Das
heilige Experiment
Der
Autor
Fritz Hochwälder wurde am 28. Mai 1911 in Wien
geboren. Er erlernte bei seinem Vater das Tapeziererhandwerk.
Durch Volkshochschulkurse vervollständigte er seine historische und politische
Bildung und schrieb 1959 den spätexpressionistischen Roman „Donnerstag“, der
die Unterschicht in einer Großstadt der Jahre 1930 bis 1932 beschreibt und erst
1995 in Graz veröffentlicht wurde. Sein eigentliches Metier waren
Theaterstücke. Seine pathetische, an den Klassikern geschulte Sprache galt seit
den 1960er Jahren als überholt. Er starb am 20. Oktober 1986 in Zürich.
Der
Verfasser des Nachwortes
Otto Rommel wurde am 2. Juni 1880 in Mährisch Schönberg
geboren. Er war Gymnasiallehrer und Schulleiter sowie Literatur- und
Theaterhistoriker. Er starb am 6. September 1965 in Salzerbad,
Gemeinde Kleinzell (Niederösterreich).
Die
Handlung
Die Jesuiten gründeten 1609 in Paraguay einen Staat
für die Indios. Das Stück behandelt die dramatischen Ereignisse am Tag der
Auflösung dieses Staates: 16. Juli 1767 in Buenos Aires.
In dsreißig Siedlungen in
Paraguay lebten 150.000 Indios, geleitet von hundert Jesuiten. Sie exportierten
Tee, Getreide und Baumwolle. Von dem Erlös wurde alles Benötigte eingekauft,
zum Beispiel Eisen und Kalk. Niemand der Indios besaß Geld. Sie erhielten alles
Notwendige kostenlos. Ihre Arbeit kam allen zugute. Zur Verteidigung stellte
jede Siedlung zwei Regimenter, insgesamt also sechzig Regimenter: Fußvolk,
Reiterei und Artillerie, insgesamt eine Armee von dreißigtausend Mann.
Den Jesuiten wurde vorgeworfen, sie entzögen sich der
Jurisdiktion des örtlichen Bischofs, hätten einen souveränen Staat aufgebaut,
seien dem König ungehorsam, sie beuteten Silberbergwerke aus und zahlten dem
König dafür keine Steuern, sie hätten eine Zwangsherrschaft aufgebaut, sie
hielten das indianische Volk in Unfreiheit und Sklaverei, sie zögen aus ihrem
Handel wucherischen Gewinn und und schädigten das
spanische Reich.
All diese Vorwürfe erwiesen sich als gegenstandslos;
dennoch hatte der König von Spanien das Edikt zur Auflösung des Staates
erlassen. Als spanische Soldaten versuchten, dieses Edikt durchzusetzen, wurden
sie von den Streitkräften des Jesuitenstaates entwaffnet. Nun tauchte der
Jesuitenlegat auf, der inkognito hierhergereist war. Er machte dem Provinzial
klar, dass die Existenz der Gesellschaft Jesu auf dem Spiele stände, wenn die
Jesuiten Paraguay nicht verließen. Es entspann sich ein Kampf, in dessen
Verlauf der Provinzial schwer verletzt wurde, als er zum Gehorsam aufrief. Er
starb; der Anführer der Truppen des Jesuitenstaates wurde hingerichtet, ebenso
„zur Abschreckung“ dreißig Indios, einer von jeder Siedlung. – Sechs Jahre
danach (1773) wurde die Gesellschaft Jesu dennoch aufgehoben (außer in Russland
und Preußen) und erst 1814 wieder zugelassen.
Aufführungen
Das Stück entstand 1941 und wurde am 24. März 1943 im
Städtebundtheater Biel-Solothurn aufgeführt.
Die revidierte Fassung wurde 1964 erstmalig im Wiener
Burgtheater aufgeführt.
Am Sonntag, 13. Dezember 1964, wurde ab 16.30 Uhr
dieses Stück in der Aula des Missionshauses von Schülern des Missionsgymnasiums
St. Michael aufgeführt.
Personen des Spieles waren:
o
Alfonso Fernandez SJ, Provinzial: Gerhard
Hermsen
o
Rochus
Hundertpfund SJ, Superior: Michael Boch
o
William
Clark SJ, Prokurator: Harry Dusek
o
Ladislaus Oros SJ, Kommandant der
Streitkräfte des Jesuitenstaates: Norbert Greis
o
Don
Pedro de Miura, spanischer Visitator: Peter Weber
o
Don Esteban Arago,
Beauftragter des spanischen Königs: H.-J. Mertens
o
Don Miguel Villano,
Ermittler im Auftrage des spanischen Königs: Arnold Vraetz
o
Lorenzo Querini
SJ, Legat: Georg Eikenbusch
o
Andre Cornelis, niederländischer Kaufmann:
Heinz-Josef Jörissen
o
José Bustillos,
spanischer Grundbesitzer: R. Verweyen
o
Garcia Queseda,
spanischer Kaufherr: Wolfgang Erens
o
Avaro Catalde, spanischer Kaufherr: Christoph Tesch
o
Naguacu, Barrigua, Candia, Acatu, indianische Kaziken.
Zitate
Miura: Ihr sagt also,
Mynheer, daß ihr für die gleiche Menge Tee den
Jesuiten mehr zahlt als den Spaniern.
Cornelis:
Jawohl – weil der Herba-Maté der Jesuiten mit Liebe
gepflanzt ist und der Maté der spanischen
Sklaventreiber mit Haß. Und das schmeckt man aus dem
Tee – in der ganzen Welt. (Stuttgart 1965, 36).
Provinzial:
Ihr bestätigt uns, daß wir kein Unrecht tun – und
wollt uns vernichten?
Miura: Unrecht. Wir alle
tun unrecht. Da ist kein Staat in dieser Welt, der nicht mit himmelschreiendem
Unrecht beladen wäre. Unrecht fällt keinen Staat. Aber euch – wird Schlimmeres
zur Last gelegt.
Provinzial: Schlimmers?
Miura: Ihr habt recht!
Provinzial
(triumphierend). Wir haben recht!
Miura: Und eben, weil
ihr recht habt, müßt ihr vernichtet werden!
Vernichtet – rücksichtslos vernichtet!
Provinzial:
Ja – seid ihr denn bei klarem Verstand?
Miura: Ein Phantast wäre
ich, wenn ich anders redete! –
Pause
Miura: Was habt ihr
aufgerichtet da draußen (er zeigt auf die Landkarte) in Steppe und Urwald, in
einem Gebiet, das wir nie betreten hätten! – Ein Reich der Liebe und
Gerechtigkeit. Ihr sät und erntet ohne Habgier – die Indios singen Euer Loblied
– und laufen unsern Grundbesitzern davon! Eure Produkte gehen in die Welt
hinaus – unsere Händler verarmen. Bei euch herrscht Frieden und Wohlstand – im
spanischen Mutterland Elend und Unzufriedenheit. Dieses Land, das wir mit
unserm Blut erobert haben – ihr macht es groß: gegen uns! Ein kleines Volk seid
ihr in eurem Staat – und wir, die Mächtigen, müssen vor eurem Beispiel zittern!
Wir dehnen uns durch unsere Kriege aus – ihr durch euren Frieden. Wir bröckeln
ab. Ihr sammelt an. Morgen habt ihr fünfunddreißig Siedlungen. In einigen
Jahren siebzig. Wie lange dauert es noch – und euch gehört der ganze Kontinent!
– – – Und wir, wir sollten dem zusehen, wir sollten euch nicht hindern? Narren
wären wir, wenn wir euch nicht verjagten, solange es noch Zeit ist! Ihr müßt weg! Im Namen des Weltreichs, das euch gestattete,
hier euer Kulturwerk zu versuchen: weg mit euch! Schluß
mit diesem Experiment, das uns gefährlich wird! Schluß!
Provinzial:
Dieses Experiment ist heilig! Wer es anrührt, wer es freventlich zerstört –
sündigt an Gott!
Miura: Sprecht nicht von
Religion, wo unsere Interessen auf dem Spiel stehen! (Stuttgart 1965, 41f).
Provinzial:
Ja, seid ihr denn blind für die maßlose Schuld, die der Visitator auf sich
geladen hat!?
Querini: Ihr seid blind
für die maßlose Schuld – die wir selbst in Paraguay auf uns geladen haben …
Provinzial
(nach einer Pause): Ich verstehe euch nicht …
Querini: Bitten wir Gott,
unseren Herrn, uns in der Stunde des Todes nicht zu belasten mit dieser
ungeheuren Schuld. In einer Welt, in der unausrottbar Habgier und Niedertracht
herrschen, haben wir uns unterfangen, das reine Wort
Christi in die Tat zu setzen. Verblendet durch unsere Mission, erwartet nun das
indianische Volk von uns – die nationale Freiheit … Von uns vermeint dieses
Volk, sicheren Schutz vor den Mächtigen zu erhalten; von uns erhofft es die
Aufrichtung von Gottes Reich. – Und wir, die wir genau wissen, daß wir im Grund machtlos sind, wir haben uns um äußeren
Erfolges willen selbst in die Netze der Macht verstrickt – wir, die wir frei
von Parteinahme in allen Ländern der verzweifelnden, unterdrückten, leidenden
Menschheit den Weg zu ebnen haben in jenes Reich, in das uns alle erst der Tod entläßt. Dort wird Christus Gerichtstag halten über die
Freveltaten und Unterdrücker – dort erst werden die Gewalttäter ihre Strafe und
die Dulder ihren Lohn empfangen. Diese
Welt aber ist ungeeignet zur Verwirklichung von Gottes Reich.
Provinzial:
Damit stellt Ihr Euch auf die Seite der Gewalt.
Querini: Ja, gewiß. Gerade an der Seite der Gewalt ist unser Platz. Im
Herzen der Grausamen und Mächtigen müssen wir die christlichen Tugenden
erwecken. Wir müssen unsere Grenzen erkennen. Hier in Paraguay haben wir sie
nicht erkannt. Noch ist es nicht zu spät. Wir müssen ein Opfer bringen: den
Rückzug der Gesellschaft Jesu aus Paraguay!
Provinzial:
Damit opfern wir die Seelen von Hunderttausenden Indios.
Querini: Auch dieses Opfer
müssen wir zur höheren Ehre Gottes darbringen
Provinzial:
Dann weisen wir alle die Hunderttausende von heidnischen Indios zurück, die
willens sind, sich uns anzuschließen.
Querini: Diese Art von
Christen sind uns nicht erwünscht. Sie nehmen unsere heilige Religion als
Schutz, Nahrung, Sorglosigkeit, wohlwollende und gerechte Führung. – Aber Gott
ist kein Politiker. Und was wir hier treiben, ist Politik. Und diese Politik
richtet sich immer stärker gegen die Fürsten in Europa, deren Vortruppe wir
waren. – Jetzt gelten wir als ihre Gegner. Sie verfolgen uns mit ihrem Haß. Und dieser Haß wird andauern
und unserem ganzen Orden zu Unheil gereichen – wenn wir unseren Staat in
Paraguay nicht aufgeben.
Provinzial:
Bedenkt, was wir dann für immer zerstören! Wir vernichten die Hoffnung der mit
Krieg und Unglück geschlagenen Völker – die Hoffnung auf das Reich, das nur aus
reinem Gottesglauben erwachsen kann!
Querini: Diese Hoffnung
ist vergeblich. Retten wir die Seelen!
Provinzial:
Wir können nie und nimmer die Seelen retten, wenn wir die Völker schutzlos der
Unterdrückung überlassen. Eindeutig müssen wir unseren Platz beziehen an der
Seite der Mühseligen und Beladenen.
Querini: Das dürfen wir
nicht – es wäre unklug. Es brächte unserer heiligen Religion unermeßlichen Schaden. Wir sind nur Werkzeug in der Hand
des Heiligen Vaters. (Stuttgart 1965, 48-50).
Acatu: Die Spanier
zerstören unser Christentum.
Erster
Kazike: Den Christus der Spanier werden wir nicht verehren.
(Stuttgart 1965, 59).
Provinzial:
Ihr seid kein Jesuit mehr.
Oros:
Vielleicht sind wir alle keine Jesuiten mehr! Gott sieht nicht, welche Kutte
man trägt – Gott will, daß diese Welt geändert werde!
Und wir Jesuiten in Paraguay haben sie geändert!
Provinzial:
Ihr seid aus dem Orden entlassen.
Oros: Ihr desertiert von der Fahne! Entlaßt mich aus dem Orden! Bringt mich vors
Inquisitionsgericht! Schleppt mich auf den Scheiterhaufen! Es wird Euch nicht
gelingen, dieses Werk (zeigt auf die Landkarte) ungeschehen zu machen. Und
solange ich Kraft habe, zu atmen, zu rufen, zu kämpfen – werde ich an der Seite
der Armen und Unterdrückten stehen! (Stuttgart 1965, 61).
Miura: Wir sind am Ziel.
(Aufblickend.) Das Reich Gottes ist beim Teufel! (Stuttgart 1965, 65).
Quelle
Antonio Ruiz de
Montoya (1585-1652), La conquista spiritual. Los primeros años de las misiones jesuíticas en Paraguay; The Spiritual Conquest. Early Years of the
Jesuit Missions in Paraguay, herausgegeben und übersetzt von Barbara A. Ganson
und Clinia M. Saffi,
Sources for the History of Jesuit Missions, No. 3, Chestnut Hill, MA 2017.
Edition
Fritz Hochwälder, Das heilige Experiment. Schauspiel
in fünf Aufzügen. Mit einem Nachwort von Otto Rommel, Reclams
Universal-Bibliothek Nr. 8100, Stuttgart 1965.
Literatur
o
Maeder, Ernesto J. A., Der Jesuitenstaat
von Paraguay. Ein antikoloniales Missions- und Entwicklungsprojekt, Übersetzung
von Gabriele Stein, Geleitwort von Michael Sievernich, Würzburg 2017.
o
Maeder, Ernesto J. A., Las misiones jesuíticas de guaraníes, in: Las misiones jesuíticas de la region guaranítica. Una experiencia
cultural y social americana, Buenos Aires 2013, 23-30.
o
Maeder, Ernesto J. A., Misiones del Paraguay. Conflictos
y disolución de la Sociedad guaraní
(1768-1850), Colecciónes MAPFRE 1492/7, Madrid 1992.
o
Thüngen, Maximiliano von, Ruinas jesuíticas, paisajes de la memoria. El patrimonio cultural
de los antiguos pueblos de guaraníes, Paradigma indicial. Antropologia sociocultural 36, Madrid 2021.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Düsseldorf 2022