Die
Zerstörung der Burg Ahsen
Heinrich
Michael Knechten
Es ist erstaunlich, dass es im Ostvest so viele Burgen
und Höfe gab: Ahsen, Mahlenburg, Vogelsang, Rauschenburg, Dahl, Wilbring, Klostern,
Hofstedde, Löringhof, Gutacker, Heiligenkamp, Horneburg und Oer. Dies erklärt
sich aus der strategischen Lage: Hier verlief die Grenze zwischen zwei
erbitterten Gegnern, den Erzbischöfen von Köln und den Grafen von der Mark.
Ältere Berichte künden von ihren Auseinandersetzungen:
Iste Everhardus comes adolescens spectabilis post
obitum patris sequenti anno [MCCLXXVIII] castrum Bredenvort, in quo patris eius
corpus exanime aromatibus tamen conditum adhuc tenebatur, obsidet; corpus
redditur et in Cappenbergh honorifice sepelitur, obsidione tamen manente, hi,
qui in castro erant, fortiter impugnantur, sicque castro vacuo derelicto
nocturno temporis silentio clam effugerunt et castrum destruitur.
Anno Domini MCCLXXIIX. Everhardus adolescens ad curiam
Rudolphi regis assumptus est, cui non mediocriter carus erat. Dicebant namque
quidam ipsius regis familiares, regem non posse tristem esse, quamdiu hic
adolescens in eius conversabatur conspectu. Erat enim adspectu delectabilis et
colloquio affabilis, quem ipse rex militari demum caractere insignivit.
Hoc anno Domini MCCLXXVIII. in die beatae Agnetis hunc
mundum intravi.
Postmodum autem, cum officiati archiepiscopi
Coloniensis, qui castra regebant comitatui de Marka adiacentia, ipsum et terram
suam multis premerent iniuriis, archiepiscopo hoc dissimulatione permittente,
vel potius consentiente, idem invenis, in quo magnanimitatis virtus, quae
pullulare in mente sua iam coepit, celari non potuit, sed defendendi sibi sumit
audaciam, suos confortat, amicos et adiutores solertes habere procurat,
sororium suum Adolphum comitem de Monte sibi adiutorem consociat. Inter haec
guerra iam mota officiati de Rekelinchusen Thodoricus dictus Kigge miles cum suis
complicibus de castro, quod vocatur Ahus super Lippiam, die Dominica ante
Nicolai anno MCCLXXXVII. Mense Decembri, terram comitis invadentes incendunt et
spoliant. Quod cum comes sentiret, qui tunc in Camene praesens erat, subito de
prandio surgens omnes ad arma festinare iubet, hostes insequitur. Qui cum
castro Ahus appropinquassent, equis suis ad castrum praemissis, super litus
fluvii Lippiae adventum comitis pedites expectant. Quos comes ipse cum paucis
primo viriliter aggrediens fortiter pugnat, prostratus resurgit, hostes vincit
et expugnat, quibusdam in dicto flumine submersis, aliis captis, paucis
evadentibus, castrum obsidet et post aliquot dies capit et destruit. […]
Inter haec idem comes castrum Raffenbergh, quod sibi
magis erat vicinum et infestum, crastino assumptionis Domini, quo die oppidum
Hamme ex parte comburitur, obsidet machinis et ingeniis impugnat. Demum hi, qui
in castro erant, penuria aquae cogente et aliis insultuum continuorum
incommodis ad deditionem ipsius castri compelluntur. Quod sub hoc reddunt
pacto, ut teneatur et non diruator usque ad nativitatem Domini, si forsan
interim eis venire posset redemptio.
Dieser Graf Eberhard, ein ansehnlicher junger Mann,
belagerte nach dem Tode seines VatersI im nächsten Jahre [1278] die
Burg Bredenvort,II wo sich der entseelte Körper desselben, mit
Specereien einbalsamirt, noch befand. Der Leichnam wurde herausgegeben und zu
Cappenberg ehrlich bestattet, die Belagerung jedoch dauerte fort; die in der
Burg waren, wurden tapfer bestürmt, und so verliessen sie in schweigender Nacht
die leere Burg und entflohen unbemerkt, worauf die Burg zerstört wurde.
Im Jahre des Herrn 1278 wurde der junge Eberhard an
den Hof des Königs RudolphIII genommen, dem er nicht wenig werth
war. Es sagten nemlich mehrere vertraute Diener des Königs selbst, der König
könne nicht traurig seyn, so lange dieser junge Mann sich um ihn befinde. Er
war nemlich lieblich anzuschauen und gewandt in der Rede, und der König selber
ertheilte ihm zuletzt den Ritterschlag.
In demselben Jahre des Herrn 1278 am Tage der seligen
Agnes, bin ich zur Welt gekommen.IV
Später aber, als die Amtleute des Erzbischofs von
Cöln, welche die der Grafschaft Mark naheliegenden Schlösser verwalteten, ihn
und sein Land durch vielerlei Unbilden belästigten, was der Erzbischof unter
dem Schein des Nichtwissens zuliess, oder vielmehr gern sah, ermuthigte der
junge Mann, in welchem der tapfere Sinn, der in seinem Herzen aufzukeimen
begann, sich nicht verleugnen konnte, sondern auf kühne Gegenwehr dachte, die Seinen,
suchte sich Freunde und thätige Helfer zu verschaffen und gewann seinen
Schwestersohn, Grafen Adolph von Berg,V zum helfenden Genossen.VI
Als inzwischen die Feindseligkeiten schon begonnen hatten, fielen die Amtleute
von Recklinghausen, Ritter Dietrich genannt Kigge mit seinen Helfershelfern,
von der Burg Ahsen an der Lippe aus, Sonntags vor Nicolaitag, im Jahre 1287, im
Monate December,VII brennend und raubend in des Grafen Land ein. Als
der Graf das vernahm, der gerade zu Camen anwesend war, stand er unmittelbar
von der Mahlzeit auf, hiess die Seinen alle zu den Waffen eilen und verfolgte
die Feinde. Als die Feinde sich der Burg Ahsen näherten, schickten sie ihre
Pferde voraus in die Burg und erwarteten zu Fuss am Ufer der Lippe die Ankunft
des Grafen. Der Graf selbst griff sie mit wenigen gleich mannhaft an, stürzte,
erhob sich aber wieder, und überwand und schlug sie völlig, wobei mehrere im
genannten Flusse ertranken, andere gefangen wurden und nur wenige entrannen;
dann belagerte er die Burg und nahm und zerstörte sie nach wenigen Tagen. […]
Unterdessen belagerte derselbe Graf die Burg
Raffenberg,VIII die ihm näher und feindlich war, tags nach Christi
Himmelfahrt,IX an welchem Tage die Stadt Hamm zum Theil abbrannte,
mit Belagerungswerkzeugen und bedrängte sie durch Wurfmaschinen. Endlich wurden
die, welche in der Burg waren, durch Wassermangel und die Bedrängnisse des
wiederholten Stürmens zur Uebergabe der Burg selbst genöthigt. Sie übergaben
dieselbe unter der Bedingung, dass sie gehalten und nicht zerstört werde bis
Weihnachten, auf den Fall ihnen vielleicht bis dahin eine Erlösung kommen
möchte.
Aus: Levold’s von Northof Chronik der Grafen von der
Mark und der Erzbischöfe von Cöln. Aus Handschriften verbessert und
vervollständigt von Dr. Carl Ludwig Philipp Tross, Hamm 1859, 108-113.
Erläuterungen zu Levold von Northof
I.
Engelbert I. von der Mark starb am
16.11.1277 in der Gefangenschaft. Er war in einen Hinterhalt Hermanns II. von Lohn
(† 1316) geraten. Lo in Ortsnamen bedeutet Gehölz: Landschaft mit Unterholz im
Gegensatz zur offenen Ackerlandschaft.
II.
Bredenvort: Breedevoort (Breite Furt) ist
eine Stadt in der niederländischen Gemeinde Aalten, Provinz Gelderland, zwölf
km nördlich der deutschen Stadt Bocholt, neben Stadtlohn das andere Zentrum der
Herrschaft Lohn.
III.
Rudolph (1218-1291) war ab 1240 als
Rudolph IV. Graf von Habsburg und ab 1273 bis zu seinem Tode als Rudolph I. der
erste römisch-deutsche König aus dem Geschlechte der Habsburger (Sacrum
Imperium Romanum).
IV.
Levold von Northof (5.2.1279 [sic] – 24.9./3.10.1359)
war Domherr zu Lüttich und Geschichtsschreiber der Grafschaft Mark. Sein
Familienname geht auf den Nordhof bei 59077 Hamm-Pelkum zurück. Das Schloss ist
verschwunden, aber der Schlosshügel ist erhalten.
V.
Adolph V. von Berg († 1296) regierte die
Grafschaft Berg von 1259 bis zu seinem Tode. Er versuchte vergeblich, seinen
Bruder Konrad I. von Berg als Erzbischof von Köln zu installieren; denn es
setzte sich Siegfried von Westerburg durch. 1288 besiegte er ihn in der
Schlacht von Worringen, die mit dem Ruf: „Hya, Berge romerijke“ (Hoch,
ruhmreiches Berg) geführt wurde. Siegfried wurde 13 Monate auf Schloss Burg
gefangengesetzt. Adolph geriet 1292 durch eine Hinterlist in die Gefangenschaft
des Erzbischofs von Köln und starb in Haft.
VI.
Dies war nicht selbstverständlich; denn
1273 musste Adolph auf die Pfandrechte von Gummersbach verzichten, die an den
Grafen von der Mark fielen, da Adolph die Mitgift von 2.000 Talern für die
Heirat Irmgards von Berg (mit Eberhard I. von der Mark) nicht zahlen konnte.
VII.
Nikolaitag ist der 6. Dezember, aber der
Sonntag davor war im Jahre 1287 der 30. November.
VIII.
Burg Raffenberg, die Raffenburg, gegründet
wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ist heute die Ruine einer
Höhenburg in der Gemarkung Hohenlimburg der Stadt Hagen. Sie befindet sich auf
dem Gipfel des bewaldeten Raffenberges (240 m über Normalhöhennull).
IX.
7. Mai 1288.
Endlich ist Graf Engelbert, als er wegen seiner
Vormundschaft, um Allerheiligen ohngefehr, in die Grafschaft Tecklenburg reisen
wollen, durch Hermann (ErichI nennet ihn Bernd) von Loen,
verrätherischer Weise, (daher ihn auch ohne Zweifel Gert van der SchürenII
einen Struickrover [Strauchräuber] nennet) angefallen, verwundet, gefangen und
1277.III auf das Schloß Bredefort gebracht worden, da er denn bald
darauf, nemlich den fünften Tag nach Martini, nicht so wohl von den empfangenen
Wunden, als Verdruß, gestorben ist. Sein Cörper, welcher hernach durch seinen
Sohn mit Gewalt von Bredefort geholet wurde, ist zum Cappenberge beygesetzt
worden. […]
Als, wie im vorigen Capitel gesagt ist, Engelbert Graf
von der Mark, durch Hermann von Loen, auf seiner Reise nach Tecklenburg,
verrätherischer Weise angefallen, und, nachdem er zu BredevortIV
gefangen gesetzt, daselbst gestorben war, hat dieser Eberhard, so bald er vom
Kayserlichen Hof zurück kommen, und 1278. die Regierung angetreten, sein erstes
Werk seyn lassen, sich an den Mördern seines Vaters zu rächen. Da er nun des
Endes, als er von den Grafen von Cleve und Berge Hülfs-Völker empfangen hatte,
Bredefort belagerte, wurde ihm zwar von den Belagerten gleich der verblichene
Körper seines Vaters, unter Hofnung, daß er sich dadurch dadurch würde
befriedigen lassen, ausgeliefert, allein es war dadurch sein gerechter Eifer
noch nicht gestillet, sondern, so bald er die Leiche zum Kappenberg hinsetzen
lassen, so fuhr er in der Belagerung fort, und brachte die Belagerte dahin, daß
sie das Schloß heimlich verliessen, worauf dann Everhard dasselbe einnahm und
zerstörte.V
Nach diesem zog er zwar wieder an den Kayserlichen
Hof, und ließ einige Zeit sein Land durch Statthalter verwalten, als er aber
nach etlicher Zeit zurückkehrte, hatte er mit seinen Feinden fast immer zu
schaffen. Denn, wie der Amtmann zu Recklinghausen, Theodorus Kigge, welcher
sich zu Ahauß aufhielte, entweder auf Befehl oder Zulassen des Erzbischofen zu
Cölln, dem Lande von der Mark viel Schaden zufügete und sonderlich 1287. von
besagtem Schloß einen Einfall ins Märkische that, hat sich Everhard, welcher
mit seinem Schwager Adolph vom Berge und andern, wieder Cölln ein Bündniß
gemacht hatte, so bald er hiervon, da er eben zu Camen zu Tische saß,
benachrichtiget worden, nicht gesäumet, sondern die Seinigen in aller
Geschwindigkeit gerüstet, und den Feind aufm Fuß verfolget. Da er nun denselben
nicht weit von dem Schloß Ahauß eingeholet, hat Theodorus Kigge seine Pferde
aufs Schloß geschicket, und zu Fuß des Grafen von der Mark an dem Ufer der
Lippe erwartet; Bey dem ersten Angriff wurde zwar der Graf von der Mark mit den
Seinigen zurückgetrieben, nachdem er sich aber wieder ermannet, setzte er mit
solcher Heftigkeit unter die Feinde, daß er sie aufs Haupt schlug, und das
Schloß Ahauß nach einer kurzen Belagerung eroberte und zerstörte. Und eben so
machte ers mit dem Schloß Raffenberg nicht weit davon gelegen.
Aus: Johann Diederich von Steinen, Versuch einer
Westphälischen Geschichte besonders der Grafschaft Mark, Dortmund 1749, Bd. 1,
Stück I, Capitel VI, Abschnitt III; Capitel VII, Abschnitt II, Seite 142.151f;
Lemgo 1755, 142.151f.
Erläuterungen zu Johann Diederich von Steinen
I.
Adolar Erich († 1634; Kartograph, Pfarrer
und Regionalforscher), Gülichische Chronic. Darinnen der vhralten Hochlöblichen
Grafen Marggrafen vnd Hertzogen von der Marck, Gülich, Cleve, Bergen etc.
Ankunfft, Genealogi, Stam vnd Geschlechtsregister, Außbreitung, Succession,
Verenderung, fürnembliche thaten zu Friedes vnd Kriegszeiten, neben des
NiderReingeländes, Item der Städte, auch angrentzenden Provintzen vnd Lande,
vhralten vnd newen merckwürdigen Geschichten, in 7. vnterschiedlichen Büchern
ördentlich beschrieben, vnd biß in das 1610. Jahr continuirt werden, Leipzig
1611.
II.
Gert’s van der Schüren [† 1496] Chronik
von Cleve und Mark. Zum erstenmale herausgegeben und mit kurzen Anmerkungen
versehen von Carl Ludwig Philip Tross, Hamm 1824; Clevische Chronik nach der
Originalhandschrift des Gert van der Schuren nebst Vorgeschichte und Zusätzen
von Turck,VI einer Genealogie des clevischen Hauses und drei
Schrifttafeln, hg. v. Robert Scholten, Kleve 1884.
III.
Von Steinen bezeichnete die Angabe der
Jahre 1267, 1272, 1276 und 1278 bei anderen Autoren als Irrtum.
IV.
Bredevort, Bredefort; Eberhard, Everhard:
Die Schreibweise der Orts- und Personennamen, aber auch anderer Worte (Hofnung)
ist schwankend.
V.
Anmerkung von Steinens: „Also schreibt
Gert von der Schevvren.“ (Gert van der Schuren/Schüren).
VI.
Heinrich Turck (1607-1669), Historiker,
Annalist und Jesuit. Vgl. Helmut Lahrkamp, Die Annalen des P. Heinrich Turck
S.J., in: Archivum historicum Societatis Iesu 24 (1955), 189-210.
© Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2019