Agrigent
Heinrich
Michael Knechten
Sonntag, 31.3.1991
Die Osternacht dauerte bis 4.30 Uhr, danach Agapemahl bis
5.30 Uhr und Frühstück um 8.15 Uhr. Über die Osttangente Roms ging es dann
durch Kampanien. Wir kamen an Aquino vorbei, dem Geburtsort des bedeutendsten
mittelalterlichen Theologen, Thomas. In Monte Cassino gründete Benedikt seinen
Orden. Die Steine erschienen geschichtslos; nach den furchtbaren Zerstörungen
wurde alles wieder neu aufgebaut. Trulli, Steinhäuser in Kegelform oder
stufenförmig.
In Bari spielten hier und dort Kinder, ansonsten war
alles menschenleer, da die Familien Ostern feierten. Wundervoller Ausblick auf
die Adria. Großer Hafen. Im 11.
Jahrhundert wurden die Gebeine des heiligen Nikolaus von Myra in Lykien hierher
übertragen.
In Castellanetta Marina (ja, sucht dieses Kaff nur auf
der Landkarte!), am Golf von Tarent, erbarmte man sich unser. Eine Familie gab
uns etwas zu essen und rettete uns dadurch vor dem sicheren Hungertode.
Nachts durch die Basilicata: die Spitze des Stiefels
Italiens. In Nicòtera schreckten wir einen Hotelbesitzer aus seinem Dösen auf,
und er nahm uns freudig auf. In der Bar „Alabastro“ erhielten wir eine Pizza,
die in ihrer Qualität auf dieser Fahrt einmalig blieb.
Montag, 1.4.1991
Bei der Bergabfahrt wurden wir von zwei Carabinieri
kontrolliert; denn hier war ein Zentrum der ’Ndrangheta, wie später in der
Zeitung zu lesen war. Als sie erfuhren, dass ich Geistlicher bin, bekreuzigten
sie sich, und wir durften weiterfahren.
Von Villa San Giovanni aus Überfahrt mit der Fähre,
die auch den Zug von Rom nach Syrakus beförderte. An der Meerenge von Messina
war die Skylla, die mit der gegenüberliegenden Charybdis Probleme bei der
Schiffahrt verursachte. (Ähnlich wie dies bei den Säulen des Herakles der Fall
ist.) Nicht nur Odysseus hatte hier Schwierigkeiten. Die Sizilianer fuhren wie
die Henker die Serpentinen hoch und wieder herunter. Wunderbarer Blick auf das
tiefblaue Jonische Meer.
Zweitausend Meter ging es hoch nach Ätna-Nord. Dort
lag Schnee. Der dichte Nebel löste sich für einen Moment auf, sodass wir den
Krater sehen konnten. Außer dem Hauptkrater gibt es etwa 200 Nebenkrater. Im
Silvestro-Krater gab es Gestein in vielen Farben. Der letzte Ausbruch des Ätna
war 1984. Lavafelder und erstarrte Lavaströme, eine Mondlandschaft. In Ätna-Süd
lag ein Hund auf der Lava, triefnass von Nebel, der sich kaum von den
tiefhängenden Wolken unterschied. Abwärts war nur eine Sichtweite von einigen
Metern. Wir mussten uns regelrecht vorwärtstasten. Bei der Weiterfahrt hatten
einige Autos keine Scheinwerfer eingeschaltet; dies war ein Test für die
Reaktionsfähigkeit.
Catània, eine verfallende Stadt. Die größte Kirche
Siziliens, San Nicolò, stand hier, mit unvollendeten Säulen in der Fassade.
Dienstag, 2.4.1991
Griechisches Theater in Syrakus mit Blick auf das
Meer. Das „Ohr des Dionysos“ mit hervorragender Akustik: Der Tyrann soll hier Gespräche
der Gefangenen belauscht haben. Friedrich Schiller: Zu Dionys, dem Tyrannen
schlich / Damon, den Dolch im Gewande; / ihn schlugen die Häscher in Bande. /
Was wolltest du mit dem Dolche, sprich! / Die Stadt vom Tyrannen befreien. /
Das sollst du am Kreuze bereuen!
Das Tal der Tempel mit dem Concordiatempel (440-430
vor Christus errichtet): Ein Ringhallentempel, Säulen um Naos und Cella tragen
das Gebälk und das Dach. Die Benennung erfolgte nach einer in der Nähe
gefundenen römischen Inschrift; die ursprüngliche Weihe war wohl für die
Dioskuren. 597 wurde der Tempel in eine christliche Basilika umgewandelt, und
ist daher einer der besterhaltendsten griechischen Tempel.
Wir übernachteten in Porto Palo, unmittelbar am Meer
gelegen.
Mittwoch, 3.4.1991
Das deutsche Frühstück wurde mit dem entsprechenden
Augenverdrehen serviert. Tempel C in Selinunte, Apollo geweiht, 6. Jahrhundert.
Schönes Ebenmaß der Formen.
Von Tràpani nach Erice, der sogenannten sizilianischen
Schweiz. Matrosen pilgerten auf den 750 m hochgelegenen Felsen, um
Priesterinnen im Venustempel Wein, Kuchen und Sesterzen darzubringen.
In der normannischen Kathedrale Monreale (bei Palermo)
byzantinische Mosaiken aus dem 12. Jahrhundert: Szenen aus dem Buche Genesis
und aus dem Leben Christi einschließlich der Geistaussendung an Pfingsten.
Capella Palatina in Palermo: 1132-1140 im
normannisch-arabisch-byzantinischen Stil errichtet. Mosaiken: Michael, Gabriel,
Uriel und Rafael, David, Salomon, Zacharias, Isaias, Ezechiel, Jeremias,
Daniel, Moses, Elias und Elisäus umgeben den Pantokrator.
In Cefalù normannische Kathedrale des Erlösers aus dem
12./13. Jahrhundert. Segnender Pantokrator: Ich bin das Licht der Welt; wer mir
nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens
haben (Joh 8,12). Gottesgebärerin mit Erzengeln.
Donnerstag, 4.4.1991
Fahrt an der Küstenstraße, weil die Autobahn nach 15
Jahren „Bauzeit“ noch nicht vollendet ist. Tindari, 300 m hoher Felsen über dem
Golf von Patti. Neuromanische Kathedrale (1950er Jahre) mit verehrter Schwarzer
Madonna: Nigra sum, sed formosa (Hld 1,5).
Wandspruch in einem Laden. Willst du Ruhe, brauchst du
ein Glas Wissen, eine Flasche Klugheit, ein Faß Vorsicht, ein Bassin
Gerechtigkeit und ein Meer an Geduld.
© Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2019