Die
Helden des Alcázar
Titelbild
des 1937 in Olten und Freiburg im Breisgau erschienen
Buches.
Die
allmähliche Zerstörung des Alcázar durch Artilleriebeschuß,
Bombardierung und Sprengung,
aus: Wikimedia,
abgerufen am 9.6.2022
Der
Alcázar von Toledo, 17.9.2013,
aus: Wikimedia,
(abgerufen am 9.6.2022).
Der
Autor
Dr. Rudolf Timmermans wurde 1912 in Antwerpen geboren.
Er promovierte am 15. März 1936 in Bonn mit der rechts- und
staatswissenschaftlichen Dissertation: Studien über Begriffe und Formen des
Volksstaates.
Er wurde Schriftsteller und Buchhändler.
Er sprach während der Endphase des Kampfes um den
Alcázar in Toledo mit einigen Verteidigern. General José Moscardó Ituarte
(1878-1956) schrieb ihm am 29. September 1936 nach einer langen Unterredung
folgende Zeilen: „Es besteht kein Zweifel, dass der Geist des großen Monarchen
Karl V., des Schöpfers des Alcázar von Toledo, dessen heutigen Verteidigern die
Standhaftigkeit, die heitere Ruhe (la serenidad) und den Glauben einflösste,
die für diese Tat notwendig waren.“ (Rudolf Timmermans, Die Helden des Alcázar,
Olten u. Freiburg im Breisgau 1937, 1). Timmermans starb 1943 in Monte Pontano
(Macerata, Marken).
(Quellen: Timmermans, Rudolf, in: Deutsche Biographie,
und in:
Worldcat,
beide abgerufen am 9.6.2022.)
Etymologie
Das lateinische castrum – Kastell, Festung wurde im
Arabischen zu القصر al-qaṣr – die
Burg, das Schloß und im Spanischen zu el alcázar, also mit spanischem und
arabischem Artikel.
Handlung
Zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges wurde der
Alcázar von Toledo seit Ende Juli 1936 belagert, bis Francos Armee Ende
September 1936 die Belagerung beendete.
Zitate
[Text einer Postkarte:] „Toledo, die ewig heldenhafte
Herrscherstadt (la Ciudad Imperial y eternamente heroica), der Alcázar,
Heiligtum des Glaubens und des Vaterlandes (santuario de la fe y de la Patria),
Wiege der spanischen Infanterie, wo eine Handvoll Spanier die Welt in Staunen
setzte.
Zweiundsiebzig Tage lang haben sie den roten Horden widerstanden, haben alle
Angebote, sich zu ergeben, zurückgewiesen, indem sie den Tod der Auslieferung
der geweihten Ruinen des Alcázar vorzogen.
Die Armee General Francos eroberte Toledo zurück am 28. September 1936.“ Die
Helden des Alcázar, Olten 1937, 3).
Moscardó sitzt in seinem Büro. Er überlegt: Soll er
die Fahne erheben für Franco, für die Freiheit Spaniens? Oder ist’s nicht noch
zu früh? Er hat noch keine genauen Nachrichten über Francos Vorgehen. Er weiss
nicht, wie die anderen Garnisonen darauf antworten. Toledo kann nicht von sich
aus losschlagen. Die Kräfte, mit denen er rechnen kann, sind zu gering! (Die
Helden des Alcázar, Olten 1937, 15).
[Vor der Entscheidung, Frauen und Kinder in die
schützenden Mauern des Alcázar aufzunehmen:]
Familie? Ja, Moscardó denkt an seine
Familie, seine Frau und die beiden Söhne. Luis, der dreiundzwanzigjährige, der
Ingenieur werden will, und Carmelo, ein schmaler Bub von fünfzehn Jahren, noch
ein Kind.
Sie seien im Haus einiger Freunde, hat man ihm gemeldet. Er kann nicht nach
ihnen schauen. Seine Familie ist jetzt der Alcázar. Gewiss, – die andern sollen
sich noch um ihre Familien kümmern, soweit es geht. Er, der oberste von allen,
in dessen Händen die Verantwortung für alle liegt, kann und darf jetzt nur noch
Offizier, Befehlshaber sein. Es geht ja nicht um äussere Güter, materiellen
Besitz und Kriegsruhm. Für ihn, Moscardó, geht es um die christliche Religion,
die von den durch fremdländische Hetze und eigenländische Schuld
aufgepeitschten Roten verfolgt und verhöhnt wird. Es geht ihm um Spanien, um
das Land, um seine Menschen und seine Kultur, um seine Geschichte und seine
Zukunft. „Dios y Patria!“ „Gott und das Vaterland!“ Darum geht der Kampf, und
ihm, dem Oberst José Moscardó, ist ein Teilabschnitt der Kampffront von der
Vorsehung zugeteilt. Hier ruft ihn die grössere Pflicht. Möge Gott seine Frau
und die beiden Buben schützen – – so beten und bitten seine Gedanken und sein
Herz! – (Die Helden des Alcázar, Olten 1937, 38f).
[Moscardós älterer Sohn wird erschossen, seine Frau und sein jüngerer Sohn
werden inhaftiert].
[Aus der Hymne des Alcázar:]
¡Heróicos militares! ¡Intrépidos paisanos!
Templemos los aceros al rudo pelear.
Juremos ne rendirnos, diciendo a los tiranos,
nosotros a la Patria tenemos que salvar.
Traidores y farsantes
que negais la Religión,
y albergan vuestros pechos
el rencor y la pasión;
ne olviedeis que en la contienda
se decide el provenir,
y por eso lucharemos
ya dispuestos a morir.
(Die Helden des Alcázar, Olten 1937, 111).
[Kampfeshelden, unerschrockene Landsleute! / Laßt uns den
Stahl für den harten Kampf härten! / Laßt uns schwören, uns nicht zu ergeben,
indem wir den Tyrannen sagen: / Wir müssen das Vaterland retten! /
Verräter und Betrüger, / die ihr die Religion
verneint, / da in eurer Brust Groll und Leidenschaft (Rachsucht und heftiger
Groll) wohnen; / vergeßt nicht, daß die Zukunft / im Ringen entschieden wird, /
und dafür kämpfen wir / und sind sogar bereit zu sterben.]
Aus den Klöstern sind die Ordensfrauen vertrieben.
In den stillen Frieden des Klosters de la Concepción [Empfängnis Mariens, 8.
Dezember; 1854 eingeführtes Fest] sind die roten Milizen eingebrochen und haben
daraus eine befestigte Stellung gegen den Feind in der Burg gemacht. Gut, das
ist Krieg, aber sie wollen mehr. Was sie suchen, sind Schätze, Geld und Gold.
Was sie hassen, sind die Religion, Christus und die Kirche.
Sie zerstören die Altäre und Tabernakel der Klosterkapelle, reissen die Bilder
herunter und durchstechen mit dem Seitengewehr das Angesicht des leidenden
Christus und seiner Mutter.
Die Figuren der Heiligen poltern herab und Äxte zerschmettern ihnen das Haupt.
Dann wird gewühlt und gegraben nach Schätzen, die in dem Kloster der stillen
Schwestern nicht vorhanden sind. Kein Zimmer, kein noch so verborgenes
Kämmerlein bleibt verschont. Ueberall suchen die gierigen Augen – in Schränken,
Kästen und Truhen: Geld, Geld, Geld!
Verwüstet und zerstört sind die Zimmer. In den weissen Klausen [Zellen], wo
früher die ordnende Hand der Schwestern waltete, herrscht wildes Durcheinander.
Bücher, Kleidungsstücke, Gegenstände des täglichen Gebrauchs, alles ist wild
auf dem Boden verstreut, liegt zwischen den offenen Truhen, in denen vergeblich
wühlende Hände nach Kostbarkeiten suchten.
Selbst vor den Gräbern scheuen Gier und Goldsucht nicht zurück.
(Die Helden des Alcázar, Olten 1937, 126f).
[Nach der Heiligen Messe in den Gewölben der Burg:]
Und dann wird die ungewöhnliche Stille des Tages jäh wieder abgelöst durch den
Donner der Geschütze.
Neu gestärkt aber sieht die Besatzung des Alcázar dem Kommenden entgegen.
Wenn es gefordert wird, werden sie auch das Opfer des Todes bringen im Kampf,
den sie für ihr Vaterland führen.
(Die Helden des Alcázar, Olten 1937, 194).
Dann spricht General Franco, der selbst herbeigeeilt
ist, ein kurzes Wort zu den Befreiten:
Er rühmt ihre Tapferkeit, ihren Heldenmut, ihren begeisterten Einsatz für die
Idee eines erneuerten, grossen und einigen Spanien; Tugenden, die nicht nur
Spanien, sondern die ganze Welt bewundere. Oberst Moscardó, der ruhmreiche
Kommandant des Alcázar, sei zum General ernannt unter gleichzeitiger Verleihung
des höchsten spanischen Militärordens, des Kreuzes des heiligen Ferdinand, der
gleichzeitig allen im Alcázar Eingeschlossenen gemeinsam verliehen werde.
Die Uneigennützigkeit und die Kraft, die sie alle in der Zeit der Belagerung
bewiesen hätten, brauche Spanien zum Wiederaufbau und zur Verwirklichung seiner
Ziele.
„¡Viva España! ¡Vivan los héroes del Alcázar!“
„Es lebe Spanien! Es leben die Helden des Alcázar!“
(Die Helden des Alcázar, Olten 1937, 243).
Bewertung
Von den hundert Geiseln aus der Waffenfabrik Toledos,
welche die Verteidiger mit in die Burg genommen hatten, fehlt jede Spur. (Vgl.
Antony Beevor, Der spanische Bürgerkrieg 1936-1939, Übersetzung v. Michael
Bayer, Helmut Ettinger, Hans Freundl, Norbert Juraschitz u. Renate Weitbrecht,
München 2016, 161).
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen Taten von
Kadetten. Damit sollten junge Menschen angesprochen und zum Kampf motiviert
werden.
Die Festung in Toledo war militärisch wenig bedeutsam,
erhielt aber einen Symbolwert, der auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg
anhielt, um im Kalten Krieg zum Widerstand gegen den Kommunismus aufzurufen.
Verschwiegen wurde, daß Francisco Franco (1892-1975)
eine Diktatur errichtet hatte. Viele politische Gegner ließ er ermorden.
Franco vertrat eine antisemitische Position und
rechtfertigte die nationalsozialistische Rassenpolitik. Er sandte Heinrich
Himmler eine Liste von sechstausend spanischen Juden, die allerdings nicht
deportiert wurden. Die spanischen Juden behielten ihre Rechte. Zudem nahm
Spanien mehr Juden auf als jedes andere neutrale Land, mit Ausnahme Portugals.
Die kulturelle Vielfalt der einzelnen Regionen
Spaniens wurde vor allem in den 1950er Jahren stark eingeschränkt. Die Sprachen
Katalanisch, Galicisch und Baskisch wurden unterdrückt.
Die Hürden für die Ausübung des passiven Wahlrechts
lagen so hoch, daß fast nur regimetreue Kandidaten eine Chance hatten, gewählt
zu werden.
Die römisch-katholische Kirche wurde zur
Staatsreligion erklärt. Beamte mußten katholisch sein. Das Konkordat im Jahre
1953 ebnete der internationalen Anerkennung des Regimes den Weg.
Scheidung, Verhütungsmittel und Abtreibung waren
verboten. Für Homosexualität und Prostitution wurde die Todesstrafe angedroht.
Studentenrevolten wurden gewaltsam unterdrückt.
Nomaden wurden zur Auswanderung gezwungen.
Die Errichtung von vier US-Militärbasen im Jahre 1953
integrierte Spanien in das westliche Verteidigungssystem.
Werke
von Rudolf Timmermans
(Es wurden nur die Erstausgaben vermerkt, nicht
weitere Auflagen und auch nicht die Übersetzungen.)
· Aufzeichnungen,
Flug und Tod des Georg [Jorge] Chávez (1887-1910), München 1940.
· Demokratie
und Führerstaat. Studien zur Idee des Volksstaates, Berlin 1936, 55 Seiten.
(Dies ist die Verlagsausgabe seiner Dissertation: Studien über Begriffe und
Formen des Volksstaates).
· Die
Helden des Alcázar. Ein Tatsachenbericht aus Toledo, Olten u. Freiburg im
Breisgau 1937.
· Die
spanische Revolution. Wie sie ist, warum sie kam, Olten 1936.
· Die
Tänzerin. Erzählung, Freiburg im Breisgau 1946.
· General
Franco, Olten 1937.
· Heimkehr,
Colmar 1946.
· Reynold,
Conzague de (1880-1970), Portugal. Gestern – heute, Übersetzung v. Rudolf
Timmermans, Salzburg u. Leipzig 1938.
· Studien
über Begriffe und Formen des Volksstaates, Dissertation, Berlin 1936, 56
Seiten.
Literatur
· Beevor,
Antony, The Spanish Civil War, London 1982; Der spanische Bürgerkrieg
1936-1939, Übersetzung v. Michael Bayer, Helmut Ettinger, Hans Freundl, Norbert
Juraschitz u. Renate Weitbrecht, München 2016.
· Collado
Seidel, Carlos, Franco. General – Diktator – Mythos, Stuttgart 2015.
· Schmidt,
Anton Heinz, Der Alcázar ergibt sich nicht! 1936 n. Chr. Belagerung und Kampf
um den Alcázar von Toledo, Aigen-Voglhub [St. Wolfgang im Salzkammergut] 2006.
· Trappe,
Ursula, Kriegsmythen. Politische Mythen in Propaganda und Romanen der
Aufständischen im spanischen Bürgerkrieg, Iberoamericana. Reihe A:
Literaturgeschichte und -kritik 53, Frankfurt am Main u. Madrid 2011
(Dissertation, Münster 2010).
© Dr. Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2022