Vom Bauernjungen zum Papst
Der
Autor
Wilhelm (Heinrich) Hünermann
wurde am 28. Juli 1900 in Kempen geboren. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat.
Danach studierte er in Münster Philosophie sowie Theologie und empfing am 26.
Mai 1923 die Priesterweihe. Er wirkte als Kaplan in Sterkrade. 1926 begann
seine Tätigkeit in der Pfarrgemeinde St. Matthias am Winterfeldplatz in Berlin.
Dr. Carl Sonnenschein berief ihn in die Redaktion des Berliner Kirchenblattes.
Anschließend wirkte er als
Religionslehrer im Bistum Aachen, erhielt aber Unterrichtsverbot, nachdem er
eine Heilige Messe für „den ermordeten Ministerialdirektor Dr. Erich Klausener
(† 30. Juni 1934) und seine Mörder“ zelebriert hatte.
In den folgenden Jahren wirkte Hünermann seelsorglich und schriftstellerisch. Er schrieb
über Klemens Maria Hofbauer, Damian de Veuster,
Hermann Josef von Steinfeld und Hildegard von Bingen. Im Zweiten Weltkrieg
verbot ihm die Reichsschrifttumskammer jegliche
schriftstellerische Tätigkeit und konfiszierte teilweise seine Werke.
Nach Kriegsende wurde er
Hauptschriftleiter der Aachener Kirchenzeitung. Er ließ sich 1947 von dieser
Aufgabe freistellen , um sich nur noch der Schriftstellerei
zu widmen. Er übersiedelte nach Essen-Bergerhausen und verfasste eine
Kirchengeschichte in vier Bänden (Geschichte des Gottesreiches), eine
Heiligenlegende für jeden Tag des Jahres (Der endlose Chor), zahlreiche Bücher
über Glaubenszeugen sowie Erzählungen für Erstkommunionkinder, Firmlinge und
Ministranten, außerdem Artikel und ein Theaterstück. Wegen seiner Verdienste
wurde er zum Päpstlichen Ehrenprälaten ernannt. Er starb am 28. November 1975
in Essen.
Ende der 1960er Jahre nahm das
Interesse an seinen Werken ab, die nunmehr als nicht mehr zeitgemäß galten. Seit den
1980er Jahre erschienen jedoch verstärkt Neuauflagen.
Die
Handlung
Giuseppe-Melchior Sarto, genannt Beppo, wurde am 4. Juni 1835 in Riese (zwischen Castelfranco und Asolo, 37 km nördlich von Padua) als Sohn der Analphabetin und Weißnäherin Margherita Sanson und des Kleinbauern sowie Postboten und Gemeindeläufers Giovanni Battista Sarto geboren. Ihr Besitz bestand außer dem einfachen Haus und dem spärlichen Hausrat in einer Kuh, einem Esel und einem Feld. Viele Kinder gehörten zur Familie.
Seit 1845 erhielt Beppo Lateinunterricht durch den Kaplan der Pfarrgemeinde. In Castelfranco bekam er danach eine Freistelle am Gymnasium. Er erlernte das Orgelspiel, sang im Kirchenchor und in der Choralschola. Er erhielt Unterricht in Religion, Latein, Griechisch, Geschichte, Geographie und Arithmetik.
1850 wurde er ins Kolleg zu Padua aufgenommen. Er trug jetzt eine Soutane und war Kleriker. Er studierte jeweils zwei Jahre Humanitas (italienische Klassiker und Literaturgeschichte, Griechisch, Latein, Geographie, Geschichte, Algebra und Geometrie sowie Physik und Naturwissenschaften), Philosophie und Theologie. Sein Vater starb am 4. Mai 1852 an Lungenentzündung. Bei der Choleraepidemie 1855 pflegte Giuseppe den an der Seuche erkrankten Pfarrer von Riese, der in seiner Gemeinde nicht beliebt war. Im Sommer 1857 wurde Giuseppe Sarto zum Subdiakon, im Februar 1858 zum Diakon und am 18. September 1858 zum Priester geweiht.
Don Sarto erhielt seine erste Kaplansstelle in Tombolo, 26 km nordnordwestlich von Padua. Er studierte die Homilien über das Priestertum vom heiligen Johannes Chrysostomos, predigte, gab Katechese, machte Besuche und spielte nicht zuletzt bei einem Glas Terlaner das Kartenspiel Dobolon mit dem Pfarrer, dem Küster und dem Schulmeister. Varianten der Benennung sind: Dobellone, Dobelon und Dubilù. Ein Spielerpaar muß 200 Punkte erreichen, um zu gewinnen.
Von seinen kargen Einkünften spendete Don Sarto Kranken und Arbeitslosen, so daß seine Schulden stiegen. Er gründete einen A - cappella - Chor und erteilte Analphabeten Unterricht im Lesen und Schreiben. Mit Kindern, die auf den Straßen herumlungerten, spielte er Fußball und Karten, wofür er von frommen Seelen getadelt wurde. Nach dem Spiel pflegte er ihnen eine spannende Geschichte aus dem Leben eines Heiligen zu erzählen.
Am Erntedankfest Anfang Oktober 1865 wurde Don Sarto um 14.00 Uhr eingeladen, um 15.00 Uhr im benachbarten Galliera die Festpredigt in Gegenwart der abgedankten Kaiserin Maria Anna von Österreich (1803-1884) zu halten. Diese war mit seiner einstündigen Improvisation so zufrieden, daß sie ihm eine goldene Uhr schenkte.
Am 13. Juli 1866 wurde Don Sarto Pfarrer und Erzpriester in Salzano, das zwischen Venedig und Padua liegt.
In einer Seidenspinnerei in Salzano arbeiteten dreihundert Mädchen und Frauen vierzehn Stunden täglich und sechs Tage in der Woche in schlecht belüfteten Räumen. Sie erhielten pro Person und Tag eine Lira, die für das Sterben zu viel und für das Leben zu wenig war. Hinter ihnen standen Aufseherinnen, welche die jeweilige Arbeitszeit stoppten und sie zu größerer Eile antrieben.
Erzpriester Sarto schlug dem Fabrikanten vor, die Arbeitsstätten durch größere Fenster heller und luftiger zu machen, gerechte Löhne zu zahlen und genügend Zeit für die Erholung zu gewähren. Er sagte voraus, daß der Betrieb auch dann konkurrenzfähig sein werde und wettete um seinen Kirchturm gegen tausend Lire.
Die Arbeiterinnen wurden froher, gesünder und damit auch leistungsfähiger, sodaß am Ende des Jahres ein größerer Gewinn zu verbuchen war. Don Sarto verwendete die tausend Lire für soziale Zwecke.
Die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit im Jahre 1871 rief viel Unmut hervor und war der Anlaß für eine Kirchenspaltung. Die Konfession der Altkatholischen Kirche entstand.
Als im Venezianer Gebiet eine Hungersnot ausbrach, schenkte Erzpriester Sarto sein letztes Hemd aus dem Schrank her und behielt nur das, was er auf dem Leibe trug, gab seine Lebensmittelvorräte bis auf geringe Reste, spendete fast sein gesamtes Einkommen und lieh Pferd und Wagen aus, sodaß beide nicht mehr gebrauchsfähig waren.
Der Hungersnot folgte eine Choleraepidemie. Sarto wachte nachts bei den Kranken, betete mit ihnen, spendete den Angehörigen Trost und half bei den Begräbnissen.
Schließlich war Don Sarto völlig erschöpft und abgemagert. Sein Bischof Federico Maria Zinelli (1805-1879), der seit 1862 die Diözese Treviso leitete, sah ein, daß es auf diese Weise nicht weitergehen konnte.
Am 5. Dezember 1875 wurde Don Sarto Domherr in Treviso, dreißig Kilometer nördlich von Venedig, und Spiritual am dortigen Priesterseminar. Bald wurde er auch Kanzler und Privatsekretär des Bischofs. Er nahm sich Akten mit ins Seminar und arbeitete sie nachts durch. Um die Seminaristen kümmerte er sich wie ein Vater und wachte auch nachts am Lager eines Kranken. Einen Streber, der andere, auch ihn, verurteilte, demütigte er, indem er ihn in lateinischer Sprache examinierte.
Am 12. Juni 1879 wurde Monsignore Sarto Dompropst zu Treviso. Am dritten Sonntag im November1884 wurde er in Rom zum Bischof von Mantua geweiht. Er trat sein neues Amt am 19. April 1885 an.
Im Priesterseminar wurden 147 Studenten ausgebildet, aber es waren zu wenig Lehrer und Lebensmittel vorhanden. Eine Spendenaktion ergab wenig, da in diesem Jahr ein Großteil der Ernte durch Hagel vernichtet worden war. Bischof Sarto unterrichtete selber Moraltheologie sowie Kirchenmusik und komponierte Messen, die in seiner Kathedrale aufgeführt wurden. Die St.-Anselms-Bruderschaft wurde zur Unterstützung des Seminars gegründet. Erst im Laufe vieler Jahre besserte sich die Situation des Seminars.
Bischof Sarto besuchte die Pfarrgemeinden seiner Diözese und fand erbärmliche Not, Unwissenheit und Nachlässigkeit vor. Er sprach mit den Pfarrern und Kaplänen und bemühte sich, sie zu trösten und anzuspornen, half auch, wo er konnte.
Wie bereits in Salzano, stahl er den fertigen Braten aus der Küche, um ihn Notleidenden zu geben, plünderte seine Vorratskammer und seinen Kleiderschrank, um die ärgste Not zu lindern. Damit brachte er seine Schwester Rosa, die ihm den Haushalt führte, zur Verzweiflung.
Der italienische Staat schloß die theologischen Fakultäten. Die Massen verelendeten unter der Peitsche eines unbarmherzigen Kapitalismus. Viele Priester waren unfähig (Wilhelm Hünermann, Brennendes Feuer, Innsbruck 1953, 277f).
Bischof Sarto schlief nachts nur vier Stunden und arbeitete in den übrigen Nachtstunden Akten durch, verfaßte Predigten und Hirtenbriefe.
Vom 10. bis zum 12. September 1888 tagte in Mantua eine Diözesansynode mit zweihundert Priestern. Hier wurden die Berichte aus den Dekanaten besprochen, die zur Vorbereitung erbeten worden waren. Es ging um Jugendarbeit, gute und schlechte Presse, die Not der Industriearbeiter, Invaliden und Arbeitslose und die Schwierigkeiten der Schulen. Andere Diözesen studierten die Mantuaner Beschlüsse und machten sie sich zu eigen.
Am 12. Juni 1893 wurde Giuseppe Sarto zum Kardinalspriester proklamiert und am 13. Juni 1893 zum Patriarchen von Venedig präkonisiert (durch den Herold ausgerufen). Seine Mutter starb am 2. Februar 1894. Am 12. Oktober 1894 erhielt er das Exequatur (exsequatur – es wird vollstreckt, ausgeführt) der Regierung. Umberto Rainerio Carlo Emanuele Giovanni Maria Ferdinando Eugenio di Savoia (1844-1900) war als Umberto I. seit 1878 König von Italien. Am 24. November 1894 zog Patriarch Giuseppe in die Lagunenstadt ein.
Er bemühte sich, die Arbeitsbedingungen der Tabakarbeiterinnen durch Einsatz der Christlichen Liga zu verbessern, er verschaffte den von Kündigung bedrohten Spitzenmacherinnen auf der Insel Burano Absatzmöglichkeiten durch Ausschmückung liturgischer Kleidung der Pfarreien, er bewahrte einen Kaufmann vor dem Konkurs, indem er ihm dutzendweise Ware abkaufte und rief zu Spenden auf, wenn eine Familie in Not geraten war. Dafür versetzte er sämtliche Geschenke, die er erhielt, auch seinen erzbischöflichen Ring, der dann von anderen mit Prozenten wieder eingelöst werden mußte.
Er gründete die Bruderschaft des heiligen Laurentius Justiniani (Lorenzo Giustiniani, 1383-1456, erster Patriarch von Vendig), deren Mitglieder sich verpflichteten, täglich ein Vaterunser für die Theologiestudenten zu beten und monatlich eine kleine Geldsumme für das Priesterseminar zu spenden.
Papst Leo XIII. starb am 20. Juli 1903 im Vatikan. Die reisefähigen Kardinäle trafen dort am 31. Juli 1903 ein. Das Konklave begann am 1. August 1903. Kardinalstaatssekretär Rampallo erhielt im ersten Wahlgang 24 Stimmen, Gotti 17 und Sarto 5, während sich die übrigen Stimmen auf zehn Kandidaten verteilten.
Mariano Rampolla del Tindaro, 1843-1913, galt als franzosenfreundlich und hätte die Stellung des Vatikans gestärkt, da er seinen Strukturen entstammte; daher votierte Österreich-Ungarn dafür, ihn aus der Kandidatenliste auszuschließen.
Girolamo Maria Kardinal Gotti OCD, Unbeschuhter Karmelit, 1834-1916, war Präfekt der Propagandakonkregation.
In dieser Situation erschien Sarto als Kompromißkandidat. Am 4. August 1903 erhielt er fünfzig Stimmen, mehr als die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 42 Stimmen.
Am 8. August 1903 wurde er im Petersdom mit der Tiara gekrönt. Diese Kopfbedeckung lehnte sich ursprünglich an die Phrygische Mütze an, die später zur Jakobinermütze wurde. Die päpstliche Tiara geht auf das byzantinische Hofzeremoniell zurück. Die dreifache Krone weist auf das Lehr-, Priester- und Hirtenamt des Papstes hin. Seit 1964 tragen die Päpste die Tiara nicht mehr.
Sein Wahl- und Wappenspruch war: Instaurare omnia in Christo (Eph 1, 10) – Um alles in Christus zu erneuern/begründen.
Am 8. September 1907 verurteilte seine Enzyklika „Pascendi“ den sogenannten Modernismus, der versuchte, Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit der Theologie zu vereinigen. Glaubenssätze seien Symbole und die Gottheit Jesu leite sich aus der Bewunderung der Menge ab. Von 1910 bis 1967 mußte jeder Kleriker den Antimodernismuseid ablegen.
Am 28. Dezember 1908 war in Reggio und Messina ein Erdbeben, bei dem hunderttausend Menschen starben, viele verletzt wurden und ihr Obdach verloren. Papst Pius X. beherbergte so viele im Vatikan, wie nur eben aufgenommen werden konnten, besuchte und tröstete die Leidgeprüften, stellte den Unterhalt von vierhundert Waisenkindern sicher und ließ in dem verheerten Land Wohnungen, Heime, Schulen und Seminarien bauen. Eine von ihm ins Leben gerufene Spendenaktion erbrachte eine große Unterstützung.
Am 8. August 1910 erschien sein Dekret „Quam singularis Christi amore“, das Kinder zur Heiligen Kommunion zuließ, sobald sie sie von gewöhnlicher Speise unterscheiden konnten.
Zitate
Ja, der Beppo, der hatte ein Gedächtnis! Dem konnte man nichts vormachen, und was er einmal gehört hatte, das vergaß er nimmer. (Feuer, 23).
Da war es wieder! Herrgott, seit der kleine Orazio [Beppos Neffe] das gesagt hatte, war ihm der Gedanke nicht aus dem Kopf gegangen. Im Traum hatte er sich sogar schon einmal am Altar gesehn, mit einer goldenen Kasel [casula – Meßgewand] bekleidet, und den heiligen Kelch hielt er in seinen Händen. Aber es war eben ein Traum, und als er aufwachte, sagte die Mutter, er müsse heute mit dem Esel einen Sack Weizen zur Mühle bringen. Dennoch war es ihm, als wenn er auf einsamer Weide [beim Hüten der Kuh] zuweilen daran dachte, als lockte da heimlich in seinem Herzen eine Stimme, die rief und rief und nicht schweigen wollte. (Feuer, 41).
In ein paar Jahren würde er auch Gast am Gottestisch sein. Warum man die Kinder nur so lange darauf warten ließ. Die meisten waren schon vierzehn Jahre ehe man sie zuließ. (Feuer, 48).
„Wie alt bist du denn?“, fragte Monsignore Sartori.
„Elf Jahre!“
„Nun, dann bist du wohl noch nicht verständig genug, das höchste Sakrament zu
empfangen.“
„Ich weiß, daß der Heiland in der heiligen Hostie
zugegen ist und in mein Herz kommen will. Wissen Sie mehr, Herr Bischof?“
(Feuer, 49).
Don Fusarini [der Pfarrer der
Gemeinde Riese], mit dem Frau Margherita oftmals voll mütterlicher Sorge ihres
Ältesten heimliche Zukunftspläne besprach, erwirkte dem Jungen eine Freistelle
am Gymnasium in Castelfranco. So geschah es, daß Beppo nun Tag für Tag am frühen Morgen das Elternhaus
verließ und zur Musenstadt pilgerte.
Das war ein weiter, oft recht dornenreicher Weg, zumal wenn die Sonne sengend
brannte, wenn es in Strömen regnete oder wenn zur Winterszeit ein eisigkalter
Wind über das Flachland heulte, so daß es den Knaben
in seinem dünnen Wams zum Erbarmen fror. Seine Schuhe zu schonen, trug Beppo
sie an den Riemen über der Schulter und machte den sieben Kilometer langen Weg
sommers und winters stets mit bloßen Füßen. Wenn die Stadt mit ihren alten
Mauern und dem trutzigen, turmbewehrten Kastell erreicht war, schlüpfte er
schnell in seine Schuhe; denn barfüßig konnte man doch nicht im Gymnasium
erscheinen. (Feuer, 54).
Das lauteste Loblied sangen die Kinder von Tombolo. Gar nicht genug wußten sie zu berichten, welch schöne Geschichten der Katechet erzählte, zum Lachen und zum Weinen, und einige der Fleißigsten wiesen, strahlend vor Stolz und Freude, ein Heiligenbild vor, das sie bekommen hatten. Durch die Kinder aber fand der neue Kaplan auch den Weg zum Herzen der Eltern. Er suchte sie in ihren Häusern auf, sprach in seiner freundlichen Art mit ihnen über Kälber, Kühe und Kinder, besichtigte sachverständig und interessiert die Stallungen und das Ackergerät, so daß den guten Tombolanern das Herz dabei aufging. (Feuer, 131).
Wie in Mantua schloß sich an die
Pastoralbesuche die Diözesansynode an, wo Sarto auf Grund seiner Erfahrungen
neue Wege für die Seelsorge wies.
„Ihr predigt viel und gut, meine Freunde“, sagte er. „Ich habe Kanzelreden
gehört, die den höchsten Anforderungen der Rhetorik standhielten. Manche lassen
das reinste Feuerwerk der Beredsamkeit sprühen und übertreffen jeden
Schauspieler durch Gesten und Mienenspiel. Aber seid ehrlich! Was haben die
armen Lagunenfischer davon? Wieviel verstehen die Dienstmädchen, die
Hafenarbeiter und Packträger? Der Kopf wird ihnen wirr von dem homiletischen
Trommelfeuer, aber das Herz, Brüder, das Herz bleibt leer.
Ich bitte euch, Freunde, redet schlicht und einfach, daß
euch auch der Einfältigste versteht. Sprecht aus gutem und frommem Herzen, dann
trefft ihr nicht nur das Ohr, sondern die Seele eurer Zuhörer! Seid nicht
tönendes Erz und klingende Schelle [1 Kor 13, 1]! Und eines noch! Nehmt euch
der Kinder an! Unterweist sie in aller Liebe und Geduld! Bringt sie mit reinem
Herzen an den Tisch des Herrn! Habt sie lieb, weil der Herr sie selbst seine
Kinder nennt [Lk 20, 36] und sie alle in seinem
Herzen trägt.“ (Feuer, 319f).
Am Sonntag, den 8. August [1898], verkündete das Geläut
aller Glocken von Venedig den Beginn des Eucharistischen Kongresses. Die Tore
des Patriarchenpalastes sprangen auf und in
feierlicher Prozession zogen die Kongreßteilnehmer
unter dem strahlenden Sommerhimmel um den ganzen Löwenplatz zur Kathedrale, die
religiösen Genossenschaften zuerst, dann die Kleriker des Seminars, die
Priester im Chorrock, die Pfarrer im Segensmantel, die Chorkapläne in der
Tunika, die Domherren im Meßgewand, drei Äbte,
dreiundzwanzig Bischöfe, fünf Erzbischöfe mit Mitra und Stab, schließlich die
Kardinäle Manara [Achille Kardinal Manara, 1827-1906], Svampa
[Domenico Kardinal Svampa, 1851-1907] und Sarto mit
ihren Purpurschleppen. Von den Terrassen des Domes wehten die goldenen Fahnen
von San Marco, die Flagge Venedigs, das Banner des Patriarchen mit Löwe, Anker und Stern, und, alles überragend, die
Standarte des Stellvertreters Christi auf Erden.
Im Dom begrüßte Kardinal Svampa, der Legat des
Heiligen Vaters, in feierlicher Rede die Kongreßteilnehmer
und die Venetianer, die zu vielen Tausenden die Kathedrale füllten. Der
Patriarch gab den Segen mit der funkelnden Monstranz.
Am folgenden Morgen ward der Kongreß in der
monumentalen Kirche Johannes und Paulus feierlich eröffnet. Von der Höhe der
Apsis strahlte das Emblem der Hostie mit dem Monogramm Christi, darunter auf
goldenem Grund ein prächtiges Bildnis des Heiligen Vaters. Durch die gotischen
Wölbungen des Tempels ertönten die Klänge des herrlichen Oratoriums In Coena Domini, von Maestro Perosi
komponiert und geleitet [Monsignore Lorenzo Perosi,
1872-1956]. Dann hielt Eminenz Sarto die große Eröffnungsrede über das Königtum
Christi in der Heiligen Eucharistie.
„Schart euch um den Tabernakel!“, rief er, flammend von heiliger Glut. Von
diesem neuen Cönakulum [Speisezimmer, Obergemach,
Abendmahlssaal, Mk 14,15] tragt das Feuer der Liebe Christi in die Welt, jenes
Feuer, das der Herr selbst auf die Erde brachte, und von dem er nichts anderes
will, als daß es alle Herzen entflamme!“ [Lk 12, 49]. (Feuer, 322f).
Wahrlich, es war eine große Last und eine schwere Verantwortung, die der neue Pontifex [Brückenbauer, zwischen Himmel und Erde] zu tragen haben würde. „Ignis ardens – Brennendes Feuer“ – nannten ihn die alten Weissagungen. Was würde dies geheimnisvolle Wort bedeuten, und wie würde es sich verwirklichen? Würde es die alles erneuernde Flamme des Pfingstfestes sein [Apg 2, 3: „Es erschienen ihnen Zungen zerteilt wie von Feuer] oder störender Brand, der allem ein Ende machte? (Feuer, 336).
Die meisten rätselten an der Prophezeiung des Malachias herum, die den Nachfolger Leos „ignis ardens – – – Brennendes Feuer“ nannte. (Feuer, 342). [Lignum vitæ. Ornamentum et decus Ecclesiæ, Venedig 1595, 307-311; wohl fälschlich dem heiligen Erzbischof Malachias, † 1148, zugeschrieben.]
Der Jubel von Sankt Peter wurde zu einem Orkan der Freude, der ganz Italien, ja, die ganze Christenheit erfaßte. Nun wußte man, was das Wort vom „Ignis ardens“ zu bedeuten habe. Hier war ein Papst, der sich nicht durch Leistungen, die die Welt staunen machen, auszeichnete, nicht durch Großtaten in der Wissenschaft oder der Diplomatie, aber ein Papst, dessen Herz brannte in heiligem Feuer der Liebe zu Gott und den Menschen. (Feuer, 354).
„Ignis ardens“, sagte der Papst vor sich hin. „Brennendes Feuer! Ja, die alte Weissagung erfüllt sich in schrecklicher Weise. Überall zünden Haß und Verfolgung ihre düsteren Fackeln an. Wie lange wird es dauern, bis die ganze Welt in Flammen steht!“ (Feuer, 398).
Auf seinen Sarkophag setzte man die Inschrift:
Papst Pius X.
Arm und reich
sanft und demütig von Herzen
der starke Verteidiger der katholischen Sache,
bestrebt, alles zu erneuern in Christus,
fromm entschlafen am 20. August
im Jahre des Herrn 1914.
(Feuer, 417).
Rerum novarum
Am 15. Mai 1891 veröffentlichte Papst Leo XIII. seine Enzyklika „Rerum novarum“. Darin forderte er gerechte Löhne und wandte sich gegen Enteignung und Gewalt. Giuseppe Sarto machte sich die Positionen dieses Rundschreibens zu eigen und verwirklichte sie im Rahmen seiner Möglichkeiten.
Bibliographie
Werke
Hünermanns in Auswahl
(In verschiedenen Neuauflagen änderten
sich die Titel der Werke; dies ist hier nicht vermerkt, da nur die Erstausgaben
verzeichnet sind.)
· Brennendes
Feuer. Papst Pius X., Innsbruck, Wien u. München 1953.
· Clemens
August. Aus dem Glaubensbuch des Kardinals Graf von Galen, Bonn 1947.
· Das
Herrgottsbrüderle. Ein Lebensbild des
Franziskanerbruders Firminus Wickenhäuser, Paderborn
1940.
· Das
lebendige Licht. Das Leben der heiligen Hildegard von Bingen, Bonn 1941.
· Das
Lied in den Flammen. Die Märtyrer von Uganda, Freiburg im Breisgau 1961.
· Der
Apostel von Turin. Johannes Don Bosco, Innsbruck, Wien u. München 1961.
· Der
Bäckerjunge von Znaim. Pater Hofbauer, Heidelberg 1936.
· Der
Bettler von Granada. Ein Lebensbild des hl. Johannes von Gott, Regensburg 1949.
· Der
endlose Chor. Erzählungen zum Jahr der Kirche für Jugend und Volk, Freiburg im
Breisgau 1948.
· Der
gehorsame Rebell. Abt Franz Pfanner, der Gründer von Mariannhill,
Innsbruck, Wien u. München 1959.
· Der
Gottesrufer von Padua. Leben des heiligen Antonius nach Geschichte und Legende
erzählt, Rottenburg am Neckar 1953.
· Der
Heilige und sein Dämon. Das Leben des armen Pfarrers von Ars,
Heidelberg 1952.
· Der
Himmel ist stärker als wir. Eine Fatima-Erzählung, Mainz 1954.
· Der
Knochenmann im Jungfernturm und andere haarsträubende Gespenstergeschichten,
Aschaffenburg 1949.
· Der
Mandarin des Himmels. Das Leben des Kölner Astronomen Pater Johann Adam Schall
am Kaiserhof zu Peking, Hannover 1954.
· Der
Pfarrer der Welt. Das Leben Johannes XXIII., Innsbruck, Wien u. München 1967.
· Der
Reiter gegen Tod und Teufel. Das Leben des sel. Markgrafen Bernhard von Baden,
Heidelberg 1957.
· Der
Ritterschlag. Erzählungen zum Sakrament der heiligen Firmung, Luzern 1954.
· Der
Sohn des Scherenschleifers. Ein Lebensbild des heiligen Peter Julien Eymard, Innsbruck, Wien u. München 1963.
· Der
Tänzer von Spoleto. Ein Lebensbild des heiligen Gabriel Possenti,
Luzern u. München 1962.
· Der
Wächter von Minoriten. Theaterstück, Köln 1947.
· Die
Herrgottsschanze. Erzählung nach wahren Begebenheiten aus der Zeit der
Französischen Revolution. Mit Bildern v. Johannes Thiel, Freiburg im Breisgau
1940.
· Die
Jungen von Zeche Ludwig. Eine Erzählung aus dem Kohlenpott, Aschaffenburg 1951.
· Die
Kommunionkinder von Himmelreich. Eine Erzählung für Kommunionkinder und andere
Leute, Zeichnungen v. Gerhard Pallasch, Mainz 1957.
· Die
Schmiede der Wahrheit. Erzählungen zur Geschichte der Allgemeinen Konzilien,
Luzern 1962.
· Die
Seilerstochter von Barfleur.
Lebensbild der heiligen Maria-Magdalena Postel, Freiburg im Breisgau 1956.
· Die
Stadt der tausend Jungen. Father
Flanagans Boys-Town, Heidelberg 1966. (Erzählungen
mit religiösem Hintergrund für Jugendliche. Dieses Buch wird im Handel zu einem
stark überhöhten Preis angeboten. In den Bibliotheken ist es einsehbar, zum
Beispiel in Dortmund, Köln oder Münster.)
· Ein
Flame in Gottes Kompanie. Ein Lebensbild des hl. Johannes Berchmans
1599-1621, Luzern u. München 1964.
· Ein
Mönch unter den Wölfen. Johannes von Kapistran, der
Apostel Europas, Innsbruck, Wien u. München 1965.
· Geschichte
der Weltmission. Lebensbilder großer Missionare, Bd. 1: Von Alaska bis
Feuerland, Luzern 1960; Bd. 2: Feuersturm über Asien, Luzern 1960; Bd. 3: Unter
der Sonne Afrikas, Luzern 1961.
· Geschichte
des Gottesreiches. Bilder aus der Kirchengeschichte für Jugend und Volk, Bd. 1:
Das purpurne Segel, Luzern 1956; Bd. 2: Das Kreuz auf den Fahnen, Luzern 1957;
Bd. 3: Die verlorene Einheit, Luzern 1957; Bd. 4: Fels in der Brandung, Luzern
1958.
· Hedwig.
Mutter und Herzogin. Ein Volksbuch, Freiburg im Breisgau 1951.
· Hermann
Josef, der Mönch von Steinfeld, Unterhaltende Schriftenreihe der Buchgemeinde,
Bonn 1939.
· Meister
Douvermann, der Bildschnitzer Unserer Lieben Frau.
Ein Künstlerroman vom Niederrhein, Bonn 1949.
· Pater
Hofbauer, der Fähnrich Gottes, Innsbruck, Wien u. München 1936.
· Priester
der Verbannten. Damian de Veuster ein flämischer
Held, Innsbruck, Wien u. München 1937.
· Prinz
Gonzaga. Ein Lebensbild des heiligen Aloysius, Luzern u. München 1965.
· Sankt
Martin. Der Reiter der Barmherzigkeit. Ein Lebensbild des hl. Bischofs Martin
von Tours, Buxheim im Allgäu 1962.
· Um
Mädchenehre. Maria Gorettis Kampf und Martyrium,
Konstanz/Baden, München u. Freiburg im Üechtland
1950.
· Vater
Kolping. Ein Lebensbild des Gesellenvaters, Luzern 1948.
· Vinzenz
von Paul. Der Wächter von Saint-Lazare, Freiburg im Breisgau, Basel u. Wien
1959.
· Wir
haben seine Herrlichkeit gesehen. Ein Leben Jesu, Innsbruck, Wien u. München
1956.
Literatur
· Borengässer,
Norbert, Hünermann Wilhelm (Heinrich), in:
Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon XXXIX (2018), 631-636.
· Gschwind,
Ludwig, Prälat Wilhelm Hünermann (1900-1975) mit
Schreibverbot belegt, in: Klerusblatt, München, 94
(2014), Heft 3, 70.
© Dr. Heinrich Michael Knechten,
Stockum 2023