik, daß es da zu wenig Leute in den „Räten“ gegeben hat von Münster bis Oer-Erkenschwick, die versucht haben, ihn zu verstehen; die wahrscheinlich auch so festgelegt sind, daß da kein Platz war für jemand, der sich einer politischen Gruppierung anschloß, die im politischen Parteienspektrum in Oer-Erkenschwick „nichts zu suchen hat“; Leute, die ihm eher hätten Brücken bauen sollen, als „ihm jetzt keine Steine in den Weg zu legen“.

Traurig, daß da manches auf dem Hintergrund der Diskussionen der letzten Wochen und Monate um den Frieden zu sehen ist, der Christen ja verbinden sollte. Ich will nicht verhehlen, daß ich mit Kaplan Knechten in einem Boot sitze, und auch manches mitzuverantworten habe, was man ihm anlastet.

Ich schreibe diesen Brief, weil mich sein Abgang betroffen macht, und weil ich diese Betroffenheit nicht für mich behalten kann. Ich schreibe ihn nicht, um mit irgendjemandem „abzurechnen“ und auch nicht, um aufzurechen, was richtig und falsch war. Und ich hoffe, daß jetzt ein Nachdenken bei allen beginnt, die in den „Fall Knechten“ verwickelt sind. Das wäre ein guter Beginn der Adventszeit, damit die „Sache Jesu“ weitergeht.

 

Soweit dieser Leserbrief des Pfarrers Bernhard Liesner (1928-2013). Am nächsten Montag, 28. November 1983, war Konveniat. Dies ist eine Zusammenkunft der Geistlichen des jeweiligen Pfarrverbandes. Auch ich war anwesend. Drei Pfarrer verurteilten einstimmig den Leserbrief Liesners: Er habe eigenmächtig und ohne Autorisierung gehandelt. Er hätte den Inhalt dieser Stellungnahme zuerst mit dem zuständigen Dechant (das war mein Pfarrer) absprechen müssen. Dieser hätte ihn dann im Namen des Pfarrverbandes an die Presse weitergeleitet. Schlimmer noch sei, daß Liesner die Tatsachen völlig verdreht dargestellt und damit dem Ansehen der Kirche ernstlich geschadet habe.

Diese drei Geistlichen übten einen derartigen Druck auf Pfarrer Liesner aus, daß er schließlich versprach, nie wieder einen Leserbrief zu schreiben.

Pfarrer Liesner war mein aufrichtiger und treuer Freund gewesen. Wenn er zur Friedensdemonstration gereist war, hatte ich ihn in seiner Pfarrei vertreten, und wenn ich zur „Dritte-Welt“-Demonstration gezogen war, hatte er mich in meiner Gemeinde vertreten.

 

 

Ein grüner Wurm

Rudolf Grabowski, Karikaturen in der WAZ, 26. November 1983. Er schenkte mir diese Karikaturen als Andenken.

Die Josefs-Glocken läuten Sturm:
… „Im Kanzelholz ein grüner Wurm!!“

„Und das im Namen unsʼres Herrn,
Sowas sehen wir nicht gern!“

Moral: Er predigte auch von Raketen –
Jetzt muß er in der Wüste beten!

Wie sagte doch schon Salomo 28, 11:
„Parteiisch sein ist übel:
Da kann wegen eines Bissens Brot
Ein Mann zum Frevler werden!“

 

Am gleichen Tag, 26. November 1983, erschienen in der Stimbergzeitung zwei Leserbriefe:

Außerordentlich bemüht

Für den Kolpingsvorstand schreiben die Vorstandsmitglieder folgenden Leserbrief:

Es ist von den Verantwortlichen der Gemeinde behauptet worden, daß Kaplan Knechten keinen Rückhalt mehr in der Gemeinde habe. Wir als Vorstand der Kolpingsfamilie Erkenschwick weisen dies entschieden zurück. Kaplan Knechten hat sich seit seinem Amtsantritt um unsere Kolpingsfamilie außerordentlich bemüht und die Vereinsarbeit belebt.

Das Bildungsprogramm des 1. Halbjahres 1984 werden wir, wie gewohnt, mit ihm durchführen. In vielen Gesprächen mit Pfarrgemeindemitgliedern konnten wir feststellen, daß ein größerer Teil, als behauptet, ihm gegenüber positiv eingestellt ist.

Auch war vielfach zu hören, daß er viele Christen neu motiviert hat, die in den letzten Jahren ein distanziertes Verhältnis zur Kirche hatten.

Daher bedauern wir, daß der Versuch unternommen wurde, ihn zu versetzen. Wir jedenfalls sind nicht nach unserer Meinung gefragt worden. Uns wäre eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit mit Kaplan Knechten wichtig.

Es ist unverantwortlich

Eine Zuschrift zu den Vorgängen in der Gemeinde erreicht uns von dem 13jährigen Schüler O. K. Er schreibt:

Ich finde, es ist unverantwortlich von den Vorgesetzten des Kaplans Heinrich Knechten, ihn wegen seiner politischen Meinung aus der Gemeinde zu verstoßen. Das grenzt schon fast an die Ideologie einer Diktatur.

Gewiß, die Grüne Partei ist für uns etwas neues, aber deshalb braucht man einen Mann, der das Wort Gottes auf seine friedliche Art zu verkünden versucht, nicht herauszuekeln. Wer weiß, wie man in zwanzig Jahren auf so was reagiert, wenn ein Pfarrer zur weißen, orangenen oder vielleicht zur rosa Partei übergeht! Wenn auch die Mehrheit für so etwas kein Verständnis zeigt, so gibt es noch eine Minderheit (zu der auch ich gehöre), die auf seiner Seite steht. Wenn auch so ein Mann demonstriert, so tut er es doch nur, um den Menschen zu zeigen, wie Gott es gemeint hat: friedlich! Er hilft den Armen in der Welt, verkündet sonntags das Wort Gottes, ist kein Schwerverbrecher, also, was hat er getan, daß er verstoßen wird?

Und ich glaube auch, wenn er in einer bürgerlichen Partei gewesen wäre, dann hätte es kein Aufsehen um ihn gegeben und keiner hätte etwas dagegen gehabt. Ich finde, seine Vorgesetzten nennen sich zwar Christen, aber in diesem Fall handeln sie nicht wie Christen.

Menschenrechte in der Kirche

Eine Demokratie zeichnet sich durch Gewaltenteilung aus: Legislative, Judikative und Exekutive sind getrennt. In der Kirche sind Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt sowie Verwaltung in ein und derselben Hand. Daher hat sich die Gruppe „Menschenrechte in der Kirche“ gebildet, um Menschen in Konflikten beizustehen.

Sie rieten mir, nicht impulsiv zu handeln, sondern erst nach reiflicher Erwägung. Ihnen verdanke ich, daß ich heute noch Priester bin.

Befreiung von meinen Aufgaben

Am 28. November 1983 führte der Bischof mit mir ein Gespräch und befreite mich von meinen Aufgaben als Kaplan an St. Josef in Oer-Erkenschwick.

Die Versetzung in ein Behindertenheim

Am 5. Dezember 1983 benachrichtigte mich der Personalchef der Diözese telephonisch, daß ich als Pfleger in das Heim für Schwer- und Mehrfachbehinderte „Haus Hall“ in Gescher versetzt werde. Ich sollte mich bereits am nächsten Tag, 6. Dezember 1983, dort vorstellen. Ich reiste zu diesem Heim. Das war mit öffentlichen Verkehrsmitteln mühsam und umständlich. Ich sprach mit dem dortigen Direktor und mit dem Leiter der Mitarbeitervertretung. Sie teilten mir mit, daß sie von meiner Versetzung in dieses Heim völlig überrascht wurden, da es mit ihnen nicht abgesprochen worden war. Der Leiter der Mitarbeitervertretung sagte mir: „Wenn die Mitarbeiter den Eindruck gewinnen, hier solle ihnen eine verkrachte Existenz zwischengeschoben werden, würden Sie bei ihnen kein Bein auf die Erde bekommen!“

 

Ich, Heinrich Knechten, schätze den Dienst der Pflegerinnen und Pfleger außerordentlich hoch, aber ich hatte noch nie in einem Behindertenheim gearbeitet und ich bin sicher, daß ich zu dieser Arbeit nicht geeignet bin.

Daher wandte ich mich an den Priesterrat mit der Bitte, den Grund für diese Versetzung in Erfahrung zu bringen, und auf die Differenz zwischen meinem Wunsch, als Arbeiterpriester in einem Betrieb tätig zu sein, und dem jetzt für mich vorgesehenen Pflegedienst aufmerksam zu machen.

Am 3. Januar 1984 wurde ich als „Mitarbeiter“ in dieses Pflegeheim versetzt. Der Dienstbeginn wurde auf den 15. Januar 1984 festgesetzt. Ich verwies auf meine Eingabe an den Priesterrat. Nachdem von dort keine Antwort auf meine beiden Fragen gekommen war, bat ich um eine Beurlaubung auf drei Jahre, um als Arbeiterpriester wirken zu können. Am 24. Februar 1984 teilte der Bischof brieflich mit, die Gehaltszahlung werde zum 29. Februar 1984 eingestellt.

In diesen Tagen hatte ich eine neue Wohnung und eine neue Arbeitsstelle zu finden.

Nachwort

Jugendliche haben mir die Augen geöffnet, sodaß ich das Elend vieler Menschen und die Bedrohung unseres Lebens wahrnahm. Ich folgte meinem Impuls, mich einzusetzen, um durch das Angebot fair gehandelter Produkte Elend zu lindern und durch den Verkauf ökologisch erzeugter Lebensmittel die Folgen industriell betriebenerLandwirtschaft einzudämmen. Darüber hinaus informierte ich, wo die Ursachen für diese Situation sind.

Damit bedrohte ich in nuce (im Kern) das Wachstum mancher Unternehmen und schmälerte Macht sowie Einfluß hochrangiger Persönlichkeiten. Daß dies eine scharfe Gegenreaktion hervorrufen mußte, lag auf der Hand, aber ich hatte in meiner Naivität solche Dinge nicht für möglich gehalten.

Es handelte sich um einen Fall, zunächst im juristischen Sinne (casus), da ich mit kirchenrechtlichen Mitteln abgestraft wurde. Zugleich aber war es auch ein Fall aus einer abgesicherten Position in das Bergfreie, wie dies im Ruhrgebiet genannt wird; es war ein sozialer Absturz nach unten.

Wie ging es weiter? Eine neue Wohnung fand ich in der zweiten Märzhälfte 1984, aber ich hatte kein Einkommen. Ich suchte daher intensiv nach einer Arbeitsstelle, telephonierte, schrieb Bewerbungsschreiben, stellte mich vor, täglich viele Stunden. Um mich über Wasser zu halten, arbeitete ich bei einem Subunternehmer: Ich sammelte bei Opel in Bochum Metallabfälle und entsorgte sie. Täglich gab es eine neue Stempelkarte, damit keinerlei Verpflichtungen entstehen konnten. Dann mußte ich aus dem gleichen Grund wieder wochenlang pausieren. Nach einiger Zeit war es so weit, daß ich die Miete für den nächsten Monat nicht hätte zahlen können. In diesem Augenblick fand ich Arbeit: In einer Presserei fertigte ich Brems- und Reibungsbeläge für Bahn- und Bergbau, fünf Jahre lang, mit Stückzahlakkord und im Drei-Schicht-Betrieb.

In dieser Zeit wirkte ich in der Russischen Gemeinde der heiligen Boris und Gleb in Horneburg mit. Der Gründer dieser Gemeinde fragte mich, ob ich diese Tätigkleit hauptamtlich machen wolle. Ich überlegte ein Jahr lang Für und Wider und entschied mich dann dafür. Im Orientalischen Institut in Rom studierte ich vom Herbst 1989 bis zum Sommer 1991 slawische und griechische Geschichte sowie Theologie. Ich schloß mit dem Lizentiat ab. Dies ist die Lehrbefähigung für kirchliche Hochschulen.

Im Oktober 1991 wurde ich Pfarrer der Russischen Gemeinde Horneburg. Nebenbei promovierte ich und veröffentlichte insgesamt dreißig Bücher, hauptsächlich über russische Spiritualität.

2022 nahm ich aus gesundheitlichen Gründen Abschied.

 

Verabschiedung in der Russischen Gemeinde, 12. Juni 2022, Photographie von Peter Joemann

Bei der Abschiedsfeier in der Pfarrgemeinde St. Maria Magdalena Horneburg am 28. August 2022 waren zugegen:

-   Die Gemeinden St. Dominikus, St. Lambertus und St. Maria Magdalena

-   Bischof Dieter Geerlings, Pfarrer Leonhard Backmann, Pfarrer Ulrich Theißen und Diakon Andreas Ruppert

-   Der evangelische Pfarrer Norbert Filthaus

-   Die Dominikanerinnen Schwester Andrea und Schwester Josefa

-   Kinder- und Erwachsenenmessdiener

-   Mitglieder des Kirchenvorstandes und des Pfarreirates

-   Die Sakristanin Gudrun Frölich

-   Vertreterinnen des Kindergartens Marienau

-   Lektorinnen, Lektoren, Kommunionhelferinnen und Kommunionhelfer mit Maria Honacker

-   Die Seniorengemeinschaft, vertreten durch Frau Bußmann und Frau Hoppe

-   Die Pfarrsekretärin Cordula Teschlade

-   Frau Andrea Freise, Frau Barbara Janinhoff und Frau Gertrud Sonnhalter

-   Mitglieder des Ökumenischen Bibelkreises

-   Die Organisten Wolfgang Friebe und Johannes Frölich

-   Der Chor der Gemeinde der heiligen Boris und Gleb mit der Chorleiterin Lena Poslednik

-   Der Chor St. Maria Magdalena mit dem Chorleiter Christoph Schlierkamp

-   Das Blasorchester Horneburg mit der ersten Vorsitzenden Kerstin Göthert und dem musikalischen Leiter Jens Prange

-   Die Katholische Frauengemeinschaft St. Lambertus mit ihrer Vorsitzenden Frau Rüping

-   Die Kolpingsfamilie Horneburg mit dem ersten Vorsitzenden Herbert Bera sowie den Fahnenträgern und Mitgliedern, außerdem Vorsitzende und Mitglieder der Kolpingsfamilien St. Dominikus und St. Lambertus

-   Der Bürgermeister der Stadt Datteln André Dora

-   Der Bürgerschützenverein Horneburg 1384: Kaiser Wilhelm II. und
Kaiserin Marie-Luise I., das Prinzgemahlpaar Jürgen und Martina sowie die Fahnenträger, Jungschützen und Mitglieder

-   Die Freiwillige Feuerwehr, Löschzug Horneburg, Löschzugführer
Sebastian Schwott sowie die Fahnenträger, die Ehrenabteilung mit Hermann Schwott und Mitglieder

-   Die Fahrradclubs des Dorfes Horneburg

-   Die Bierbrauer des Dorfes Horneburg

-   Der Arbeitskreis Dorfbild

-   Vertreterinnen des Förderschulinternats Schloss Horneburg

-   Vertreterinnen der Diakonie-Tagesstätte

-   Verwandte und Freunde von Heinrich Michael Knechten

 

Allen, die zu diesem Fest beigetragen haben, herzlichen Dank!

Auszug mit Pfarrer Norbert Filthaus, Photographie von Rudolf Weber

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024

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