St. Petersburg, Armenien, Georgien und Usbekistan
im schwierigen Jahr 1991
Fest des heiligen Panteleimon (Pantaleon), des „Allerbarmers“ und Uneigennützigen
Als ich mit der S-Bahn zum Flughafen Berlin-Schönefeld fahre, schimpft ein Mann furchtbar über die Leute, welche überall Bierdosen herumstehen ließen. Er fügte hinzu: „Die kommen alle zu uns, machen ihren Doktor und gehen dann wieder in ihren Wald!“ Als seine Frau ihn zur Mäßigung aufruft, ruft er: „Das muß doch einmal gesagt werden!“ und blickt mich vernichtend an. Außer uns dreien ist niemand in diesem Waggon.
Am Flughafen lese ich, daß die Interflug-Gesellschaft mit einem Federstrich aufgelöst wurde. Achttausend Mitarbeiter stehen auf der Straße. Drei Großraumflugzeuge wurden von der Lufthansa übernommen.
Im Flugzeug (Flug SU 610) male ich mit der sechsjährigen Anna ein Flugzeug auf der Startbahn und ein Flugzeug in der Luft, nun sind die Wolken unter ihm. Dann malen wir ein Feuerwehrauto, das zum Einsatz fährt, und den Brand, den es löscht.
Im Flughafen Púlkovo, 14 km südlich von St. Petersburg, treffe ich die Dolmetscherin Larisa Filippovna.
Abendessen im Hotel Pribaltijskaja: Vorspeise mit Brot und Butter, großblättriger Petersilie, Tomaten, Gurken und einer Paste als Brotaufstrich. Als Hauptgericht Rindfleisch, Kartoffeln, Soße und gebratene Zwiebeln. Als Dessert Kuchen. Dazu gibt es Tee und außerdem Mineralwasser.
Am Smolensker Friedhof wachsen Birken aus Gräbern, Photographie von H. M. Knechten
Ich gehe zum Smolensker Friedhof auf der Vasilijinsel. Es ist spannend und ein wenig unheimlich. Ich sehe verfallene Gräber, aus denen Birken wachsen, hauptsächlich aus den 1930er Jahren, einige sind wieder hergerichtet. Dann bin ich am Ziel: Die Kapelle der seligen Ksenija von Sankt Petersburg, die noch vor einiger Zeit von einem hohen hölzernen Zaun umgeben war, in dessen Ritzen die Gläubigen Zettel mit Bitte um Fürsprache in Notfällen steckten, ähnlich wie an der Klagemauer. Hier legen jetzt zwei Arbeiter Platten rings um die Kapelle, die prächtig renoviert worden ist.
Ksenijas Grabkapelle, Photographie von H. M. Knechten
Ksenija war eine Törin um Christi willen. Sie verschenkte nach dem frühen Tod ihres Mannes ihr Haus und lebte auf der Straße, unterstützt von einigen Freunden und Bekannten. Ihre Worte waren wegweisend, tröstend und aufrichtend, ihre Gegenwart wurde als segensreich empfunden.
Bei der Westfassade der Kapelle Ksenijas befindet sich das Kenotaph der seligen Anna von St. Petersburg, einer Törin um Christi willen. Sie hieß mit bürgerlichem Namen Anna Ivanovna Laškina (Lukašëva) und wurde 1853 beigesetzt. Sie gilt als die jüngere „Schwester“ Ksenijas.
Baedekerʼs Rußland, Leipzig 51901, schrieb allerdings, daß die inneren Teile der Vasilijinsel dem Fremden nichts Besonderes bieten (Seite 150).
Auf dem Smolensker Friedhof ruht die Amme Puškins, Arina Rodionovna, die sein Interesse für Volksdichtung weckte. Die Gräber der Dichter Taras Ševčenko und Aleksandr Blok befinden sich noch hier, aber die Gebeine beider wurden in der folgenden Zeit überführt, Ševčenko nach Kanev und Blok zu den „literarischen Brücken“ (den Gräbern berühmter Schriftsteller; wegen des Morastes wurden Holzbohlen als „Brücken“ zwischen die einzelnen Gräber gelegt) auf dem Volkover Friedhof in Sankt Petersburg.
In der Nähe des Eingangs zum Friedhof ist die Kirche zur Ikone der Gottesmutter von Smolensk, die dem ganzen Gottesacker den Namen gab. 1760 wurde ein hölzernes Gebäude geweiht und 1790 eines aus Stein. 1830/1831 entstand an der Stelle der hölzernen Kirche zur Smolensker Gottesmutterikone, die später Michaelskirche genannt wurde, südwestlich von der steinernen Kirche der Smolensker Gottesmutterikone, die Kirche der Leben spendenden Dreieinigkeit.
Vor der Friedhofsmauer ist die Ruine des ehemaligen Armenasyls. Auf der anderen Seite der Smolenka ist die Auferstehungskirche der Armenischen Apostolischen Kirche.
Auf dem Rückweg zum Hotel sehe ich den Sonnenuntergang am Finnischen Meerbusen. Diese Region gehörte zu Finnland, war aber von den Schweden besetzt. Peter der Große nahm ihnen dieses Gebiet weg und baute 1703 Sankt Petersburg, umgangssprachlich „Pieter“ ausgesprochen, da damals das niederländische Element vorherrschend war. Von dort kamen Schiffbauer, Zimmerleute und leitende Personen für das neu zu organisierende Militärwesen. Die Stelle für den Stadtbau war strategisch günstig gewählt, aber, baulich gesehen, katastrophal: Sümpfe, Flußläufe und Überschwemmungsgebiete. Die Handwerker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Peter der Große verpflichtete alle begabten Fachkräfte, die Stadt buchstäblich aus dem schwankenden Boden zu stampfen. Die Pfähle für die Fundamentierung mußten ziemlich lang sein.
Peter der Große bemerkte, daß die Franzosen durch ihre Infanterie und die Engländer durch ihre Marine militärisch stark waren. Er schloß daraus, daß Rußland „beide Hände“ brauche, sowohl die Infanterie als auch die aufzubauende Marine.
Außer dem Pantaleonsfest ist heute Mariensamstag. Im 42. Briefe des heiligen Ambrosius ist zu lesen: „Der Herr wird ihnen einen Retter senden.“ [Jes 19, 20 …] Im Alten Testamente führte Mirjam das Heer der Israeliten durch das Rote Meer, im Neuen Testamente wurde Maria für das Heilswerk auserwählt als Wohnung für den Himmelssproß.“
Andreas von Kreta, zweite Ansprache zur Geburt Mariens: „Dem Fleische nach sollte sie Mutter Gottes werden, ihr Schoß sollte zum Himmel werden, in ihr wohnte derjenige, welcher von keinem Raume umfaßt werden kann.“
Abends schlendere ich durch die Straßen der Vasilij- und der Dekabristen-Insel. Viele Menschen sind mit ihrem Hund unterwegs. Auf dem Smolensker Friedhof leben zahlreiche Katzen, welche ein glänzendes Fell haben und durchaus nicht mager sind. Dies ist ein Bild des Friedens.
Noch sind die Russen einander gleich in ihrer Armut und ihr Leben verläuft in Ruhe. Was aber wird sein, wenn allgemeine Änderungen kommen?
Anzeichen dafür sind schon da. Ich sehe einen Jugendlichen mit entblößtem Oberkörper, seine rechte Hand ist verbunden. Er kauert auf dem Bürgersteig, sein Kopf liegt fast auf dem Boden. Bettelt er nur „eindrucksvoll“ mit einer Geste der Demut oder ist er drogenabhängig? Einige rennen bei roter Fußgängerampel über die Straße und kollidieren beinahe mit den heranbrausenden Autos.
Für fünf Deutsche Mark erhalte ich 89,48 Rubel. Im Jahre 1988 hatte ich für fünfzig Deutsche Mark 16 Rubel und 20 Kopeken erhalten!
Fest des heiligen Nazarius, welcher die Taufe von Papst Linus empfing
Für den Abend wurde uns Ballett im Eremitagetheater angeboten. Zu zahlen waren stolze 87 DM. Nur drei aus unserer Gruppe entschieden sich dafür.
Isaakskathedrale außen
Unser Fahrer heißt Aleksandr. Wir besuchen die Isaakskathedrale. Am 30. Mai 1672 wurde Pëtr Alekséevič Románov in Moskau geboren, der später Peter der Große genannt wurde. Der 30. Mai ist der Gedenktag des heiligen Isaaks von Dalmatien, der im Jahre 396 starb. Er hatte sich dem arianischen Kaiser Valens widersetzt, welcher die Gottheit Christi leugnete, und wurde deshalb in den Kerker geworfen. Isaak sagte den Tod Valensʼ voraus. Nachdem Kaiser Valens 378 in der Schlacht von Adrianopel gefallen war, befreite sein Nachfolger, Kaiser Theodosios I. (347-395), Isaak aus dem Gefängnis. Isaak galt nun als Prophet und wurde der geistliche Führer in Konstantinopel. Er zeichnete sich auch durch Wohltätigkeit aus. Er stammte aus Syrien. Sein Beiname erklärt sich daraus, daß er im Alter sein Amt an seinen Schüler Dalmatos übergab. Nach diesem wurde das betreffende Kloster das Dalmatinische genannt. Die Bezeichnung hat also nichts mit der Landschaft Dalmatien zu tun.
Isaakskathedrale innen
Peter der Große ließ 1707 eine Isaakskirche aus Holz errichten, welche 1717 durch einen Steinbau ersetzt wurde. 1764 beauftragte Katharina die Große den italienischen Architekten Antonio Rinaldi (* 1709 in Palermo und † 1794 in Rom). Er stand in der Tradition des Rokoko. Nachdem er mehrere Bauten in Oranienbaum errichtet hatte, vollzog er unter dem Einfluß russischer Architekten die Kehrtwendung zum Klassizismus. Oranienbaum liegt vierzig Kilometer westlich des Stadtzentrums von St. Petersburg. Rinaldi erbaute die Katharinenkirche in Jamburg (heute Kingisepp), für den damaligen Favoriten Katharinas, Grigórij Grigórʼevič Orlóv, den Marmorpalast in St. Petersburg und das Schloß Gátčina. 1784 zog Rinaldi sich nach Italien zurück und ließ den Bau der Isaakskathedrale unvollendet.
Dieses Gotteshaus sollte dem Petersdom nachgebildet werden, einschließlich der Kolonnaden auf dem Vorplatz. Doch Geldmangel zwang zu Einsparungen. Vier von fünf geplanten Kuppeln und der Glockenturm fielen dem Rotstift zum Opfer.
Die Isaakskathedrale, von der Neva her gesehen
1798 führte Vincenzo Brenna (* 1741 in Florenz und † 1820 in Dresden) die Bauarbeiten weiter. Die Kirchweihe fand 1802 statt.
Nach dem Sieg über Napoleon wurde die Isaakskathedrale zu einem Nationaldenkmal umgebaut. Unter der Leitung des Franzosen (!) Henri Louis Auguste Ricard de Montferrand (1786-1858) wurde seit 1818 der Vorgängerbau bis auf den Altarraum abgerissen und der sumpfige Untergrund mit elftausend Baumstämmen stabilisiert. 1822 bis 1825 wurden die Bauarbeiten eingestellt, da es zu statischen Problemen gekommen war. Montferrand stellte seine ins Wanken gekommene Reputation wieder her, indem er einen überarbeiteten Bauplan einreichte. 1828 wurde die Unterkirche fertiggestellt und bis 1830 wurden 28 je 17 Meter hohe Portikussäulen aufgestellt. 1835 gab es infolge erneuter statischer Probleme eine weitere Planänderung. Von 1837 bis 1841 wurde die 101 Meter hohe Hauptkuppel errichtet. Sie war die erste große Kuppel in Metallbauweise weltweit. Der Innenraum der Hauptkirche wurde 1848 bis 1858 ausgestaltet.
1928 wurde die Feier der Liturgie in dieser Kirche verboten. 1931 eröffnete hier ein Museum des Atheismus. In die Kuppel wurde ein 91 Meter langes Foucaultsches Pendel gehängt. Bei meinem ersten Besuch führte die Reiseleiterin voller Stolz das Experiment durch. Sie gab dem Pendel einen Stoß. Als es zurückschwang, erreichte es nicht die gleiche Stelle der Bodenmarkierung, sondern etwas weiter entfernt. Damit wurde die Erdumdrehung bewiesen. Dahinter stand der Gedanke eines mechanistischen Weltbildes.
In diesem Museum wurden die unversehrten Gebeine Serafims von Saróv aufbewahrt, als Studienobjekt des Leningrader Anatomischen Institutes.
Mönche, Priester und Bischöfe wurden als Parasiten der arbeitenden Gesellschaft dargestellt, die mit den Kapitalisten schmutzige Geschäfte abwickelten und die Gläubigen mit der Vertröstung auf ein besseres Jenseits zur Unterwerfung unter ihre ungerechte Herrschaft zwangen. Ikonen seien Blendwerk, die Liturgie ein sinnloses Ritual, die Sakramente ein Brimborium und der Teufel ein Popanz.
Der Artilleriebeschuß während der Leningrader Blockade richtete an der Kathedrale Schäden an. 1945 bis 1960 und 1994 bis 2003 fanden umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen statt. Das Foucaultsche Pendel wurde entfernt. In der obersten Kuppel ist jetzt erneut die silberne Taube als Symbol des Heiligen Geistes wie im Petersdom. Seit 1990 wird in dieser Kirche wieder Liturgie gefeiert.
Die Kuppel mit der Silbernen Taube, darunter die allheilige Gottesgebärerin, umgeben von Aposteln, Evangelisten und Heiligen, ein Werk Karl Brüllows.
Sie ist 111 Meter lang, 97 Meter breit und 101, 50 Meter hoch. Nach dem Petersdom, Santa Maria Maggiore und der Paulskathedrale in London ist sie der viertgrößte Kuppelbau der Welt.
Das Innere der Isaakskathedrale zieren zweihundert großformatige Mosaiken und Gemälde, zehn große Säulen aus Malachit und zwei aus Lapislazuli. Die Wände sind mit Marmor, Edel- und Schmucksteinen verziert.
Die meisten Gemälde stammen von Karl Pávlovič Brjullóv (Brüllow; 1799-1852) und Fëdor (ursprünglich: Fidelio) Antónovič Brúni (* 1799 in Mailand und † 1875 in St. Petersburg). In der Attika (Aufsatz über dem Hauptgesims) sind 39 biblische Gemälde, von der Erschaffung der Welt bis zur Kreuzigung Christi. 22 halbrunde Lünettenbilder zeigen Szenen aus dem Leben russischer Heiliger. In der Hauptkuppel ist die allheilige Gottesgebärerin, umgeben von den 12 Aposteln, von den vier Evangelisten und von Heiligen, geschaffen von Karl Brüllow.
Bei der Kathedrale handelt es sich um einen Kreuzkuppelbau. Der Hauptaltar ist Isaak von Dalmatien geweiht, der linke Seitenaltar zum Gedenken Katharinas der Großen der Großmartyrerin Katharina von Alexandrien und der rechte Aleksandr von der Neva, welcher 1242 den Sieg über die Deutschen Ordensritter errungen und damit deren Expansionsversuchen ein Ende gesetzt hatte.
Diese Kathedrale stieß mich bei meinen ersten Besuchen eher ab, mit ihrem Marmorgetöse und mit ihrer bombastischen Ausstattung. Heute sehe ich mehr das Geschichtliche. Allein ihre Baugeschichte zeigt, wie jahrhundertelang versucht wurde, hier die Großartigkeit Rußlands herauszustellen. So etwas hat heute einen bitteren Nachgeschmack.
In Rußland gibt es beheizbare Winterkirchen und nicht beheizbare Sommerkirchen. In ähnlicher Weise existieren beheizbare Winterpaläste und nicht beheizbare Sommerpaläste.
Der Petersburger Winterpalast wurde 1711 von Peter dem Großen in Auftrag gegeben. Es war ein kleines, zweigeschossiges Gebäude. Auch der Winterpalast von 1721, in dem Peter 1725 starb, hatte bescheidene Ausmaße. Bedeutend imposanter war der dritte Winterpalast, den Domenico Andrea Trezzini (um 1670 bis 1734) an der Stelle des heutigen Eremitagetheaters errichtete. Bartolomeo Francesco Rastrelli (1700-1771) sollte diesen Bau vergrößern, konnte aber seinen Plan eines Neubaus durchsetzen, der bis 1762 fertiggestellt war. Das halbfertige Gebäude drohte in die Neva abzurutschen. Daher baute Rastrelli zur Befestigung eine Kaimauer aus Granit. Puškin dichtete: Die Neva hüllte sich in Stein.
Winterpalast, Fassade zur Neva hin
Dies ist eines der Hauptwerke des Russischen Barocks. Die Außenfarbe (grünlich-weiß) ist so gewählt, daß auch bei schlechtem Wetter ein günstiger visueller Eindruck entsteht.
Am 6. Januar schritt die Zarenfamilie über die Jordantreppe zum Nevaufer hinunter, um der Wasserweihe beizuwohnen. Es handelt sich um das Fest der Theophanie, an welchem der Taufe Christi im Jordan gedacht wird. Ein anderer Name für diese prächtige Treppe ist Gesandtentreppe, weil die Botschafter diese Treppe hinaufschritten, um ihr Beglaubigungsschreiben zu überreichen.
Der Malachitsaal enthält acht Säulen und acht Pilaster aus Malachit sowie eine Schale, Kandelaber und Vasen aus Malachit. Gestaltet wurde dieser Saal von Karl Pavlovič Brjullóv.
In der Eremitage, die unter Katharina der Großen als „Einsiedelei“ zum Betrachten von Kunst geschaffen wurde, dominiert die sogenannte Petersburger Hängung. Es gibt so zahlreiche Bilder, daß sie dicht zusammengehängt werden mußten.
Für mich am eindrucksvollsten sind die Werke von Rembrandt: Saskia als Flora (1634), Danaë (1636-1643) und die Rückkehr des Verlorenen Sohnes (1668/1669).
Am 15. Juni 1985 fragte ein Besucher, welches das berühmteste Gemälde Rembrandts sei. Er erfuhr, dies sei die Danaë. Er betrachtete dieses Bild eine halbe Stunde lang, dann schleuderte er Schwefelsäure gegen das Bild und stach zweimal mit einem Messer in die Leinwand. 1997 wurde das Bild wieder ausgestellt. Hauseigene Restauratoren hatten es retten können. Nun hängt es hoch und ist mit einem Glas geschützt. Ich sah es bei einer späteren Reise.
Rembrandt, Danaë erblickt Zeus in Gestalt eines Goldregens.
Das Bild der stillenden Gottesmutter (Madonna Litta nach dem Vorbesitzer genannt) wird heute nicht mehr Leonardo da Vinci, sondern Giovanni Antonio Boltraffio (um 1490-1495 entstanden) zugeschrieben.
Von Michelangelo findet sich hier die Statue eines kauernden Knaben.
Antoon van Dijck, Ruhe auf der Flucht nach Ägypten. Dies ist ein Bild für unsere Zeit. Zum einen sind so viele Menschen auf der Flucht, wie noch nie, und zum anderen gleicht das Leben immer mehr einer Flucht vor sich selbst, vor den brutalen Realitäten der Gegenwart und vor den häufigen tiefgreifenden Änderungen und Umstürzen. Maria trägt es gelassen, weil sie die Ruhe von ihrem Kind empfängt und sie auf diese Weise in sich selbst hat.
Antoon van Dijck (1599-1641) und Pauwel de Vos († 1678), Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Madonna mit Rebhühnern), spätestens 1632. Von Pauwel de Vos stammen die Stilelemente und Vögel, welche symbolisch gemeint sind.
Pablo Picasso, Die Absinthtrinkerin, 1901/1902 . Einsam sitzt sie da mit der großen Flasche auf dem Tischchen. Absinth verursacht Halluzinationen, wenn an einem Tage mehr als ein Glas davon getrunken wird. Was mag sie Bitteres erlebt haben? Ihr Mund ist verbittert zusammengekniffen, ein einziger Strich. Ihre Augenschlitze lassen kaum einen Blick ahnen; denn dieser ist nach innen und auf die Vergangenheit gerichtet.
Nicht vergessen werden sollten die hervorragenden Goldarbeiten der Skythen, die aus dem 7. bis 3. Jahrhundert vor Christus stammen und nördlich des Schwarzen Meeres entdeckt wurden. Zu nennen sind der liegende Hirsch, der Panther (beide aus der Region Krasnodar) und im Kampf miteinander verstrickte Tiere, nämlich Wolf und Schlange.
In den Pasyryk-Hügelgräbern des Altajgebirges wurde der älteste erhaltene Teppich der Welt gefunden, der in Knüpftechnik hergestellt wurde (5./4. Jahrhundert vor Christus).
Abends war ich in der Lavra (Laura, Großkloster) des heiligen Aleksandr von der Neva. Hier befinden sich das Geistliche Seminar und die Geistliche Akademie, deren Gebäude fast wiederhergestellt sind. Das Geistliche Seminar bereitet auf den Dienst in einer Gemeinde vor, während die Geistliche Akademie zukünftige Lehrer und Professoren ausbildet. In der Kirche wurde die Vesper gefeiert. Danach besuchte ich das Grab des Metropoliten Nikodim (Rotov; 1929-1978), der sich um Ökumene bemüht hatte.
Allerorten sind Bettler, die mich mit отец otéc – Vater anreden und ein Kreuzzeichen schlagen, wenn man ihnen etwas gibt.
Fest der heiligen Martha, Apostelin und Eremitin in Marseille.
Vor meinem Hotelfenster zeichnet sich Kronstadt ab. Johannes von Kronstadt (1829-1908) wurde 1988 kanonisiert. Ich besuchte diese Halbinsel bei einer späteren Reise und schrieb über ihn das Buch: „Licht und Finsternis bei Johannes von Kronstadt“, welches auch in zweiter, stark erweiterter Auflage erscheinen konnte (350 gegenüber 239 Seiten). Dazu wertete ich die 26 Bände seiner umfangreichen Tagebücher aus, die gerade erst erschienen waren. Dadurch wurde es erstmals möglich, seine Persönlichkeit facettenreich und differenziert darzustellen und mit manchen hagiographischen Stereotypen („Josephsehe“) aufzuräumen.
Unsere Dolmetscherin Larissa erzählte, sie bräuchte jetzt keine Berichte mehr über die Reiseteilnehmer zu schreiben.
Die Peter-und-Paul-Festung ist die Keimzelle von St. Petersburg auf einer kleinen Insel im Nevadelta. Am 16. Mai 1703 erfolgte der erste Spatenstich und damit die Stadtgründung in einem sumpfigen und unwirtlichen Gebiet. 1706 ließ Domenico Trezzini die Erdwälle durch eine 2,50 bis 4 m dicke Steinmauerung in Form eines unregelmäßigen Sechsecks errichten. 1712-1733 entstand inmitten der Festung die Peter-Paul-Kathedrale, welche einen hölzernen Vorgängerbau ersetzte. Architekt des Neubaus war Trezzini. Die Kirche diente als Grablege der Zaren. Ungewöhnlich ist, daß es sich um eine Hallenkirche handelt. Ihre Maße sind 64 m Länge und 30 m Breite. Der 122,50 m hohe Glockenturm ist Wahrzeichen der Stadt. Die vergoldete Turmspitze krönt eine Wetterfahne in der Gestalt eines Engels, welcher das Sinnbild der Orthodoxie ist. Er trägt ein sieben Meter hohes Kreuz.
Im Oktober 1830 beschädigte ein Blitzschlag die Turmspitze. Sie drohte herabzustürzen, aber es war keine Zeit, ein 120 m hohes Gerüst zu erbauen. Da schlug der Dachdecker Pëtr Telúškin (1803-1833) vor, die Reparatur ohne Gerüst vorzunehmen. Er warf um den Turm eine Schlinge, die er immer mehr verengte, je höher er stieg. An der Spitze befestigte er eine Strickleiter und reparierte innerhalb von sechs Wochen den Schaden. Der Zar schenkte ihm Geld und Kleidung sowie einen Goldenen Becher, der in jeder Schenke kostenlos mit Wodka gefüllt werden mußte. Bereits nach drei Jahren erlag Pëtr der Trinksucht.
In der Kirche ist eine Kanzel, von welcher aus Lev Tolstoj im Jahre 1902 aus der Kirche ausgeschlossen wurde. Die Ikonostase, 1722-1726 nach einem Entwurf von Iván Petróvič Zarúdnyj (1670-1727) im Stile des Russischen Barocks gestaltet, gleicht einem Triumphtor zur Feier der Siege im Großen Nordischen Krieg (1700-1721). Entgegen orthodoxer Tradition, weist die Ikonostase Vollplastiken auf, rechts der Erzengel Michael mit dem Flammenschwert, links der Erzengel Gabriel. Vollplastiken finden sich allerdings im Russischen Norden häufiger.
Dostoevskij war im westlichen Außenwerk (Ravelín; Bild von 1880), das nach Alekséj Michájlovič, dem Vater Peters des Großen, benannt war, eingekerkert. Er hatte an Treffen eines Kreises um Michaíl Vasílʼevič Butašévič-Petrašévskij (1821-1866) teilgenommen, welcher die Demokratisierung Rußlands und die Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft forderte. Er vertrat auch materialistische Ideen. Der Staat wollte nicht, daß die westeuropäische Bewegung des Jahres 1848 nach Rußland übergriff und ließ 1849 vierunddreißig Verdächtige verhaften, von denen 21 zum Tode durch Erschießen verurteilt wurden. Kurz vor ihrer Hinrichtung wurden sie zur Verbannung nach Sibirien begnadigt. Unter ihnen war auch Dostoevskij. Er schilderte, wie er sich fühlte, als er kurz vor der angeordneten Hinrichtung war:
„Jetzt noch diese Straße,
dann um die Ecke
auf den Hinrichtungsplatz:
Das wird das Letzte sein,
was ich in meinem Leben sehe.“
Bis 1989 war Straßenmusik verboten, jetzt sind überall die Klänge einer Balalaika oder einer Flöte zu hören. Es gibt Gesänge des Liedermachers Okudžava, welche den Wandel von der Sowjetunion zum Rußland des Jahres 1991 beschreiben. Es gibt aber auch Chansons von Galič, der sich 1977 das Leben nahm, und von Vysockij, der 1980 infolge seiner Abhängigkeit von Alkohol und Morphium mit 42 Jahren starb.
Larissa erzählte, daß russische Schlamperei und Oblómowerei (обломовщина oblómovščina) wieder weit verbreitet seien. Der letztere Begriff wurde gebildet nach der Hauptperson des Romans von Iván Aleksándrovič Gončaróv (1812-1891), Oblómov, St. Petersburg 1859. Dieser Gegenheld braucht im Roman hundert Seiten, um überhaupt sein Bett zu verlassen. Auf einer späteren Reise schaute ich mir das Geburtshaus Gončarovs in Simbírsk, seit 1924 zu Ehren Lenins „Ulʼjánovsk“ genannt, an.
Larissa fuhr fort: Alles übrige verhindert die Mafia.
Isaac Merrit Singer (1811-1875) trug durch seine Erfindungen wesentlich zur Entwicklung der Nähmaschine bei. Die Singer-Gesellschaft baute 1902-1904 an der Neva-Prachtstraße (Невский проспект Névskij prospékt) Nr. 28/21 ein Firmengebäude im Jugendstil, das durch einen gläsernen Turm mit Weltkugel auffällt. Dieses Singer-Haus ist heute eine große Buchhandlung (Haus des Buches, дом книги dom knigi). Solch ein Relikt aus der Vergangenheit wirkt wie ein Anhauch der Geschichte in der trostlosen Gegenwart: Sozialismus ist gut gemeint, aber er erfordert soviel Idealismus, daß er unrealistisch ist.
Am Flughafen Pulkovo I erfahren wir, daß der Flug nach Erevan (Armenien) auf 19.00 Uhr verschoben wurde. Wir fahren deshalb nach Pavlovsk, das 30 km südlich von St. Petersburg liegt. Katharina die Große schenkte das Areal entlang des Flüßchens Slavjanka 1777 ihrem Sohne, dem späteren Zaren Pavel I. Petróvič (1754-1801) und dessen Gemahlin Marija Fëdorovna, geborene Sophie Dorothee von Württemberg (1759-1828) aus Anlaß der Geburt ihres ersten Kindes, des späteren Zaren Aleksandr I. Pavlovič (1777-1825). 1782 wurde der schottische Architekt Charles Cameron mit dem Bau eines Steinpalastes beauftragt. Zarin Marija ließ den Palast ausstatten und den Park gestalten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Palast zerstört, danach aber wiederhergestellt.
Der Große Palast entstand 1782-1786 nach dem Typus eines römischen Landhauses. 1796-1799 stockte Vincenzo Brenna die Galerien und Seitenflügel auf und fügte an sie zwei halbkreisförmige Trakte für Wirtschaftszwecke an.
Der Haupttrakt ist klassizistisch, ein rechteckiger, dreigeschossiger Bau. Er wird von einem von Säulen umgebenen Tambour bekrönt, über dem sich eine flache Kuppel erhebt. Sowohl die dem Park als auch die dem Ehrenhof zugewandte Fassade besitzt einen Portikus aus korinthischen Säulen. An den Hauptbau schließen Galerien an, die in Seitenflügeln enden. Von diesen gehen geschwungene Flügel aus.
Im Ägyptischen Vestibül sind Plastiken, Allegorien der zwölf Monate. Den Speisesaal beherrschen vier Gemälde von Andrej Efimovič Martynov (1768-1826) aus dem Jahre 1800, welche den Park von Pavlovsk zeigen. Im Himbeerroten Kabinett, dem Arbeitszimmer des Zaren Pavel I. Petrovič, sind Ansichten von Gatčina, seinem Lieblingspalast, die zwischen 1797-1800 entstanden.
Ein Prunkvestibül, geschmückt mit Reliefs von Brenna, die Banner, Waffen und Rüstungen darstellen, führt zu den Paradesälen im Obergeschoß. Der Italienische Saal wurde von Cameron angelegt, kunstvoll sind die Türen aus Mahagoni- und Rosenholz. Der Griechische Saal erinnert an einen Tempel. In den Nischen stehen Kopien antiker Statuen. Die grünen, kannelierten Marmorsäulen kontrastieren zu den Wänden aus weißem Kunstmarmor. Die beiden Kamine haben Lapislazulieinlagen und Bronzeornamente. In den Paraderäumen Pavels I. gibt es einen Saal des Krieges, in denen seiner Frau Marija Fëdorovna einen des Friedens mit Blumengirlanden, Obstkörben, Füllhörnern und Musikinstrumenten. In der Gemäldegalerie sind drei Bilder Franziskusʼ von Assisi: Ein düsteres mit dem Gekreuzigten, ein helles mit Natur und ein erbarmungsvolles mit Kranken. Wie nur wenige Heilige, hatte Franziskus viele Aspekte! Nachdem Napoleon Malta erobert hatte, wurde Pavel I. Großmeister des Johanniterordens. Für die entsprechenden Hofempfänge wurde ein Rittersaal gestaltet.
Um 20.30 Uhr wurde uns mitgeteilt, es flögen wegen Kerosinmangels keine Flugzeuge nach Erevan. Ich wies darauf hin, daß doch um 19.34 Uhr ein Flugzeug aus Erevan hier gelandet sei. Erst da wurde mitgeteilt, daß Passagiere seit zwei Tagen auf einen derartigen Flug warteten und auf dem Gelände des Flughafens kampierten. Wir kamen in das Hotel Pulkovskaja und es wurde uns gesagt, das Intouristbüro sei erst morgen wieder geöffnet. Ich ging daraufhin zum Intouristbüro an der anderen Seite des Hotels, das geöffnet war. Dort wurde gesagt, nach Erevan zu kommen, sei möglich, aber es sei schwierig, von dort aus weiterzukommen, da seit dem 28. Juli dort viele Menschen auf einen Abflug warteten.Ich wies darauf hin, daß wir ja mit dem Bus nach Tiflis fahren sollten. Offensichtlich gibt es hier ein Gespinst von fake news.
Wir sollten uns Peterhof anschauen, aber ein Teil der Gruppe weigerte sich, das Hotel zu verlassen, ehe nicht unsere Weiterreise geklärt sei. Ein anderer Teil warf den Verweigerern vor, ihnen eine interessante Vormittagstour gestohlen zu haben. So war nun die Gruppe gespalten.
Penaten, Repino, Photographie von H. M. Knechten
Am Nachmittag fuhren wir nach Repino, 45 km nordwestlich des Stadtzentrums St. Peterburgs, am Ufer des Finnischen Meerbusens. Im Haus „Penaten“ lebte und arbeitete der Maler Ilʼjá Efímovič Répin (1844-1930). Penaten (penates) sind innerhalb der Römischen Religion die Schutzgötter der Familie und des Haushalts. Sie sind besonders dafür verantwortlich, daß das Feuer im Herd nicht erlischt und daß die Ratten nicht die Vorräte aufzehren.
Repins bekannteste Bilder sind: Ivan der Schreckliche erschlägt seinen Sohn (1870-1873) und löscht damit die Rjurikiden-Dynastie aus; Die Volgatreidler (1870-1873) und Die Zaporožʼer Kosaken schreiben dem Sultan einen Brief (1878-1891).
Das Museum war, wie alle Landhäuser von Malern, Künstlern und Schriftstellern liebevoll gepflegt. An allen Fenstern gab es Topfblumen, der Garten war eine Augenweide, die Stille der Umgebung war wohltuend. Die Angestellten waren freundlich und versuchten, das Andenken des bedeutenden Malers wachzuhalten.
Auch hier erfolgte gleich der Kontrast. Larissa erzählte, ein Mitglied des Leningrader Stadtparlamentes habe mitgeteilt: Am Gebäude der Staatssicherheit gab es ein Rohr, durch welches das Blut der Gefolterten in die Neva abfloss.
Sie erzählte auch, in der Armee würden Jugendliche ermordet, wenn sie nicht einverstanden seien, abscheuliche Dinge zu tun.
Das Problem der дедовщина dedovščína – „Herrschaft der Großväter“ ist bekannt: jüngere Soldaten werden durch dienstältere schikaniert. Dies geht bis zu einer Art Leibeigenschaft: die jüngeren müssen Dienste aller Art verrichten, werden beschimpft, geschlagen und ausgenutzt.
Eine Flasche Wodka kostet, je nach Qualität, zwischen zehn und fünfzehn Rubeln. Ein kg Äpfel – zehn Rubel, ein kg Tomaten – 5 Rubel.
Abends wurde wieder der Abflug nach Erevan angekündigt, aber bald darauf wieder abgesagt. Diesmal schob man die Schuld auf die armenische Fluggesellschaft, die nicht organisieren könne. Flugzeuge aus Leningrad erhielten in Erevan keine Landeerlaubnis. Ein Flugzeug habe Frauen und Kinder aufgenommen, die bereits seit zwei Tagen warteten. Es gäbe kein Kerosin. In Armenien sei ein Aufstand; es werde geschossen. Der amerikanische Präsident Bush sei in Moskau und es gäbe Proteste gegen seinen Besuch. Zwei von uns fuhren zum Flughafen, um die Angaben zu kontrollieren, und stellten fest, es gäbe keine Flüge nach Erevan.
Wir sitzen zweieinhalb Stunden im Flugzeug, bis es endlich startet. Man erwartet uns nicht und wir chartern zwei private Kleinbusse. Untergebracht sind wir im Hotel Ani in Erevan, benannt nach der mittelalterlichen Hauptstadt Ani auf dem Gebiete der heutigen Türkei, im Grenzgebiet, auf einem Plateau (1.338 m), umgeben von einer tiefen Schlucht und dem Fluß Achurian.
An der Oper sind Statuen von Komponisten und Dichtern. Hier werden unter anderem Ballette und Orchesterwerke des Komponisten Aram Chačatrjan (Chačaturjan, 1903-1978) aufgeführt. Am bekanntesten ist der Säbeltanz aus dem Ballett Gayaneh, das 1942 in Permʼ (Uralvorland, 1.150 km östlich von Moskau) uraufgeführt wurde.
Auf dem Platz vor der Oper begannen die Demonstrationen für Berg Karabach, das zwar von Armeniern bewohnt ist, aber zu Azerbajdjan gehört. Die weitere Geschichte bis zur Vertreibung der dort wohnenden Armenier ist bekannt.
Hier werde nicht geschossen. Auch sei keine Rede davon, daß russische Flugzeuge nicht landen dürften.
In Erevan gibt es zurzeit kein Papier; daher können keine Zeitungen gedruckt werden, und die Journalistin Natalie, die wir treffen, ist arbeitslos.
Unsere Dolmetscherin heißt Galina (Helene).
Armenische Versuche
Unser Busfahrer heißt Griša.
Matenadarán (Bibliothek, Aufbewahrungsort für alte Handschriften) an der Mesrop-Prachtstraße, eröffnet 1959. Dies ist die kulturelle Seele Armeniens. Die Armenier haben eine lange Verfolgungsgeschichte hinter sich, aber ihre Kultur und damit auch ihr Nationalbewußtsein wurden durch die alten armenischen Handschriften aufrechterhalten. Hier sind 17.000 von ihnen versammelt. Der größte Teil stammt aus dem Patriarchat in Etschmiadsin, dessen Bestände 1920 enteignet wurden. Die Sammlung wurde zunächst nach Moskau verbracht und 1939 nach Erevan. Das Gebäude wurde in den Fels gehauen und leidet unter Wassereinbrüchen.
Die kostbarste Handschrift ist das Etschmiadsin-Evangeliar aus dem Jahre 989 in einem Elfenbeineinband aus dem 6. Jahrhundert. Die Miniatur auf Blatt 6 zeigt Christus auf dem Thron. Auf Blatt 8 wird dargestellt, wie Abraham daran gehindert wird, seinen Sohn Isaak zu opfern. Blatt 229 zeigt die thronende Gottesmutter mit dem Jesuskind und der Anbetung der Drei Könige.
Mesrop Maštocʼ (um 360 - 440) entwickelte das armenische Alphabet mit 36 Buchstaben und übersetzte Teile der syrischen Bibel ins Armenische, das erst dadurch eine Schriftsprache wurde.
Das Leben in Armenien wird von Tag zu Tag teurer. Die politische Lage ist instabil. Ein Monatslohn beträgt durchschnittlich 250 Rubel. 1 kg Schweinefleisch kosten 25 Rubel, 1 kg Rindfleisch 30 Rubel.
Einfacher Cognac kostet 25 Rubel. Der französische schmeckt nach Seife, der armenische nach Vanille.
1986 war ein Jahrhundertwinter, in den Bergen minus 42 Grad, in Erevan 30 Grad.
Etschmiadsin (Edžmiacin) – „herabgestiegen ist der Eingeborene“, da der Bauplatz dieser Kathedrale von Christus selbst bezeichnet wurde. In den Jahren 301 bis 303 errichtete Gregor der Erleuchter (um 240 bis um 331) an der Stelle eines persischen Feuertempels eine Basilika. Sie ist Sitz des Katholikos (sein Palast) und religiöses Zentrum des Landes. Unter dem Altar, der sich in der Vierung befindet, wurde ein vorchristlicher Opferstein gefunden.
484 wurde eine Kreuzkuppelkirche errichtet. Die hölzerne Kuppel wurde 618 durch eine steinerne ersetzt. 1627 bis 1632 wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt. Klosterzellen wurden gebaut, ein Refektorium, eine Bäckerei, ein Kornspeicher und ein Gästehaus. 1874 wurde auch ein Geistliches Seminar eingerichtet.
1920 wurde Armenien eine Republik der Sowjetunion. Die Feier der Liturgie wurde verboten, der Landbesitz des Klosters in eine Kolchose umgewandelt, das Geistliche Seminar eine öffentliche Schule, Museum und Bibliothek wissenschaftliche Einrichtungen.
1945 durfte wieder ein Katholikos gewählt werden und das Geistliche Seminar nahm erneut seine Arbeit auf. Die Kathedrale wurde renoviert. Heute (1991) studieren sechzig Priesteramtskandidaten am Seminar.
Typisch ist der Kreuzstein (chačkar). In der Mitte ist ein Reliefkreuz. Es ist umgeben von geometrischen und pflanzlichen Motiven. Sie sind bis zu drei Meter hoch. Die ältesten erhaltenen Exemplare stammen aus dem 9. Jahrhundert. Der Höhepunkt ihrer Anfertigung war im 12./13. Jahrhundert. Sie weisen auf das Geheimnis unserer Erlösung hin und halten dem Menschen dieses Ziel vor Augen.
Jetzt wird fast jedes Kind getauft, oft gleichzeitig mit den Eltern. Während der Religionsverfolgung gab es schulische und berufliche Nachteile, wenn bekannt wurde, daß jemand getauft worden war.
Der gegenwärtige Katholikos (Patriarch) Wasgen I. (1908-1994) wird am 20. September 1991 83 Jahre alt.
Zufällig treffen wir den Piloten, der uns gestern geflogen hatte. Er sagt, die Verwaltung in Moskau teile kaum Kerosin zu, da es politisch nicht erwünscht sei, daß Armenien besucht werde. Die Touristen sollen nicht den verheerenden Zustand des Landes kennenlernen.
Frage an Radio Erevan: Wie kommt es, daß Armenien vor drei Jahren den ersten Preis für Qualitätswein gewonnen hat und in diesem Jahr nur den dritten? Radio Erevan denkt nach und sagt dann: Das verstehen wir auch nicht; wir haben den Wein aus dem gleichen Faß genommen.
Die Menschen erhalten im Monat 40 Liter Benzin beim Vorzeigen ihrer Benzinkarte. Der Schwarzmarktpreis beträgt 1,50 Rubel für einen Liter. Das sind 52,50 Rubel für vierzig Liter, mit denen man nicht allzu weit fahren kann. Bei 250 Rubel Monatsverdienst ist das schwer erschwinglich.
Ein Reiseteilnehmer erzählt, daß während der Zarenzeit täglich 45 Menschen hingerichtet wurden und während der Sowjetzeit täglich 150.
Diese Aussage ist zu modifizieren: 1753 schaffte Zarin Elisabeth die Todesstrafe ab. Gleichzeitig stieg aber die Anzahl der Menschen, die nach Sibirien verbannt wurden, da nun auch adlige Dorfbesitzer das Recht erlangten, Leibeigene nach eigenem Ermessen zu verbannen. Durch den langen Fußweg in der Kälte und das harte Leben in der Verbannung starben viele Menschen vorzeitig. 1861 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben. Zugleich mit der Revolution 1917 wurde die Todesstrafe wieder eingeführt.
In meinem Leben bin ich immer wieder Menschen begegnet, für die der Sozialismus die Krönung aller politischen Systeme und ein Ausbund an freier Entfaltung war, während ihnen die Zarenherrschaft als finstere Zeit blutiger Unterdrückung galt.
Von Etschmiadsin fahren wir mit dem Bus nach Erevan, dann über Aschtarak, Spitak, Vanadzor (Kirovakan) und Stepanavan nach Tiflis (Tbilisi). Das Erdbeben von Spitak zerstörte am 7. Dezember 1988 weite Teile von Spitak, Vanadzor und Stepanavan („Stephan-Johannes“). Wir fahren lange Zeit durch Gegenden mit Trümmern. Wir kommen an einem riesigen Friedhof für die Erdbebenopfer vorbei, der neu angelegt wurde. Es gab mindestens 25.000 Tote.
Wir kommen am Sevansee vorbei. Es war geplant, das Sevankloster (Sevanavank) zu besuchen. Da wir aber in St. Petersburg durch die genannten Gründe Zeit verloren hatten, entfiel dieser Programmpunkt. Ich hätte gerne die Kirche Surb Arakelots (Heilige Apostel) aus dem Jahre 874 gesehen.
An der Grenze zu Georgien fuhren wir durch Kašir. Dort wohnen Molokanen (Milchtrinker), die so genannt wurden, weil sie auch in der Fastenzeit Milchprodukte zu sich nahmen. Für ihre Lebensführung lassen sie nur die Vorschriften der Bibel gelten. Sie lehnen Militärdienst, Alkohol und Tabak ab. Ihr Vorkommen wurde erstmals 1765 vom Geistlichen Konsistorium in Tambov erwähnt. Ihre Blütezeit lag zwischen 1820 und 1830, und zwar im Gebiet der mittleren Wolga. Danach zwang sie der Zar, in den Süden des Kaukasus auszuwandern.
In Tiflis (Tbilisi) sind wir im Hotel Iberia am Prospekt Rustaveli untergebracht.
Um 4.30 Uhr holt der Gepäckträger den Koffer ab. Am Flughafen erfahren wir, daß es nicht sicher sei, ob wir heute nach Taschkent fliegen könnten. Um neun Uhr öffnet das Intouristbüro und teilt uns mit, daß wir heute in Georgien Besichtigungen machen würden. Unsere Dolmetscherin in Tiflis ist Larissa II, unser Fahrer heißt Otto.
Georgische Versuche
Wir schauen uns Tiflis und Mzcheta an. Über die Sehenswürdigkeiten dieser Orte habe ich in einem früheren Reisebericht erzählt.
Die Gruppe spaltet sich erneut durch die Entwicklung von alternativen Lösungsmöglichkeiten:
I. Mit dem Bus nach Trabzon oder Erzurum fahren.
II. Direktflug nach Samarkand, um der Betonwüste Taschkent zu entgehen.
III. Flug nach Moskau, um den Goldenen Ring zu besuchen.
IV. Flug nach Afghanistan.
Zwei Reiseteilnehmer kehren aus Verärgerung nach Hause zurück. Mir wird jetzt der Grund dafür klar, warum alle Reiseteilnehmer vor der Reise eine Rücküberweisung von dreihundert Mark erhalten hatten. Das war wohl Schmerzensgeld.
Die Intouristleiterin verhandelt mit mir allein, da ich russisch spreche. Sie gibt mir innerhalb von 24 Stunden vier widersprüchliche Informationen:
o Für eine einzige Person ist es kein Problem, nach Taschkent zu fliegen.
o Dieser Flug ist erst in acht Tagen möglich.
o Dieser Flug ist erst nach 15 Tagen möglich.
o Dieser Flug ist wegen Kerosinmangels, Streiks der Piloten und Schießereien in Taschkent unmöglich; ich müßte mit der Gruppe nach Moskau fliegen.
Die Gruppe wird zum Flughafen gefahren, um nach Moskau zu fliegen. Dort gehe ich in den Flughafenbereich, der für Sowjetbürger reserviert ist. (In der Sowjetunion werden Touristen stets von Einheimischen getrennt.) Dort höre ich die Lautsprecherdurchsage, daß die Registrierung (check in) für den Flug nach Taschkent der Passagiere von gestern und vorgestern jetzt beginne. An der Anzeigetafel ist dieser Abflug bestätigt. Ich gehe sofort zu Intourist im Flughafen, doch dort wird mir gesagt, jetzt sei alles bereits geschrieben (organisiert), außerdem habe ich keinen Voucher. Ich zeige meinen Voucher, doch es wird gesagt, das sei nur eine Kopie. Ich zeige meinen Paß. Im Visum ist „Taschkent“ vermerkt. Schließlich schickt man mich zum Flughafen für Sowjetbürger. Dort werde ich von einem Schalter zum anderen und schließlich wieder zurück zum Intouristbüro geschickt. Die gesamte Gruppe fliegt um elf Uhr nach Moskau, höre ich dort. Doch dann bekomme ich einen Voucher für Usbekistan sowie die Flugabschnitte (Flutickets) nach Taschkent, Samarkand, Buchara, Urgentsch und Moskau. Ich müsse aber alle übrigen Kosten selbst bezahlen. Die Gruppe fliegt nach Moskau; ich warte, und schließlich darf ich das Flugzeug nach Taschkent als erster betreten. Es füllt sich allmählich.
Kamel mit Falkenauge. Der Wüstensand in Form von Wellen weist auf die Bezeichnung „Wüstenschiff“ hin. Zeichnung von H. M. Knechten
Das Land Usbekistan erhielt 1925 diese Bezeichnung nach Muḥámmad Usbek (Öz Beg) Chan (1282-1341/1342), der die Goldene Horde in ihrer Blütezeit beherrschte.
Mittags bin ich in Taschkent (Toškent – Steinstadt). Es ist 33 Grad warm. Ich gehe im Flughafen zum Intouristschalter und werde gefragt, wo mein Voucher und meine Marschroute sei. Schließlich fährt man mich zusammen mit einer spanischen Gruppe im Bus zum Hotel Usbekistan. Nach einer langen Diskussion erhalte ich dort „unter Vorbehalt“ ein Zimmer und auch ein Mittagessen, das ich aber bezahlen soll. Ich weigere mich aus folgenden Gründen zu zahlen:
I. Ich bin kein Einzeltourist.
II. Es ist nicht meine Schuld, daß ich in diese Lage gekommen bin, da wir in St. Petersburg zwei Tage und in Tiflis einen Tag warten mußten.
III. Ich habe den hohen Reisepreis bereits in Deutschland bezahlt. Wenn noch Fragen vorhanden sind, können diese mit meiner Reiseorganisation geklärt werden.
IV. Ich kann in jeder Stadt einer anderen Reisegruppe zugerechnet werden, wobei die Sprache für mich keine Rolle spielt.
Ich erkunde die Stadt auf eigene Faust und zu Fuß. Da und dort wird Kwas aus einem Faß verkauft. Kwas bedeutet saurer Trank oder Gegorenes. Da er aus Brot hergestellt wird, gibt es ihn in Deutschland unter der Bezeichnung „Brottrunk“. Das deutsche Wort Käse ist etymologisch mit Kwas verwandt. Brot wird in Wasser verrührt und mit Kwas-Hefe vermengt. Es können Minze, Johannisbeeren, Rosinen oder Honig beigefügt werden, um den Geschmack zu variieren. Die Stärke des Brotes verwandelt sich durch den Gärungsprozeß in Zucker, dieser wiederum in einen geringen Anteil Alkohol (0,05 bis 1,2 %). Das Getränk stillt den Durst und ist verdauungsfördernd.
Es gibt in Taschkent schattenspendende Alleen und schöne Parks mit Wasserfontänen. Ich sehe, wie mongolisch aussehende Polizisten einen widerstrebenden Usbeken in einen Gefängniswagen stoßen. In der Stadt leben Christen und Moslems, Angehörige verschiedener Turkvölker, Tataren, Uiguren, Mongolen, Chinesen, Tadžiken und Europäer.
Die Stadt wurde im 3. Jahrhundert in chinesischen Quellen erstmals erwähnt. Sie wurde 751 von arabischen Streitkräften eingenommen. 1220 eroberte Dschingis Chan die Stadt. Im 14. Jahrhundert blühte sie unter Timur Lenk auf. 1865 eroberten sie russische Truppen. 1918 wurde sie Hauptstadt Turkestans und 1924 Usbekistans, beides innerhalb der Sowjetunion. 1930 bis 1943 bestand hier ein Straflager mit 36.000 Internierten, die in der Baumwollandwirtschaft arbeiteten. Es gab auch ein Lager für deutsche Kriegsgefangene. Bei einem Erdbeben am 26. April 1966 wurden weite Teile der Stadt zerstört. Bei dem Wiederaufbau wurden auch nur leicht beschädigte traditionelle Häuser abgerissen. Es entstand eine Bebauung wie in anderen sowjetischen Städten.
Ein Brot kostet in Taschkent dreißig Kopeken; es wird staatlich subventioniert. Dies führt dazu, daß es als billiges Viehfutter verwendet wird.
Die Medrese (Koranschule) Kukaldasch wurde im Jahre 1420 erbaut. Ihre Hauptfassade ist mit Fayencen geschmückt. Diese Keramik wurde nach der italienischen Stadt Faenza benannt. Kukaldasch war Wesir des Fürsten Abdullah II. (1533-1598). Wer sieben Jahre in einer Medrese gelernt hat, darf die islamische Hochschule besuchen.
Neben der Medrese Kukaldasch ist eine Freitagsmoschee aus dem 16. Jahrhundert. Eine Freitagsmoschee ist die Hauptmoschee einer Stadt. Am Freitag wird in ihr vor dem Gebet gepredigt.
Als ich nach der Medrese Barak Chan (Navrus Achmed, 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts) frage, ist Gelächter die Antwort, Schließlich frage ich Moslems, die an der gehäkelten Kopfbedeckung erkennbar sind, und erhalte den Weg gewiesen. Eine Frau fragt mich herausfordernd, wobei sie stolz die Arme in die Hüften stemmt: „Ich bin Muslimin! – Aber was sind Sie?“
Hochzeitsfeier an der Zarkajnar-Straße in Taschkent, Photographie von H. M. Knechten
Bevor ich die Medrese finde, werde ich zu einer Hochzeitsfeier in der Zarkajnar-Straße eingeladen, südlich des Basars. Die Frauen feiern im Inneren, die Männer sitzen vor dem Haus. Es gibt Tee, Piroggen (Maultaschen), Brotfladen und Weintrauben. Dazu gibt es Borduntöne aus einer überlangen Fanfare, schrilles Quieken einer Holzoboe, rhytmisches Klatschen eines Tamburins und schnelle Wirbel einer Trommel. Die Musiker ziehen anschließend in das Haus, um auch dort aufzuspielen.
Hochzeitsmusiker, Photographie von H. M. Knechten
Man fragt mich nach meinem Vornamen. Dieser sei der gleiche wie bei Gorbačëv, bemerkt einer, und alle lachen. Ich frage, ob er oder ich besser sei. Die Antwort lautet: „Natürlich du!“, und alle schütten sich aus vor Lachen. Dann wird kommentiert, daß der Erste Fußballclub Köln jüngst gegen Spartakus Moskau gewonnen hat. Schließlich heißt es: «Старые придут и молодые уйдут» (Die Alten kommen und die Jungen gehen). Da die Älteren des Stadtviertels zur Hochzeitsfeier gekommen sind, werde ich wegkomplimentiert.
In der Medrese Barak Chan ist die Verwaltung der sunnitischen Muslime Usbekistans.Der Torwächter sitzt beim Abendessen, den Besuchern abgekehrt. Alles ist friedlich. Im Innenhof sind viele kleine Torbögen, darunter nummerierte Türen. Es sind die Zimmer der Koranschüler. In der Bibliothek befindet sich der Koran Uthmans (574-656), des dritten Kalifen. Es gibt schöne Gartenanlagen. Gegenüber sind Hallenmoscheen. Ein Mann schläft auf dem Boden, der mit Teppich ausgelegt ist.
Das Kuppelmausoleum Abu Bakra Kaffal Schaschi († 926) entstand in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Hier sehe ich zum ersten Mal einen Iwan, der ursprünglich die überwölbte Halle eines arabischen Hauses war. In der Sassanidenzeit (224-642) wurde er zu einem Portal mit einer großen gewölbten Nische, vielfältig gegliedert und reich verziert.
Heute ist hier eine islamische Hochschule. Wer die Oberschule und die Medrese absolviert hat, ist zum vierjährigen Weiterstudium zugelassen. Neben Islamistik werden auch Literatur, Geschichte und Geographie islamischer Länder gelehrt sowie Arabisch, Persisch und Englisch.
Neben dem Mausoleum lebt ein islamischer Einsiedler. Er hat eine winzige, offene Moschee gebaut. Dies ist sein Gebetsraum. Daneben ist sein kleiner Schlafraum.
Er ist soeben dabei, die Außenwand mit Lehm zu bewerfen und steht deshalb auf einem kleinen, sehr einfach gebauten Gerüst. In seinem gepflegten Garten zieht er Mais und Gemüse. Er hat auch eine Laube, die ihn vor Sonnenstrahlen schützt.
Er führt mich in das Innere des Mausoleums, hoch über den Iwan. Dort habe ich eine schöne Aussicht auf Taschkent, die Stadt der tausend Brunnen. Es ist eine vom Fluß Tschirtschik bewässerte Oase. In der Stadt leben mehr als zwei Millionen Einwohner.
Wir unterhalten uns. „Nicht jeden Tag treffe ich so einen wie Dich, Michail“, sagt er. „Die Touristen kommen in Scharen hierher und halten mich aufgrund meines Aussehens für ein Gespenst. Aber nicht die Kleidung ist wichtig!“ – „Ja“, antworte ich, „Gott schaut auf das Herz, das ist für Ihn wichtig.“
Dann sprechen wir über das einsame Leben. „Es ist aber schwierig“, seufzt er, und fügt hinzu: «Я один!» – Ich bin allein!
Ich spreche von der Freude. „Kennst Du die Freude?“, fragt er. Ich erkläre: „Sie wohnt im Herzen, nicht außen.“
Dann erzähle ich von der Gemeinschaft der Heiligen. Er versteht nicht gleich.
Ich führe aus: „Wir begegnen uns in Gott, nicht unmittelbar von Ich zu Du, sondern in Ihm; so überwinden wir die Verschiedenheit.“
Zum Abschied schenkt er mir arabische Minze, deren Blätter an der Unterseite wegen der starken Sonneneinstrahlung dunkelviolett sind. „Mache dir einen Heiltee daraus“, fügt er freundlich hinzu.
Mit der Metro, die bereits vier Linien umfaßt, fahre ich in wenigen Minuten zum Hotel zurück.
Jemand sagt mir: „Das Problem in Usbekistan ist die mangelnde Disziplin!“
Überall sieht man Männer, die auf den Fersen hocken, die Arme über die Knie ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. So verweilen sie lange Zeit.
Ohne Bezahlung erhalte ich kein Frühstück. Ich wende mich der Reihe nach an verschiedene Mitarbeiter von Intourist. Sie sagen mir, ich sei selbst verantwortlich für meine Lage und müsse daher bezahlen. Ich kontere, es liege an Intourist, daß die Flüge nicht planungsgemäß zustande kamen und die Restgruppe nach Moskau umgeleitet wurde. Ich frage aggressiv, ob es hier üblich sei, zweimal für die gleiche Reise zu bezahlen. Ich lege den Prospekt meines Reiseveranstalters vor, in dem der Reisepreis, der für sowjetische Verhältnisse außerordentlich hoch ist, angegeben ist. Eine Dolmetscherin spendet mir schließlich eine Pirogge.
Ich darf mit der spanischen Gruppe, mit der ich gestern vom Flughafen hierhin gefahren war, die Besichtigung der Neustadt Taschkents mitmachen. Carmen, die Leiterin der Gruppe, schenkt mir eine Flasche Mineralwasser.
Barno, die Dolmetscherin, wird um neun Uhr Moskauer Zeit, das ist elf Uhr Taschkenter Zeit, die Reiseagentur anrufen. Dann wird über mein Schicksal entschieden.
Im Hotel erfahre ich, daß mein Flug nach Samarkand um 18.00 Uhr abgeht. Die Gruppe fliegt aus Moskau direkt dorthin. Von einer Bezahlung meinerseits ist nicht mehr die Rede.
Die Seidenstraße verband Ostasien über Mittelasien mit dem Mittelmeerraum. Der Geograph Ferdinand von Richthofen (1833-1905) verwendete diesen Begriff erstmals im Jahre 1877. Gehandelt wurde auf der Seidenstraße in westliche Richtung Seide, Porzellan und Tee, in östliche Richtung Gold, Silber und Wolle. Wissenschaft und Religionswissen (Buddhismus, Nestorianismus) wanderten über diese Route; sie diente aber auch militärischen Zwecken. Ihre größte Bedeutung hatte die Seidenstraße von 115 vor Christus bis zum 13. Jahrhundert nach Christus. Im 14. Jahrhundert breitete sich entlang der Seidenstraße die Pest aus und raffte ein Drittel der Bewohner Europas hin.
Es gab mehrere Seidenstraßen, die östliche, die mittlere, die westliche und die maritime.
Da sich im Westen das Wissen um die Züchtung von Seidenraupen und das Geheimnis der Porzellanherstellung verbreiteten, verlor die Seidenstraße ihre Bedeutung.
Ich hole meinen Paß und mein Visum, die einem immer „sicherheitshalber“ abgenommen werden – der Hotelausweis gilt als Ausweis –, fahre für 20 Kopeken mit dem Bus zum Flughafen und erhalte im dortigen Intouristbüro nach dem gewohnten Hin und Her endlich die Flugbestätigung. Ich setze mich hin, um das Handbuch der Tadschiken zu lesen, das mir ein Angestellter in der Kukaldaschmedrese geschenkt hatte, doch da kommt eine Dame auf mich zu und sagt: „Bitte einsteigen zum Flug nach Samarkand!“ Wie erwartet, gibt es an der Eincheckstelle kleine Diskussionen, dann noch einmal vor dem Flugzeug. In der Sowjetunion gilt der Einzelreisende nichts. So werde ich schließlich einer Gruppe von Amerikanern beigesellt, die eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn hinter sich haben. Im Flugzeug sitzen nun 44 Passagiere. Es handelt sich um eine Propellermaschine. Ein Amerikaner erklärt, das Problem bei dem Kerosin sei, daß sich erstaunlicherweise Bakterien darin ansiedeln, die dem Motor schaden können; daher müsse man es sorgfältig lagern.
Nachdem wir zwei Stunden im Flugzeug gewartet hatten, wird mitgeteilt, ein Sturm drohe; wir würden alle luftkrank. Eine Einheimische sagt mir, so etwas sei in Taschkent im August sehr selten. Wir müssen alle wieder aussteigen. Im Intouristbüro wird gesagt, es habe sich nicht um ein Problem des Wetters gehandelt, sondern der KGB (Комитет государственной безопасности – Komitee der Staatssicherheit) habe den Flug verzögert.
Nach zwei Stunden geht es wieder zum Flugzeug. Ein Mitglied der Crew versichert, diesmal werde es klappen. Nun sind alle Plätze des Fliegers besetzt. Die Eltern nehmen ihre Kinder auf den Schoß. Wir erfahren als weiteren Grund der Verzögerung, daß man von überallher die Fluggäste einsammeln mußte, die bereits seit Tagen auf den Abflug warteten. Nach einer Stunde wird zuerst der linke, dann der rechte Propeller gestartet.
Ein Mitreisender sagt, dieses Chaos auf den Flughäfen sei hier seit zwei Jahren. Unter Gorbačëv habe sich die Situation verschlechtert. Er beklagt sich darüber, daß er im Ausland für Rubel so wenig Umtauschgeld erhalte.
Dazu gibt es eine Anekdote: Was ist das Verhältnis zwischen Dollar, Pfund und Rubel? – Ein Dollar kostet ein Pfund Rubel!
Aus dem Flugzeugfenster erblicke ich Kanäle und Bäche. Für den Baumwollanbau wird in großem Stile Bewässerung eingesetzt. Dies ist eine der Ursachen für die weitgehende Austrocknung des Aralsees. Schließlich fliegen wir über die Wüste, die stellenweise unberührt, aber an anderen Stellen von Kamel- oder Jeepspuren durchzogen ist.
Nach fünfzig Minuten Flug (293 km) landen wir. Übernachtung im Hotel „Samarkand“.
Heute ist das Fest der Verklärung Christi. Über Hiroshima wurde an diesem Tag im Jahre 1945 eine Atombombe abgeworfen. Im Jahre 1978 starb an diesem Tage Papst Paul VI., der gegen den Rat der Fachleute in seiner Enzyklika „Humanæ vitæ“ empfängnisverhütende Mittel verurteilt hatte.
Morgens trifft die Reisegruppe aus Moskau ein; alle sind übernächtigt. Sie haben das Wort „Intourist-Lüge“ gebildet. Als sie es der Reiseleiterin mitteilten, begann sie zu weinen.
Samarkand (sogdisch für „steinerne Stadt“) hat 400.000 Einwohner und liegt 725 Meter über dem Meeresspiegel.
Afrasiab, der Vorläuferort, wurde 750 vor Christus als Oasenstadt gegründet. Die Stadt blühte wegen ihrer günstigen Lage an der Seidenstraße auf. Hier lebten Buddhisten und Christen. Wandmalereien sind erhalten. Nach der arabischen Eroberung wurde sie religiöser Mittelpunkt des Islams in Mittelasien. 1220 wurde die Stadt durch die Truppen Dschingis Chans erobert und zerstört. Im 14. Jahrhundert wurde die Stadt einen Kilometer südwestlich des alten Siedlungshügels unter dem Namen Samarkand wieder aufgebaut. Ende des 15. Jahrhunderts wurde sie Hauptstadt des Usbeken-Chanats. Im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts wurde die Hauptstadt nach Buchara verlegt und es begann der Niedergang Samarkands. 1730 war Samarkand infolge kriegerischer Auseinandersetzungen stark verwüstet. 1868 kam sie unter russische Herrschaft und wurde 1887 Provinzhauptstadt Turkestans. Als Taschkent 1924 Hauptstadt Usbekistans wurde, sank Samarkand wieder auf den Rang einer Provinzstadt herab.
Der Registan (Rigestan –
Sandplatz) entstand, nachdem Timur rücksichtslos und ohne Vorwarnung die hier
stehenden Häuser hatte zerstören lassen, um Platz für das wirtschaftliche
Zentrum Samarkands zu schaffen. Drei rechtwinklig zueinander gebaute Medresen (Ulughbek, Tella-kari und
Schir-dar) bilden einen geräumigen Platz, auf den die drei Iwane der
Eingangsportale ausgerichtet sind. Märchenerzähler und Taschenspieler,
Garküchen und Barbiere boten ihre Dienste an. Die Medrese Ulughbek
wurde 1417-1420 erbaut. Diese Hochschule zeugte durch ihre mustergültige Bauart
vom hohen Stand der Wissenschaft, Kunst und Technik.
Die
Medrese Schir-dar
(Tigerhaus) wurde 1611-1636 errichtet. Auf dem Portalbogen sind Araltiger dargestellt, die sich auf eine Hirschkuh stürzen.
Im Hintergrund ist eine strahlende Sonne dargestellt, die Züge eines
menschlichen Antlitzes trägt. Dies zeigt deutlich persischen Einfluß.
Medrese Schir-dar, Symbol des
Lebensbaumes in einer Vase, Zeichnung von H. M. Knechten
Im
Norden erhebt sich die Medrese Tella-kari (die Goldgeschmückte), 1646-1660 entstanden,
die auch als Freitagsmoschee genutzt wird. Sie hat an den Wänden
teppichähnliche Muster in Gold.
1920
verbrannten die Frauen auf dem Registan ihren
Tschador („Zelt“). Sie waren nicht mehr bereit, die Vorschrift der
Ganzkörperverhüllung hinzunehmen. Sure 33, 53 des Korans (qurʼān
– Lesung) trägt auf: „Wenn ihr die Gattinnen des Propheten um etwas bittet, das
ihr benötigt, dann tut das hinter dem hiǧāb
(Vorhang)!“ Damit ist der Vorhang gemeint, der den Teil des Zeltes abtrennte,
der Frauen vorbehalten war. Dieser Vorhang wurde dann zu einem Schleier oder
wenigstens Kopftuch uminterpretiert, die als Zeichen von Strenggläubigkeit
dienen.
Wir besichtigen das Observatorium Ulugh Beg, das 1424-1428 von dem Timuridenfürsten Ulugh Beg („Großer Herrscher“; 1394-1449) errichtet wurde. Der Rundbau hatte 46 m Durchmesser und 30 m Höhe. Teleskope, gab es hier noch nicht, aber der Sextant („Sechster Teil eines Kreises“) wurde beträchtlich vergrößert. Er lief auf zwei Schienen, die mit Markierungen für die Grade versehen waren. Ulugh Beg beschäftigte sich mit Mathematik, Astronomie, Kunst, Poesie und Korankunde. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern errechnete er das siderische Jahr mit 365 Tagen, 6 Stunden, 10 Minuten und 8 Sekunden. Dabei unterlief ihnen ein Fehler von lediglich 58 Sekunden. Sie bestimmten die Schiefe der Ekliptik und die Breite, auf der Samarkand lag. Sie erstellten einen Sternenkatalog mit 992 Sternen.
Als Herrscher war Ulugh Beg allerdings nicht so erfolgreich. Die örtliche Geistlichkeit, die vom Sufismus geprägt war, stand nicht auf Seiten des Herrschers, welcher die Wissenschaft über den Glauben stellte und stiftete Unfrieden in der Stadt. Ulugh Beg wurde auf eine Pilgerreise geschickt, auf der er festgenommen und enthauptet wurde. Das Observatorium wurde als Teufelswerk zerstört, jedoch konnte ein Astronom mit den Sternentafeln entkommen.
Das Jahr 1449, in dem Ulugh Beg ermordet und sein Observatorium zerstört wurde, stellt eine Wende dar. Während arabischsprachige Wissenschaftler vorher führend waren, breiteten sich nun immer mehr Fundamentalismus und Obskurantismus aus.
Drei weitere Universalgelehrte wirkten in diesem Gebiet, die hier vorgestellt werden sollen:
Abū
Ǧafár
Muḥámmad
bin-Mūsā al-Ḫwārizmī (* um 780, † zwischen 835 und
850) war Mathematiker, Astronom und Geograph. Sein Beiname weist darauf hin, daß er in Choresmien geboren
wurde. In dieser Großoase am Unterlauf und an der
Mündung des Amurdarjas in den Aralsee wohnte ein
iranisches Volk. 1017 geriet dieses Territorium unter türkische Herrschaft.
Durch die Türkisierung gingen die iranischen Elemente
der Bevölkerung verloren. Al- Ḫwārizmī begründete die Algebra. Dieses
Wort kommt vom arabischen al-ǧabr – das
Zusammenfügen gebrochener Teile.
Abū
r-Raiḥān Muḥámmad
bin Aḥmad al-Bīrūnī (973-1048) war Mathematiker,
Kartograph, Astronom, Astrologe, Philosoph, Pharmakologe, Forschungsreisender,
Historiker und Übersetzer. Er berechnete den Radius der Erdkugel am Äquator. Er
ist der erste islamische Wissenschaftler, der sich mit indischer Religion
beschäftigte und darüber in seinem Buch Kitāb
al-hind berichtete. Er übersetzte arabische und
griechische Werke ins Sanskrit, darunter die Elemente Euklids.
Abū
ʽAlī al-Ḥusain
bin ʽAbd Allāh ibn Sīnā
(Avicenna; 980-1037) war Arzt, Naturwissenschaftler, neuplatonischer Philosoph,
Dichter, Jurist, Mathematiker, Astronom, Alchemist und Musiktheoretiker sowie
Politiker.
Avicenna
wies darauf hin, daß ein Kranker mit guten
Heilkräutern und mit rechten medizinischen Instrumenten geheilt werde, vor
allem aber mit guten Worten. Dies ist eine passende Feststellung in einer Zeit
der Apparatemedizin und des Verschreibens von Medikamenten, ohne ausführlich mit
dem Patienten gesprochen zu haben.
Da
Avicennas Werke in arabischer und persischer Sprache ins Lateinische übersetzt
wurden, konnte Thomas von Aquin (1225-1274) seine Thesen diskutieren.
Sowohl
für Avicenna wie auch für Thomas ist das Seiende (ens)
der erste Begriff. Die Sache (res), das Eine und das
Wahre ist jeweils der erste Begriff, welcher mit dem Seienden umkehrbar ist.
Beide führen einen Gottesbeweis aufgrund der Notwendigkeit eines
notwendigerweise Seienden.
Es gibt
aber auch Unterschiede. Für Thomas ist das Seiende nicht nur einer der ersten
Begriffe, sondern der allererste Begriff, auf den sich die Gruppe der anderen
ersten Begriffe stützt.
Avicenna
sieht zwei Möglichkeiten, die ersten Begriffe zu erkennen. Die erste ist durch
die Erfahrung. Dies bejaht auch Thomas. Die zweite Möglichkeit besteht nach
Avicenna in der Selbsterkenntnis, ohne jegliche weitere Erfahrung. Thomas
widerspricht ihm, da er der Ansicht ist, jegliche Erkenntnis komme aus der
Erfahrung.
Avicenna
listet die ersten Begriffe einfach auf. Thomas dagegen strukturiert: Das Etwas
ist Folge des Einen, das Gute hat eine Beziehung zum Willen; das Schöne ist
eine Kombination des Guten und Wahren.
Avicenna
sieht das Notwendige als ersten Begriff an, Thomas nicht. Dafür definiert er
das Gute als ersten Begriff, was sich bei Avicenna nicht findet. Damit
begründet Thomas die Ethik in der Metaphysik und stellt sie auf diese Weise auf
ein allgemeingültiges Fundament. (Vgl. Benedikt Moneke, Die ersten Begriffe des Geistes gemäß Avicenna
und Thomas von Aquin, Rom 2016).
Wir
besuchen die Gräberstadt Schah-e
Zende (Zinda), der
lebende Schah (König). Anfänge liegen in der Mongolenzeit (13. Jahrhundert),
ein Höhepunkt dieses gewaltigen Friedhofes mit Mausoleen und Gräbern war in der
Timuridenzeit (14.-17. Jahrhundert). Die Gräber der
Heiligen stellen Pforten ins Paradies dar. Wir stehen etwas ratlos vor diesem
gewaltigen Trümmerfeld, aber in den kommenden Jahren wird durch die
fortschreitende Restaurierung deutlich, daß sich hier
die Vielfalt und Schönheit timuridischer Baukunst
zeigt. Das Mausoleum Schadi Mulk Aka, einer Nichte
Timurs, aus dem Jahre 1371 ist eines der ältesten, schönsten und am besten
erhaltenen. Die Fassade ist aufgrund ihrer klaren Gliederung und kunstvollen
Gliederung eine der schönsten in Mittelasien. Weiß-blau glasierte Fayence sowie
kleine und große Fliesen in dunklem und hellen Blau
bedecken das Mauerwerk vollständig. Der Schmuck wirkt nicht eintönig, da
Ziegelmosaik, kleine Schmucktafeln mit Sternendekor und Bänder mit kufischer Schrift wie Blumenbeete einen Ziergarten
unterteilen. Der Iwan ist mit einer Halbkuppel überdacht, die durch ein
Stalaktitengewölbe ausgefüllt wird. Eine Schmucktafel zeigt eine Schale mit
Blüten. Das ist ein Wunschbild für Bewohner der Wüste. Im Inneren des
Mausoleums bilden buntglasierte Fliesen unterschiedlicher Größe und Farbe
geometrische Muster, stilisierte Blüten und kufische
Schriftzeichen. Unter den Arabesken (arabische Ornamente) findet sich nicht
nur die Gabelblüte, sondern auch die chinesische Flügelblüte. Dieses Ornament
ist über die Seidenstraße bis hierher gewandert.
Der
Friedhof ist in Richtung Mekka ausgerichtet. Eine Wallfahrt hierher ersetzt
eine Pilgerreise nach Mekka. Das Mausoleum ist im islamischen Gebiet ein
Gebetsraum in der unmittelbaren Nähe frommer Moslems, die als Heilige verehrt
werden. Die Gräber befinden sich unterhalb des Gebetsraums, manchmal aber auch
oberhalb. Die Kuppel hat eine Melonen- oder Zwiebelform.
Samarkand, Basar und Bibi-Chanum-Moschee, Photographie von H. M. Knechten
Auf dem
Basar erhole ich mich bei einem großen Bier. Dann gehe ich in die Bibi-Chanum-Moschee, die Timur zum Andenken an die Mutter
seiner Frau 1400-1404 errichten ließ. Da Samarkand in einer Gegend liegt, die
häufig von Erdbeben heimgesucht wird, zerfiel die Anlage. Die baulichen Reste
wurden restauriert. Es ist eine Vier-Iwan-Anlage. Die Säulen und Stützpfeiler
trugen mehr als vierhundert Kuppeln. Im Innenhof ist ein großes Steinpostament
für den Koran. Dunkel- und lichtblaue Ziegelornamente weisen in sich
verschlungene geometrische Muster (gereh – Knoten)
und Kufi-Inschriften auf.
Im
Mausoleum Gūr-e Amīr (Grab
des Fürsten) befindet sich die Grabstätte Timur Lenks (des Lahmen), der von
1336 bis 1405 lebte. Sein Reich erstreckte sich vom Indus bis zum Hellespont
(bis zu den Dardanellen). Aus allen eroberten Ländern ließ er Architekten,
Künstler und Handwerker kommen; sie machten seine Hauptstadt Samarkand zu einem
Paradies des Orients. Dieses Mausoleum wurde 1404/1405 vollendet. Auf der
rechten Seite des Innenhofes war ein Derwischkloster
(chanaka) und auf der linken eine Medrese. Somit war
das Mausoleum eine Stätte des Lehrens, Lernens, Gebetes und Lebens.
Das
Portal ist mit Mosaiken und Fayencen geschmückt, die Sonne und Sterne, Blumen,
Blätter und Früchte in Weiß, Gelb, Blau und Braun darstellen. Die Melonenkuppel
ragt 34 Meter in die Höhe. Eine Inschrift in kufischer
Schrift kündet, daß allein Allah ewig ist. Die
heranziehenden Karawanen erblickten diese Kuppel von weitem.
Aus dem Flugzeugfenster sehe ich eine scharfe Grenze zwischen der Wüste Kyzyl Kum (Roter Sand) im Tiefland von Turan und dem bewässerten Land: Hier ist die Gegend gelblich-grau, dort ist sie grün. Nach einem Flug von 50 Minuten (254 km) landen wir in Buchara („Mittelpunkt der Lehre), das sich in der historischen Landschaft Sogdien befindet. Die Stadt liegt 222 Meter über dem Meeresspiegel. Vom Fluß Amudarja („Großes Meer in Transoxanien“) aus führt ein 200 km langer Bewässerungskanal hierhin. Die nördliche Seidenstraße führte über Buchara, Samarkand, Pendschikent und Ferghana in das Reich der Mitte.
Hier befand sich im 6. Jahrhundert vor Christus die älteste nachgewiesene Siedlung. 710 nach Christus kam die Stadt unter arabische Herrschaft. 1220 eroberte sie Dschingis Chan. Buchara war bis nach der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Mittelpunkt des Sklavenhandels. Ab 1868 kontrollierte Rußland das Gebiet. 1920 wurde es von der Roten Armee besetzt. Heute wohnen in Buchara vornehmlich Tadschiken. Tadschikisch ist die mittelasiatische Form des Persischen. Die Stadt hat 235.000 Einwohner.
Das Judentum war früher in Buchara stark vertreten. Jetzt macht die Gemeinde einen stark gebeutelten Eindruck. Heute leben nur noch 120 Juden in der Stadt.
Fatima ist unsere Dolmetscherin. Das Ensemble Pa-i Kalan (am Fuße des Großen [Allah]) umfaßt das Kalan-Minarett, die Kalan-Moschee, die Medrese Mir-e Arab und die Emir-Alim-Chan-Medrese.
Das Kalan-Minarett wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts errichtet und ist 46 Meter hoch. Der Sockeldurchmesser beträgt mehr als zehn Meter. Bekrönt wird es durch eine mohnkapselförmige Laterne mit sechzehn Spitzbogenfenstern. Von hier aus kann der Muezzin seine Stimme weit über die Stadt erschallen lassen. Zugleich war dies eine Hinrichtungsstätte. Der Delinquent wurde in einen Sack eingenäht und von der Höhe des Minaretts hinabgeworfen. Die letzte Hinrichtung dieser Art fand 1884 statt. Die dritte Verwendung dieses Minaretts war, daß es als Leuchtturm diente, um den Führern der Wüstenschiffe den Weg in die Heilige Stadt zu weisen.
Die danebenstehende Kalan-Moschee wurde 1514 vollendet. Es ist eine Pfeilermoschee mit vier Iwanen.
Die Medrese des Scheichs Mir-e Arab wurde Anfang 1536 vollendet. Die Mittel für den Bau kamen aus dem Verkauf von dreitausend Frauen und Männern schiitischen Bekenntnisses in die Sklaverei. Die Unterdrückung der Schiiten durch die Sunniten, mit den entsprechenden Folgen, ist durch die gesamte islamische Geschichte eines der größten Probleme. Die Fassade dieser Medrese schmücken ein Prunkiwan und zwei Rundtürme an den äußeren Ecken.
Die Emir-Alim-Chan-Medrese stammt vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Medrese Abd al-Asis Chan (er regierte von 1647 bis 1680) wurde 1652 errichtet. Es handelt sich um eine Vier-Iwan-Anlage mit rechteckigem Grundriß. Ihr Dekor hat indische und osmanische Vorbilder: Vögel mit Schlangenköpfen inmitten von Blumen, reliefierte Vasen, Landschaftsmalereien, stilisierte Wolken und Flammenzungen, die aussehen wie biegsame Zweige im Wind.
Gegenüber steht die Medrese Ulugh beg, errichtet Anfang des 15. Jahrhunderts. Am Iwanportal ist eine Art gedrehtes Seil, welches das ewig erquickende Paradieseswasser symbolisiert.
Buchara, Medrese Ulugh beg, Paradieseswasser, Zeichnung von H. M. Knechten
Die Anzahl der Medresen in Buchara weist diese Stadt als einen Ort der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre aus. Da der Islam im Mittelpunkt steht, ist dies zugleich ein Kennzeichen für die Frömmigkeit der Bewohner und die Heiligkeit der Stadt.
Die Tübätäj ist eine runde oder viereckige und bestickte oder gewebte Kappe der Moslems in Mittelasien. Im Tatarischen bedeutet tübä – Dach, Spitze, Kopfwirbel und Scheitel. Sie ähnelt einer Jurte oder der Kuppel einer Moschee. Sie hat vier Teile und versinnbildlicht damit die Kindheit, die Jugend, das Erwachsenensein und das Alter. Die Art der Gestaltung verrät die Volkszugehörigkeit und die finanzielle Situation des Betreffenden, ob er reich, mittelständisch oder arm ist. Turkmenen tragen trotz der Hitze schwarze, hohe Pelzmützen.
Der Ark, die Zitadelle, war Regierungssitz und Palast der Herrscher Bucharas. Jahrhundertelang wurde die Burg immer wieder zerstört und von neuem aufgebaut. Das heutige Bild stammt hauptsächlich aus dem 18. Jahrhundert: Kasernen, Münzhof, Vorratshäuser, Werkstätten und Stallungen. Die Moschee Bala Haus (haus – Wasserbecken) wurde 1712 errichtet, ihr Minarett im Jahre 1917. In den Gebäuden des Arks befinden sich das Naturkundemuseum, das archäologische Museum, das Handschriftenmuseum, das Museum über die antike Stadt Paykent, das historische Museum mit zwei Abteilungen und das Münzenmuseum.
Bei der Gestaltung eines Platzes ist es wichtig, daß ein Gebäude ein Gegenüber (kosch) hat. Hier sind es Zitadelle und Moschee.
Ein Gegenbeispiel in Deutschland ist Ulm: Gegenüber dem Ulmer Münster stand einst das Franziskanerkloster. Man ließ es abreißen, um das Kirchengebäude herauszustellen, doch das Gegenteil trat ein: Der Platz vor der Kirche wirkt öde. Es fehlt das Pendant!
Buchara, Mausoleum der Samaniden, Photographie von H. M. Knechten
Dies ist eines der ältesten und schönsten erhaltenen Bauwerke in Mittelasien, auf einem ehemaligen Friedhofe gelegen. Die Grundfläche ist 10 x 10 Meter und die Höhe beträgt 14 Meter. Hier ist das Grab von Ismail ibn Achmad, der von 892 bis 907 in Buchara regierte und etwa im Jahre 1914 ermordet wurde, weil er Arabisch zur Amtssprache gemacht hatte und nicht die Sprache seiner vornehmen persischen Pagen. Er hatte mehr Umgang mit Gelehrten als mit ihnen; so entstand Eifersucht. Das Mausoleum wurde um die Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert errichtet. Der überkuppelte Bau des Mausoleums ist würfelförmig. Der Eingang wird durch eine Spitzbogennische abgeschlossen. Bienenkorbartige Zierkuppeln befinden sich in der Nähe der vier tragenden Rundsäulen. Der strukturierte Ziegelschmuck der Außenfassade scheint dem Unterbau jede Schwerkraft zu nehmen. Die Ziegel bilden Scheiben, vierblättrige Rosetten und gitterähnliche Fenster. Konvexe Muster auf dem vertieften Grunde des Mauerwerkes erzeugen ein Spiel von Licht und Schatten.
Der quadratische Innenraum wird nach oben hin zu einem Achteck, dann zu einem Sechzehneck umgebildet, welches in die Kreisform der Kuppel überleitet. Dies ist die berühmte Quadratur des Kreises, architektonisch gelöst. Die Trompennischen (Bogen mit nischenartiger Wölbung) leiten die Schubkräfte der Kuppel über je drei Rippen in das massive Mauerwerk der Wände ab. Die Kraftwirkungslinien werden durch ein Ornamentband elegant überspielt. In diesem Bauwerk wurden jahrtausendealte Traditionen und Erfahrungen aufgenommen und weiterentwickelt. So wurde es vorbildhaft für die Zukunft.
Der Gebäudekomplex Hodscha Sajnuddin, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet wurde, umfaßt eine Pilgerherberge (chanaka), eine Stadtviertelmoschee (gusar), ein altes Wasserbecken (haus) und das Mausoleum des Scheichs Sajnuddin. Der Iwan ist L-förmig. Innen finden sich Mosaiken, in Kundal (Vergoldungstechnik auf mehrfarbigen Ornamenten in Reliefdarstellungen) bemalte Wandflächen, ein schmückender Stalaktitenkranz, eine durch Bogen gegliederte Kuppelschale, die über und über in vielfarbigen Malereien in Gold, Blau und Türkis verziert ist. Es finden sich geometrische Muster, Pflanzenmotive aller Art und verschiedene, phantasievolle Schmuckelemente.
Sucht ein Usbeke ein Gespräch mit einem Touristen, verläuft es etwa folgendermaßen:
A. Persönlicher Teil
I. Woher?
II. Wohin?
III. Wie alt?
IV. Wieviele Kinder?
B. Geschäftlicher Teil
I. Kaugummi?
II. Kugelschreiber?
III. Zigaretten?
IV. Feuerzeug?
C. Illegaler Abschnitt
I. Tauschst Du Rubel gegen Valuta (harte Währung)?
II. Zu welchem Kurs?
D. Vergleich des Lebensstandards
I. Was kostet bei Euch ein Auto?
II. Wieviel verdient ein Arbeiter bei Euch?
III. Was hat Deine Reise gekostet?
Avicenna (Ibn Sina) wurde in Afschana geboren, 30 km nordöstlich von Buchara gelegen.
Die Medrese Kukaldasch wurde 1569 erbaut. Mit 160 Wohnzellen zählt sie zu den größten ihrer Art in Mittelasien. Sie ist 69 m breit und 86 m lang. Ungewöhnlich ist, daß die Außenfassaden durchbrochen und die Arkaden der zweiten Etage zur Straßenseite hin geöffnet sind. Sie trägt den Namen ihres Erbauers, des Wesirs Kulbaba Kukaldasch († 1598). Hier lebte und lehrte der Dichter und Schriftsteller Sadriddin Aini (1878-1954), der sowohl die usbekische als auch die tadschikische Literatur begründete.
Morgens fliegen wir nach Urgentsch (416 km, 1 Stunde und 5 Minuten Flugzeit). Ich sehe, daß der linke äußere Reifen des Flugzeugs völlig abgefahren ist. Vom Profil ist keine Spur mehr zu sehen. Vom Flughafen aus fahren wir mit dem Bus nach Chiwa, das 30 km südlich von Urgentsch liegt. Unser Fahrer heißt Bachtia, die Dolmetscherin Svetlana. Nach einer Fahrt von 40 Minuten treffen wir in Chiwa ein. Wir werden im Hotel Choresm (Sonnenglanz) untergebracht.
Chiwa liegt am Unterlauf des Flusses Amudarja. Im 10. Jahrhundert wurde Chiwa als Stadt erwähnt und 1592 als Hauptstadt von Choresm. 1740 eroberten und zerstörten die Perser die Stadt. Sie wurde in der Folgezeit wieder aufgebaut. 1973 mußte der Chan von Chiwa die Oberhoheit der Russen anerkennen. Seit 1924 gehört die Stadt und das Gebiet Choresm zu Usbekistan.
Chiwa besaß einst 94 Moscheen und 63 Medresen, obwohl es keine sehr große Stadt war. Dies war ein Zeichen für die Religiosität ihrer Einwohner. Die Schattenseite allzu großer Frömmigkeit ist die strenge Anwendung der Gesetze und die vielen Hinrichtungen. Auch gab es offiziell bis 1873 Sklavenhandel und inoffiziell bis 1920. Vierzigtausend Sklaven wurden in Chiwa verkauft.
Chiwa, Knoten (gereh), Zeichnung von H. M. Knechten
Das Ornament des Knotens (gereh) ist typisch für Chiwa und findet sich häufig als dekoratives Grundelement auf den Gebäuden. Es symbolisiert die Ewigkeit des Lebens, die ohne Anfang und Ende sowie ohne Raum und Zeit ist.
Unmittelbar neben dem westlichen Stadttor erhebt sich die „alte Festung“, Kohne Ark, die im 17. Jahrhundert gegründet, 1806 ausgebaut und im 20. Jahrhundert durch Um- und Neubauten erweitert wurde. Auf diesem 130 x 90 m großen Gelände befanden sich der Palast, eine Sommermoschee als offene Säulenhalle aus dem Jahre 1830 und eine Wintermoschee, die Verwaltung, die Münze, das Arsenal und der Harem. Dieses um vier Innenhöfe gruppierte Ensemble war von einer 2 m dicken und 9 m hohen Befestigungsmauer umschlossen.
Die gut erhaltene Sommermoschee hat einen, von schlanken Holzsäulen getragenen, abgestuften Iwan. Die Wände sind mit blau- und weiß-glasierten Kacheln bedeckt. Der Miḥrāb (Gebetsnische in Gebetsrichtung nach Mekka) und die Wände sind mit dem Knotenornament (gereh) geschmückt.
Südlich der Festung steht die Medrese Amin Chan, eine 70 x 60 m große Vier-Iwan-Anlage aus den Jahren 1851/1852. Sie besitzt 99 Schülerzellen und dient heute als Hotel. Vor ihr steht das Minarett Kalta Minar (kurzes Minarett) mit grün- und gelb-glasierten Kacheln Es hat einen Durchmesser von 14,8 m und eine Höhe von nur 28 m, erbaut 1850-1855. Chan Muḥammad Amin, der es in Auftrag gab, starb 1855 in einer Schlacht und die Bauarbeiten an diesem Minarett, das 75 m hoch werden sollte, wurden eingestellt.
Medrese Kutlug Murad Inak. Die Stöcke am oberen Eckturm sollen die bösen Geister täuschen. Das Gebäude erscheint dadurch unfertig und unterliegt nicht ihren Angriffen. Photographie von H. M. Knechten
Die Medrese Kutlug Murad Inak, 1804-1812 erbaut, zeugt von dem wachsenden Wohlstand der Stadt Chiwa, der nicht zuletzt auf den Handel mit Rußland zurückging. Die Anlage ist 40 x 30 m groß. Sie ähnelt mit ihren wuchtigen, weißen Außenmauern und den Ecktürmen einer Festung. Das Portal hat ein Gewölbe in der Form eines aufgeschnittenen Pentaeders. Die Nischen sind mit Stalaktiten geschmückt. Im Innenhof war eine unterirdische Zisterne, die Trinkwasser spendete. Vor der Medrese waren überwölbte Nischen, in denen Händler ihre Waren zum Kauf anboten.
Blume der Wüste im Palast Tasch Hauli, Photographie von H. M. Knechten
Der Palast Tasch Hauli (steinernes Haus) stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und steht auf einer Fläche von 60 x 74 m. Er weist den Thronsaal für Staatsempfänge, einen Festsaal, einen Gerichtshof, eine Moschee und den Harem auf. Die Decken der Säulenhallen sind ausgemalt.
Schematisiertes Symbol Faravahar, Zeichnung von H. M Knechten
Die älteste Religion in Mittelasien war wohl eine Naturreligion, in der Sonne, Mond, Sterne, Wasser, Feuer, Wind und Erde verehrt wurden.
Nachweisbar ist in ihrem Gefolge die Religion, welche Zarathuštra (griechisch Zoroaster) begründete. Er lebte und wirkte um das Jahr 1000 vor Christus. Er lehrte, daß sich der Mensch gegen das Böse und für das Gute entscheiden möge.
Das Symbol Faravahar, das in stark schematisierter Form auf vielen Gebäuden in Usbekistan zu sehen ist, fordert dazu auf, Gutes zu denken, zu reden und zu tun.
Danach breitete sich im Persischen Reich, zu dem zu dieser Zeit auch Mittelasien gehörte, das nestorianische Christentum aus. Patriarch Nestorios (um 381 - 451/453) versuchte, den Streit zwischen den zwei Parteien zu schlichten, von denen die eine Maria als „Gottesgebärerin“ (ϑεοτόκος) und die andere als „Menschengebärerin“ bezeichnete. Nestorios schlug als Kompromiß „Christusgebärerin“ vor, wurde aber vom alexandrinischen Metropoliten Kyrillos († 444) als Häretiker bezeichnet. Kyrillos ließ im Jahre 431 in der Stadt Ephesos, welche früher die Göttin Diana verehrt hatte (Apg 19, 28), in einem Konzil den Titel „Gottesgebärerin“ definieren. Danach legte Nestorios sein Amt nieder. Kyrillos exkommunizierte ihn 435 und ließ ihn nach Oberägypten verbannen. Die sogenannten nestorianische Christen konnten nicht im Byzantinischen Reich wirken. So wanderten sie nach Persien aus und begannen dort eine fruchtbare Missionstätigkeit, die sich bis nach China erstreckte.
Nach dem Christentum zog der Islam in Mittelasien ein.
Jede Religion hält sich für einzigartig, für endgültig und für vollendet. Sie verspricht ihren Anhängern zur Erlösung, zur ewigen Seligkeit oder zum Aufhören des Leidens (im Buddhismus) zu führen.
Die Geschichte zeigt aber, daß die Religionen einander ablösen. Was wird als nächstes kommen? Wie gehen die Religionen mit der Geschichte um, die ihre Lehre relativiert? Ist die Gewalt, die manchmal von Religionsanhängern ausgeht, ein Zeichen für dass Bewußtsein ihrer Minderwertigkeit?
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