Meine Bibel

Unsere Familie besaß folgenden Schatz: Katholische Bilder-Bibel des Alten und Neuen Testamentes, herausgegeben von Franz Albert (nicht der Autorennfahrer, sondern der Militäroberpfarrer, 1876-1944) und Franz Reimeringer (1871-1938), Illustrationen von Julius Veit Hans Schnorr von Carolsfeld (1794-1872; Bilder zur Bibel, 1851-1860, 240 Holzstiche) und Philipp Schumacher (1866-1940), Berlin 1909.

 

 

Für ein Kind war dies ein gewaltiges Buch. Da ich noch nicht lesen konnte, wollte ich zumindest die Bilder studieren. Das ging aber nur, wenn ich mich auf das Sofa in der Küche setzte – dies war der einzige warme Raum in der Wohnung –, die Beine auf dem Sofa ausstreckte (ohne Schuhe!) und die Bibel auf meine Beine legte. Ich wendete langsam die großen Blätter um und war von dieser fremdartigen Welt fasziniert.

 

Julius Veit Hans Schnorr von Carolsfeld,
Erschaffung Evas und Adams (Gen 2, 7).
Der Bibeltext wird nicht wörtlich wiedergegeben,
sondern „familiengerecht“ nacherzählt.

In der Schule verwendeten wir: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes, übersetzt von Vinzenz Hamp (1907-1991), Meinrad Theodor Stenzel (1904-1958) und Josef Kürzinger (1898-1984), Aschaffenburg 1962.

An und für sich hätte ich einen guten Zugang zu biblischen Texten haben müssen, da ich sechs Jahre lang Altgriechisch lernte und mich auch privatim mit dem Hebräischen vertraut machte. Allerdings war die Sprachform Homers und Platons anders als die der biblischen Koinē. Für die hebräische Bibel studierte ich das Buch: Kurzgefaßte hebräische Sprachlehre von August Bertsch (1887-1958), Stuttgart 1956. Es ist eigentlich gut – ich habe es später noch einmal durchgearbeitet –, aber ohne Lehrer wurde mir die Verbstruktur nicht genügend deutlich. Das kam dann später.

Das aber war nicht das Hauptproblem. Ich erinnere mich, wie ich auf den Rat eines Seelsorgers hin versuchte, Joh 17 zu verstehen („Jesu hohepriesterliches Gebet“). Jeden Tag las ich einen einzigen Vers dieses Kapitels und sann darüber nach. Allerdings konnte ich von diesen Worten überhaupt nichts begreifen; sie waren für mich wie dürres Stroh!

Damit will ich sagen, daß Geduld und Durchhaltevermögen vonnöten sind. Ich möchte zur beharrlichen Lektüre ermutigen, ungeachtet aller anfänglichen und späteren Verständnisschwierigkeiten.

 

Im Studium wurden mir zwei Bibelstellen wichtig:

„Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt“ (Phil 3, 13). Es ging mir darum, einen Neuanfang zu machen, ohne mich vom Negativen der Vergangenheit belasten oder blockieren zu lassen.

„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15, 16). Dies sagte mir mein Vater (es war das einzige Bibelwort, das er je zitiert hat), um mich darauf aufmerksam zu machen, wer derjenige ist, der beruft.

Für meine Bücher gebrauchte ich die Lutherbibel, da mir die Einheitsübersetzung zu frei und die Elberfelder Übersetzung zu wörtlich war.

Zweimal erwähnte ich in einer Predigt, daß eine regelmäßige Beschäftigung mit der Bibel für Christen notwendig sei, einmal 1979 und einmal 2007. Beide Male war die Reaktion überaus negativ. Ich galt wegen dieses Ratschlages als jemand, der die Realität des Lebens nicht kennt.

Da möchte ich eine Gegenfrage stellen:

Wieviel Zeit verwendest Du mit Medien?

(Ich erwarte eine ehrliche Antwort.)

 

Es gab auch bei mir eine Zeit, in der ich die Bibel vernachlässigte. Das war die Zeit, in der ich die Dissertation schrieb. Es ging auch bei ihr um Bibelauslegung, namentlich um Röm 5, 12-20 (Adam und Christus), aber es ist ein Unterschied, eine Stelle wissenschaftlich zu untersuchen oder sie in einer zweckfreien, persönlichen Lesung auf sich wirken zu lassen.

 

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß die Worte der Heiligen Schrift Wegweisung, Stärkung, Hilfe und Nahrung für das christliche Leben sind.

 

„Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Offb 22, 17).

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024

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