Jakob Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit.
Von Nikolai Berdjajew, Clamart.
(Einzig berechtigte Übersetzung von Hans Ruoff.)*
Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanze in der Erden,
Der Vogel in der Luft, die Sonn am Firmament,
Der Salamander muß mit Feuer erhalten werden,
Und Gottes Herz ist Jakob Böhmes Element.
Angelus Silesius.
I.
[S.
315] Jakob Böhme ist als der größte unter den christlichen Gnostikern
anzuerkennen. Das Wort "Gnosis" gebrauche ich hier nicht im Sinne der
Heresien [sic] der ersten christlichen Jahrhunderte (1), sondern im Sinne eines
Wissens, das auf Offenbarung beruht und sich nicht der Begriffe, sondern der
Symbole und Mythen bedient; im Sinne eines schauenden, und nicht eines
diskursiven Wissens. Gerade das aber ist religiöse Philosophie oder Theosophie.
Es ist für J.Böhme bezeichnend, daß er eine große Schlichtheit des Herzens,
eine kindliche Reinheit der Seele besaß. Darum konnte er in der Sterbestunde
ausrufen: "Nun fahre ich ins Paradeis". Er war kein Gelehrter, kein
Büchermensch, kein Mann mit gründlicher Schulbildung, sondern ein einfacher
Handwerker, ein Schuster. Er gehört zum Typus der Volksweisen. Er kannte weder
Aristoteles, noch Pseudo-Dionysius Arepagita, ja selbst die mittelalterliche
Scholastik und Mystik waren ihm unbekannt. Es lassen sich bei ihm nicht, wie
bei den meisten christlichen Mystikern, unmittelbare Einflüsse des
Neuplatonismus feststellen. Er zehrte vor allem von der Bibel (2) und las
außerdem Paracelsus, Seb. Franck, Weigel, Schwenckfeld. Er lebte in der
Atmosphäre der deutschen mystisch-theosophischen Strömungen seiner Zeit. Böhme
ist kein Philosoph im schulmäßigen Sinne dieses Wortes, er ist vor allem
Theosoph, Visionär und Mythenschöpfer, aber sein Einfluß auf die deutsche Philosophie
[S. 316] ist ein ungeheurer. Er dachte nicht in klaren und ausgeprägten
Begriffen, sondern in Symbolen und Mythen. Er war der Überzeugung, das
Christentum sei entstellt durch die Gelehrten und Theologen, durch die Pfaffen
und Kardinäle. Böhme war seinem Glaubensbekenntnis nach Lutheraner und empfing
als Sterbender das Abendmahl von einem Pastor. Aber die lutherische
Geistlichkeit verfolgte und peinigte ihn, sie verbot den Druck seiner Werke.
Eine für alle Glaubensbekenntnisse typische Erscheinung. Wie die Mehrzahl der
Mystiker und Theosophen war auch er überkonfessionell. Es lassen sich in ihm,
trotz seiner extremen Feindschaft gegen den Papismus, starke katholische
Elemente aufdecken. Die Herkunft von Böhmes Wissen ist ein sehr verwickeltes
Problem. Es ist das Problem, ob persönliche gnostische Offenbarung und
Erleuchtung, ein besonderes Charisma der Erkenntnis möglich sei. Wenn man auch
heute zu der Annahme neigt, daß Böhme mehr gelesen habe, als man früher meinte,
so läßt sich doch Böhmes Lehre gewißlich am allerwenigsten aus Entlehnungen und
Einflüssen erklären (eine Erklärung, die sich auf keinen einzigen originellen
und bedeutenden Denker anwenden läßt). Eckehard war ein gelehrter und belesener
Mann, er kannte Aristoteles, Pseudo-Dionysius Areopagita, Thomas Aquinas, die
mittelalterliche Scholastik und Mystik. Böhme verdankte alles sich selber, und
er hat zweifelsohne ursprüngliche Intuitionen gehabt. Böhme selber sagt von den
Quellen seiner Erkenntnis: "Ich brauche ihrer Art und Weise und ihrer Formeln
nicht, weil ich es von ihnen nicht gelernt habe; ich habe einen andern
Lehrmeister, und der ist die ganze Natur. Von dieser ganzen Natur mit
ihrer instehenden Geburt habe ich meine Philosophie, Astrologie und Theologie
studiert und gelernt, und nicht von oder durch Menschen" (Werke II, 255).
(3) Hier spürt man die Renaissance-Auflehnung gegen die Scholastik und die
Hinwendung zur Natur selber. Zugleich ist Böhme überzeugt, nicht durch seine
eigenen menschlichen Kräfte, sondern mit Hilfe des Heiligen Geistes zu
Erkenntnissen zu gelangen: "In meinen eigenen Kräften bin ich so ein
blinder Mensch, als irgendeiner ist, und vermag nichts, aber im Geiste Gottes
siehet mein eingeborener Geist durch Alles, aber nicht immer beharrlich;
sondern wenn der Geist der Liebe Gottes durch meinen Geist durchbricht, alsdann
ist die animalische Geburt und die Gottheit ein Wesen, eine Begrifflichkeit und
ein Licht" (Werke II, 260). Die Geheimnisse der Gottheit zu erkennen, ist
ihm Sophia selber behilflich. Er glaubt, Gott "wird dich zum lieben Kinde
annehmen und dir ein neu Kleid der edeln Jungfrauen Sophiae anziehen, und einen
Siegelring (Mysterii Magni) an deine Hand des Gemüts [S. 317] stecken; und in
demselben Kleide (der neuen Wiedergeburt) hast du allein Macht, von der ewigen
Geburt Gottes zu reden" (Werke III, 26-27).
Im
Unterschied zu den meisten Mystikern schreibt Böhme nicht von seiner eigenen
Seele und nicht von seinem eigenen geistigen Weg, nicht von dem, was ihm
widerfuhr, sondern von dem, was mit Gott, mit der Welt und mit dem Menschen
geschah. Das ist ein Zug, durch den sich die mystische Theosophie von der
reinen Mystik unterscheidet. Böhmes Mystik gehört zum gnostischen Typus. Aber
Böhme erkennt Gott und die Welt durch den Menschen, seine Erkenntnis geht aus nicht
vom Objekt, sondern vom Subjekt, obwohl Naturphilosophie und Kosmologie in ihr
vorherrschen. "Die sichtbare Welt ist eine Offenbarung der innern
geistlichen Welt, aus dem ewigen Lichte und aus der ewigen Finsternis, aus dem
geistlichen Gewirke; und ist ein Gegenwurf der Ewigkeit, mit dem sich die
Ewigkeit hat sichtbar gemacht" (Werke I, 144). Der Himmel offenbare sich
im Menschen. "Ich bin auch nicht in den Himmel gestiegen und habe alle
Werke und Geschöpfe Gottes gesehen, sondern derselbe Himmel ist in meinem
Geiste offenbaret, daß ich im Geist erkenne die Werke und Geschöpfe
Gottes" (II, 19). Für Böhme sind die natürlichen physischen Elemente
zugleich auch seelische Elemente. In der Natur sieht er das gleiche wie im
Geist. Der Mensch – ein Mikrotheos und Mikrokosmos. Himmel und Hölle sind in
der Seele des Menschen. Nur darum sei ja die Erkenntnis Gottes und der Welt
möglich. Die unsichtbare geistige Welt sei die Grundlage der sichbaren
materiellen Welt. Man könne Gott nur in der Tiefe des eigenen Herzen finden.
Nicht in Akademien und Büchern sei nach der göttlichen Weisheit zu suchen.
Böhmes Weltanschauung ist eine symbolische: "Die ganze äußere sichtbare
Welt mit all ihrem Wesen ist eine Bezeichnung oder Figur der inneren
geistlichen Welt; alles was im Innern ist, und wie es in der Wirkung ist, also
hats auch seinen Charakter äußerlich" (IV, 346). Die physischen
Eigenschaften bedeuten geistige. Die Vorrede zu Böhmes größtem Werk, dem
"Mysterium Magnum", beginnt mit der Behauptung, die sichtbare Welt
sei ein Symbol der unsichtbaren, geistigen: "Die sichtbaren empfindlichen
Dinge sind ein Wesen des Unsichtbaren; von dem Unsichtlichen, Unbegreiflichen
ist kommen das Sichtbare, Begreifliche" (V, 3). Die Welt sei ein Symbol
Gottes: "Diese Welt ist ein Gleichnis nach Gottes Wesen, und ist Gott in
einem irdischen Gleichnis offenbar" (VI, 319). Gotteserkenntnis ist die
Geburt Gottes in der Seele. Solche Erkenntnis sei nur durch Erleuchtung der
Seele vom Geiste Gottes möglich. Böhme begreift sehr gut, daß der menschlichen
Erkenntnis Grenzen gesetzt sind, er spricht von der Dummheit der menschlichen
Weisheit. Aber er hat auch zugleich einen sehr hohen Begriff von der
Erkenntnis. Gotteserkenntnis [S. 318] sei Pflicht des Menschen, dazu sei er
geschaffen. Böhme ist Symbolist, aber er ist kein Idealist im Sinne des
deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts. Er ist Realist. Er hat den
lebendigen Zusammenhang mit dem realen Sein nicht verloren, hat sich noch nicht
eingeschlossen in der Welt des vom Sein abgezogenen Denkens und in der Welt der
subjektiven Erlebnisse. Böhmes Kontemplation ist eine realistisch-symbolische.
Erkenntnis der geistigen Welt war für ihn ein Verweilen in ihr, ein Leben in
ihr. Das Sein verwandelte sich für ihn nicht in ein dem Subjekt gegenüberstehendes
Objekt. Die Erkenntnis vollzieht sich für ihn im Sein selber, ist ein
Geschehnis im Innern des Seins.
Böhmes
Gnosis war eine erfahrungsmäßige und lebendige, sie entstand aus der Qual um
das Schicksal des Menschen und der Welt. Böhme hatte eine kindlich reine,
gütige, mitleidige Seele. Aber sein Lebensgefühl war herb, unsentimental. Seine
grundlegende Intuition vom Sein war die Intuition des Feuers. Hierin war er
Heraklit verwandt. Er hat ein ungewöhnlich feines und starkes Gefühl für das
Böse im Leben. Er sieht überall einen Kampf entgegengesetzter Prinzipien, einen
Kampf zwischen Licht und Finsternis. Im Empfinden der Macht des Bösen und des
Kampfes zwischen Gott und dem Teufel, zwischen Licht und Finsternis steht er
den Quellen der Reformation, der Erfahrung Luthers nahe. (4) Gott empfindet er
nicht nur als Liebe, sondern auch als Groll, als Zorn. Er empfindet in Gott
eine bittere und herbe Eigenschaft. Hier bedeuten physische Eigenschaften auch
geistige. Er sieht die finstre Natur, den irrationalen Abgrund in der Gottheit
selber. Seinem Lebensgefühl nach steht Böhme bereits an der Schwelle der
Neuzeit. Er wurzelt noch im Mittelalter, ihm haftet der mittelalterliche
mystische Realismus an. Aber in ihm brodelt bereits das Blut des Reformations-
und Renaissancemenschen. Er hat eine renaissancemäßige Einstellung zum
kosmischen Leben, zur Natur und ein Selbstbewußtsein, das über dem des
mittelalterlichen Menschen steht. Was den Dynamismus seiner Weltanschauung,
sein Interesse für Genesis und Werden, sein Gefühl für den Kampf
entgegengesetzter Prinzipien und die für ihn grundlegende Idee der Freiheit
anbelangt, so ist Böhme ein Mensch der Neuzeit. Er betrachtet die Welt bereits
nicht mehr als urewige statische Ordnung, nicht als starres hierarchisches
System. Das kosmische Leben ist ein Kampf, ist ein Werden, ist ein feuriger
dynamischer Prozeß. Das hat gar keine Ähnlichkeit mit der Weltanschauung des
hl. Thomas Aquinas und Dantes. Böhme hat tiefer als die Menschen des
Mittelalters über das Problem vom Ursprung des Bösen, über das Problem der
Theodozee nachgedacht. Ihn quälte sehr die Frage, [S. 319] wieso Gott, Böses
und Leiden voraussehend, die Welt schaffen konnte. Vor dem Bösen und der Qual
des kosmischen Lebens, vor dem Grimm und Zorn des Vaters suchte er Rettung im
Herzen Jesu, des Sohnes. Es gab einen Augenblick, da Böhme meinte, daß Gott die
Welt verlassen habe, und da er den nahen Gott suchte. Wie Koyré ganz richtig
sagt, ging Böhme von der Qual über das Problem des Bösen aus und suchte vor
allem Erlösung, und dann erst Erkenntnis. (5) Wie ist das Böse bei der
Absolutheit der Gottheit zu verstehen? Wie soll man sich vor dem Bösen und vor
dem Groll, dem Zorn der Gottheit retten, die sich noch nicht im Sohne als Liebe
offenbart hat? Seine Qual über das Problem des Bösen macht Böhme den alten
Gnostikern verwandt. Aber seine Lösung unterscheidet sich von der gnostischen
durch ihren unvergleichlich christlicheren Charakter. Jedenfalls gehörte Böhme
zu jener Gattung tiefer Menschen, die durch das Böse und durch die Qual des
kosmischen Lebens verwundet sind. Böhme macht als erster in der Geschichte des
neuzeitlichen Denkens die Entdeckung, welche später im deutschen Idealismus
eine ungeheure Rolle spielen wird, – es könne alles sich nur durch ein anderes,
durch den "Gegenwurf" offenbaren. Das Licht könne sich nicht
offenbaren ohne Finsternis, das Gute nicht ohne das Böse, der Geist nicht ohne
den Gegenwurf der Materie.
II.
Böhme
wollte eine Frage lösen, die viele Philosophen beunruhigte: Wie ist der
Übergang von Gott zur Welt, vom Einen zum Vielfachen, von der Ewigkeit zur Zeit
möglich? Aber er stellte sich auch noch eine vermessenere Frage: Wie entstand
die Göttliche Trinität, wie ward aus dem Göttlichen Nichts, aus dem Absoluten,
die Schöpfung der Welt möglich, wie trat der Schöpfer in Erscheinung, wie
offenbarte sich in Gott die Persönlichkeit? Das Absolute der apofatischen
Theologie und Metaphysik kann nicht Schöpfer der Welt sein. Der Gottschöpfer
der katafatischen Theologie ist ein Korrelat der Schöpfung, des Menschen. So
war das schon bei Eckehard. (6) Die Entrollung von Böhmes Trinitäts-Lehre
gehört hier nicht zu meiner Aufgabe, denn das Thema meiner Studie ist begrenzt.
Böhmes Formulierungen zeichnen sich in dieser Hinsicht nicht immer durch
Exaktheit aus und befriedigen den Dogmatiker nicht. Seine Stärke aber liegt
darin, daß er überall in der Welt und im Menschen das dreieinige Prinzip, die
Spiegelung der Göttlichen Trinität sieht. [S. 320] Die orthodoxe Theologie
fühlte sich stets durch das beunruhigt, was Böhme vom theogonischen Prozeß, von
der Gottesgeburt, von der Bewegung in Gott lehrte. Seine Auffassung Gottes war
eine im höchsten Grade dynamische. Die christlichen theologischen Systeme
arbeiteten eine Lehre von Gott aus, indem sie sich der Denkkategorien der
griechischen Philosophie bedienten. So baut sich die Lehre von Gott als einem
reinen Akt, der keinerlei Potenz in sich berge, gänzlich auf Aristoteles auf.
Die Lehre vom unbeweglichen, sich selber genügenden, statischen Gott entnahm
die christliche Theologie nicht der Bibel, nicht der christlichen Offenbarung,
sondern sie entlehnte sie Parmenides, Plato, Aristoteles. Es spiegelt sich in
ihr das Statische der griechischen Ontologie. Der unbewegliche Gott, Gott als
reiner Akt, ist ein Gottbegriff, aber kein lebendiger Gott. Die herrschende
theologische Doktrin beraubt Gott seines inneren Lebens, leugnet in Gott
jeglichen Prozeß, stellt ihn einem unbeweglichen Stein gleich. Das ist eine
idolatrische Idee. Nicht so sehr der Gott der Bibel, der Gott der Offenbarung.
Er ist voll inneren Lebens und voller Dramatik, in ihm ist Bewegung. Die
Tragödie in Gott ist ja gerade die biblische und mythologische, wenn auch nicht
die theologische Auffassung Gottes. Der die Qualen und Schrecken des Kreuzes
erlebende Gott, der Gott, der das Opfer der Liebe darbringt, ist nicht ein
starrer, sondern ein beweglicher Gott. Die Bewegung in Gott erkannte in
gewissem Sinne auch Augustinus an. L.Bloy definierte Gott als einsamen und
unverstandenen Dulder, und er hatte eher recht als Thomas Aquinas. Die
ungeheure Bedeutung Böhmes besteht darin, daß er nach der Herrschaft der
griechischen Philosophie und der mittelalterlichen Scholastik mit deren
statischer Gottesauffassung das dynamische Prinzip in die Gottesauffassung
hineinträgt, d.h. in Gott das innere Leben, die für jegliches Leben
eigentümliche Tragik sieht. Das hing bei Böhme damit zusammen, daß er
einerseits von der Bibel zehrte und frei von den Kategorien des griechischen
Denkens über sie meditierte, andrerseits aber in seine Gotteschau die Erfahrung
vom Bösen des kosmischen Lebens und von den die Welt zerreißenden
Widersprüchen, vom Kampf des Lichtes mit der Finsternis, des Süßen mit dem
Bitteren, der Liebe mit dem Haß hineintrug. Böhme war eine neue Seele, die dem
Problem des Bösen von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat, sich aber bereits
nicht mehr demütig beugen und auf das Bewußtsein der eigenen Sündigkeit
beschränken konnte. Er wollte den Ursprung und Sinn des Bösen vermessen
erkennen. Hierin war er Gnostiker. Er sah das dunkle Prinzip in den Urquellen
des Seins, hinter dem Sein. Er sah sich gezwungen, ein dunkles Prinzip in der
Gottheit selber und einen positiven Sinn der Existenz des Bösen, das ihn so
quälte, anzunehmen. Aber er verfiel nicht in manichäisch- [S. 321] gnostischen
Dualismus, in Doppelgötterei. Ohne das Böse könne das Gute nicht erkannt
werden. Durch das Böse offenbare sich das Gute. In seiner Denkungsart über
göttliche Dinge ist Böhme kein Neuplatoniker wie die Mehrzahl der christlichen
Mystiker. Auch ist Böhme durchaus kein Monist und lehrt keineswegs von
Emanation. Überall sind bei ihm Wille und Widerspruch. Luthers sittliches
Gefühl des Bösen verwandelte sich bei Böhme in ein metaphysisches. Böhmes
Metaphysik ist voluntaristisch, sie ist nicht intellektualistisch wie die
griechische und mittelalterliche Metaphysik. Böhmes Voluntarismus ist das neue
Prinzip, das er in die Philosophie hineintrug und das die deutsche Philosophie
weiterentwickeln wird. Erst der Böhmesche Voluntarismus hat die Philosophie der
Freiheit möglich gemacht. Der ganze Böhme ist durchsetzt von magischem Willen,
der in seinem Urgrund noch dunkel und irrrational ist. Böhme hatte ein bis ins
Letzte ernstes Verhältnis zum Problem des Bösen, und er trat an dieses Problem
nicht von der pädagogischen und moralistischen Seite, nicht vom Standpunkt der
Säuglingsgängelei heran. Das Sein ist ihm ein feuriger Strom. Und dieses Feuer
in der Finsternis ist kalt und sengend. "Ein jedes Leben ist ein
Feuer" (III, 385). Das Feuer ist Wille. Lechzender, kalter Wille ist der
Ungrund des Seins. Licht und Liebe kommen ihm entgegen. Potentielle Finsternis
liegt in der Urtiefe des Seins, in der Gottheit selber. (7) Sie hängt zusammen
mit der meontischen (8) Freiheit.
Böhmes
geheimnisvolle Lehre vom Ungrund, vom finsteren und irrationalen Abgrund, der
dem Sein vorausgehe, ist ein Versuch, die Kardinalfrage unter allen Fragen, die
Frage nach der Entstehung der Welt und dem Ursprung des Bösen zu beantworten.
Böhmes ganze Lehre vom Ungrund verflicht sich so innig mit der Lehre von der
Freiheit, daß sie sich unmöglich trennen lassen, es ist ein und dieselbe Lehre.
Ich neige dazu, den Ungrund als uranfängliche, nicht einmal von Gott
determinierte meontische Freiheit auszudeuten. Wir werden sehen, daß Böhmes
Lehre vom Ungrund sich nicht durch die einem Begriff eigentümliche Klarheit
auszeichnet. Aber man darf an sie auch nicht mit diesem Anspruch herantreten,
so einen Begriff des Ungrundes kann es gar nicht geben, es handelt sich hier um
ein Gebiet, das jenseits der rationalen Begriffe liegt. In welchem Verhältnis
steht nun Böhmes Lehre zu der traditionellen rationalen Theologie, die von
nichts etwas wissen will, das dem Ungrund entspräche? Ich bin immer der Ansicht
gewesen, daß die von den herrschenden Systemen der rationalen Theologie
ausgearbeitete Theodizee das Verhältnis zwischen Gott und Welt zu [S. 322]
einer Komödie, zu einem Spiel Gottes mit sich selber umwandelt und daß sie ein
Spiegelbild der uralten Sklaverei des Menschen, seiner Bedrückung und
Verängstigung ist. Sie ist eine Ontologie der Sünde. Böhme hingegen möchte das
Geheimnis der Weltschöpfung als Tragödie auffassen, als eine Tragödie nicht nur
des Menschen, sondern auch Gottes. Die rationale, katafatische Theologie wird
nur dadurch gerettet, daß sie sich in einem bestimmten Moment in eine
apofatische Theologie verwandelt und behauptet, wir ständen vor einem
unfaßbaren und unaussprechlichen Geheimnis, vor dem wir uns zu beugen haben.
Aber die katafatische Theologie nimmt zu spät Zuflucht zum Geheimnis, als der
einzigen Rettung und dem einzigen Ausweg, nachdem sie bereits alles
rationalisiert hat, daß einem der Atem vergeht. Die Theologie geht unvermittelt
viel zu weit in ihrer Rationalisierung der göttlichen Geheimnisse und
proklamiert viel zu früh das Veto für die Erkenntnis, damit den Agnostizismus
in seine Rechte einsetzend. Darin unterscheidet sie sich von der Theosophie,
die sowohl die Irrationalität und Geheimnishaftigkeit der göttlichen Dinge mehr
anerkennt, als auch die Möglichkeit unendlicher Bewegung in der Erkenntnis
dieser Geheimnisse, eine Erkenntnis jedoch nicht durch Begriffe, eher zuläßt.
Die Theologie hingegen arbeitet vornehmlich mit Begriffen, insbesondere die
schulmäßige, vortrefflich ausgebildete katholische Theologie. Ich bezeichne
folgende Konzeption der rationalen, katafatischen Theologie als Komödie: Gott,
der vollkommene und unbewegliche, nichtsbedürftige, selbstzufriedene,
allmächtige, allwissende und allgütige, habe die Welt und den Menschen zu
seinem Ruhme und zum Wohle der Schöpfung geschaffen. Der Akt der Weltschöpfung
sei durch nichts hervorgerufen gewesen und habe keinem Bedürfnis Gottes
entsprochen, er sei ein Erzeugnis reinen freien Beliebens, er habe zum
göttlichen Sein nichts hinzugefügt und es durch nichts bereichert. Gott habe
sein Geschöpf, den Menschen, mit der verhängnisvollen Eigenschaft der Freiheit
ausgestattet, er sehe in der Freiheit einen Vorzug seiner Schöpfung und ein
Ebenbild seiner selbst. Der Mensch indes habe von seiner Freiheit einen
schlechten Gebrauch gemacht, er habe sich aufgelehnt gegen seinen Schöpfer, sei
abgefallen von Gott und habe in seinem Fall die ganze Schöpfung mit sich
gerissen. Der Mensch, der den Willen Gottes verletzte, sei der Verdammnis und
der Macht des Gesetzes verfallen. Alle Kreatur seufze und weine [vgl. Röm
8,22]. Soweit der erste Akt. Im zweiten Akt beginnt die Erlösung und findet die
Fleischwerdung Gottes zur Rettung der Kreatur statt. Die Gestalt des Schöpfers
wird abgelöst durch die Gestalt des Erlösers. Bemerkenswert ist aber, daß diese
ganze Kosmologie und Anthropologie nach dem Prinzip des reinen Monotheismus
aufgebaut ist, ohne jegliche Beziehung zu Christus und vor der
Offenbarung der heiligen Drei- [S. 323] einigkeit. Es ist ein dualistischer
Theismus, der nichts von der Dreifaltigkeit der Gottheit weiß, der nur die
monarchische Lehre von Gott kennt, das heißt also eine nicht christliche Lehre.
Die Komödie oder das Spiel Gottes mit sich selber besteht hier darin, daß Gott,
den Menschen mit der Freiheit ausstattend, in seiner Allwissenheit ja doch um
alle Folgen dieser Freiheit wußte – um Sünde, Böses, kosmische Qual und Leiden,
ewige Verderbnis und ewige höllische Qualen einer unbestimmten und offenbar
ungeheuren Anzahl einer von ihm zum Wohle erschaffener Wesen. Der Mensch erweist
sich als nichtiges Spielzeug, das seine Freiheit von außen erhält und dem
zugleich eine das Maß seiner Kräfte übersteigende Verantwortung auferlegt wird.
Er ist groß nur in seinem Fall. Für Gott vollzieht sich alles in der Ewigkeit
und im Akt der Weltschöpfung, in der Ewigkeit indes sind die zeitlichen wie
auch die ewigen Qualen vorausbestimmt. Dies führt unvermeidlich zu der Lehre
von der Prädestination der einen zur Erlösung, der anderen zu ewiger
Verderbnis, einer Lehre, zu der schon Augustinus neigte und die Calvin zu Ende
führte. Gott, der den Menschen schuf, hat ihn zu ewiger Verderbnis vorbestimmt,
denn er weiß um die Folgen der Freiheit, weiß, was der Mensch wählen wird. Der
Mensch hat die Freiheit von Gott empfangen, er hat sie nicht aus sich selber,
und diese Freiheit liegt ganz in Gottes Macht, sie ist voll und ganz von ihm
determiniert, d.h. letztlich fiktiv. Gott harrt auf eine Antwort der Kreatur
auf seine Aufforderung, die Kreatur möge Gott liebgewinnen und ein göttliches
Leben beginnen, aber Gott erwartet eine Antwort von sich selber, er spielt mit
sich selber, denn er selber schenkt ja die Freiheit und weiß um die Folgen
dieser Freiheit, sie ist für ihn nicht unerforschlich. Das Problem des Iwan
Karamasow wird tiefgründiger aufgerollt und in die Ewigkeit verlegt. Es ist
nicht die Rede von einer Kinderträne im zeitlichen irdischen Leben, sondern von
den zeitlichen wie auch ewigen Qualen einer ungeheuren Anzahl lebender Wesen,
die das verhängnisvolle Geschenk der Freiheit von Gott empfingen, der darum
weiß, was es mit diesem Geschenk auf sich hat und zu was es führt. Die
Soteriologie der traditionellen theologischen Systeme läßt sich leicht
ausdeuten als eine unwürdige Korrektur Gottes an dem von ihm begangenen Fehler,
die zugleich die Form eines Strafprozesses annimmt. Die rationale katafatische
Theologie, die in ihrer Kosmologie und Anthropologie den dreieinigen Gott,
Christus, den Gott der Liebe und des Opfers, vergißt und das Geheimnis der
christlichen Offenbarung zum Erlösungsteil statt zum Weltschöpfungsteil
rechnet, vermag sich über diese göttliche Komödie nicht zu erheben und
konstruiert eine fiktive Theodizee. Die theologische Lehre von der
Willensfreiheit trägt pädagogischen, moralisch-juristischen Charakter und
dringt nicht ins Urgeheimnis der Freiheit [S. 324] ein. Sie ist nur dazu da, um
jemanden bestrafen zu können. In einer derartigen Konzeption sind apofatische
und katafatische Momente hoffnungslos miteinander vermengt. Jakob Böhme nun ist
einer der wenigen gewesen, die sich erkühnten, über diese rationale
katafatische Theologie hinauszugehen und das Geheimnis der Weltschöpfung nicht
als Komödie, sondern als Tragödie aufzufassen. Er lehrt nicht nur von einem
kosmogonischen und anthropogonischen Prozeß, sondern auch von einem theogonischen.
Theogonie aber bedeutet durchaus nicht, daß Gott einen Anfang habe und in der
Zeit entstehe, sie bedeutet nicht, daß er im kosmischen Prozeß entstehe wie bei
Fichte oder Hegel, sondern sie bedeutet, daß das innere ewige Leben Gottes sich
als dynamischer Prozeß, als Tragödie in der Ewigkeit, als Kampf mit der
Finsternis des Nichtseins offenbare. Die Lehre von Ungrund und Freiheit ist nun
gerade ein vermessener Versuch, die Weltschöpfung aus dem inneren Leben der
Gottheit zu verstehen. Die Weltschöpfung gehört zum inneren Leben der
Göttlichen Dreieinigkeit, sie kann für diese nicht etwas ganz Äußerliches sein.
So erlangt das Prinzip des Bösen wahren Ernst und wirkliche Tragik. Böhmes
Kosmogonie und Anthropogonie sind mit christlicher Offenbarung gesättigt, sie
bleiben nicht alttestamentarisch, sie erscheinen in neutestamentarischem Licht,
im Licht Christi. Böhme lehrt von der ernsthaften "Qual des
Abgrundes" (IV, 25), den das Licht Gottes besiegen müsse.