Zur Erinnerung an Marie-Madeleine Davy

Klaus Bambauer

 

Am 1. November 1998 verstarb in Frankreich die bedeutende geistliche Schriftstellerin Marie-Madeleine Davy. Sie wurde auf dem Friedhof von Saint-Clémentin (Deux-Sèvres) in einem anonymen Grab mit der Aufschrift "Soix heureux, passant" [Seid glücklich, ihr vorüber Gehenden] bestattet. Da sich die Autorin in den 1960er Jahren mit einem Buch über N.Berdjajew unter dem Titel "Der Mensch des achten [Schöpfungs-] Tages (Verlag Flammarion 1964 mit Neuauflage "Nicolas Berdiaev oder die Revolution des Geistes", Albin Michel 1999) einen Namen machte, sei an sie erinnert. Der Grund der Erinnerung an sie hat auch einen Anlass in ihrer Bekanntschaft mit dem Orientalisten Louis Massignon (1883-1962), dem Vorgänger von Henry Corbin (1903-1978), ihrem Nachbarn und Freund in Paris. Henry Corbin war zeitweise Präsident der französischen Berdjajew-Gesellschaft. (1)

Als Doktor der Philosophie mit einer Dissertation über Guillaume de Saint-Thierry wurde die Autorin M.-M.Davy mit ihren Studien zum Mittelalter bekannt. Dabei denkt man besonders an ihr "Initiation à la symbolique romane" (Flammarion 1982). Sie sagte "Ich habe das Absolute gesucht, ich suche es nicht mehr" – wie eine Erinnerung daran, dass sie sich nun dem wahren Leben vereinigt hat. In ihren Arbeiten ließ sie die Bewunderung verspüren, die sie in sich trug bei den "Menschen des Lichts", die ihren Weg gekreuzt hatten, von Henri le Saux bis Nikolaj Berdjajew, von Simone Weil bis zu Henry Corbin. Sie sagte auch: "Der Unterschied zwischen den Menschen reduziert sich auf dieses eine: auf die Gegenwart oder auf die Abwesenheit der spirituellen Erfahrung". Schließlich hat sie die Wirklichkeit der spirituellen Erfahrung von der Suche der Verinnerlichung, von der Einsamkeit und von der Stille, von ihrer Zugehörigkeit zu dieser inneren Kirche bezeugt, die für sie ein Zeichen unserer Zeit war: "Ob es sich um den Osten oder um den Westen handelt, sagte sie, wir stehen nicht mehr in der Epoche der Meister, sondern in der des inneren Meisters, der inneren Kirche".

Von großer und bewegender Bedeutung sind ihre Erinnerungen an den bedeutenden Orientalisten Louis Massignon, von dem sie sagte:

"Ich erinnere mich, ihm begegnet zu sein bei der Eranos-Tagung [Ascona] (2), ich kann Ihnen das Jahr nicht mehr sagen. Ich erinnere mich an diese Begegnung, als ob es gestern gewesen wäre".


"Die Religion von Massignon erschien mir als wahre Religion, aber voll von Unvorsichtigkeit. Denn die Erfahrung hat mich gelehrt, dass das innere Leben sehr gefährlich ist; man muss es mit viel Klugheit leben. Ich bin nicht für die Vernunft (raison), aber ich bin für die Klugheit und das Gleichgewicht".


"Massignon war noch der sichtbaren Kirche treu; aber ich glaube nur an die unsichtbare Kirche. Er hatte einen schwebenden Blick auf die Dinge, wie ein Vogel ihn haben würde, er überflog [alles]".


"Persönlich habe ich Louis Massignon gekannt, eine faszinierende Persönlichkeit, aber fremd [bleibend]. Genial, schien er manchmal die Beute einer Art von glühender Begeisterung zu sein. Dieser besondere Typus von Begeisterung, der einzigartig die genialen Menschen begleitet oder auch die großen Mystiker. Man empfand bei ihm die Gegenwart des Mysteriums der göttlichen Dimension. […] Solch ein Feuer, das sich entzündet und brennt, es war möglich es zu sehen, nach und nach vergleichbar dem brennenden Dornbusch werdend, worauf das Buch Exodus (3,2) anspielt. Indem man es betrachtet, wie soll man nicht an eine der Visionen des Propheten Daniel denken, an den Strom von Feuer (7,10)? Ein stürmischer Wind ließ ihn schwanken, indem er ihn transformierte. Nun, man war Zeuge einer erschütternden Metamorphose".

"In solchen Momenten war Massignon nicht nur von einem fremdartigen Feuer bewohnt, weggefegt, sondern er war von einer Liebe des Mitleids erfüllt. Er wusste, was die Liebe bedeutet".

"Ich habe ihn bei Moré getroffen, einmal bei mir, und besonders die Zusammenkünfte bei ihm, dann noch bei Konferenzen, an denen wir beide teilnahmen. In bestimmten Fällen suchten einige Gegner ihn zum Schweigen zu bringen, seine Rede zu relativieren. Er antwortete ihnen mit Festigkeit und manchmal mit Heftigkeit. Massignon war kein ausgeglichener Mensch. Verletzt, die Augen manchmal voller Tränen, verteidigte er mit einer ungeheuchelten Heftigkeit, was ihm als Wahrheit erschien. Seine Worte waren kaum verhüllt. Sie hatten eine ergreifende 'Nacktheit'. Er konnte dominieren, sich einer gewissen Übertreibung überlassen, aber er spielte niemals im mindestens eine Komödie. Er trug in sich wahre Menschlichkeit".

"Seine Einfachheit war entwaffnend. Ich habe an Rundgesprächen mit ihm teilgenommen, er konnte seinen Zorn vor dem Bösen manifestieren, herbeigeführt durch Menschen, die durch ihre Funktion sich verpflichtet fühlten, sich dem inneren Leben zu widmen".


"Massignon war ein Zeuge. Ein Zeuge für die göttliche Dimension. Lebendiger Beweis dieser Realität. Keinerlei Verstellung. Ob er vor zahlreichen Zuhörern oder mit einem einzigen Besucher zusammen war, er manifestierte seinen Gedanken mit Leidenschaft. Keine Wiederholung einer solchen Persönlichkeit seiner Kultur und seines Glaubens ist mehr möglich. Beneidet von Professoren und auch von Schriftstellern, stieß er sich manchmal den Kopf an einer unerfreulichen Verständnislosigkeit".

"Man konnte sagen, dass Massignon nicht Kenntnis hatte 'im Spiegel und Rätsel' [vgl. 1 Kor 13,12]. Er hatte eine unmittelbare Kenntnis des Göttlichen".

 

Französische Bibliographie von Marie-Madeleine Davy (in Auswahl)

Anmerkungen

1) Vgl. N.Berdjajew, Wahrheit und Offenbarung, Waltrop 1998, S. 94-100.

2) Eine Übersicht der Vorträge, die L.Massignon zwischen 1937 und 1955 bei den Eranos-Tagungen in Ascona hielt, bietet das Eranos-Jahrbuch 1988, Frankfurt 1990, S. 353. Eine Übersicht der wertvollen Vorträge von H.Corbin von 1949 bis 1976 findet sich im gleichen Band S. 344.

 

Siehe auch

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