Der
Evangelimann
Der
Autor
Wilhelm Kienzl wurde am 17. Januar 1857 in
Waizenkirchen, im oberösterreichischen Innviertel, geboren. Er studierte seit 1874
Musik in Graz, Prag, Leipzig und Weimar. Er promovierte 1879 in Wien über: Die
musikalische Declamation.
Er reiste als Pianist und Dirigent durch Europa. 1883
wurde er Direktor der Deutschen Oper in Amsterdam und 1886 Leiter des
Steiermärkischen Musikvereins in Graz. Er heiratete in diesem Jahr die Sängerin
Pauline Hoke (* 13.2.1859). 1890/1891 war er Kapellmeister am Stadttheater
in Hamburg, wurde aber wegen schlechter Kritiken entlassen. (Sein Nachfolger
war Gustav Mahler.) 1917 zog er nach Wien. Am 3.11.1919 starb Pauline Hoke.
1921 heiratete er Henny Bauer (* 1876), die Librettistin seiner späten
Bühnenstücke.
Unter dem Eindruck zeitgenössischer Musikströmungen
schrieb er ab 1926 keine großen Werke mehr und gab ab 1936, krankheitsbedingt,
das Komponieren auf. 1937 erhielt er den Ehrenring der Stadt Wien.
Sein Werk umfaßt Opern, Melodramen, Orchesterwerke,
Kammermusik, Klavierwerke, Lieder und Chorwerke. Neben Engelbert Humperdinck
ist Kienzl der wichtigste Opernschöpfer der romantischen Wagnernachfolge. Seine
Stärke liegt in volkstümlichen Szenen. Kienzl empfand die Bezeichnung
„volkstümlicher Künstler“ als ehrenhaft, setzte sich aber gegen die
„Pöbelmusik“ ab.
Er starb am 3. Oktober 1941 in Wien. Sein Ehrengrab
ist auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Die
Handlung
Martha und Mathias möchten heiraten, doch Mathias’
Bruder Johannes ist eifersüchtig. Marthas Vormund, Friedrich Engel, Justiziär
im Kloster St. Othmar, weist sein Mündel darauf hin, dass Mathias ein armer
Schreiber sei. Sie solle eine standesgemäße Ehe mit Johannes schließen, den er
soeben zum Oberlehrer ernannt hatte. Er jagt Mathias aus dem Amt und nimmt ihm
damit seine Lebensgrundlage.
In der Nacht bricht ein Brand aus. Mathias wird als
mutmaßlicher Täter festgenommen und zu zwanzig Jahren schwerer Kerkerhaft
verurteilt. Martha stürzt sich aus Verzweiflung in die Donau. Nach seiner
Freilassung bittet Mathias um Arbeit, die ihm jedoch verweigert wird. So
verkündet er das Wort Gottes.
Er tritt er in einem Wiener Hinterhof als Evangelimann
auf und lehrt die Kinder das Lied: „Selig sind, die Verfolgung leiden um der
Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich“ (Mt 5,10).
Johannes liegt todkrank auf einem Ruhebett, hört ihn
singen und bittet seine Frau Magdalena, ihn zu rufen. Johannes gesteht ihm, den
Brand gelegt zu haben und bittet ihn um Verzeihung, die ihm gewährt wird.
Historischer Hintergrund ist der Brand eines
Heustadels, der 1812 gelegt wurde, sowie das Auftreten eines Evangelimanns in
Wiener Pawlatschenhöfen (pavlač, in Wien: umlaufender Laubgang der
Innenhöfe). Kienzl hatte das Libretto verfaßt, angeregt durch eine Erzählung
von Leopold Florian Meissner (1835-1895) aus dem Buch: Aus den Papieren eines
Polizeikommissärs. Wiener Sittenbilder, 5 Bände, Leipzig 1892-1894.
Rezeption
Diese Oper wurde am 4. Mai 1895 am Königlichen
Opernhaus in Berlin uraufgeführt. Sie gehörte um 1900 zu den erfolgreichsten
Werken des Repertoires. Dieser Erfolg ermöglichte es dem Komponisten, in
Zukunft keine feste Position mehr anzunehmen.
In den letzten Jahrzehnten wurde diese Oper nicht mehr
so häufig gespielt. Sie wurde zum Beispiel 1945 in Wien aufgeführt, 1967 an der
Wiener Volksoper, in den 1980er Jahren in Wiesbaden, 2004 in Chemnitz, 2006 in
Wien an der Volksoper, 2007 an der Oper Graz und 2012 am Klagenfurter
Stadttheater.
1980 erfolgte eine Gesamtaufnahme unter anderem mit
Helen Donath und Siegfried Jerusalem sowie dem Münchner Rundfunkorchester unter
Lothar Zagrosek, die 2019 Radio Klassik Stephansdom gesendet hat.
Bibliographie
Werke
von Wilhelm Kienzl
· Betrachtunmgen
und Erinnerungen. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1909.
· Die
musikalische Declamation. Dargestellt an der Hand der Entwicklungsgeschichte
des deutschen Gesanges. Musikalisch-philologische Studie, Leipzig 1880; Leipzig
1887.
· Meine
Lebenswanderung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926.
· Wilhelm
Kienzls „Lebenswanderung“ im Auszug, neu herausgegeben und hinsichtlich der
letzten 17 Lebensjahre biographisch ergänzt. Kienzls Briefwechsel mit Peter
Rosegger [1843-1918], eingeleitet und kommentiert nebst einem Namen-, Brief-
und vollständigen Werkverzeichnis, herausgegeben von Hans Sittner [1903-1990],
Zürich 1953.
Literatur
· Hagen,
Hilde, Hg., Festschrift zum sechzigsten Geburtstage des Meisters Wilhelm
Kienzl, Graz, Wien u. Leipzig 1917.
· Kirnbauer,
Julia, Wilhelm Kienzl und seine Beziehung zur Universal Edition, Diplomarbeit,
Wien 2005.
· Lewinski,
Wolf-Eberhard, Vergebliche Mühe. Kienzl: „Evangelimann“, in: Opernwelt, Berlin
1993, Heft 1, 40f.
· Redtenbacher,
Viktor, (K)ein Evangelimann. Die historische Brandlegung, Wien 1990.
· Santifaller,
Leo [1890-1974], u. Eva Obermayer-Marnach [1923-2008], Hg., Österreichisches
Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 3, Wien u. Graz 1965, 326 (Kienzl
Wilhelm).
· Yoshida,
Asami, Wilhelm Kienzls Bühnenwerke, Dissertation, Wien 1983.
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2022