Studien über Jakob Böhme
II. Studie. Die Lehre über die Sophia und das
Androgyne
J.Böhme und die russischen sophiologischen Strömungen
Nikolaj A. Berdjaev (a)
I.
[S. 34] Böhme entwickelt die
wichtigste und im Wesentlichen in der Geschichte des christlichen Denkens erste
Lehre über die Sophia. Hierin wurde ihm eine ganz ursprüngliche Intuition
verliehen. Die Sophiologie Böhmes kann nicht durch Einflüsse und Entlehnungen
erklärt werden. (1) Wenn Böhme in der Intuition vom Ungrund die Finsternis im
Urgrund des Seins sieht, schaut er in der Intuition von der Sophia das Licht.
Das Verständnis Böhmes von der Sophia hat seinen theologischen und
kosmologischen Aspekt, doch ist es vor allem eine anthropologische Lehre. Die
Sophia ist bei ihm mit dem reinen, jungfräulichen, keuschen und ganzheitlichen
Bild vom Menschen verbunden. Die Sophia ist die Reinheit und Jungfräulichkeit,
Ganzheit und Keuschheit des Menschen, Bild und Gleichnis Gottes im Menschen
[vgl. Gen 1,26]. Die Lehre von der Sophia kann bei Böhme nicht von der vom
Androgynen getrennt werden, d.h. von der ursprünglichen Ganzheit des Menschen.
Das Sophianische ist im Wesentlichen das Androgyne. Der Mensch hat eine androgyne,
zweigeschlechtliche, männlich-weibliche Natur. Dem Menschen ist die Sophia
eigen, d.h. die Jungfrau. Der Sündenfall ist der Verlust seiner
Sophiahaftigkeit, seiner Jungfräulichkeit, welche in den Himmel entflog. Auf
der Erde aber [S. 35] entstand die Weiblichkeit, Eva. Der Mensch sehnt sich
nach seiner Sophia, nach der Jungfrau, nach Ganzheit und Keuschheit. Die
geschlechtliche Existenz ist eine zerrissene Existenz, welche die Ganzheit
verloren hat. In seiner Lehre über das Androgyne steht Böhme in der Linie des
Symposions Platons und der Kabbala. "Siehe! ich gebe dir ein gerecht
Gleichniß: du seist ein Jüngling oder Jungfrau, wie denn Adam alles beides in
einer Person war" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III. Bd. Böhme's
Sämmtlicher Werke, hg. v. K.W.Schiebler, Leipzig 1841, 112). Die Besonderheit
der Lehre Böhmes von der Sophia liegt darin, dass sie vor allem eine Lehre über
die Jungfrau und die Jungfräulichkeit ist. Die Göttliche Weisheit im Menschen
ist die Jungfräulichkeit der Seele, die Jungfrau, die der Mensch beim
Sündenfall verlor und die am Himmel leuchtet. "Die Seele sollte sein der
schöne Jüngling, der geschaffen war; und die Kraft Gottes die schöne Jungfrau,
und das Licht Gottes die schöne Perlen-Krone, damit wollte die Jungfrau den
Jüngling schmücken" (III, 115). Adam, welcher ursprünglich androgyn war,
verlor im Sündenfall seine Jungfrau und erhielt eine Frau. "Adam hat durch
seine Lust verloren die Jungfrau, und hat in seiner Lust empfangen das Weib,
welche ist eine cagastrische (b) Person; und die Jungfrau wartet seiner noch
immerdar, ob er will wieder treten in die neue Geburt so will sie ihn mit
großen Ehren wieder annehmen" (III, 117). Eva ist ein Kind dieser Welt und
geschaffen für diese Welt: "die Heva ist zu diesem zerbrechlichen Leben
geschaffen worden; denn sie ist die Frau dieser Welt" (III, 187). Das
Androgyne ist das Bild und Gleichnis Gottes im Menschen: "allein das Bild
und Gleichniß Gottes, der Mensch, welcher die züchtige Jungfrau der Weisheit
Gottes in sich hatte: so drang der Geist dieser Welt also hart auf die Bildniß
nach der Jungfrau; hiermit seine Wunder [S. 36] zu offenbaren, und besaß den
Menschen, davon er erst seinen Namen Mensch kriegte, als eine vermischte
Person" (III, 188). Das ursprüngliche, reine Bild des Menschen ist das
Jungfrau-Jüngling-Bild. Das Sophianische ist das konstitutive Kennzeichen des
Menschen als eines ganzheitlichen Wesens. Die Jungfrau ist auch die Göttliche
Weisheit. Böhmes deutlichste Bestimmung der Sophia lautet: "Die Weisheit
Gottes ist eine ewige Jungfrau, nicht ein Weib, sondern die Zucht und
Reinigkeit ohne Makel, und stehet als ein Bildniß Gottes, ist ein Ebenbild der
Dreizahl" (Vom dreifachen Leben des Menschen, IV, 70). An einer anderen
Stelle heißt es: "Und die Jungfrau der Weisheit Gottes, welche Gott der
Vater durchs Wort ausspricht, ist der Geist des reinen Elements, und wird darum
eine Jungfrau genannt, daß sie also züchtig ist und nicht gebieret, sondern als
der flammende Geist im Menschen-Leibe nichts gebieret" (III, 295). Andere
entsprechende Stellen lauten: "Dieses Ausgesprochene ist ein Bildniß der
hl. Dreizahl, und eine Jungfrau, aber ohne Wesen, sondern eine Gleichniß
Gottes: in dieser Jungfrau eröffnet der heilige Geist die großen Wunder Gottes
des Vaters, welche sind in seinen verborgenen Siegeln" (IV, 69).
"Diese Weisheit Gottes, welche ist eine Jungfrau der Zierheit und Ebenbild
der Dreizahl, ist in ihrer Figur eine Bildniß gleich den Engeln und Menschen,
und nimmt ihren Urstand im Centro auf dem Kreuz, als eine Blume des Gewächses
aus dem Geiste Gottes" (IV, 71). Böhme wiederholt immer wieder: "Die
Weisheit Gottes ist eine ewige Jungfrau". Sophia, die ewige Jungfrau, die
Jungfräulichkeit, ist ein himmlisches Element im Menschen. Böhme lehrt entschieden,
dass die Sophia nicht geschaffen ist: "die Jungfrau ist ewig, ungeschaffen
und ungeboren: [S. 37] sie ist Gottes Weisheit und ein Ebenbild der
Gottheit" (IV, 156). Daher ist für Böhme auch der Mensch mehr als ein
Geschöpf, in ihm ist ein ewiges, himmlisches, göttliches Element, ein
sophianisches Element. Die Seele war die Jungfrau, der Mensch ist mit
Jungfräulichkeit geschaffen, mit einer keuschen Seele, d.h., ihm wurde ein
himmlisches, göttliches Element gegeben. Man muss die Jungfrau Sophia im
Menschen suchen. "Denn er weiß die Jungfrau nun nirgends zu suchen als im
Menschen, da er sie zum ersten hat erblicket" (III, 141). Darin besteht im
Wesentlichen der anthropologische Charakter der Sophiologie. Die Erscheinung
des androgynen, männlich-weiblichen Menschen und die Erscheinung des irdischen
geschlechtlichen Menschen, des Mannes und der Frau, sind verschiedene Momente
des anthropogonischen und kosmogonischen Prozesses, verschiedene Etappen der
Weltschöpfung. Zwischen diesen Momenten liegt eine Katastrophe. Der irdische
Mensch hat eine himmlische Präexistenz. "Die Bildniß ist in Gott eine
ewige Jungfrau in der Weisheit Gottes gewesen, nicht eine Frau, auch kein Mann,
aber sie ist beides gewesen; wie auch Adam beides war vor seiner Heven, welche
bedeutet den irdischen Menschen, darzu thierisch: denn nichts bestehet in der
Ewigkeit, was nicht ewig gewesen ist" (IV, 96). Das androgyne,
sophianische Bild Adams ist die himmlische Präexistenz des Menschen. Nur
deswegen erbt er auch die Ewigkeit. "Adam war vor seiner Eva die züchtige
Jungfrau, kein Mann und kein Weib, er hatte beide Tincturen, die im Feuer und
die im Geiste der Sanftmuth, und hätte können selber auf himmlische Art, ohne
Zerreißung gebären, wäre er nur in der Proba bestanden. Und wäre je ein Mensch
aus dem andern geboren worden, auf Art, wie Adam in seiner jungfräulichen Art
ein Mensch und Bildniß Gottes ward: [S. 38] denn was aus dem Ewigen ist, das
hat auch ewige Art zu gebären, sein Wesen muß ganz aus dem Ewigen gehen, sonst
bestehet nichts in Ewigkeit" (IV, 261). Der Mensch ist in der Ewigkeit
entschlafen und in der Zeitlichkeit wieder erwacht. Er war nicht zuerst in der
Zeitlichkeit; er ist ein Kind der Ewigkeit. Das Sophianische, Androgyne, die
Männlich-Weiblichkeit ist ja ein Zeichen der Ewigkeit im Menschen. Indem der
Mensch die Jungfrau verlor, d.h., das androgyne Bild, verlor er das Paradies.
"Adam war ein Mann und auch ein Weib, und doch der keines, sondern eine
Jungfrau, voller Keuschheit, Zucht und Reinigkeit, als das Bild Gottes; er
hatte beide Tincturen vom Feuer und Licht in sich, in welcher Conjunction die
eigene Liebe, als das jungfräuliche Centrum stund, als der schöne paradeisische
Rosen- und Lustgarten, darinnen er sich selber liebete" (Mysterium Magnum,
V, 94); "das Bild Gottes ist eine männliche Jungfrau, weder Weib noch
Mann" (V, 140). Die gefallene Seele ruft aus: "Gieb mir zu trinken
deines süßen Wassers der ewigen Jungfrauschaft!" (V, 409).
Die Jungfräulichkeit des
Menschen bedeutet nicht Losgelöstheit und Isolierung der männlichen Natur von
der weiblichen und der weiblichen von der männlichen, sondern umgekehrt ihre
Einheit. Der jungfräuliche Mensch ist nicht der geschlechtliche Mensch, er ist
kein isolierter Mensch, keine Hälfte. Mann und Frau sind geschlechtlich, d.h.
halbe, isolierte Wesen. Askese und Absage an die andere Hälfte, die männliche
bzw. weibliche, ist noch keine Ganzheit und Jungfräulichkeit, bringt dem
Menschen seine verlorene Jungfrau noch nicht zurück. Dies folgt aus der Lehre
Böhmes von der Sophia und vom Androgynen. Darin liegt die Originalität Böhmes.
Die mystische Intuition Böhmes über das Androgyne kann durch [S. 39] die
zeitgenössische Wissenschaft bestätigt werden, welche die
Doppelgeschlechtlichkeit der menschlichen Natur anerkennen musste. Die
geschlechtliche Differenzierung der männlichen und weiblichen Natur hat keinen
absoluten Charakter. (2) Der Mensch ist ein zweigeschlechtliches Wesen, doch
mit verschiedenem Grad der Präsenz des männlichen und weiblichen Prinzips. Ein
absolut geschlechtliches, d.h., absolut männliches oder absolut weibliches
Wesen, wäre kein Mensch. Eine Frau, die in sich kein männliches Element trägt,
wäre kein Mensch, sondern ein kosmisches Element. In ihr wäre keine
Persönlichkeit. (3) Ein Mann, der in sich kein weibliches Element trägt, wäre
ein abstraktes Wesen, ohne jede kosmische Grundlage und ohne Verbindung mit dem
kosmischen Leben. Die Natur der androgynen Persönlichkeit wird durch die
Verbindung des männlichen und weiblichen Prinzips geschaffen. Doch das
männliche Prinzip ist vor allem ein anthropologisches und schöpferisches
Prinzip, das weibliche vor allem ein kosmisches und gebärendes. In dieser
Richtung können die intuitiven Einsichten Böhmes entfaltet werden. Der
mystische Sinn der Liebe besteht ja im Suchen des androgynen Bildes, d.h. der
Ganzheit, welche in den Grenzen der psycho-physischen Organisation des Menschen
unzugänglich ist und einen Ausweg aus ihr voraussetzt. (4) Das androgyne Bild
des Menschen hat unter den Bedingungen unserer Natur keine adäquate
Entsprechung auf der Erde. Der Hermaphroditismus ist eine garstige [S. 40] und
krankhafte Karikatur. Der Mythos über das androgyne Wesen gehört zu den
tiefsten und ältesten Mythen der Menschheit. Er rechtfertigt auch eine tiefere,
esoterische Auslegung des Buches Genesis, obwohl er nicht zu den herrschenden
theologischen Lehren gehört. Die androgyne Lehre kann man in der Kabbala
finden. Die androgyne Lehre wird gefürchtet und abgelehnt von denjenigen
theologischen Lehren, die in Folge seines esoterischen Charakters den Himmlischen
Menschen, Adam Qadmon, ablehnen, und nur einen irdischen, natürlichen,
empirischen Menschen lehren, d.h., sie erkennen nur eine alttestamentliche
Anthropologie an, die retrospektiv vom Gesichtspunkt der Sünde aus entwickelt
wurde. Böhme aber entwickelte eine himmlische, seraphische Anthropologie über
die himmlische Herkunft des Menschen. Die Anthropologie Böhmes ist verbunden
mit der Christologie. Seine Christologie und Mariologie sind verbunden mit der
Lehre über die Sophia und das Androgyne.
Böhme lehrte entschieden die
Androgynität Christi: "er weder Mann noch Weib war, sondern eine männliche
Jungfrau" (Mysterium Magnum, V, 463). Böhme lehrte, dass Gott nur in
Christus ganz Persönlichkeit wurde, in der Zweiten Hypostase, daher muss Christus
androgyn sein, Jungfrau-Jüngling, d.h. ein Bild der vollkommenen Persönlichkeit
(vgl. V, 32). Christus war nicht nur selbst kein Mann oder eine Frau in unserem
irdischen Sinne, sondern Er hat uns auch befreit von der Macht des Männlichen
und des Weiblichen. "Und als Christus am Kreuz unser jungfräulich Bild
wieder erlösete vom Manne und Weibe, und mit seinem himmlischen Blute in
göttlicher Liebe tingirte; als er dieß vollbracht hatte, so sprach er: Es ist
vollbracht!" (V, 101). Christus wandelte die böse Natur Adams um (vgl. V,
133). Mit dem Apostel Paulus lehrt Böhme stets von Adam und Christus, vom Alten
[S. 41] und Neuen Adam. "Christus wurde ein Gottmensch, und Adam und
Abraham in Christo ein Menschgott" (V, 287). Dies bedeutet ja, dass Gott
Mensch wurde, damit der Mensch vergöttlicht werde. (c) Bei Böhme kann man
Elemente der Lehre vom Gottmenschentum finden, die im russischen Denken
hauptsächlich Vl. Solov'ev entwickelte. Christus starb in Seiner menschlichen
Selbstständigkeit im Göttlichen Zorn und erstand in der Ewigkeit im Göttlichen
Willen (vgl. V, 316). Die menschliche Natur muss bestehen bleiben.
"Verstehet, daß die Natur des Menschen soll bleiben, und ist nicht ganz
von Gott verstoßen, daß also ein ganz fremder neuer Mensch sollte aus dem Alten
entstehen; sondern aus Adams Natur und Eigenschaft, und aus Gottes in Christi
Natur und Eigenschaft, daß der Mensch sei ein Adam-Christus; und Christus ein
Christus-Adam; ein Menschgott, und ein Gottmensch" (V, 420). Hier haben
natürlich die Worte "Menschgott" und "Gottmensch" eine
andere Bedeutung als bei Dostoevskij. Böhme denkt wagemutig die christliche
Lehre von Adam und Christus zu Ende. "Nun ist aber doch Adam in seiner
Natur, und Christus in der göttlichen Natur Eine Person worden, nur ein einiger
Baum" (V, 421). Dies ist es, was ich "Christologie des Menschen"
nenne. (5) In Christus wird der Mensch zum Himmel erhoben, zur Hl.
Dreieinigkeit. Der Mensch-Adam wird durch das Sterben des bösen Willens in
Christus umgewandelt (vgl. V, 528). Dies bedeutet aber nicht, dass nach Böhme
Christus nur ein vergöttlichter Mensch wäre. Christus ist die Zweite Hypostase
der Hl. Dreieinigkeit, doch in der Zweiten Hypostase ist die himmlische
Menschheit gegenwärtig. In der traditionellen Theologie wurde die Lehre, [S.
42] dass Christus der zweite Adam ist, nie zu Ende gedacht. Der exoterische
Charakter der Theologie wurde durch die Unterwerfung des Menschen unter die
Sünde bestimmt. Böhme bemühte sich, weiter und tiefer zu sehen, doch er drückt
das, was er sieht, antinomisch aus, widersprüchlich, zuweilen auch dunkel.
Anfangs fühlte er, dass der Mensch in drei Welten lebt, in der Finsternis, im
Licht und in der äußeren Welt (vgl. Der Weg zu Christo, I, 104). Von daher
kommt die Schwierigkeit des Menschen in Schau und Erkenntnis; das Licht wird
durch Finsternis und die äußerliche Welt entstellt. Nach Böhme nahm aber
Christus seine Menschheit nicht nur vom Himmel, sondern auch von der Erde,
sonst wäre Er uns fremd geblieben und könnte uns nicht befreien (vgl. III,
302). Böhme war kein Monophysit. Er sagt über Christus: "Also verstehest
du, daß dieser Engel größer ist als ein Engel im Himmel; denn er hatte (1)
einen himmlischen Menschenleib, und hat (2) eine menschliche Seele, und (3) hat
er die ewige Himmelsbraut, die Jungfrau der Weisheit, und hat (4) die heilige
Trinität; und können wir recht sagen: Eine Person in der heiligen
Dreifaltigkeit im Himmel, und ein wahrer Mensch im Himmel, und in dieser Welt
ein ewiger König, ein Herr Himmels und der Erden" (III, 307). Die
Menschwerdung Christi führt dazu, dass Seine Menschheit überall ist. "Nun
so er denn Mensch ist worden, so ist ja seine Menschheit überall gewesen, wo
seine Gottheit war; denn du kannst nicht sagen, daß ein Ort im Himmel und in
dieser Welt sei, da nicht Gott sei: wo nun der Vater ist, da ist auch sein Herz
in ihm, da ist auch der heilige Geist in ihm. Nun ist sein Herz Mensch worden,
und ist in der Menschheit Christi" (III, 316). Dieser Gedanke über die
Allgegenwart Christi und Seine Menschwerdung im ganzen [S. 43] Leben ist im
russischen Denken Bucharev sehr nah. (d) Die Lehre Böhmes vom Sterben des Alten
Adam und der Wiedergeburt in Christus entspricht völlig der traditionellen
christlichen Lehre. In Bezug auf die Wiedergeburt lehrt er auch, dass Christus
bereits im Menschen lebt, wie alle christlichen Mystiker lehrten. Dies ist eine
Entfaltung der Lehre des Apostels Paulus. Er sagt häufig: So "wohnet denn
Christus in Adam, und Adam in Christo". Böhme hält die Annäherung zwischen
Gott und Mensch, Himmel und Erde für das innerste Wesen des Christentums.
"Gott muß Mensch werden, Mensch muß Gott werden, der Himmel muß mit der
Erde Ein Ding werden, die Erde muß zum Himmel werden" (De Signatura Rerum,
IV, 374). Hier wird deutlich, wie sehr eine Beschuldigung Böhmes, er neige zum
manichäischen Dualismus, ungerechtfertigt ist. Für Böhme ist charakteristisch,
dass er immer Rettung vor dem Bösen im Herzen Jesu Christi suchte, und in Ihm
die Kraft zur Befreiung [vom Bösen] und zur Umgestaltung der Welt fand. Doch
origineller in der Christologie Böhmes ist ihre Verbindung mit der Lehre von
der Jungfräulichkeit, d.h. dem Sophianischen, und der daraus entwickelten
Mariologie. Die Intuition von der Sophia und vom androgynen Bild des Menschen
bleibt die Grundlage der Intuition des Lichtes bei Böhme, wie die Intuition vom
Ungrund Grundlage der Intuition von der Finsternis ist.
II.
Böhme fühlte tief, dass das
innerste Wesen des Christentums damit verbunden ist, dass Christus von einer
Jungfrau und dem Heiligen Geist geboren ist. Darin unterscheidet er sich
wesentlich vom späteren Protestantismus, der den Glauben an die Jungfrauschaft
der Mutter Gottes verloren hat, ja, auch von Luther selbst, dem eine Verehrung
der Gottesmutter fremd war. Als Böhme zum ersten Mal [S. 44] das Wort
"Idee" hörte, rief er aus: "Ich sehe die reine, himmlische
Jungfrau". Dies war die Intuition von der Sophia. Gott wurde in
Jungfräulichkeit Mensch: "und in dieser lebendigen Jungfrauschaft, als in
Adams himmlischer Matrice, ward Gott Mensch" (V, 465). Damit Gott in die Welt
kommen konnte, musste in dem Geschlechte Adams und Evas eine reine Jungfrau
erscheinen. "Sollte uns armen Hevä Kindern nun gerathen werden, so mußte
eine andere Jungfrau kommen, und uns einen Sohn gebären, der da wäre Gott
mit uns, und Gott in uns" (III, 296). Die Sophiologie Böhmes
konkretisiert sich in der Mariologie. Nach dem Sündenfall des Menschen
entfliegt die Jungfrau Sophia in den Himmel, auf der Erde aber erscheint die
Frau Eva. Die Jungfrau Adams verwandelt sich in die Frau Adams, und in der Frau
verbleibt nur ein Element der Jungfräulichkeit (V, 327). Die Jungfrau-Sophia
kehrt in Maria auf die Erde zurück, in der Gottesmutter. Maria erhält ihre
makellose Jungfräulichkeit nicht aus ihrem Geschlecht, nicht aus ihrer Geburt
aus der Stammmutter Eva, sondern aus der Himmlischen Jungfrau. Die Sophia
steigt auf sie hernieder und wird in ihr Mensch. "Also auch sagen wir von
Maria: sie hat ergriffen die heilige, himmlische, ewige Jungfrau Gottes, und
angezogen das reine und heilige Element mit dem Paradeis, und ist doch
wahrhaftig eine Jungfrau in dieser Welt, von Joachim und Anna gewesen. Nun aber
wird sie nicht eine heilige, reine Jungfrau genannt nach ihrer irdischen
Geburt: das Fleisch, das sie von Joachim und Anna hatte, war nicht rein ohne
Makel; sondern nach der himmlischen Jungfrau ist ihre Heiligkeit und
Reinigkeit" (Die drei Principien göttlichen Wesens, III, 298). Und weiter:
"die Seele Mariä hat die himmlische Jungfrau ergriffen, und die himmlische
Jungfrau hat der Seele Mariä das himmlische neue, reine Kleid des [S. 45]
heiligen Elements, aus der züchtigen Jungfrauen Gottes als aus Gottes
Barmherzigkeit, angezogen, als einen neuen wiedergebornen Menschen" (III,
298f). Nach Böhme verbleibt die Jungfrau im Himmel: "Die Jungfrau aber,
als die göttliche Kraft, stehet im Himmel" (III, 119). In der Mariologie
Böhmes machen sich sehr starke katholische Elemente bemerkbar. Bei ihm findet
sich eine echte Verehrung der Gottesmutter, die der protestantischen Welt
völlig fremd ist. In einigen Formulierungen kommt Böhme dem Dogma von der
Unbefleckten Empfängnis sehr nah. Er erkennt das Wirken Gottes an der Jungfrau
Maria in einem besonderen Gnadenakt an, in dem Er sie gleichsam aus dem
sündhaften Geschlecht Evas herausnahm. Natürlich entspricht die Formulierung
Böhmes nicht den Forderungen der rationalen Exaktheit der katholischen
Theologie, aber er ist im Wesentlichen der katholischen Verehrung der Jungfrau
Maria sehr nah. Böhme unterscheidet zwei Elemente in Maria, ein himmlisches,
aus der Sophia, aus der ewigen Jungfräulichkeit, und ein irdisches, aus Adam
und Eva. Das himmlische, jungfräuliche Element überwiegt bei ihr (vgl. Von der
Menschwerdung Christi, VI, 206). Der Unterschied des Böhmeschen Gesichtspunkts
vom katholischen Dogma besteht darin, dass das Dogma von der Unbefleckten
Empfängnis die Jungfrau Maria unter instrumentalem Aspekt sieht, als Werkzeug
der Göttlichen Vorsehung zum Heil, während Böhme hier den Kampf
widerstreitender Elemente sieht. Das Herabkommen der Himmlischen Jungfrau auf
Maria ist Wirken des Heiligen Geistes: "Himmlische Jungfrau ist ein
Glast [Glanz] und Spiegel des hl. Geistes" (Ein anderer Schlüssel des
Autoris, VI, 697). Das Bild Mariens ist für Böhme auch ein androgynes Bild, wie
jedes jungfräuliche, ganzheitliche Bild. Böhme vertrat keinen Kult der ewigen
Weiblichkeit, sondern einen Kult der ewigen Jungfräulichkeit. Der Kult der
Jungfrau ist Kult der Sophia, der Weisheit Gottes, denn die Weisheit Gottes ist
die ewige, [S. 46] Himmlische Jungfrau. Das weibliche Element Evas kann kein
Gegenstand der Verehrung sein. Sie ist nicht weisheitlich, sophianisch,
sondern in ihr ist ein Element des Sophianischen, d.h. der Jungfräulichkeit.
Die Sophiologie Böhmes hat
keinen geschlechtlichen Charakter, sie ist nicht mit dem gebärenden Geschlecht
verbunden. Heilig und heilsam für die Welt ist nur die Geburt aus der Jungfrau
und dem Heiligen Geist. Die Geburt Christi aus der Jungfrau verwandelt und
heiligt aber das weibliche Geschlecht, befreit von negativer Weiblichkeit.
"Darum ward Christus von einer Jungfrau geboren, daß er die weibliche
Tinctur wieder heiligte, und in die männliche Tinctur wandelte, auf daß der
Mann und das Weib wieder ein Bild Gottes würden, und nicht mehr Mann und Weib
wären, sondern männliche Jungfrauen, wie Christus war" (V, 482).
Die Verklärung, die Vergöttlichung des Menschengeschlechtes, des männlichen wie
des weiblichen, ist immer eine Verwandlung in jungfräuliche, androgyne Natur.
"Und als Christus am Kreuz unser jungfräulich Bild wieder erlösete vom Manne
und Weibe, und mit seinem himmlischen Blute in göttlicher Liebe tingirte; als
er dieß vollbracht hatte, so sprach er: Es ist vollbracht!" (V, 101).
Böhme war einer der wenigen, der die metaphysische Tiefe des Geschlechtes
verstand. Was in theologischen Traktaten über das Geschlecht gesagt wird, trägt
einen kläglichen und oberflächlichen Charakter. Es verfolgt nur
moralistisch-pädagogische Ziele. Die ganze Metaphysik Böhmes, seine ganze Lehre
über den Sündenfall und das Heil sind mit der Tiefe des Geschlechtes verbunden,
mit dem Verlust der Jungfrau-Sophia und ihrer Wiedergewinnung. Die menschliche
Seele muss sich mit seiner Jungfrau vereinigen. "Und die Jungfrau soll
sein unsere Braut und werthe Krone, die wird uns geben ihre Perle und schöne
Krone und kleiden mit ihrem Schmuck: darauf wollen wir's wagen um der Lilie
willen, ob wir gleich werden großen Sturm erwecken, und ob der Antichrist von
uns hinrisse die Frau, so muß uns doch die [S. 47] Jungfrau bleiben; denn wir
sind mit ihr vermählet. Ein jedes nehme nur das seine, so bleibet mir das
meine" (III, 117f). Die Wiedergeburt der Seele ist verbunden mit der
Begegnung mit der Jungfrau: "so wird dir entgegnen die züchtige Jungfrau
hoch und tief in deinem Gemüthe; die wird dich führen zu deinem Bräutigam, der
den Schlüssel hat zu den Thoren der Tiefe. Vor dem mußt du stehen, der wird dir
geben von dem himmlischen Manna zu essen [vgl. Apk 2,17]: das wird dich
erquicken, und wird stark werden und ringen mit den Thoren der Tiefe. Du wirst
durchbrechen als die Morgenröthe: und ob du gleich allhier in der Nacht
gefangen liegest, so werden dir doch die Strahlen der Morgenröthe des Tages im
Paradeise erscheinen, in welchem Orte deine züchtige Jungfrau stehet, und
deiner mit der freudenreichen Engelschaar wartet; die wird dich in deinem neuen
wiedergebornen Gemüthe und Geiste gar freundlich annehmen" (III, 184f).
Obwohl die metaphysische Tiefe des Geschlechtes im Zentrum seiner Schau steht,
ist es bemerkenswert, dass Böhmes Sophienlehre sich durch himmlische Klarheit
und Selbstständigkeit auszeichnet, völlig frei von Undeutlichkeit. Das
Geschlechtliche ist vollständig sublimiert. Zugleich aber gibt es in ihr nicht
jene Unbeschwingtheit und Dürre, die in Folge geschlechtslosen Denkens
auftritt. Böhme strebt nicht eine negative Geschlechtslosigkeit an, welche
trockene asketische Lehren kennzeichnet, sondern eine positive jungfräuliche
Ganzheit, d.h. eine Verklärung des Geschlechtlichen, eine Verklärung des
Menschen, der [bisher] ein geschlechtliches, zerrissenes Wesen ist. Jungfräulichkeit
ist nicht Geschlechtslosigkeit, sondern vergöttlichte Geschlechtlichkeit.
Ganzheit und Fülle sind nicht mit einem Verzicht auf das Geschlechtliche
verbunden, sondern mit der Verwandlung des Geschlechtlichen, mit der Stillung
des Sehnens des Geschlechtes nach Ganzheit. Darin besteht der mystische Sinn
der Liebe, der auch Böhme selbst nicht genügend deutlich war.