Aberglaube im Alltag

 

Inhaltsverzeichnis

Einführung. 2

Auf Holz klopfen. 3

Bärenkult 4

Böller an Sylvester 5

Böser Blick. 5

Brot und Salz. 8

Däumchen drücken. 9

Fliegenpilz. 9

Freitag, der dreizehnte. 9

Hals- und Beinbruch wünschen. 10

Hörner-Geste. 10

Hufeisen. 12

Hut nicht auf das Bett legen. 12

In die Hände spucken. 13

Kleiderfarbe. 13

Kerzen des Geburtstagskuchens ausblasen. 15

Marienkäfer 15

Nicht über Kreuz die Hände reichen. 15

Nicht über die Schwelle die Hände reichen. 16

Nicht unter einer Leiter hindurchgehen. 17

Nicht zu dritt ein Bett machen. 17

Polterabend. 18

Rauhnächte. 18

Regenschirm nicht in der Wohnung aufspannen. 19

Salz nicht verschütten. 19

Schlechte Ernte! 20

Schornsteinfeger 20

Schwarze Katze. 20

Schwein gehabt 22

Spiegel verhängen. 22

Sternschnuppen. 25

Toi, toi, toi 25

Vierblättriges Kleeblatt 26

Terminologie. 26

Aberglaube. 26

Dämonen. 27

Fabelwesen. 27

 

 

Einführung

Als ich einmal einem Bekannten erzählte, daß es Völker gibt, die sich nicht über eine Schwelle hinweg die Hand reichen, rief er höhnisch: „Das glaubst Du!“

Ihm war nicht bewußt, welche Tabus er selber beachtete, da solches unbewußt geschah.

Um den Hintergrund dieser Bräuche verstehen zu können, vergegenwärtigen wir uns die Mentalität vergangener Jahrhunderte.

Diese Menschen gerieten in heillose Panik angesichts damals unheilbarer Krankheiten und Seuchen wie Pest und Aussatz. Sie fühlten sich ausgeliefert an finstere Mächte, blutrünstige Dämonen und böse Geister. Wenn ihnen durch den Bösen Blick etwas widerfuhr, verloren sie den Halt im Leben. Von Besessenen drohte schweres Unheil. Jederzeit konnte ein Mensch verzaubert werden, sodaß ihm ein qualvoller Tod bevorstand.

Die Welt schien bevölkert zu sein von bösen Geistern, finsteren Mächten, unheilbringenden Dämonen, sadistischen Teufeln, bösartigen Zauberern, feuerspeienden Drachen, blutsaugenden Vampiren, rachsüchtigen Berserkern und schrecklichen Werwölfen.

Wer im Prado Hieronymusʼ Bosch „Garten der Lüste“ betrachtet, findet dort zahlreiche Darstellungen dämonischer Wesen und schrecklicher Qualen.

Damalige Menschen versuchten negative Wirkungen und Unheil durch Rituale, durch feste Regeln und sogar durch Menschenopfer abzuwenden. Die Mächte sollten günstig gestimmt werden, damit sie ihnen nicht schadeten.

 

Im Folgenden möchte ich versuchen, einige dieser Regeln und Gepflogenheiten zu erläutern und die Frage zu beantworten: Warum verhalten wir uns so?

Die Anordnung ist alphabetisch.

Auf Holz klopfen

In der Coronazeit war es häufig zu sehen: Wenn jemand voller Stolz mitteilte, daß er bisher noch nicht infiziert worden war, klopfte er anschließend mit dem Knöchel dreimal auf Holz. Wie löst sich denn dieses Rätsel?

Dahinter steckt die Vorstellung, wer etwas Gutes sagt, kann „beschrieen“ werden, daher werden die bösen Geister, welche unter dem Tisch wohnen, gebeten, nichts Ungünstiges zu bewirken. Der Engländer redet von touching wood, der Franzose von toucher du bois.

Dreimal muß es sein, da drei eine vollkommene Zahl ist. In den Märchen werden drei Versuche gemacht, ehe es gelingt, auch in den Witzen kommen drei Personen vor oder eine Handlung geschieht dreimal.

Wer auf Plastik oder Metall klopft, hat nicht eine so gute Resonanz wie beim Klopfen auf Holz. Das hören die Geister einfach besser!

Es gibt aber auch das umgekehrte Klopfen: Pallida mors æquo pulsat pede pauperum tabernas regumque turres – Der bleiche Tod klopft mit gleichem Fuß an die Hütten der Armen wie an die Burgen (Wohntürme) der Reichen (Horaz, Carmina 1, 4, 13f).

Es gibt Klopfgeister, welche den Schlaf stören. Das kann sich bis zu „höllischem Lärm“ steigern. Wer nachschaut und die Quelle des Kraches sucht, findet nichts. Es handelt sich um Poltergeister.

Wenn es einem Menschen gut geht, kann dies den Neid der Götter (φϑόνος ϑεῶν phthónos theōn, invidia deorum) hervorrufen. Vorausgesetzt wird dabei, daß der Mensch sein Maß überschritten hat und der Überheblichkeit (ὕβρις hýbris) anheimgefallen ist. Der Monotheismus depotenzierte die Götter zur Gestalt des Teufels und schrieb: „Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt“ (Weish 2, 24).

Wie bei allen Bräuchen gibt es auch für das Klopfen auf Holz eine pragmatische Erklärung. Wenn ein Bergmann oder ein Matrose prüfen wollte, ob ein Balken oder eine Planke in Ordnung war, klopfte er darauf. Gab es einen hellen Klang, so war das Holz gesund, und bei einem dumpfen Klang war es morsch, mußte also ausgetauscht werden.

Bärenkult

Der Mensch stammt vom Bären ab und der Herr der Tiere hat Bärengestalt. Wenn ein Bär sich aufrichtet, ähnelt er tatsächlich einem Menschen. Wie die Höhlenbewohner der Steinzeit, bewohnt auch er Höhlen. Beim Bärenfest hüllen sich Menschen in Bärenfelle, singen und tanzen. Der erlegte Bär wird rituell verzehrt und verleiht dem Menschen seine Bärenkräfte.

Der Bär symbolisiert die Auferstehung, da er im Frühjahr nach seinem Winterschlaf mit den neu geborenen Bärenjungen aus seiner Höhle hervortritt.

Als König Saul daran zweifelte, ob der junge David den Philister Goliat (golyāṯ) besiegen könne, erzählte David: „Dein Knecht hat für seinen Vater die Schafe gehütet. Wenn ein Löwe oder ein Bär kam und ein Lamm aus der Herde wegschleppte, lief ich hinter ihm her, schlug auf ihn ein und riß das Tier aus seinem Maul. Wenn er sich dann gegen mich aufrichtete, packte ich ihn an der Mähne und schlug ihn tot“ (1 Sam 17, 34f). Der Sieg Davids über Goliat wurde christlich umgedeutet: „Christus est qui occidit diabolum“ (Christus ist es, welcher den Teufel tötete: Augustinus, In psalmum XXXIII ennaratio, sermo I, 4, PL 36, 302).

In einem Dorf wurde eine Frau vermißt. Alle Bewohner machten sich auf, sie zu suchen. Schließlich fanden sie ihre Fußspuren im Walde, folgten ihnen eine weite Strecke, mußten aber feststellen, daß sich statt ihrer plötzlich Spuren von Bärentatzen fanden. Die Frau hatte sich in eine Bärin verwandelt. Aufgezeichnet von: Aleksandr Borisovič Ostrovskij, Религиозные верования Нивхов (Religiöse Glaubensvorstellungen der Nivchen), Južno-Sachalinsk 2005, 25 (Mythos der Ulʼčen).

Nun könnte der Eindruck entstanden sein, all das habe herzlich wenig mit unserem Kulturkreis zu tun. Dem ist nicht so. Alle haben schon einmal eine Bärenapotheke gesehen. Hier steht der Bär für erneuertes Leben und wiedererlangte Gesundheit.

Böller an Sylvester

In jedem Jahr wird mehr Geld für Böller ausgegeben als im Vorjahr, trotz aller Appelle, Mahnungen und Vorsätze.

Der Grund für das Böllern ist einfach: Die bösen Geister sollen durch den Lärm für ein ganzes Jahr vertrieben werden.

Zugleich handelt es sich um einen der Bräuche, den Winter und die Kälte zu vertreiben.

Böser Blick

Κακοδαίμων kakodaímōn – Böser Geist. Angriff auf den Bösen Blick: Das Auge wird von Schwert und Dreizack durchbohrt, Rabe, Hund, Katze, Schlange, Skorpion und Tausendfüßer greifen an. Ein ithyphallischer Zwerg kreuzt zwei Stöckchen (ιϑύφαλλος ithýphallos – mit sich aufrichtendem Glied). Römisches Mosaik aus dem Hause des Bösen Blickes, Antiochien, im Archäologischen Museum, Antakya.

Bereits im Alten Orient ist die Furcht belegt, jemand könne durch seinen Blick Unheil über einen Menschen bringen, Krankheit, Tod, Unglück oder Verlust des Besitzes verursachen.

Tatsächlich ist das Sehvermögen der einzige Sinn des Menschen, der über eine gewisse Strecke sowohl senden als auch empfangen kann. Das Vermögen des Hörens, Schmeckens und Riechens kann dies nicht. Während das Tastvermögen auf die direkte Berührung angewiesen ist, kann das Auge Entfernungen überwinden. Ein Mensch wird unruhig, wenn ein Blick auf ihm ruht, selbst wenn er den blickenden Menschen nicht sehen kann. Er rückt die Kleidung zurecht oder versucht festzustellen, aus welcher Richtung ihn der Blick trifft. Es ist möglich, einen Menschen mit dem bloßen Blick einzufangen und festzuhalten.

„Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, ja, genommen hast du mein Herz mit einem einzigen Blick deiner Augen“ (Hld 4, 9).

Die Augen des Verstorbenen werden geschlossen, damit sein Blick nicht einen Lebenden verzaubere, sodaß ihm dieser ins Grab folgen müsse. Vor der Hinrichtung werden den Delinquenten die Augen verbunden, damit sie niemandem mehr durch ihren Bösen Blick schaden können.

Abgewehrt wird der Böse Blick durch die Geste der Hörner, durch die Feigenhand (Vulvahand: der Daumen wird zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt), durch ein Hufeisen an der Eingangs- oder Stalltüre, durch eine Nadel im Revers oder durch die Hand der Fatima.

 

Die Hand Fatimas, Silber, Ägypten,
Photographie von Cornelia Attolini

 

Brot und Salz

Im Altertum war Brot die lebenserhaltende Speise schlechthin. Römische Soldaten bekamen ihren Sold in Getreide ausgezahlt. Salz war kostbar, konservierte Speisen und machte sie schmackhaft. Salz ist lebensnotwendig: Zu wenig Salz führt zu einer Dehydrierung, zu Sturzgefahr, Bettlägerigkeit und Verwirrtheit. Die sogenannte salzlose Kost vertraut darauf, daß vielen gekauften Nahrungsmitteln bereits Salz beigefügt wurde.

Gäste werden mit Brot und Salz begrüßt. Damit wird Gastfreundschaft und Bündnistreue ausgedrückt; denn ein Bund wird mit Salz geschlossen: „Das soll für dich und deine Nachkommen als ein ewiger Salzbund vor dem Herrn gelten“ (Num 18, 19). Salz reinigt und macht die Gabe dauerhaft; so soll auch der geschlossene Bund von Dauer sein. Von daher erklärt es sich, daß Brot und Salz dem Brautpaar bei der Hochzeit dargereicht werden.

In ähnlicher Weise ist es üblich, daß Braut und Bräutigam gemeinsam einen Baumstamm, der auf einem Holzbock liegt, sägen. Dazu wird eine Schrotsäge verwendet, die sich nur dann nicht verklemmt, wenn abwechselnd gezogen wird. Dies steht für die Gemeinsamkeit. Der Baumstamm ist ein Phallussymbol.

Ein englischer Hochzeitsbrauch breitet sich in Deutschland aus: Etwas Altes schenken, welches das bisherige Leben verkörpert, etwas Neues für das nun beginnende gemeinsame Leben, etwas Geliehenes, um die Bedeutung der Freundschaft zu betonen, etwas Blaues für die Treue und ein Glückspfennig im Schuh.

Die Bedeutung des Glückspfennigs zeigt sich im Sprichwort: „Wer den Heller nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“. Der Pfennig war aus Kupfer, welches bösen Zauber lösen konnte.

Der Brautschuh wurde von gesparten Pfennigen bezahlt. Der gestohlene Brautschuh wird versteigert. Der Bräutigam muß den Brautschuh wiedererlangen; denn er steht für sein Recht auf die Braut. Der Brautschuh ist ein Vaginasymbol. „Unter dem Pantoffel stehen“ bedeutet, nichts entscheiden zu dürfen.

Däumchen drücken

Vor einem wichtigen Fußballspiel, vor einem Examen, immer, wenn es um einen erhofften Erfolg geht, werden die Daumen gedrückt. „Ich drückʼ Dir die Daumen“, heißt es auch in einem Gespräch, wenn es um kommende Ereignisse geht, von denen viel abhängt. Warum gibt es diesen Brauch?

Wer die Daumen drückt, hält gleichsam die bösen Dämonen fest, damit sie keinen Schaden anrichten können.

Fliegenpilz

Er ist zwar giftig, hat aber auch eine halluzinogene Wirkung und findet, dementsprechend, bei schamanischen Kulten Verwendung. Er wird als Insektizid eingesetzt, daher der Name „Fliegenpilz“.

Der Marienkäfer hat eine rot-schwarze Farbgebung und der Fliegenpilz eine rot-weiße. Beide gelten als Glückssymbole. Das Wort „Glückspilz“ bezeichnete zunächst einen Emporkömmling, seit dem 19. Jahrhundert aber einen Menschen, der Erfolg hatte.

Freitag, der dreizehnte

Zwölf ist eine heilige Zahl: Es gibt zwölf Stämme Israels, zwölf Apostel und zwölf Monate im Jahr. Wenn zu dieser Zwölfzahl eine Person hinzukommt, ist dies der Teufel. Menschen haben sich mit ihm verbunden und ihm ihre Seele mit eigenem Blut überschrieben, um Macht und Reichtum zu gewinnen.

Von daher gilt die Zahl dreizehn als Unglückszahl. Freitag weist auf den Karfreitag, an dem Jesus hingerichtet wurde. Dies ist zunächst einmal ein Unglückstag. (Auch in der Theologie sollte nicht vorschnell die Auferstehung in dieses grausame Geschehen hineingemischt werden!) Wenn sich dreizehn und Freitag verbinden, bedeutet dies doppeltes Unglück.

Da gibt es eine Anekdote. Jemand sagte: „In diesem Jahr fällt Weihnachten auf einen Freitag.“ Ein anderer rief angstvoll aus: „Hoffentlich nicht auf den dreizehnten!“

Das dreizehnte Stockwerk fehlt in diesem Hochhaus.

Hals- und Beinbruch wünschen

Das ist nun wahrhaftig ein seltsamer Wunsch? Soll denn der Gesprächspartner gesundheitlichen Schaden erleiden oder gar sterben?

Nein. Auch hier ist es die Angst, „beschrieen“ zu werden, wenn etwas Gutes gesagt wurde. Also sagt man das denkbar Ungünstigste, um aus jeder Gefahr gerettet zu werden oder um Erfolg zu haben.

In Frankreich „wünschen“ Schauspieler vor einer Theateraufführung merde, in Italien merda. Es handelt sich um einen Gegenzauber. Gewünscht wird eine verpatzte Aufführung, damit die reale gelingt.

Hörner-Geste

Das Horn des Tieres ist ein Symbol seiner Stärke, daher werden Tierhörner an den Häusern angebracht, um dunkle Mächte, Krankheiten und Unglücke abzuwehren.

Als Behälter ist das Horn das Symbol der Fülle und des Gedeihens. Das Getränk im Trinkhorn erhält seine Kraft vom Horn. In zahlreichen Darstellungen findet sich das Füllhorn.

Römische Darstellung des Füllhorns mit Gold und Onyx,
Britisches Museum

Götter und Dämonen tragen Hörner auf dem Haupt. Es war ein Brauch mesopotamischer Priester, eine Hörnerkrone zu tragen, um die Macht der Götter zu repräsentieren.

Hörnerkrone, akkadisches Siegel, Nachzeichnung, 2.200 vor Christus

Von daher erklärt sich die Aussage über Moses, der nach dem Empfang der Gesetzestafeln vom Berg Sinai hinabstieg und nicht wußte, daß die Haut seines Angesichtes gehörnt war (קרן qāran; Ex 34, 29). Dies übersetzte Hieronymus in der Vulgata richtig: Moysesignorabat quod cornuta esset facies sua.“ Da man dies für einen Verständnisfehler hielt, übersetzten manche, daß die Haut seines Angesichtes glänzend geworden war, weil er mit Gott selbst gesprochen hatte und dessen Herrlichkeit widerspiegelte.

Michelangelo Buonarotti, Moses (1513-1515), Juliusgrab in der Kirche Petrus in vinculis (in Ketten), Rom. Bewundernswert ist die dargestellte Integration des Zornes; denn der ägyptische Moses hatte einen Aufseher getötet, weil dieser einen Hebräer gezüchtigt hatte (Ex 2, 11f).

Der Teufel ist ja ein depotenzierter Gott, daher trägt er Hörner.

Das Horn war auch eine Waffe, mit der Gegner niedergestreckt wurden. Wenn Krieger in der Bronzezeit (um 900 vor Christus) Helme mit nachgebildeten Hörnern trugen, wollten sie damit die Stärke des Tieres in sich aufnehmen.

Hörnerhelme aus Veksø, 20 km nordwestlich von Kopenhagen, Bronzezeit, um 900 vor Christus, Nationalmuseum, Kopenhagen

Die Geste der Hörner (gesta delle corna, mano cornuta), bei der die ausgestreckten Zeige- und kleiner Finger nach unten weisen, möchte das Unglück, von dem gerade geredet wird, in die Unterwelt zum Teufel, der ja Hörner trägt, ableiten. Es handelt sich um einen apotropäischen Ritus.

Wer von einem Unglück hört, „macht Hörner“, um das Unglück von sich fernzuhalten. Die Finger sollten nach unten zeigen, da das Böse in die Unterwelt abgeleitet wird.

Minos wollte König von Kreta werden und gelobte dem Meeresgott Poseidon, was immer dem Merre entstiege, wolle er ihm opfern. Dem Meer entstieg ein prächtiger Stier, doch Minos opferte stattdessen ein minderwertiges Tier. Poseidon ergrimmte und erfüllte Minosʼ Frau Pasiphae mit dem Begehren, sich mit diesem starken Stier zu vereinigen. Dies geschah und Pasiphae gebar den Minotauros (Minosstier), einen Menschen mit Stierkopf, dem nach einiger Zeit Hörner wuchsen, woran Minos die Tat seiner Frau erkannte. Minos war also „gehörnt“ worden.

Minotauros, 515 vor Christus, Tondo (kleinformatiges, rundes Bild), attischer Kylix (flaches Trinkgefäß), „Maler von London B 76“ (dies ist ein sogenannter Notname für einen weiter nicht bekannten griechischen Vasenmaler Mitte bis Ende des 6. Jahrhunderts vor Christus)

Hufeisen

Ein Hufeisen muß zufällig gefunden werden; man darf es nicht suchen. Wird es an die Haustüre genagelt, stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Zeigen die Enden nach oben, ist es ein Gefäß, welches das Glück aufnimmt. Zeigen die Enden nach unten, ergießt sich das Glück über alle, welche in diesem Hause wohnen.

Was ist beim Hufeisen glückbringend? Zunächst einmal das Eisen, das in positivem Rufe stand (Eisenzeit: das Eisen ist härter als Bronze). Dann das Finden: Glück wird empfangen, ohne daß der Finder etwas hinzufügt. Sodann die offene Kreisform, die zum Füllen einlädt.

Ursprünglich hatten nur die Indoeuropäer Pferde, und nur sie wußten, wie mit ihnen umzugehen war. Da sie sehr bald den Streitwagen erfanden, der von einem oder mehreren Pferden gezogen wurde, konnten sie das Gebiet des heutigen Europas erobern und beherrschen.

Der Pferdekult der Sachsen lebt in den hölzernen Pferdeköpfen an Hausgiebeln und beim Wappentier der Westfalen fort.

Dieser geschichtliche Hintergrund dürfte die Bedeutung des Hufeisens erhöhen, das allerdings erst seit dem Mittelalter bekannt ist.

Hut nicht auf das Bett legen

Ein Hut schützt vor Sonnenbrand, Regen, Kälte und Wind; mit ihm ist der Mensch behütet. Im weiteren Sinne wehrt er schädliche Wirkungen ab. Dies wird besonders deutlich beim Helm, der vor Kopfverletzungen schützt.

Im alten Kreta wurden mützenförmige Gegenstände aus Ton hergestellt, welche die Vagina der minoischen Magna Mater, der Großen Muttergöttin, symbolisierten.

Der Hut ist ein Standeszeichen. Ursprünglich durfte er nur von Herrschern und Priestern getragen werden. Die Phrygische Mütze wurde beim Mithras-Kult getragen und entwickelte sich zur Mitra, der Bischofsmütze.

Der Kriegs- und Totengott Odin/Wodan trägt einen breiten Hut, der sein Gesicht verhüllt. So kommt der Tod, aber auch die Gefahr, plötzlich über den Menschen.

Wird ein Hut auf ein Bett gelegt, bringt das Unglück oder es kommt Streit in die Familie. Die pragmatische Erklärung dafür ist, daß es früher häufig Läuse gab, die dann weitergegeben wurden. Eine magische Erklärung ist, daß in den Haaren einer anderen Person böse Geister wohnen können. An einem fremden Hut kann ein Haar hängengeblieben sein, so daß sich die bösen Geister und damit das Unglück ausbreitet.

In die Hände spucken

Plinius schrieb im ersten Jahrhundert nach Christus im 28. Buche seiner Naturgeschichte, daß man in die Hände spuckt, um besonders wirkungsvolle Schläge austeilen zu können.

Der Speichel hat eine desinfizierende Wirkung und trägt zur Heilung einer kleinen Wunde bei. In übertragener Bedeutung gilt er als Mittel der Verstärkung.

Er hat auch eine apotropäische Wirkung. Im alten Taufritus soll der Täufling nicht nur dem Satan entsagen, sondern auch auf ihn spucken, und das dreimal hintereinander. Dieses Spucken soll Schädliches abwehren.

Kleiderfarbe

Die teuerste Kleiderfarbe war Purpur, das aus verschiedenen Arten der Purpurschnecke gewonnen wurde. Nur Menschen der oberen Schichten der Gesellschaft konnten sich Purpurkleidung leisten. Von daher war sie ein Standessymbol par excellence.

Je nach Art der Purpurschnecke, Geschlecht, Art der Ernährung und Dauer der einzelnen Färbeprozesse wurde die Kleidung in verschiedenen Farbtönen gefärbt: grün, altrosa, tiefrot, blau, violett und fast tiefschwarz.

Daraus entwickelten sich die liturgischen Farben: grün für die Zeit des Kirchenjahres außerhalb der sogenannten geprägten Zeiten, Rosa für die Sonntage Gaudete im Advent und Lætare in der Fastenzeit, rot für Martyrer, Pfingsten, Palmsonntag und Kreuzerhöhung sowie bei der Firmung, blau für Marienfeste und für Bekenner, violett für die Bußzeiten und schwarz für Seelenämter. Weiß wird getragen an Ostern und Weihnachten, Epiphanie, Gründonnerstag, Fronleichnam und Allerheiligen, an Festen der Nichtmartyrer, der Erzengel, bei der Profeß und bei Weihen sowie zum Begräbnis eines Kindes. Goldene und silberne Gewänder werden an besonders hohen Festen anstelle von weiß getragen.

In der Orthodoxie gab es zunächst nur weiße Gewänder, später auch goldene und silberne, welche die Freude der Auferstehung ausdrückten. Allmählich entwickelte sich der Brauch, während der häufigen Fastenzeiten dunkle (braune oder schwarze) Gewänder zu tragen. Erst viel später gab es Zuweisungen anderer Farben, grün für Apostel und Bischöfe, helles Oster-Rot, dunkles Fastenzeit-Rot, aber weiß dominiert weiterhin; es wird auch bei der Liturgie für Entschlafene getragen als Zeichen der Auferstehung.

Orange, gelb und rot reflektieren das Licht, sie sind warm, sie breiten sich aus und sind aktiv sowie aufnahmebereit. Blau und violett absorbieren das Licht, sie sind kalt, in sich zurückkehrend und passiv sowie abweisend. Grün verbindet diese beiden Bereiche. Schwarz ist negativ und weiß positiv.

Blau ist die Farbe des Intellektuellen, kalt und abweisend, aber auch des Himmels und der Makellosigkeit. Manche lassen sich ihre Häuser blau anstreichen, um Diebe abzuschrecken.

Dunkelgelb bezeichnet Ambivalenz, Eifersucht, Neid und Verrat.

Gold steht für das Göttliche, die Herrlichkeit, Erleuchtung, Unsterblichkeit, den Osten (Goldene Horde).

Grün ist der Frühling, die Natur, der Überfluß und die Vegetation. Da es sich aus gelb und blau zusammensetzt, ist es die Verbindung von Himmel und Erde.

Lila ist die Farbe des Todes; daher legen Schauspieler bei Aufführungen keine Gewänder dieser Farbe an.

Rot ist die Sonne, das Feuer, das Blut, der Krieg, die Leidenschaft, die Liebe, die Wildheit, die Kreativität, der Süden.

Schwarz ist der Norden, da es in ihm lange Zeiten ohne Sonnenlicht gibt.

Weiß steht für den Westen (Weißrußland).

Kerzen des Geburtstagskuchens ausblasen

Mit dem Rauch der ausgeblasenen Kerzen sollen die guten Wünsche zum Himmel aufsteigen und sich erfüllen.

„Aufsteige mein Gebet wie Weihrauch vor Dein Angesicht“, heißt es in Psalm 140/141, 2.

Marienkäfer

Der Marienkäfer hat manchmal auf seinen Flügeln sieben Punkte. Dies wurde mit den sieben Schmerzen Mariens in Verbindung gebracht. Er jagt im Auftrage der Jungfrau Maria Schädlinge, vor allem Blattläuse und Spinnmilben. So wird dieser Käfer positiv und glückbringend gewertet. Er bringt nicht nur neue Kleider, sondern verheißt auch Kindersegen. In Italien ist sein Name anima della Madonna, daher darf er nicht getötet werden. Wer ihn dennoch tötet, dem zürnt die Gottesmutter neun Tage lang. Der Marienkäfer warnt vor Gefahr und kündigt das Wetter an: fliegt er in die Höhe, bedeutet dies gutes Wetter, in die Tiefe – schlechtes.

In den letzten Jahren hat sich der asiatische Marienkäfer ausgebreitet, der etwas größer ist, auf den Flügeln 19 schwarze Punkte aufweist und die einheimischen Marienkäferarten sowie andere Insektenarten verdrängt.

Nicht über Kreuz die Hände reichen

„Nicht über Kreuz!!!“, merkt jemand in gebieterischem Ton an, und die Hände zucken zurück. Warum ist das so?

Zur Begründung wird angegeben, daß durch ein kreuzweises Händereichen die Freundschaft zerbricht und sogar der Tod hervorgerufen werden kann. Dies ist eine dürftige Erklärung; denn wiederum stellt sich die Frage, warum das so sein soll.

Der kulturelle Hintergrund, der dahinter steht, umfaßt verschiedene Elemente.

Es gibt eine pragmatische Erklärung. Früher gab man sich die Hand, um zu beweisen und kontrollieren zu lassen, daß darin keine Waffe verborgen war. Wenn man sich über Kreuz die Hände reicht, kann dies nicht sicher erkannt werden, sodaß möglicherweise eine Waffe in das Haus des Gastgebers geschmuggelt wird.

Der Bindezauber ist archaischer. Wer sich über Kreuz die Hände reicht, geht eine ewige Bindung ein, die weitreichende Wirkungen hat. Mit Unbekannten oder wenig Bekannten eine solche Bindung einzugehen bedeutet, dieser Person auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein; denn es droht auf diesem Weg ernster Schaden.

Das Kreuz ist eine schändliche und überaus grausame Hinrichtungsart. Cicero schrieb, ein römischer Bürger und freier Mensch solle daran nicht einmal denken (Pro C. Rabirio perdvellionis reo oratio ad quirites 5, 16, herausgegeben von A. C. Clark, Oxford 1909, 187).

Insofern sei es ferne, mit den Händen ein Kreuz zu bilden!

Der Bindungszauber und der Abscheu vor dem Kreuz gelten auch für das Verbot des Anstoßens mit Gläsern über Kreuz. „Non fate croci!“, sagt der Italiener. Auch hier gibt es zunächst eine pragmatische Erklärung: Beim Anstoßen ist es notwendig, sich gegenseitig in die Augen zu blicken, um einigermaßen sicher sein zu können, daß im Wein kein Gift ist.

Nicht über die Schwelle die Hände reichen

Unter der Schwelle des Hauses wurde die Asche der entschlafenen Familienangehörigen beigesetzt. In der späteren Zeit entfiel dieser Brauch und die Schwelle galt nun als Ort böser Geister. Aus diesem Grunde bringt es Unglück, sich über die Schwelle die Hände zu reichen oder an der Türschwelle ein Gespräch zu führen. Eine Braut wird vom Bräutigam über diese unheilbringende Schwelle herübergetragen.

Nicht unter einer Leiter hindurchgehen

Die Leiter bildet mit der Wand, gegen die sie gelehnt ist, und dem Boden ein Dreieck. Pythagoras von Samos (um 570 bis nach 510 vor Christus) hielt das Dreieck für heilig. Wer es stört, rüttelt an der kosmischen Ordnung.

Nicht zu dritt ein Bett machen

Wird zu dritt ein Bett gemacht, stirbt der jüngste von ihnen vorzeitig.

Eine Erklärung dafür ist, daß Betten meist für zwei Personen gemacht sind. Kommt eine dritte hinzu,  wäre das eine menage à trois, ein Dreiecksverhältnis, das selten gut geht.

Die meisten Menschen werden in einem Bett gezeugt sowie geboren und sterben in einem Bett. Von daher ist mit diesem Einrichtungsgegenstand eine Ambivalenz verbunden.

Das Schlafen stellt die Brücke zur Welt der Geister dar. Im Schlaf übergibt sich der Mensch den kosmischen Mächten und kann nicht kontrollieren, was während des Schlafes geschieht. Es gibt Wunschträume, aber auch Albträume (die Alben, koboldhafte Naturgeister, bedrängen den Schlafenden).

Nachtmahr, 1790f, von Johann Heinrich Füssli (1741-1825), Goethehaus, Frankfurt am Main

Das Bett soll tagsüber nicht offenbleiben, sonst legt sich ein Geist hinein.

Mit dem linken Fuß aus dem Bett zu steigen gilt als ungünstiger Tagesanfang.

Prokrustes (Προκρούστης – Ausstrecker) war ein Riese, Sohn Poseidons, und betätigte sich als Wegelagerer. Er nahm Reisende mit sich und legte sie in ein Bett. Waren sie zu lang für dieses Bett, hackte er ihnen die Füße ab, und waren sie zu kurz, streckte er sie. Dies berichtete Diódōros von Sizilien (1. Jahrhundert vor Christus) in seiner Historischen Bibliothek 4, 59.

Im übertragenen Sinne gibt es die Redewendung vom Prokrustesbett der Theorie: Sie macht die Überlegungen „passend“, ohne auf die Realität Rücksicht zu nehmen.

Polterabend

Die Hochzeit ist neben der Geburt und dem Tod einer der drei wichtigsten Wendepunkte im Leben. Eine glückliche Ehe, gesunde und erfolgreiche Kinder und Kindeskinder sowie ein langes Leben sind ersehnt und erhofft.

Am Vorabend der Hochzeit zertrümmern die Gäste Geschirr, um vom Brautpaar Unheil abzuwenden. Da böse Geister schreckhaft sind, werden sie durch den Lärm vertrieben. Das Geschirr steht für das Leben, welches durch Nahrung erhalten wird. Der Analogiezauber soll das Gegenteil bewirken: Durch die symbolische Zerstörung des Hausrates soll Gutes kommen. Scherben bringen Glück!

In ähnlicher Weise wird bei der Schiffstaufe eine Sekt- oder Champagnerflasche am Schiff angebunden, mit einem Seil hochgehoben und dann am Schiff zerschmettert. Das krachende Splittern soll die lärmempfindlichen Geister vertreiben, damit das Schiff nicht sinke.

Rauhnächte

Zwischen Weihnachten und dem Fest der Drei Könige liegen zwölf Nächte, die als Rauhnächte bezeichnet werden. Der Name kommt daher, weil in dieser Zeit in Haus und Stall mit Weihrauch geräuchert wurde, um Mensch und Vieh vor bösen Geistern und Krankheiten zu schützen; denn gerade in dieser Zeit des Jahreswechsels gehen sie bedrohlich um.

Die Wintersonnenwende (Julfest) wird mit Feuer- und Lichtsymbolik begangen; denn eine Neue Zeit beginnt. An Sylvester bricht die Wilde Jagd auf: Dämonen, böse Geister und die Seelen Verstorbener jagen über den Himmel.

In der Zeit „zwischen den Jahren“ darf keine Wäsche gewaschen werden. In der Wäscheleine könnte sich die Wilde Jagd verfangen und weiße Wäschestücke könnten zu Leichenhemden werden.

Kinder gehen von Haus zu Haus, singen Heischeverse und erhalten Krapfen (eine Fastenspeise) und Kleingeld. Dies ist ein Heischebrauch. Dies hängt mit dem Tag der Unschuldigen Kinder, dem 28. Dezember, zusammen, welcher des Kindermordes in Bethlehem gedenkt (Mt 2, 16).

Auch hier gibt es eine profane Begründung: Ursprünglich schickten bedürftige Eltern ihre Kinder los, damit sie den Lebensunterhalt erbettelten. Dabei spielte der Mitleidsfaktor eine Rolle.

Gefastet und gebetet wird in dieser Zeit, um sich gegen dämonische Einwirkungen zu wappnen. Das Martinsfasten beginnt am Feste des heiligen Martin von Tours (11. November) und setzt sich fort bis Weihnachten, bei Strenggläubigen auch bis zum Feste der heiligen Drei Könige.

Regenschirm nicht in der Wohnung aufspannen

Wer das dennoch tut, provoziert Streit in der Familie, beschwört Unglück oder sogar den Tod.

Der Grund dafür ist pragmatisch. Früher hatten die Regenschirme eine Metallspitze. Wer einen solchen Regenschirm im engen Hausflur öffnete, konnte leicht jemanden verletzen. Außerdem galt es als unheilbringend, auf eine Person mit einer Metallspitze zu zeigen, da diese als Waffe zählte.

Übrigens ist der Sonnenschirm um Jahrtausende älter als der Regenschirm. In heißen Ländern gehörte er als Würdezeichen zu den Repräsentationsrequisiten vornehmer Menschen. Ein schwacher Abglanz davon ist der halbgeöffnete Schirm in der Basilika minor, der ursprünglich als Sonnenschirm bei Prozessionen diente.

Salz nicht verschütten

Salz wurde gebraucht, um Fleisch und Fisch haltbar zu machen, es wurde dem Wasser beigefügt und trug zur Wundheilung bei. Es war lange Zeit selten und daher kostbar. Es wurde in Salzstöcken abgebaut oder in einer speziellen Pfanne gesiedet. Die Salzstraße erinnert an die Handelswege des Salzes. Städte wurden reich durch den Salzhandel. Städtenamen wie Salzburg, Salzgitter, Salzkotten, Salzuflen und Salzwedel sowie der Regionalname Salzkammergut erinnern an diese Zeit. Wer Salz verschüttete, verschwendete ein lebenswichtiges Gut und das Geld, welches es gekostet hatte.

Schlechte Ernte!

Das sagt der Bauer, damit es eine gute Ernte gibt. Es handelt sich um einen Gegenzauber wie bei dem Wunsch: „Hals- und Beinbruch!“

Schornsteinfeger

Vom Wort Kamin leitet sich die Kemenate ab, die einen geheizten Raum bezeichnet. Die Vorstellung wohltuender Wärme ist mit diesem Wortfeld verbunden.

Der Rauch entwich früher durch ein Rauchloch, zog also durch das ganze Haus, was gesundheitsschädigend war. Später gab es röhrenförmige Ableitungen, die als Schlot bezeichnet wurden. Erst ab dem 14. Jahrhundert kam der Schornstein auf.

Auf den Sims des Kamins wurden Figuren der Hausgeister gestellt. Wenn man etwas loswerden will, hängt man es in den Kamin. Ein Schuß in den (kalten) Ofen steht für einen Mißerfolg, da Backware nicht in einen kalten Ofen eingeschoben werden kann, wobei dieses Einschieben als Schuß bezeichnet wird. Durch den Schornstein steigen Totengeister auf. Die Hauchseele fuhr durch das Rauchloch aus. Dahinter steht das Wort: „Er hauchte den Geist aus“ (Mk 15, 37). Durch den Schornstein können aber auch böse Geister ins Haus eindringen. Um dies abzuwehren, wird ein Besen in den Schornstein gehängt.

Ein Schornsteinfeger bringt deswegen Glück, weil er den Schornstein kehrt und damit das Haus vor Feuersbrunst bewahrt,

Schwarze Katze

In einer schwarzen Katze soll der Teufel wohnen, daher bringe sie Unglück, wenn sie einem Menschen begegnet.

In Ägypten galten Katzen als Göttinnen, wurden verehrt, dargestellt und nach ihrem Tode mumifiziert.

Statue der Katzengöttin Bastet, Louvre

Die Katze ist ein spirituelles Tier. Wenn ein Mensch meditiert, versteht sie das und „meditiert“ ebenfalls.

Wird eine Katze als „falsch“ bezeichnet, beruht dies auf einem Mißverständnis. Eine Katze ist kein Schoßtier, sondern ein Raubtier. Sie überlistet ihre Beute. Sie wird immer versuchen, das durchzusetzen, was sie für sich selbst als angenehm und nützlich empfindet. Sie wird deswegen als „dumm“ empfunden, während der Hund als intelligent gilt, weil er in der Regel tut, was der Mensch ihm befiehlt. Die Katze hängt am Haus und nicht am Menschen.

Wenn eine Katze um die Beine eines Menschen streicht, imprägniert sie ihn mit dem eigenen Körpergeruch, da ihr der Geruch des Menschen unangenehm ist. Zugleich markiert sie den Menschen als ihr zugehörig.

Wer eine Katze nicht kennt, sollte bei der ersten Begegnung mit einer fremden Katze sehr behutsam sein, sonst vertreibt er sie. Ich habe eine Katze erlebt, die bei der ersten Begegnung etwa drei Meter Abstand hielt, aber bereits am folgenden Abend Zutrauen hatte. Sie hatte einfach zunächst „das Gelände sondiert“.

Eine Katze spricht mit dem Schwanz. Peitscht er, ist es sinnvoll, die Katze zu meiden, ragt er steil in die Höhe, lädt die Katze ein, mit ihr zu spielen und sie zu streicheln.

Wenn man während der Pestzeiten nicht so viele Katzen getötet hätten, weil sie als Begleiterinnen der Hexen galten, wären die Katzen leicht mit den den Pesterreger übertragenden Ratten fertiggeworden.

Was den Menschen Angst macht, sind die Augen der Katze: sie sind zwar nach der Geburt angenehm blau, schillern aber nach drei Monaten unangenehm grün, die Pupillen stehen senkrecht, nachts fluoreszieren die Augen und glühen gleichsam.

Schwein gehabt

Bei den Germanen war der Eber ein heiliges Tier, weil er sehr stark war und dem Menschen gefährlich werden konnte. Eine Wildschweinjagd war kein Waldspaziergang!

Schweine sind sehr fruchtbar und bezeugen den Wohlstand eines Bauern. Wer bei einem Turnier der Letzte wurde, bekam ein Schwein geschenkt: Er hatte Schwein gehabt!

Spiegel verhängen

Wenn jemand stirbt, wird er zuhause aufgebahrt und die Spiegel werden verhängt. Das hat seinen Grund darin, daß mit zwei Spiegeln, die gegeneinandergestellt wurden, eine Befragung der Verstorbenen nach dem Geschick der Lebenden geschah. Diese Erkundigung sollte nicht stattfinden, solange jemand „über Erden stand“, also noch nicht bestattet war.

Der Spiegel zeigt alles seitenverkehrt. Das legt dem naiven Betrachter den Gedanken nahe, hier könne es nicht mit rechten Dingen zugehen. Im Spiegel sieht man, was hinter einem ist; der Spiegel sieht also mehr als der Betrachter selbst. So entsteht die Auffassung, mithilfe des Spiegels in die Ferne und auch in die Zukunft sehen zu können. Die beste Stunde für eine Befragung ist Mitternacht.

Die Gefährlichkeit des Spiegelbildes zeigt sich im Mythos von Narkissos (Narziß), der sich in sein eigenes Spiegelbild im Quellwasser verliebte und dahinschwand, weil dieser angebliche Geliebte unerreichbar war. An der Stelle seines Todes blühte eine Narzisse auf (Ovid, Metamorphosen III, 339-510).

Wenn ein Spiegel zerbricht, bringt dies sieben Jahre Unglück, manche sagen: sieben mal sieben Jahre. Der Spiegel hat ja die Seele des Menschen aufgenommen, der sich in ihm spiegelte. Zerbricht der Spiegel, erleidet die Seele Schaden und braucht sehr lange, um wieder zu heilen.

Dies läßt sich auf zweierlei Weise erklären. Früher enthielten die Spiegel Quecksilber. Zerbrach ein Spiegel, traten die giftigen Quecksilberdämpfe an die Luft. Wer sie einatmete, trug gesundheitlichen Schaden davon. Dies ist eine pragmatische Erklärung.

Es gibt auch eine magische. Wer sich im Spiegel sieht, hat gleichsam seinen Doppelgänger vor sich. Seine Seele ist in den Spiegel übergegangen. Wenn nun der Spiegel zerbricht, leidet seine Seele Schaden.

Auf Haselnußstecken gestülpt, ziert eine verspiegelte Glaskugel den Garten, oft neben Rosen. Seit dem 13. Jahrhundert wurden solche Gartenkugeln in Venedig produziert. Sie spiegeln nach allen Seiten und werfen somit den Bösen Blick zurück. Nähert sich ein böser Geist, erschrickt er über sein schreckliches Aussehen, das er im Spiegel erblickt, und flieht. Maria fand bei der Flucht nach Ägypten unter einem Haselnußstrauch, der bis zu fünf Meter hoch werden kann, Schutz vor einem Gewitter; daher wird die Gartenkugel auf einen Haselnußstecken gestülpt. Die Verbindung mit Rosen gibt es seit der Biedermeierzeit.

 

                

Gartenkugel und Agapanthus (Schmucklilie), Sorte: Blue Giant, Photographie von H. M. Knechten

 

Wie bei allen Symbolen und Riten gibt es auch hier eine praktische Erklärung. Die Lichtreflexionen der verspiegelten Gartenkugel halten Habichte fern, sodaß sie sich nicht über die Hühner hermachen. Der mit Holzwolle und Stroh gefüllte Innenraum der Kugel bietet Insekten und Käfern, die Blattläuse vertilgen, einen Lebensraum.

Sternschnuppen

Sternschnuppen (Meteore) sind selten; daher darf sich der Mensch etwas wünschen, wenn er sie erblickt und dann die Augen schließt. Der Wunsch erfüllt sich aber nur, wenn er keinem anderen mitgeteilt wird.

Viktor Paul Mohn (1842-1911), Die Sterntaler, in: Märchen-Strauß für Kind und Haus, Berlin 1882.

„Die Sternthaler“ ist ein Märchen der Brüder Grimm (Nr. 153), welches auf Achim von Arnims (1781-1831) Novelle „Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber“ (1812) zurückgeht. Ein armes Waisenmädchen geht in die Welt hinaus und verschenkt nach und nach ihre dürftigen Kleidungsstücke an noch ärmere Menschen. Da fallen Sternschnuppen wie Silbertaler vom Himmel, sie hat ein feines Leinenhemdchen an, in welches es sie aufsammelt. Nun ist sie reich bis an ihr Lebensende. Psychologisch betrachtet, ist dies allerdings eine Lichtvision, welche Sterbenden geschenkt wird; denn das Waisenmädchen erfriert ohne ihre Kleidung.

Toi, toi, toi

Es handelt sich hierbei um einen Gegenzauber gegen den Neid böser Geister im Sinne von: Es möge gelingen, es möge gut gehen, es möge verhinderet werden. Wenn jemand zum Beispiel von seiner guten Gesundheit spricht, sagt er schnell: „Toi, toi, toi“ und klopft dreimal mit dem Knöchel auf einen Tisch, damit er weiterhin gesund bleibe.

Toi“ ist ein Ersatz für das dreimalige Ausspucken als Geste der Abscheu vor und der Abwendung von den bösen Geistern, die Unheil bringen. Seit dem 18. Jahrhundert galt Ausspucken als unschicklich. Daher wurde es durch „Tfu, tfu, tfu“ ersetzt, das unserem Pfui entspricht. Da Tfu wegen der Doppelkonsonanz schwer auszusprechen ist, entwickelte es sich lautlich zu Toi.

Hier werden also die bösen Geister mit Beelzebub vertrieben (Mt 12, 24). Beelzebub ist die verballhornte Bezeichnung („Gott des Kotes“) der phönizischen Gottheit זבול בעל baʼal zebūl – Herr der Fliegen. Dies war der Gott der Philister-Stadt Ekron.

Vierblättriges Kleeblatt

Es ist verhältnismäßig selten und daher geschätzt. Die Kreuzesform sorgt für die apotropäische Wirkung, da am Kreuz Tod und Teufel besiegt wurden. So ist das vierblättrige Kleeblatt ein universales Glückssymbol.

 

Terminologie

o  Analogiezauber benutzt analoge Dinge, also Gegenstände, welche sich entsprechen oder sich ähnlich sind. Für ein Kind stellt ein Bild der Mutter die Mutter selbst dar. Solche Analogien werden in der Magie positiv oder negativ benutzt, um zu helfen oder zu schaden (weiße und schwarze Magie). Ein Bild oder eine Puppe kann besprochen werden, um jemanden von einer Krankheit zu heilen oder ihm zu schaden.

o  Apotropäisch vom griechischen ἀποτρόπαιος apotrópaios – abwendend: Ein Unheil soll mit diesem Ritus abgewandt werden. Es handelt sich um einen Abwehrzauber.

o  Bindungszauber verbindet Menschen im positiven Sinne miteinander, kann aber auch schöpferische Kräfte oder Entfaltungen binden, das heißt, unterdrücken.

o  Gegenzauber wird angewandt, um einer befürchteten Verzauberung entgegenzuwirken.

o  Triskaidekaphobie (aus dem griechischen τρεῖς καὶ δέκα treīs kaí déka – dreizehn und ὁ φόβος ho phóbos – die Flucht, Furcht, Angst) ist die Furcht vor der „Unglückszahl“ dreizehn.

 

Bibliographie

 

Aberglaube

o  Bächtold-Stäubli, Hanns (1886-1941), unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer (1864-1936), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 10 Bände, Berlin und Leipzig 1927-1942; Berlin 2006.

o  Göttert, Karl-Heinz, Magie im Alltag. Warum wir immer noch Daumen drücken und auf Holz klopfen, Reclam-Taschenbuch Nr. 20361, Stuttgart 22014.

o  Müller-Kaspar, Ulrike, unter Mitwirkung von Robert Kaspar, Ulrike Muss, Christine Wessely und Sabine Wimmer, Handbuch des Aberglaubens, 3 Bände, Wien 1999.

Dämonen

o  Biedermann, Hans, Dämonen, Geister, dunkle Götter. Lexikon der furchterregenden mythischen Gestalten, Graz 22022.

o  Black, Jeremy A. (1951-2004), Illustrationen von Anthony Green (1939-2023), Gods, Demons and Symbols of Ancient Mesopotamia. An Illustrated Dictionary, London 1992.

o  Boerner, Maria-Christine, herausgegeben von Rolf Toman, Angelus & Diabolus. Teufel und Dämonen in der christlichen Kunst, Potsdam 2016.

o  Davidson, Gustav, A Dictionary of Angels Including the Fallen Angels, New York 1971.

o  Giorgi, Rosa, Angeli e demoni, Mailand 2003; Engel, Dämonen und phantastische Wesen, Übersetzung von Suzanne Fischer und Caroline Gutberlet, Bildlexikon der Kunst, Band 6, Berlin 2004.

o  Lurker, Manfred, Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter. Handbuch der mystischen und magischen Welt Ägyptens, Bern, München und Wien 32003.

o  Metternich, Wolfgang, Teufel, Geister und Dämonen. Das Unheimliche in der Kunst des Mittelalters, Darmstadt 2011.

Fabelwesen

o  Drostel, Janina, Einhorn, Drache, Basilisk. Fabelhafte Fabelwesen, Ostfildern 2007.

o  Krensky, Stephen, Magische Fabelwesen und mythische Kreaturen, München 2021.

o  Mondrey, Isa, Verborgene Welt der Fabelwesen, München 2023.

 

© Dr. Heinrich Michael Knechten, Stockum 2024

 

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