Meine Ordination
Sergij Bulgakov
[S. 22] Ich bin in der Familie eines Priesters geboren; in mir fließt Levitenblut von sechs Generationen. Aufgewachsen bin ich bei der Kirche des ehrw. Sergij, umweht von ihrem Gebet und Glockengeläut. Meine ästhetischen, moralischen und auf die Lebensart bezogenen Kindheitseindrücke sind mit dem Leben dieser Kirche verbunden. Unter ihrem Dach brannte das Herz in freudigen Gebeten und wurde von Tränen und Trauer benetzt. Etwa bis zu meinem 12. oder 13. Lebensjahr war ich ein treuer Sohn der Kirche sowohl meiner Geburt als auch meiner Erziehung nach. Ich besuchte die Kirchenschule, zunächst die vierklassige Geistliche Lehranstalt in der Heimatstadt Livny und danach 3 Jahre lang das Geistliche Seminar in Orel. Schon ganz zu Beginn dieser Periode, in der ersten oder zweiten Klasse des Seminars, trat die religiöse Krise ein, die – wenn auch gewiss mit Schmerz, doch ohne Tragödie – mit dem Verlust des religiösen Glaubens auf lange, lange Jahre endete; und vom 14. bis etwa zum 30. Lebensjahr entfernte sich der verlorene Sohn in ein fernes Land, zum Leidwesen und zur Anfechtung wahrscheinlich von vielen, vor allem natürlich der Eltern. Ich hatte etwas zu verlieren, und ich gab es sozusagen leicht, ohne Kampf hin (obwohl auch Selbstmordgedanken von der Gottlosigkeit kamen). Den ersten Anstoß hatte offenbar die kindliche Eigenliebe gegeben: in der Schule wurde ich allzusehr gelobt, allein um so fühlbarer waren für mich ihre Stiche in pennalistischer Grobheit. Allein, das war nicht ernst. Viel ernster waren jugendliche Fragen und Zweifel, auf die mir niemand Antwort geben konnte. Die letzteren wurden durch gelegentliche Einflüsse und Begegnungen gefördert, hauptsächlich und vor allem aber durch die "Intelligenz", deren Opfer – sowohl persönlich wie geschichtlich – auch ich geworden bin zusammen mit meinen unzähligen Brüdern, zusammen mit ganz Russland. Das war das allgemeine Schicksal der "humanistischen" Menschheit, das bis jetzt anhält, die Versuchung der Menschenvergottung. Allein das Recht meines Protestes gegen die mich umgebende Welt bestand in jenem Geist der Freiheitsliebe, der sich von der Liebedienerei abwandte, die in der "geistlichen" Welt damals [S. 23] herrschte. Über ihre Grenzen aber reichte meine Erfahrung damals noch nicht hinaus. Mit ihr konnte und wollte (und durfte) ich mich nicht zufriedengeben; sie floh ich, mein geistiges Wesen rettend, und diese meine Flucht halte ich auch jetzt noch für gerechtfertigt. Dazu kam noch der Umstand hinzu, dass ich mir zugleich mit dem Verlust des religiösen Glaubens natürlich, gleichsam automatisch, die in der Intelligenz herrschenden revolutionären Neigungen aneignete, ohne bestimmte Parteizugehörigkeit, aber mit entschlossener Unversöhnlichkeit dem Monarchismus gegenüber, der zumindest in unserem "geistlichen" Milieu herrschte. Mit einem Wort: mit mir wiederholte sich – in diesem Lebensstadium – das, was mit meinen Vorgängern in den Seminarschulen geschehen war: mit Černyševskij, Dobroljubov u.a. Ich wurde das Opfer des finsteren revolutionären Nihilismus (wenn er sich auch immer mit der Liebe zur Kunst und Literatur verband, die mich retteten). Dazu muss man auch das hinzufügen, dass die allgemeine Atmosphäre der geistlichen Schule ohne Kraft war, diesem Nihilismus ausreichenden Widerstand zu leisten. Unterstützt durch die gewohnte Lebensweise und den Zwang, wurde sie noch unerträglicher für einen stolzen, selbständig denkenden, in seiner Freiheits- und Wahrheitsliebe aber auch aufrichtigen Jungen.
Die Seminarleitung hatte mich damals zum Studenten der Geistlichen Akademie ausersehen, für mich aber erschien damals als einziger Weg zur Rettung, aus dem Seminar zu flüchten, ohne Aufschub und ohne mich umzusehen. Wohin? Natürlich in die weltliche Schule – in die Universität. Wozu? "Nutzen zu bringen", der Menschheit, dem Fortschritt, dem wissenschaftlichen Denken zu dienen, zu dem meine Seele immer strebte. Die Ausführung dieses Plans war nicht leicht; sie forderte Opfer, und nicht nur von mir selbst, sondern auch von meinen Nächsten, d.h. vor allem von den Eltern (worüber ich in meinem unendlichen Egoismus am allerwenigsten nachdachte). Nichtsdestoweniger verließ ich im Sommer 1888 das Seminar in Orel und trat nach zweijährigem Aufenthalt auf dem Gymnasium in Elec im Herbst 1890 in die Moskauer Universität ein, in die juristische Fakultät. Bei dieser Wahl wurde ich ebenso ein Opfer des Herdentriebes der "Intelligenz", indem ich meiner eigenen Neigung zuwider vorging. Mich hatte das Gebiet der Philologie, Philosophie, Literatur angezogen, ich war aber in die mir fremde Juristische Fakultät geraten, gewissermaßen, um dadurch das Vaterland von der Tyrannei des Zarismus zu retten, ideell natürlich. Und dazu musste man sich den Sozialwissenschaften widmen, indem man sich, wie ein Sträfling an den Karren, an die politische Ökonomie band. Durch dieses Fegefeuer zu gehen, hatte ich mich selbst verdammt, und sühnte damit meine Sünde des verlorenen Sohnes. Ich bezog die Universität mit der zuvor gefassten Absicht, mich einer mir fremden Wissenschaft hinzugeben, und diesen [S. 24] Plan habe ich auch erfüllt und erreicht, dass ich an der Universität verbleiben durfte auf diesem Lehrstuhl (durch den äußerst gütigen und lieben Professor A.I.Čuprov, der mir schicksalsverwandt war: er war auch Seminarist gewesen, erinnerte sich seiner Vergangenheit als eines verlorenen Paradieses, aber es war ihm nicht beschieden, durch die Wüste der Intelligenz bis zum Ende zu ziehen). Ich stelle mir gut seine ganze Aufregung vor, die er empfunden hätte, wenn er mich im geistlichen Gewande erblickt hätte, aber diesen Skandal hat er nicht erlebt.
Mein Denken bewegte sich also auf den Wegen der sozialen und, versteht sich, sozialistischen Weltanschauung. Folgerichtig und in bestimmtem Maße ging ich, gleichsam automatisch, von ihrer einen Gestalt zur anderen, um mich, wie es schien, zuletzt im Marxismus zu verschanzen, der zu mir passte wie zur Kuh der Sattel. Ein wissenschaftlicher Studienauftrag seitens der Universität (1898-1900) führte mich natürlich vor allem nach Deutschland als dem Land der Sozialdemokratie und des Marxismus. Hier aber fingen entgegen den Erwartungen rasch Enttäuschungen an, und meine "Weltanschauung" begann in allen Fugen zu krachen. Im Resultat war ich, als ich in die Heimat zurückkehrte, um die ersehnte Professur für "Politische Ökonomie" anzutreten, im Zustand vollständiger Resignation, in welcher zuerst zaghaft und unsicher, dann aber immer sieghafter die Stimme des religiösen Glaubens zu tönen begann. Ihn begann ich auch seit dieser Zeit in meinen Werken zu bekennen, etwa seit dem Jahre 1901/02, zur Verwunderung und Entrüstung meiner Gesinnungsgenossen von gestern. Aber eigentlich hatte ich immer, sogar im Zustand geistiger Verwilderung im Marxismus, ein religiöses Sehnen gehabt, war ich niemals dem Glauben gegenüber gleichgültig gewesen. Zunächst glaubte ich an das irdische Paradies, aber zitternd, zuweilen mit Tränen. Nachher jedoch, von einem bestimmten Moment an, als ich es mir selbst erlaubte und zu bekennen entschlossen war, ging ich schnell, scharf und entschlossen geradenwegs aus einem fernen Land in die geistliche Heimat: als ich zum Glauben an den "persönlichen" Gott (an Stelle des unpersönlichen Fortschrittsidols) zurückgekehrt war, glaubte ich an Christus, den ich in der Kindheit geliebt und im Herzen getragen hatte, aber danach auch in der "Orthodoxie", mich zog es gebieterisch und unaufhaltsam in die heimatliche Kirche. Es vergingen jedoch noch Jahre, in denen dieser Gedanke und das Verlangen nach Rückkehr ins Vaterhaus in mir noch kraftlos blieben; durch verborgenes Leiden ist meine Rückkehr bezahlt worden. Sie ging natürlich nicht nur im Herzen und im Leben vor sich, sondern auch im Denken, aus einem Soziologen wurde ich zum Theologen (dankbar erwähne ich den geistlichen Einfluss Dostoevskijs und V.Solov’evs in diesen Jahren). Aber gleichzeitig erhob sich in der Seele auch das Verlangen, das insgeheim auch nie erloschen war, nach völliger Rückkehr ins Vaterhaus mit Übernahme des Priestertums. In [S. 25] diesen Jahren nannte ich mich zuweilen im Gespräch mit Freunden einen "Verräter des Altars". Mir reichte der Wechsel der "Weltanschauung" nicht aus, mein "Levitenblut" sprach immer gebieterischer und die Seele dürstete nach dem Priestertum und drängte zum Altar.1) (Fürst Evgenij N.Trubeckoj sagte mir einmal, dass ich nach seinem Empfinden "mit dem Epitrachilion geboren" sei.)
Auf diesem Wege standen jedoch verschiedene Hindernisse. Das erste davon waren die Gewohnheiten und Vorurteile des Milieus und sogar der Nächsten. Wenn dort, woher ich kam, im "geistlichen" Milieu, die Übernahme einer [geistlichen] Würde in einem bestimmten Moment des Lebens als selbstverständlicher und unbestreitbarer Schritt erschien, so erschien im Milieu der Intelligenz, wo sich die Gottlosigkeit mit solcher Natürlichkeit von selbst verstand, die Annahme des Priestertums, zumindest im Stande eines Professors der Moskauer Universität, eines Doktors der politischen Ökonomie usw., als Skandal, als Wahnsinn oder Narrheit und in jedem Fall als Selbstausschluss aus dem aufgeklärten Milieu. Dazu musste man sich entschließen, und das erforderte auch Zeit. Ich entschloss mich, auch darauf bewusst zuzugehen, und außerdem blieben auch die Zeiten schon nicht dieselben. Übrigens weiß ich nicht, wie ich mit allen persönlichen Schwierigkeiten fertiggeworden wäre, aber hier hat mich die Hand Gottes offenkundig unterstützt. Im Anfang des Jahres 1918 wurde in Moskau die Nachricht vom Beschuss Jaltas und überhaupt der Südküste der Krim, wo sich meine Familie befand, durch die Bol’ševiki empfangen, und es kam natürlich zur Unterbrechung jeglicher Verbindungen mit ihr. Es gab Gründe, zu befürchten, dass sie restlos umgekommen wäre. Ich blieb allein vor Gottes Angesicht. Und da fühlte ich, dass mich nichts mehr zurückhält und es keine Gründe gibt, aufzuschieben, was ich mindestens ein Jahrzehnt in der Seele trug. Aber es gab für mich noch ein Hindernis, mit menschlichen Kräften ebenfalls nicht zu überwinden: das war die Verbindung der Orthodoxie mit der Selbstherrschaft, die zur erniedrigenden und äußerst schädlichen Abhängigkeit der Kirche vom Staat und einem eigenartigen Cäsaropapismus geführt hatte. Darüber konnte, wollte und durfte ich nicht hinwegschreiten. Dieses Hindernis fiel plötzlich im Jahre 1917 mit der Revolution dahin: die Kirche erwies sich als frei, aus der Staatskirche wurde sie zur verfolgten. Auf dem Allrussischen Konzil (dessen Mitglied ich war) erhielt die Kirche in Gestalt des Patriarchen Tichon ein würdiges und nicht einzuschüchterndes Haupt. Das Konzil erschien als kanonisches Organ der kirchlichen Verwaltung. Zusammen mit der Kirche erhielt auch ich für mich die Freiheit des Handelns. Daher durfte auch ich keine Zeit verlieren, um sie angesichts der künfti- [S. 26] gen schrecklichen Ereignisse zu nutzen. Der Entschluss war von mir gefasst, und es war unmöglich, ihn aufzuschieben. Außerdem aber erhielt ich vom Fürsten Evgenij N.Trubeckoj einmal am späten Abend telefonisch eine freundschaftliche Mitteilung, in der er mich in lateinischer Sprache warnte, dass ich in jener Nacht verhaftet werden würde. Aber als ich mich danach schlafen legte, fühlte ich mich krank, mit den Schmerzen stieg das Fieber. Am Morgen stellte der Arzt eine Blinddarmreizung fest, wenn er auch nicht auf einer sofortigen Operation bestand. Meine Wohnung musste ich verlassen und mich verbergen (wenn sich die Warnung von E.N. auch nicht bestätigte). Als ich mich von dem Anfall etwas erholt hatte, begann ich zu handeln: zuerst wandte ich mich an den Bischof Feodor von Volokolamsk, einen der Moskauer Vikarbischöfe, der mich persönlich kannte (und meinen Freund Prof. Vater Pavel Florenskij ordiniert hatte), mit der Frage, ob er bereit wäre, mich zum Priester zu weihen. Nach seinem Einverständnis erklärte ich ihm die ganze Eiligkeit dieser Sache im Hinblick auf meine gefährdete Lage, darum gab er seinen ursprünglichen Vorschlag, eine gewisse Zeit im Diakonat zu verbringen, selbst auf, nachdem er meine Lage erkannt hatte. Danach wandte ich mich schon an den Patriarchen Tichon selbst mit dem Gesuch um Ordination, wozu der Heiligste Patriarch gnädig und ohne jeden Einwand auch seine Zustimmung gab. (Lachend sagte er zu mir: "Sie sind uns im Gehrock nötiger als im geistlichen Gewande.") Ich hatte auch nicht gedacht, dass der Patriarch den Wunsch haben konnte, meine Ordination selbst vorzunehmen, als ich ihn bat, Bischof Feodor damit zu beauftragen. Außerdem wollte ich im Hinblick auf meine Lage Aufsehen vermeiden. In seiner Demut und Güte widersprach der Patriarch nicht, um so mehr, als man keine Zeit verlieren durfte und der Patriarch am nächsten Sonntag (Pfingstsonntag) nach Petersburg reisen und demzufolge von Moskau abwesend sein musste. Wir vereinbarten, dass dieser Entschluss bis zum letzten Moment geheim bleiben sollte (obwohl er natürlich auch auf dem Konzil durchgesickert war und der Patriarch selbst in Petersburg am Pfingstsonntag in seinen Kreisen davon sprach, dass ihrer heute eine Freude warte, das war sein liebendes und segnendes Wort).2) Also wurde zu guter Letzt entschieden: am Pfingstsonntag hatte meine Ordination zum Diakon (im Danilov-Kloster, wo sich Bischof Feodor aufhielt) stattzufinden, und am Pfingstmontag in der Friedhofskirche zum Heiligen Geiste meine Ordination zum Priester. Es versteht sich: ich hätte nicht gewagt, selbst solche Fristen auszuwählen für meine Ordination, sie schienen von oben vorgezeichnet, und daher durchlebe [S. 27] ich diesen großen und geheiligten Tag immer wieder als helles Zeichen der Barmherzigkeit Gottes.3)
Es war also entschieden. Aber vom hellen Festtag trennte mich noch die Fastenwoche, die Tage geistlicher Vorbereitung. Noch wusste niemand von meinem Entschluss, und ich selbst benachrichtigte davon nur die nächsten Freunde. Das war gleichsam der fröhliche Abschied von ihnen vor meiner geistlichen Ehe, aber zugleich auch eine gewisse feierliche Zusammenkunft – vor dem Tode. Ich bewahre im Herzen geheiligte Erinnerungen an diese Begegnungen: hier gab es sowohl Tränen der Freude und der Erregung als auch Worte der Liebe und freundschaftlichen Geleites.4) Zu Hause aber war ich allein mit meinem kleinen Sohn, der für mich ein ungeheuerer und freudiger Rückhalt war in jenen Tagen (uns trennte meine Vertreibung, und ich weiß nicht, ob ich ihn in diesem Leben wiedersehen werde). Die Fastenwoche vor der Ordination bestand für mich im Absterben für dieses Leben, welches für mich mit der Annahme meines Entschlusses begonnen hatte. Ich weiß nicht einmal wie, aber in meinem Bewusstsein prägte sich das klare, mit jedem Tage noch gewachsene und erstarkte Verständnis ein, dass dieses Absterben ein freies, aber auch unausweichliches ist, dem zu entgehen nicht möglich ist, [S. 28] aber dieses Entgehen durfte man auch nicht wünschen. Dieses war gleichsam eine langwierige Agonie, jeder Tag brachte neue Erlebnisse, und das waren Qualen, die zu beschreiben nicht möglich ist. Es gab aber keinen einzigen Augenblick, in dem auch nur der Gedanke an ein Zurücktreten aufgetaucht wäre; dabei ging ich jedoch vorwärts, während ich vor mir gleichsam eine steinerne Mauer hatte und in eine Sackgasse geriet. Ich kann das nur vergleichen mit gewissen Zuständen des Absterbens während meiner letzten Krankheit, obwohl sie natürlich damals nicht von physischen Leiden begleitet waren (wenn man meine übliche Schlaflosigkeit nicht dazu rechnet). Dieses Absterben erschien für mich damals vollkommen unausweichlich und wichtig, gleichsam als eine geistliche Aufgabe, der ich als einer gewissen geistlichen Evidenz nicht entgehen kann. Es war für mich unerwartet und unwillkürlich entstanden und hat irgendwie geschwelt und, indem es schwelte, mich verbrannt. Diese Qual der geistlichen Geburt war eine große Gnade Gottes. Viel gäbe ich darum, jetzt diese meine natürlich verlorengegangenen Aufzeichnungen einzusehen...
Aber nachdem ich auch diese Tage des Absterbens hinter mir hatte, begab ich mich am 9. Juni, dem Vorabend des Pfingstsonntages, ins Danilov-Kloster, ein Bündel mit der geistlichen Kleidung bei mir tragend (zurück trug ich darin schon meinen Zivilanzug), zu Bischof Feodor, wo ich auch übernachtete. Die Moskauer kennen dieses Kloster mit dem Friedhof, auf dem der Staub Chomjakovs, Gogol’s u.a. ruht. Am Pfingstsonntag wurde ich zum Diakon ordiniert. Wenn es möglich wäre, Unausdrückbares auszudrücken, so würde ich sagen, dass diese erste Weihe zum Diakon von mir als das Feurigste erfahren wurde. Das Erschütterndste war daran natürlich das erste Durchschreiten der königlichen Pforte und das Herantreten an den hl. Altar. Das war wie ein Durchschreiten des Feuers, versengend, erleuchtend und neugebärend. Das war der Eintritt in eine andere Welt, ins Himmelreich. Das war für mich der Anfang eines neuen Zustandes meines Seins, in dem ich seit der Zeit und bis jetzt verharre... Als ich im geistlichen Gewand durch das bolschewistische Moskau nach Hause ging, wahrscheinlich mit offensichtlicher Unsicherheit in der neuen Gewandung, hörte ich kein einziges grobes Wort mir gegenüber und begegnete keinem groben Blick. Nur ein Mädchen im Stadtteil Zamoskvoreč’e sagte freundlich zu mir: ”Guten Tag, Batjuška!” [Übliche Anrede eines russisch-orthodoxen Priesters]. Und buchstäblich genau dasselbe wiederholte sich auch am folgenden Tage, als ich schon als Priester zurückkehrte. Damals kam meine Köchin, die wunderliche Anna, die sich überhaupt die ganze Zeit zu dem, was vor sich ging, mit schweigsamer Teilnahme verhalten hatte, um den Segen zu mir, schon mit den Worten: "Segnen Sie mich, Batjuška", [S. 29] und erhielt ihn dann als erste (unmittelbar nach ihr auch der Pförtner unseres Hauses).
Am Pfingstmontag hatte Bischof Feodor in der Friedhofskirche zum Heiligen Geist Gottesdienst zu halten und wir gingen dorthin aus dem Danilov-Kloster in einer Prozession, ich ging im Sticharion mit der Diakonskerze neben dem Bischof. Es war keine geringe Entfernung, aber wir legten sie ruhig und ungehindert zurück. Zur Ordination kamen auch meine Freunde, die damals in Moskau waren, in die Kirche. Ich gedenke vor allem an Vater Pavel Florenskij (mit seinem Vasja), der auch an der Liturgie beteiligt war, M.A.Novoselov, N.N.Prejs, Vjačeslav Ivanovič Ivanov, N.A.Berdjaev, P.B.Struve, Fürst E.N.Trubeckoj, Graf A.Račinskij, V.K.Choroško, A.S.Glinka (Volžskij), M.O.Geršenzon, L.I.Šestov, E.A.Askol’dova. Sie alle nahmen nach dem Gottesdienst auch am freundschaftlichen Teetrinken teil, das von der Geistlichkeit der Kirche für uns gastfreundschaftlich veranstaltet worden war (damals war das nicht leicht wie auch gegenwärtig). Die Erlebnisse dieser Ordination sind natürlich weniger zu beschreiben als die der zum Diakonat – "Schweigen ist passender". Bischof Feodor hielt mir im Altarraum eine Ansprache, die mich damals erschütterte, wenn ich auch ihren Inhalt jetzt nicht wiederholen kann. Es herrschte allgemeine Freude, und ich selbst empfand irgendein ruhiges Frohlocken, das Gefühl der Ewigkeit. Das Absterben war vorbei, wie die Trauer der Passionstage im Osterlichte vergeht. Das, was ich damals durchlebte, war auch diese Osterfreude.
Meine ersten Gottesdienste verrichtete ich in der Kirche der "Muttergottes, der Freude aller Trauernden", im Waisenhaus auf dem Zubovskij-Boulevard, wo ich auch wohnte, zusammen mit und unter Anleitung von Vater Pavel Florenskij, der dazu auch einige Tage in Moskau geblieben war, auch nach meiner Weihe. Zugeteilt wurde ich aber der Kirche des hl. Elias "Obydennyj" in der Obydennyj-Gasse, in der Nähe der Erlöserkirche, wo ich ebenfalls einige Gottesdienste bis zu meiner Abreise aus Moskau verrichten konnte.
Ich musste mich jedoch in der neuen Gestalt mit der Familie treffen, über die ich damals schon Nachrichten erhalten hatte. Daher reiste ich zwei Wochen nach der Ordination mit dem Segen des Patriarchen nach der Krim zum Wiedersehen mit der Familie auf Monatsfrist, nach deren Ablauf ich an die Stätte meines früheren Professoren- und neuen Priesterdienstes zurückzukehren beabsichtigte. Es war mir aber durchaus nicht bestimmt, nach Moskau zurückzukehren. Das erstemal musste ich unweit Kursk die Grenze der deutschen Okkupation überschreiten, ohne Pass, aber wohlbehalten ließ ich sie hinter mir. Ich traf die Meinigen wohlbehalten an und hielt mich den zulässigen Monat bei ihnen auf. Danach machte ich den Versuch, über Kiev nach Moskau zurückzukehren. [S. 30] Aber von hier aus gelang mir das im Verlauf eines ganzen Monats nicht: die Verhältnisse hatten sich geändert. So war ich genötigt, auf die Krim zurückzukehren und blieb dort bis zum Anfang des Jahres 1923, als ich von dort für immer ins Ausland verbannt wurde. Aus der Zahl der Professoren einer Universität wurde ich wegen des Empfangs des Priestertums zweimal ausgeschlossen: aus der Moskauer unmittelbar nach der Ordination, aus der von Simferopol’ nach dessen Besetzung durch die Bol’ševiki. Preis sei Gott für alles!
Aus: Kirche im Osten 9 (1966), 22-30.
”Moe rukopoloženie" [Meine Handauflegung, meine Priesterweihe],
aufgezeichnet am 24. und 25.5.1942, zwei Jahre vor seinem Tode, gedruckt in
seinen ”Avtoobiografičeskija zametki”,
hrsg. von L.A.Zander, Paris 1946, 34-43; die vorliegende Übersetzung besorgte
R.Stupperich.
Anmerkungen Bulgakovs
1) "Und Bulgakov ist fromm geworden!" übermittelte man mir als den erstaunten Ausruf Karl Kautskys, eines der Führer der deutschen Sozialdemokratie (das kann dem Sinne nach so übertragen werden: "Bulgakov ist idiotisch geworden!").
2) Nicht lange davor, an den Weihnachtsfeiertagen, hatte der Heiligste Patriarch mich (der ich noch Laie war) genötigt, den Text seines ersten Hirtenbriefes abzufassen, der seine Besteigung des Patriarchenstuhls mitteilte, was ich auch ausgeführt habe. (Verlesen wurde er in den Kirchen zu Epiphanias).
3) Dabei will ich auch eine solch lächerliche und charakteristische Einzelheit dieser ganzen Begebenheit erwähnen. Als ich am Samstag (dem Vorabend des für meine Ordination bestimmten Pfingstsonntags) ins Moskauer Konsistorium kam, um meine Kandidatenakte zu erhalten, stellte sich heraus, dass darin eine schriftliche Bestätigung bezüglich meiner Frau fehlte, dass sie orthodoxen Bekenntnisses und mit mir in erster Ehe verheiratet sei. Obwohl ich das als Glied nicht nur des Kirchenkonzils, sondern auch des von ihm gewählten Obersten Kirchenrates dem Sekretär des Konsistoriums beteuerte, erwies sich das als ungenügend; ein entsprechendes Papier war unumgänglich. Als er sich aber danach an die Kanzlei des Hl. Konzils wandte, stellte sich heraus, dass es unmöglich war, es von dort zu bekommen. Wie wuchs aber meine Aufregung, als ich begriff, dass alles für mich in der Luft hängt wegen dieses Kanzlei-Formalismus, nichts hier helfen kann und man sich auch nirgendwohin wenden kann, weil der Patriarch selbst, sofern er hier überhaupt mit der Unerbittlichkeit der Kanzlei fertigwerden könnte, schon auf der Reise war (nach Petersburg). Und inzwischen hatte sich der Tag schon der zweiten Hälfte zugeneigt, alles war vereinbart und entschieden (sogar bis hin zu Zeitungsnotizen über die bevorstehende Ordination, welche absichtlich aufgeschoben worden waren bis zum Morgen des Pfingstsonntages selbst). Und siehe da, in letzter Minute überkam mich der rettende Gedanke, mich wegen der Ausstellung einer solchen Bestätigung an den Kanzleisekretär des Moskauer Kommerz-Instituts zu wenden, wo ich Professor war. Ich schickte einen Eilboten los, und das anstandslos ausgestellte Zeugnis befriedigte das Konsistorium, und eben dadurch öffnete mir meine Kaserne der politischen Ökonomie die Pforten des Danilov-Klosters. Ich erlebte das Gefühl eines über mir geschehenen Wunders der Barmherzigkeit Gottes.
4) Viel freundschaftliche Fürsorge und Wohlwollen wurde auch darin bewiesen, mich "geistlich" zu kleiden; damals war das in seiner Art nicht weniger schwer als jetzt auch. Gott half mir von diesen Tagen an, immer das "geistliche" Aussehen zu behalten, obwohl es Zeiten gab, da man von mir unter Drohung der Todesgefahr forderte, Verrat an ihm zu begehen.