Überlegungen zum Verständnis des Begriffes der
"Hypostase" bei S.Bulgakow im Kontext seines
philosophisch-theologischen Denkens
Klaus Bambauer
In seiner frühen, zuerst im Jahre 1927 in
deutscher Sprache veröffentlichten philosophischen Arbeit "Die Tragödie
der Philosophie"(1) – inzwischen mit Sicherheit eine bibliophile Rarität –
hat sich der orthodoxe Theologe Sergej Bulgakow (1871-1944)(2) in einem ersten
Abschnitt (S. 11-130) überaus kritisch und mit hohem Scharfsinn den
verschiedenen Typen philosophischer Konstruktionen zugewandt. Dabei untersucht
er in einem ersten Kapitel das Wesen des Gedankens, während das zweite Kapitel
den verschiedenen Typen der neueren Philosophie gewidmet ist (a. den
idealistischen Systemen, b. den panlogistischen Systemen, c. den Systemen der
Substantialität, der Identitätsphilosophie und dem Monismus). Nun geht es uns
in den knappen vorliegenden Überlegungen nicht etwa darum, Bulgakows kritische
Sicht philosophischer Typologien zu bewerten, anzugreifen oder zu unterstützen,
sondern in unserer Darstellung konzentrieren wir uns auf eine kommentierende,
d.h. erläuternde Darstellung des ersten Kapitels (S. 11-37), um Bulgakows
Gedanken zur Hypostase im Kontext der üblichen
philosophisch-theologischen Interpretation bekannt zu machen und ebenso auch
darum, um in einer Art von Selbstvergewisserung mit ihm in ein tastendes
Gespräch einzutreten, das seine philosophisch-theologische Denkrichtung
vielleicht klären oder auch vertiefen kann.
Bevor wir also Bulgakows Ausführungen zur Kenntnis
nehmen, sei in einem ersten kurzen Teil (A) auf die historische Deutung dessen
eingegangen, was historisch-theologisch unter Hypostase zu verstehen
ist, bis wir uns dann Bulgakows eigener Interpretation zuwenden (Teil B).
A.
Historische Betrachtung
a. Das "Historische Wörterbuch der
Philosophie"(3) hat sich in verschiedenen Abschnitten dem Sprachgebrauch
der "Hypostase" gewidmet. Wir wenden uns hier vor allem dem
philosophischen Gebrauch dieses Fachterminus in seiner neuplatonischen (a) bzw.
trinitarisch-christologischen (b) Ausrichtung zu. Schon der mittlere
Platonismus hatte die Grundlage zu einem entschiedeneren Gebrauch der Hypostase
gelegt. So wird dort Hypostase als Verwirklichung des Urprinzips auf die
geistige Welt übertragen "und mit der Stufung allen Seins verbunden.
Darnach beschränkt Plotin den Gebrauch von Hypostase auf das Eine
(selten), den Geist und die Seele. Nach ihm kann die Materie, die nur auf das
Dasein hin, aber noch nicht eigentlich existiert, nicht Hypostase
genannt werden. So heißen nur die wahren, vollkommenen Wirklichkeiten, der
Geist und die Seele, sofern sie aus der höheren, unverändert bleibenden
Wirklichkeit ausgehen und immer auf sie bezogen bleiben. Die späteren
Neuplatoniker entwickelten diese Auffassung weiter. Porphyrius betrachtet jedes
Sein als Hypostase, insofern es ein höheres Sein ausdrückt und
manifestiert. Aber er unterscheidet zwischen den vollkommenen, geistigen und
den teilhabenden, in Raum und Zeit sich verwirklichenden Hypostasen"(4).
Tertullian gibt, anders als die lateinische Bibel, die Hypostase mit
"substantia" übersetzt, mit origo oder genitura wieder.
"Im 4. Jh. hingegen wird der philosophische Terminus Hypostase,
ebenfalls im Sinne von ‚Verwirklichung’ mit ‚subsistentia’ übertragen, so bei
Marius Victorinus und Rufin von Aquileia" (5).
b. Im 4. Jh. beschäftigte man sich vor allem
damit, die Ausformung des trinitarischen Glaubens an Vater, Sohn und Heiligen
Geist in eine auch philosophisch angemessene und akzeptable Form zu bringen und
unterschied bei diesen Diskussionen zwischen Hypostase und ousia. Es war
abzuklären, "wieweit Hypostase als synonym mit "Person"
(πρόσωπον, persona) verstanden werden kann"(6).
Mit diesen Fragen beschäftigte man sich zwischen
den Synoden von Alexandrien (362) und dem Konzil von Konstantinopel (381). Man
verständigte sich zwischen den Homöousianern und den Homoousianern im Blick auf
die Konsubstanzialität des Sohnes und des Hl. Geistes darauf, "das Vater,
Sohn und Geist gemeinsame Sein als mia ousia zu bezeichnen, ihre eigentümlichen
Unterschiede aber unter dem Begriff der Hypostase
zusammenzufassen"(7). So kam es zu diesen Formeln, die die beiden Aspekte
vereinigten: μία ουσία [ein Sein/Wesen] und τρεις ύποστάσεις [drei
Hypostasen/Personen].
Hierzu leisteten die Kappadozier einen
maßgeblichen Anteil. So setzte sich im Laufe der Zeit besonders auch unter dem
Einfluss der Kappadozier eine Gleichsetzung von Hypostase und Person
[πρόσωπον] durch. Dabei verstand man sowohl bei den Griechen als auch bei den
Lateinern unter Hypostase eine Kundgabe der Wirklichkeit.
Im Blick auf den christologischen Sprachgebrauch
der Hypostase verstand man in der alexandrinischen als auch in der
antiochenischen Christologie noch lange unter diesem Terminus Hypostase
etwas Ähnliches wie ουσία (Wesen) oder φύσις (Natur). "Man konnte sich
keine φύσις denken, die nicht zugleich Hypostase war"(8).
Wesentliche Entscheidungen wurden in dieser Frage erst später – im 6. Jhdt.–
durch Proclus von Konstantinopel, Leontius von Byzanz und Leontius von
Jerusalem getroffen. "Für sie, wie allgemein für die Autoren des 6. Jh.
ist Hypostase ein bestimmtes Seiendes, wie prosopon (Person) der Träger
der charakterisierenden Eigentümlichkeiten (idiomata charakteristika). Um
diesen in der Trinitätslehre üblichen Begriff in analoger Weise auf die
Christologie anwenden zu können, heben sie jedoch gleichzeitig im Anschluß an
die späteren Neuplatoniker das Für-Sich-Sein heraus. Diese Hypostase mit der
doppelten Funktion unterschieden sie indes nicht nur vom Allgemeinen, sondern
auch von der individuellen Natur. So halten sie am Grundsatz fest, dass jede
Natur hypostatisch ist, führen aber trotzdem die letzte Individuation auf eine
Hypostase zurück, die nicht einfach mit der individuellen Natur gegeben ist.
Auf die Inkarnation wie auf die Einigung von Seele und Leib angewendet,
bedeutet das, dass die individuelle menschliche Natur nicht in sich selbst,
sondern in der Hypostase des Wortes ihren Selbstand besitzt, wie der Leib nicht
in sich selbst, sondern in der Seele subsistiert (Enhypostasie)"(9).
B. Die
philosophischen Überlegungen S.Bulgakows zur Hypostase
Bulgakow unterscheidet verschiedene philosophische
Systeme mit ihren Grundprinzipien:
1. Hypostase oder Persönlichkeit
2. deren Idee oder ideelles Bild, Logos, Sinn
3. das substantiale Sein als Einheit aller Momente und Bestimmungen.
Je nachdem, wo der Schwerpunkt liegt, wird das
Hauptgewicht auf jeweils ein Moment der dreigliedrigen Formeln "Ich
bin A" gelegt. Der jeweilige Schwerpunkt bestimmt die Auswahl der
Prinzipien" und durch die Art dieser Spaltung wird der Stil des
Philosophierens bestimmt"(10). So muss jeder Denkakt in dieses
dreigliedrige Schema zerlegt bzw. zusammengefasst werden, dass diese drei
logisch-grammatikalischen Termini es konstituieren: a) Satzgegenstand (Subjekt),
b) Satzbestimmung (Prädikat) c) Kopula. Insofern kann behauptet werden, dass
dem Selbstbewusstsein ein Satz zugrunde liegt. "Der Geist ist ein
lebendiger, ständig sich realisierender Satz" (11). Der Satzgegenstand
(Subjekt), sei dies ein Substantiv oder das Pronomen einer Person "spaltet
und vervielfältigt sich in unzählig sich wiederholenden Spiegelungen"
(12). Das Pronomen der ersten Person [Ich] kann als eigenartige Natur und als
Grundlage jedes Dinges verstanden werden. Es gibt keinen Satz, der nicht auf
eine Verbindung [des Ich] mit seinem Prädikat zurückgeführt werden kann. So
kann Bulgakow zum Schluss kommen, dass – genau betrachtet – jeder
Satzgegenstand das Ich sei, denn in Beziehung auf dieses Ich "hat alles,
aller Sinn, die Bedeutung eines Prädikats, und jedes Urteil ist, wenn nicht
seiner Form, so doch seinem Wesen nach, eine stets neue Selbstbestimmung des
Ich" (13). Nun sieht Bulgakow den Zusammenhang, dass jedes Urteil auf
einem allgemeinen Verhältnis von Subjekt und Objekt besteht. Dabei wird dieses
Ich, die Hypostase, der Satzgegenstand eng mit seiner Natur (Physis) verbunden.
Diese Natur bringt den Inhalt der Hypostase zum Ausdruck, ist also Prädikat der
Hypostase. Das Prädikat wird durch die Seinskopula [sein, ist usw.] mit dem
Satzgegenstand in Verbindung gebracht. "In der Form des Urteils liegt das
Geheimnis und die Natur des Denkens beschlossen, sie ist der Schlüssel zum
Verständnis der philosophischen Systeme"(14).
So gleicht das Ich, gleichsam auf einer
unzugänglichen Insel, einem Punkt, bis zu dem kein Denken oder Sein dringt.
Aber es bringt sein Seinbild im Prädikat zum Ausdruck "und [sich] als
seine Schöpfung, als seine Selbstoffenbarung, die in der Kopula
versinnbildlicht wird, erkennt. In diesem Sinne stellt unser ganzes Leben, und
darum auch unser ganzes Denken, einen sich ständig realisierenden Satz dar,
einen Satz, der aus Satzgegenstand, Prädikat und Kopula besteht" (15). Mit
diesem Phänomen der Aussage – so S.Bulgakow – habe sich die Philosophie bisher
kaum beschäftigt, wohl deshalb, weil sie die allgemeine und selbstverständliche
Form des Denkens sei, und habe dies der Logik und Grammatik überlassen. Dabei
gebe der Satz das Wesen und das Bild des Seins wieder, "der Satz trägt
dessen Geheimnis in sich, denn in ihm liegt das Bild der Dreieinigkeit
beschlossen. Der Satz belehrt uns darüber, dass sich alle Wesensbeziehung
jedwedem Monismus, jedweder Identitätsphilosophie widersetzt, die es versucht,
seine drei Glieder dadurch aufzulösen, dass sie sie auf eines von ihnen: –
entweder auf den Satzgegenstand oder auf das Prädikat oder endlich auf die
Kopula – zurückführt. Von diesem Bestreben wird jedes philosophische System,
sofern es auf dem Boden der Identitätsphilosophie steht, geleitet: entweder der
Satzgegenstand oder das Prädikat oder die Kopula wird zum einzigen Prinzip
erklärt und dann von ihm alles abgeleitet oder darauf zurückgeführt" (16).
Bulgakow sieht dieses Bestreben, dass eines dieser
Prinzipien in jeder Philosophie dominierend ist, am Werke. Entweder wird der
Satzgegenstand aus dem Prädikat deduziert oder das Prädikat aus dem
Satzgegenstand oder aber eines dieser genannten beiden Glieder aus der Kopula
(d.h. dem Sein). Eine Philosophie, die zum Monismus strebe, stehe stets vor der
unüberwindlichen Schwierigkeit, um jeden Preis alles auf eine Ureinheit
zurückführen zu wollen. Wenn die im Satz beschlossene Dreiheit geleugnet wird,
so sei man gezwungen, auf einer ursprüngliche Einheit [im Sinne eines Monismus]
zurück zu kommen – "das ist die Wurzel, aus der jedes philosophische
System und zugleich auch dessen Tragödie entspringt. Diese Einheit ist nicht
nur ein Postulat, sondern auch das Axiom, von dem das Denken ausgeht und das
der ganzen Geschichte der Philosophie zugrunde liegt"(17).
Bulgakow geht davon aus, dass die Hypostase, die
Person, das Ich existiert. Es hat eine bestimmte Natur (Physis), diese Natur
ist seine nie zu Ende gebrachte Offenbarung – dies ist es, was das Ich [d.h.
die Hypostase] als sein eigenes Sein realisiert: "Die Substanz ist nicht
nur ‚an sich’, als Satzgegenstand, sondern auch ‚für sich’, als Prädikat [d.h.
als Natur] und dieser Satzgegenstand ist ‚an und für sich’, in der Kopula, als
Existenz, im Sein, d.h. im Leben.“ Diese drei genannten Prinzipien sind nicht
nur dialektische Momente eines von ihnen, die einander in der Synthese
aufheben, sondern Bulgakow betrachtet sie gleichsam als drei gleichzeitige und
gleichberechtigte Wurzeln des Seins, "die in ihrer Gesamtheit das Leben
der Substanz darstellen"(18).
"Das hypostatische Ich ist" – nach
Bulgakow – "wesensmäßig unbestimmbar. Gerade darin besteht das Wesen der
Hypostase, dass sie unbestimmbar, unbezeichenbar ist, jenseits von Wort und
Begriff steht"(19). Deshalb kann die Hypostase in ihnen auch nicht
ausgedrückt werden, dennoch sich ständig darin entfaltend. Diese
Unbestimmbarkeit ist jedoch keine Leere, im Gegenteil, die Hypostase ist die
Voraussetzung alles Logischen, ist – nach Bulgakow – das Subjekt des Denkens.
Das Denken steht also nicht auf einem festen Fundament seiner selbst. Das
Denken entsteht und ist in dem, was nicht Denken ist – und doch zugleich auch
nicht etwas dem Denken Wesensfremdes. Das Denken kommt gleichsam aus einer
Quelle, deren Loch, deren Grund wir nicht erkennen können. Aus ihm heraus, aus
diesem schöpferischen und dennoch unfassbaren Grund, wird das Denken geboren
und umrankt. Hier hat die Kantische Unterscheidung vom Noumenon und Phänomen
ihren Sinn. Wenn wir also die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt beschreiben
wollen, ist dieser Vorgang mit Noumenon und Phänomen sachgerecht
bezeichnet. Dieses Ich, die Hypostase ist ein "Ding an sich", ein
unerkennbares und dennoch schöpferisch tätiges Noumenon, es ist der Geist
selbst. Er bleibt für den Gedanken in seiner Natur und Stellung zum Noumenon
ewig transzendent.
Dennoch ist das Transzendente [die Hypostase]
stets mit dem Immanenten verbunden, der Satzgegenstand, das noumenale Ich kommt
stets im Prädikat zur Entfaltung. Bulgakow sieht die Hypostase nicht als ein
psychologisches Ich [d.h. also als ego], nicht als eine psychologische
Subjektivität, die schon Bestimmung der Hypostase bedeutet. Der Geist, die
Hypostase sind nicht psychische, konstatierbare Phänomene. "Die Hypostase
ist sogar nicht einmal das gnoseologische Ich, welches Kant als Einheit der
transzendentalen Apperzeption kennt. Auch dieses ist nichts weiter als eine
Hülle des [hypostatischen]) Ich, sein "transzendentales" Prädikat,
und es ist irrtümlich zu meinen, dass sich die ganze unergründliche Tiefe des
hypostatischen Geistes auf diesen Lichtfleck, auf diese Fackel des erkennenden
Bewusstseins beschränken ließe"(20).
Das hypostatische, noumenale Ich stellt – was Kant
und seinen Nachfolgern entgangen ist – eine unzerlegbare Einheit dar. Diese
Einheit aktualisiert sich im Willen, im Gefühl sowie in der Handlung des ganzen
Lebens. "Das hypostatische Ich ist lebendiger Geist (was übrigens ein
Synonym ist), dessen Lebenskraft sich in keiner Definition erschöpfen lässt. Er
offenbart sich in der Zeit, steht aber selbst nicht nur über der Zeit, sondern
auch über der Zeitlichkeit. Für die Hypostase gibt es kein Entstehen und kein
Vergehen, keinen Anfang und kein Ende. Indem sie außerzeitlich ist, ist sie
zugleich auch überzeitlich, ihr gehört die Ewigkeit, sie ist ebenso und im
selben Sinne ewig wie Gott, der Selbst, aus Sich, dem Menschen bei dessen
Erschaffung seinen Odem eingehaucht hat. Der Mensch ist Gottes Sohn und ein
erschaffener Gott, und das Bild der Ewigkeit ist ihm unverlierbar und
unauslöschlich eigen"(21).
Deshalb ist es dem Menschen unmöglich, seine
Vernichtung (etwa im Selbstmord) zu wünschen. Zerstört wird nur das Phänomen,
nicht die ewige Hypostase, das "ewige Ich". Zerstört wird nicht das
Ich, der Satzgegenstand sondern dessen Erscheinung in der Wirklichkeit, d.h.
das Prädikat. "Das hypostatische Ich ist das Subjekt, der Satzgegenstand
aller Prädikate, sein Leben ist dieses in seiner Weite und Tiefe unendliche
Prädikat"(22).
Bulgakow kritisiert die Einstellung, das Denken
besitze eine aus sich heraus erzeugende Kraft und habe ein sich selber
Immanentes, d.h. sich selbst zum Gegenstand, m.a.W. "ein Denken, das sich
selbst denkt, das zugleich sowohl Satzgegenstand als auch Prädikat ist.
Tatsächlich aber wird das Denken im Subjekt erzeugt, wird von der Hypostase
getragen, die sich ständig in ihm offenbart. Nur das [d.h. der Quellgrund des
Denkens, der Ort, wo das Denken entsteht] liegt außerhalb des Denkens und ist,
als etwas ihm völlig Transzendentes, eine Null, d.h. für das Denken gar nicht
vorhanden, was voll und ganz transzendent ist. Aber ein solches Transzendentes
ist nichts weiter als ein mathematischer Grenzbegriff, der nie durch das Denken
realisiert werden kann, und das Ding an sich ist doch to nooumenon, ein
Intelligibles. Das, was vom Denken als Transzendentes gedacht wird, ist gerade
das, was nicht Denken und in diesem Sinne ihm wesensfremd und doch zugleich
auch verwandt, zugänglich ist, sich in ihm erschließt"(23).
Insofern müssen Transzendenz und Immanenz
als korrelative, aufeinander bezogene, Begriffe bezeichnet werden, "und so
kann man denjenigen Gegenstand des Denkens als transzendent bezeichnen, welcher
dessen Subjekt, dessen Hypostase, dessen Satzgegenstand ist. Nicht das ist dem
Denken transzendent, was – als dem Denken Widersprechendes, es Sprengendes und
Vernichtendes – nicht gedacht werden kann [...], sondern das, was nicht Denken,
genauer: nicht nur Denken ist und doch durch das Denken realisiert wird. In
diesem Problem der Transzendenz besteht, wie wir sehen, überhaupt das Problem
der Denkbarkeit des Gegenstandes des Denkens" (24). Wenn der Quellort
bzw. der Ursprung des Denkens für das Denken transzendent ist, so ist es
nicht dazu in der Lage, die Frage zu beantworten, "wie das Transzendente
gedacht wird, wie das, was nicht Denken ist, ins Denken eingeht, zu etwas
Denkbarem wird, wie das Licht des Logos sich über Gebiete ergießt, die bis
dahin noch kein Licht kannten, und wie durch das Netz der Logik, durch
kategoriale Synthesen die Materie des Denkens eingefangen wird. Hier liegt ein
vorlogisches Konstatieren vor, hier ist die Grenze des Denkens, die es davon
scheidet, was nicht Denken ist"(25). Hier stoßen wir an die Grenze eines
Mysteriums. Bulgakow erkennt, dass im Denken drei miteinander verbundene
Momente enthalten sind, die aber nicht aufeinander rückführbar sind:
1. die reine Hypostasheit des Ich (=Subjekt oder Satzgegenstand)
2. die Natur des Ich, die sich in ihm und vor ihm erschließt (Prädikat)
3. die Selbsterkenntnis, das sich in Beziehungsetzen zur eigenen Natur, der Akt
der Selbstrealisierung in der eigenen Natur, das Sein oder die Kopula, die
lebendige Selbsterkenntnis oder Selbstbehauptung des Ich.
Das ewige Ich (1), die ewige Hypostase besitzt
(2) potentiell alles, die Welt ist sein Prädikat (3). Hier – in
der Verwirklichung in der Welt – wird es sich seines Seins bewusst. In dieser
Dreiheit (1-3) ist das Denken nur Denken und damit zugleich Prädikat. Die
Glieder hängen untrennbar zusammen: Die Hypostase ist, losgelöst von ihrer
Natur, nicht denkbar. Die substantielle Natur kann nicht gedacht werden
außerhalb der sie tragenden Hypostase. Dieses Getragenwerden der Natur durch
die Hypostase ist ein Akt des Seins [Kopula], "ist überhaupt Sein, Leben,
welches deshalb durchaus kein Begriff und keine logische Bestimmung ist, obwohl
es sich auf das engste mit dem Logischen berührt. Darum ist die Essenz das
Prius, steht vor der Existenz oder dem Dasein, welches eine sich vollziehende
Synthese der Hypostase mit seiner eigenen Natur, eine Selbstentfaltung im Akt
des Seins ist"(26).
Philosophisches Denken suchte stets nach
einheitlicher, einfacher Substantialität, ebenso zielte der Monismus auf eine
Zurückführung der Dreiheit der Momente auf die Einheit. Als Grundgesetz,
Selbstbestimmung und Selbstbewusstwerdung des Denkens erscheint das Gesetz der
Identität. Doch lässt sich das Postulat der Identität auf die Ursprünge des
Denkens nicht anwenden. Im Satz Ich ist Ich ist das zweite Ich, das
Prädikat, nicht mehr das unausgesprochene hypostatische Ich, das Subjekt oder
Satzgegenstand ist. Das Prädikat enthält in sich schon eine Idee. Das Prädikat
ist – nach Bulgakow – im Verhältnis zum hypostatischen Ich, zum Ich des
Satzgegenstandes, schon ein Nicht-Ich. "Satzgegenstand und Prädikat, und
das ist es, worauf es hier ankommt, stellen durchaus keine logische Analyse,
keine Deduktion, keinen Syllogismus, keinen Beweis dar [...], sondern eine
vollkommen unlogische, genauer: außerlogische Synthese. Das Ich ist ein
Nicht-Ich, das Ich erschließt sich im Nicht-Ich und durch das Nicht-Ich,
welches dadurch zum Ich wird. Jeder Satz enthält stets eine Synthese von Ich
und Nicht-Ich"(27). Bulgakow wird nicht müde, zu wiederholen, "dass
das Denken dort geboren wird, wo noch kein logischer Zusammenhang besteht, wo
dieser vielmehr erst im Entstehen ist". Der Geburtsort des Denkens ist
also nicht bestimmbar oder greifbar, weil er in gewisser Weise dem Zugriff des
Denkens entzogen ist.
Es ist bekannt, welch große Rolle die Hypostase in
der orthodoxen Theologie spielt. Bei Starez Siluan heißt es: "Wenn Geist
und Herz sich auf Christus hingewendet, in einer geheimnisvollen Einigung sich
verbinden, nicht durch ihre eigene Anstrengung, sondern durch das Handeln
Gottes, dann findet sich der Mensch selbst wahrhaft in dem tiefsten Grund
seines Wesens, dann schaut er als gottförmige Vernunft, als gottebendbildlicher
Geist, als unsterbliche Hypostase (Person) bildlos Gott"(28).
S.Bulgakow spricht vom Ursprung des Denkens, das
sich nicht in gegenständlichen Prädikaten sondern in der Ausgangsformel: Ich
bin A, im Gegenübertreten von Ich und Nicht-Ich, vollzieht. "Das Ich als Hypostase ist in sich
selbst verschlossen und unzugänglich". Das Ich erschließt sich also nicht
isoliert sondern in Korrespondenz zum Nicht-Ich (wie dies auch Fichte
erkannte). "Es muss aus sich selbst, aus seinen Tiefen, aus seiner Natur
heraus seine eigene Offenbarung erzeugen, die dem Ich gegenüber schon ein
Anderes und in diesem Sinne ein Nicht-Ich, zugleich aber doch die Offenbarung
des Ich wäre"(29) [da sich das Ich nur auf dem Weg über das Nicht-Ich,
d.h. durch die Welt artikulieren kann]. Es bezeugt sich in der Kopula, im
Hilfszeitwort "ist". Dieses "ist" kann nicht logisch
erfasst werden, weil es als Gleiches und Identisches etwas Ungleiches und
Verschiedenes miteinander verbindet. In diesem "ist", das nicht nur
einen grammatikalischen und logischen, sondern einen ontologischen Sinn zum
Ursprung hat, kommt die Selbstoffenbarung der Hypostase zu ihrem Ziel. Hier
geschieht die Selbstoffenbarung der Hypostase. Bulgakow bezeichnet die Kopula,
das "ist" als die Brücke, die Satzgegenstand und Prädikat miteinander
verbindet und damit erst die Wirklichkeit beider begründet. "Die Kopula
‚ist’ ist das Leben des wahrhaft Seienden"(30).
Substanz (Geist) ist die Dreieinheit von Subjekt,
Objekt und des Zusammenhanges zwischen ihnen, wobei alle drei Momente weder
voneinander getrennt noch miteinander verschmolzen werden können. Jedes dieser
Momente der Substanz (Hypostase (=Satzgegenstand), Natur (=Prädikat), Sein
(=Kopula "ist") trägt die jeweils andere in sich. Bulgakow macht der
Philosophie den Vorwurf, dass sie die Dreieinheit der genannten Momente um der
Einheit willen verleugnet und konstatiert: "Es gibt keine Hypostase ohne
die Natur, die aller Objektheit zugrunde liegt, und es gibt kein Sein ohne
Satzgegenstand, ohne wahrhaft Seiendem und ohne dessen Prädikat, der Natur. Das
wahrhaft Seiende setzt das Dasein, das Sein ist die Aktualität des wahrhaft
Seienden, welches in seiner Ursprünglichkeit über dem Sein steht"(31). So
kann die reine Hypostasheit, wenn sie ohne Prädikat [ohne Welt] ist, nicht
Gegenstand des Denkens sein. Etwas, das nur hypostatisch ist, das ist
naturfremd und steht außerhalb allen Seins. Es bleibt als reine Abstraktion
übrig. Ebenso kann Hypostase nicht ohne "sein" gedacht werden, weil
nur durch dieses "sein" der Satzgegenstand, die Hypostase, mit dem
Prädikat verbunden wird. Zur Hypostase gehört also unabdingbar das Objekt bzw.
das Prädikat, weil sie die Hypostase von irgendjemand sein muss. Ebenso sind
Bestimmungen oder Prädikate nicht denkbar, "die nicht ihr hypostatisches
Antlitz hätten". Ebenso sind Satzgegenstand und Prädikat nicht denkbar
ohne ihr "sein". So setzt die Substanz stets die beiden anderen
Momente voraus und schließt sie ein. Auf diesem Wege wird die Substanz zu einer
metaphysischen Dreieinheit, die nur als Satz formuliert werden kann. Diese
Substanz darf nicht mit Hegels dialektischer Triade verwechselt werden. In der
Substanz vollzieht sich keinerlei Entwicklung, dennoch sieht Bulgakow sie nicht
ohne Ordnung: "Der Satzgegenstand, die Hypostase, ist das Erste; das
Prädikat, eidos, das Zweite, die Kopula, das Sein, φύσις, das Dritte"(32).
Diese drei Momente sind Ausdruck ontologischer
Beziehungen, die von der Logik nicht überwunden werden können. Diese
dreigliedrige Struktur ist für das Denken unannehmbar, weil das Denken nach einem
Prinzip sucht.
Anmerkungen:
1) S.Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie,
Darmstadt 1927. Zit. Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie.
2) Vgl. zu Bulgakow: P.Evdokimov, Christus im
russischen Denken, Trier 1977, S. 213-232.
3) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Darmstadt (1974), Sp. 1256ff. Zit. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.
3.
4) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1256.
5) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1256. Vgl. dazu auch: W.Beierwaltes, Trinitarisches Denken – Substantia und
Subsistentia bei Marius Victorinus, in: Platonismus im Christentum, Frankfurt
1998, S. 25-43.
6) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1257.
7) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1257.
8) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1258.
9) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3,
Sp. 1258.
10) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 20.
11) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 20.
12) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 21.
13), Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S.
21.
14) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 21.
15) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 21.
16) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 22.
17) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 22.
18) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 23.
19) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 23.
20) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S.
24f.
21) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 25.
22) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 25.
23) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 26.
24) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 27.
25) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 27.
26) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 28.
Es kann hier erinnnert werden an die johanneischen Ich-bin-Worte Jesu
Christi. Die ewige göttliche Hypostase, das ewige Ich-bin [Ehe Abraham war, bin ich, Joh 8, 58], identifiziert
sich mit der Welt und ihren Prädikaten (Brot, Licht, Weinstock usw.). Das ewige
hypostatische "Sein" wird zur Welt, bekommt den "Leib" der
Natur.
27) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 30.
28) Starez Siluan – Mönch vom Berg Athos, Bd. 1,
Düsseldorf 1980, S. 149.
29) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 31.
30) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 32.
31) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 32.
32) Bulgakow, Die Tragödie der Philosophie, S. 34.