Vasily Zenkovsky 2
Anmerkungen
Übersetzung und Anmerkungen von Klaus Bambauer.
*)
V.Zenkovsky (Zen’kovskij; 1881-1962) war zunächst Professor für Philosophie und
Psychologie an der Universität Kiev. Seit dem Jahre 1925 lehrte er am Institut
für orthodoxe Theologie in Paris. Er gründete auch ein pädagogisches Zentrum
und führte den Vorsitz in der orthodoxen Jugendbewegung. (Vgl. Paul Evdokimov,
Christus im russischen Denken, Trier 1977, S. 185-188, zit. Evdokimov, sowie
ebenso: Stefan G.Reichelt, Nikolaj A.Berdjaev in Deutschland 1920-1950, Leipzig
1999, S. 198-201). Zit. Reichelt. Zenkovsky war von 1923 bis zu seinem Tode
1962 Leiter der "Russischen Studentischen Christlichen Bewegung", die
vom 1.-8. Oktober 1923 in der Nähe von Prag in Anwesenheit von N.Berdyaev ins
Leben gerufen worden war. Die Erinnerungen Zenkovskys sind dem Bakhmetiev-Archiv
in der "Rare Book and Manuscript Library" der Columbia Universität
New York entnommen. Sie wurden von der "Association of Russian-American
Scholars" veröffentlicht. V.Zenkovsky hinterließ eine monumentale
zweibändige "Geschichte der russischen Philosophie", russ. 1948/50,
engl. 1953..
1)
G.I.Chelpanov (1862-1936), russischer Philosoph und Psychologe. Er war der
Autor eines Lehrbuches der Logik, das in Russland vor der
Oktoberrevolution an den Oberschulen sehr verbreitet war (bis 1918 erschienen
10 Auflagen). Der russische Philosoph definierte die Logik als die Wissenschaft
von den Gesetzen korrekten Denkens. Nach ihm stellt sich die Logik die Aufgabe
dazustellen, wie man erkannte Wahrheiten beweisen kann.
2) L.I.Shestov (1866-1938),
Religionsphilosoph.
3) S.L.Frank (1877-1950),
orthodoxer Religionsphilosoph, vgl. Evdokimov S. 176-181.
4)
B.P.Vysheslavtsev (1877-1954), Jurist, orthodoxer Religionsphilosoph,
Mitherausgeber der Zeitschrift "Put'", vgl. Evdokimov S. 188-191.
5)
I.A.Il'yin (1883-1954), Rechtswissenschaftler.
6)
L.P.Karsavin (1882-1952), Historiker.
7)
S.N.Bulgakov (1871-1944), Nationalökonom, Theologe und Rechtswissenschaftler,
später Erzpriester und Professor in Paris, vgl. Evdokimov S. 213-232.
8)
A.V.Karthashev (1875-1960), Historiker, vgl. Evdokimov S. 241-243. Berdyaev
schrieb in seiner philosophischen Autobiographie "Selbsterkenntnis",
Darmstadt 1953, zit. Selbsterkenntnis: "Mit A.Kartashev bin ich kaum
zusammengekommen; wir waren politisch sehr auseinander"
("Selbsterkenntnis", S. 306).
9)
G.G.Kullmann (1894-1961), YMCA-Sekretär. In seiner Autobiographie
"Selbsterkenntnis" schrieb Berdyaev: "Bei P. Andersen [richtig:
Anderson] erfolgte eine Begegnung mit dem Schweizer G.G.Kullmann, der damals
ebenfalls YMCA-Sekretär war, hernach an der Liga der Nationen tätig.
G.G.Kullmann verblüffte mich und S.Frank durch die verwandte Auffassung der
durchlebten Revolution, durch die Nähe unserer Ansichten in vielen Fragen. Er
war ein hochkultivierter Mann. Späterhin stand mancherlei mit ihm in
Verbindung: die YMCA förderte die Bildung der Russischen Christlichen
Studentenbewegung. Auch die religionsphilosophische Akademie stand mit der
Christenbewegung der Jugend in enger Verbindung" (S. 278). An anderer
Stelle heißt es: "Diese Zeitschrift [Put'] wird von der
religionsphilosophischen Akademie herausgegeben. Die Initiative für die Herausgabe
des Blattes gebührt G.G.Kullmann, der überhaupt viel für die Russen, besonders
aber für die religiöse Bewegung unter den Russen getan hat"
("Selbsterkenntnis", S. 282). D.A.Lowrie: "Rebellious
Prophet. A life of Nicolai Berdyaev", London 1960, zit. Lowrie, ergänzt:
"Kullmann und Anderson von der amerikanischen YMCA, beide zu dieser Zeit
in Berlin wohnhaft, halfen mit, ihn [Berdyaev] in Kontakt mit deutschen
Kirchenmännern und Autoren zu bringen, besonders protestantischen – nicht nur
in Deutschland, sondern auch in der deutsch sprechenden Schweiz" (S. 234).
Zahlreiche Briefe Kullmanns befinden sich im Nachlass von F.Lieb in der
Universitätsbibliothek Basel. Weitere Hinweise zu Kullmann bei Reichelt, S.
120, A. 36.
10)
Berdyaev schreibt zur christlichen Jugend- bzw. Studentenbewegung: "Im
Grunde genommen war ich bei der Jugendbewegung eine nicht populäre Erscheinung;
man fürchtete mich. Die Verbindung ging vornehmlich über den Schriftleiter der
Bewegung F.T.Pianow" (a.a.O., S. 285). Nach seiner Übersiedlung von
Russland nach Berlin traf sich bei Berdyaev eine Gruppe intelligenter junger
Leute fast regelmässig, um religiöse und philosophische Fragen mit ihm zu
diskutieren, darunter u.a. Igor Smolitsch und Fedor Pianoff. Über ihn berichtet
Lowrie: "Einer der Mitglieder von Berdyaevs junger Gesellschaft in Berlin
war F.T.Pianoff, lange Zeit ein Leiter in der russischen christlichen
Studentenbewegung. Weit über seine Jugend hinaus gereift durch bitteren
verzweifelten Kampf gegen die Bolschewiken in Moskau, hatte er Russland 1918
verlassen. Pianoff, der für den nordamerikanischen YMCA arbeitete, erkundigte
sich kurz nach Nikolai Aleksandrovichs Ankunft aus Russland nach ihm. Er war
beeindruckt von Berdyaevs eleganter Gestalt trotz der unordentlichen Räume der
billigen Berliner Unterkunft. Berdyaev hatte niemals vom YMCA gehört. Bei ihrer
ersten Zusammenkunft machte Pianoff den Eindruck eines ansehnlichen,
freundlichen, recht naiv aufgewachsenen Jungen. Abgesehen von dieser ersten
Zusammenkunft wuchs eine Freundschaft, die während Berdyaevs Leben dauern
sollte. Als Pianoff Berdyaevs ersten Vortrag über das Thema, was Russland der
Welt zu geben habe und was der Westen ihnen anbieten könne, besuchte, war er
tief beeindruckt vom brillianten Geist dieses Mannes wie von seiner
spirituellen Kraft. Dieser Vortrag, besucht von fast tausend Menschen, alle
politischen Farben in der Berliner russischen Kolonie widerspiegelnd, kann als
Ursprung der religionsphilosophischen Akademie bezeichnet werden" (a.a.O.,
S. 165f.). Lowrie ergänzt an anderer Stelle: "Mit Feodor Pianoff gab es
niemals einen Bruch von den frühesten Tagen in Berlin bis zum Ende von
Berdyaevs Leben, und Berdyaev erfuhr von Pianoff Rat und Hilfe bei vielen
Gelegenheiten" (a.a.O., S. 209). Vgl. dazu auch die Briefe Pianoffs an
F.Lieb, im Nachlass Fritz Lieb, Aa 871,1-3, Universitätsbibliothek Basel. Vgl.
Michael Stricker, Nachlass Lieb. Universitätsbibliothek Basel. 1990, S. 126.
Nach den Erinnerungen von V.Zenkovsky (Bakhmetiev Archiv) war es F.T.Pianoff,
der die spätere Nonne Mutter Maria Skobtsova einlud, ihn als Assistentin bei
seiner Arbeit zu unterstützen. Sie arbeitete in diesem Bereich drei Jahre.
Berdyaev schrieb dazu im Hinblick auf seine ersten Jahre in der Pariser
Emigration und die gewonnenen Bekanntschaften: "Doch kamen auch gute
Beziehungen zu anderen Menschen hinzu. Die wesentlichsten waren wohl die mit
der Nonne Maria, die in Deutschland in einem Konzentrationslager umgekommen
ist. Ich halte Mutter Maria für eine der bedeutendsten Frauen der Emigration.
In ihrem Leben, in ihrem Schicksal spiegelt sich gleichsam das Schicksal einer
ganzen Epoche. Es waren an ihr Züge wahrzunehmen, die uns ungemein an den
russischen heiligen Frauen fesseln: Weltoffenheit, das Verlangen, der Menschen
Leiden zu lindern, Opferbereitschaft, Furchtlosigkeit"
("Selbsterkenntnis", S. 306).
11)
G.V.Florovsky (1893-1979), orthodoxer Religionsphilosoph, später Erzpriester
und Professor, vgl. Evdokimov, S. 233-236.
12) Dr. John Mott wurde 1865
in Livingston, New York, geboren. Im Jahre 1888 wurde er Sekretär des YMCA und
half 1895 bei der Gründung der Christlichen Welt-Studentenbewegung. Im Jahre
1910 war er Vorsitzender der Edinburgher Missions-Konferenz und nahm 1917 an
einer diplomatischen Mission nach Russland teil. Im Jahre 1926 wurde er
Präsident der Weltvereinigung der YMCAs und erhielt 1946 den
Friedensnobelpreis. Er starb im Jahre 1955.
13)
G.P.Fedotov (1886-1951), Historiker, vgl. Reichelt, S. 201-204. Zu Fedotovs
Biographie bemerkt Reichelt: "Nach einem einmonatigen Zwischenaufenthalt
in Berlin reiste Fedotov weiter nach Paris, wo sich die Gesellschaft der
Emigration schon seit Jahren ausgebildet hatte. Eine Professur an dem neu
eröffneten Orthodoxen Theologischen Institut, wo er 1926 bis 1940 Geschichte,
Hagiologie und lateinische Sprache unterrichtete, ermöglichte ihm jedoch eine
materiell gesicherte Existenz und erleichterte seine Eingliederung"
(a.a.O., S. 204). Im Jahre 1940 verließ Fedotov Paris in Richtung
Südfrankreich, um in die USA auszuwandern. Hier unterrichtete er von 1941 bis
1943 an der Divinity School der Yale-University in New Haven und von 1943 bis
zu seinem Tode an der Orthodoxen Theologischen Akademie St. Vladimir (so
Reichelt, a.a.O., S. 204f.). Berdyaev schrieb über ihn: "G.Fedotov, ein
sehr begabter, freiheitsliebender, feiner Denker"
("Selbsterkenntnis", S. 306).
14)
I.I.Fondaminsky/Fundaminsky (1880-1942), Publizist. Berdyaev schrieb auch
Beiträge in der von Fedotov gemeinsam mit I.I.Bunakov-Fondaminsky und F.Stepun
(1884-1965, Soziologe u. Historiker) von 1931-1937 herausgegebenen Zeitschrift
"Novy Grad" (vgl. Reichelt, S. 202, A. 60). In den "Vladimir
Zenzinov Papers" (Amherst Center for Russian Culture) finden wir zu
Fondaminsky folgende Angaben: "Ilya Isidorovich Fondaminsky (Pseudonym:
Bukanov), Politiker und Publizist, geboren 1881 in Moskau und gestorben am 19.
November 1942 in Auschwitz. Von 1900 an studierte er Philosophie an den
Universitäten Berlin und Heidelberg. Im Frühjahr 1902 wurde er an der
russischen Grenze verhaftet, weil er illegal Literatur nach Russland brachte.
Im Jahre 1905 wurde er Mitglied des Moskauer Komittees der
sozialistisch-revolutionären Partei. Im Jahre 1906 floh er nach Paris, wo er
freundschaftlich mit Z.Hippius (1869-1945), D.Mereshkovsky (1866-1941) und
B.Savinkov bekannt wurde. Im April 1917 kehrte er nach Moskau zurück, und als
Kommissar der provisorischen Regierung kämpfte er gegen die Bolschewiken. Im
Jahre 1919 emigrierte er nach Frankreich und veröffentlichte in Paris eine
Anzahl religiöser und philosophischer Zeitschriften. Obwohl er 1941 zum
Christentum konvertiert war, wurde er nach Deutschland deportiert, wo er im
Konzentrationslager 1942 starb. Berdyaev schrieb: "Ferner I.Fundaminsky,
ein sozialer Revolutionär, ausnehmend aktiv, voller Begierde, soziale Gerechtigkeit
und Wahrheit zu verwirklichen" ("Selbsterkenntnis", S. 306).
15)
Metropolit V.S.Evlogy (Georgievsky, 1868-1946), vgl. zum Metropoliten Evlogy
auch Reichelt, S. 55-58.
16)
Diese Zeitschrift wurde von A.F.Kerensky (1881-1970) herausgegeben.
17)
Wie diese Angelegenheit aus der Sicht Berdyaevs aussah, beschreibt er in
"Selbsterkenntnis": "Dieser Konflikt erreichte einen besonderen
Schärfegrad in der Sache mit G.P.Fedotov, den man für einen Aufsatz im 'Neuen
Russland' aus dem Theologischen Institut entfernen wollte; man glaubte in
seinem Aufsatz eine Abweichung nach links zu erblicken. Das orthodoxe,
offizielle Christentum behauptete von sich, es wäre 'rechts'. Schon längst
verwundete mich schwer die Prosaik, die Unschönheit, die Knechtsgestalt der
offiziellen Kirchlichkeit. Ich veröffentlichte aus Anlass der Sache mit Fedotov
im 'Put'' [59 (1939), S. 46-54)] einen scharfen Artikel unter dem Titel: 'Gibt
es in der Orthodoxie Gewissensfreiheit?' Wegen dieses Artikels kam ich in
Konflikt mit den Professoren des Theologischen Instituts, auch ergaben sich
dieserhalb Schwierigkeiten für den 'Put''. Dieses war nur eine der Episoden in
einer Reihe von vielen anderen. Immer trat ich kämpferisch für die
Geistesfreiheit auf und zeigte mich hierin unerbittlich" (S. 283). Nach
Reichelt soll G.P.Fedotov Berdyaevs Schwägerin Eugenie Rapp vor seiner
Auswanderung in die USA gesagt haben: "Ihr Haus ist das einzige, das in
Paris zurückzulassen mich mit Bedauern erfüllt" (a.a.O., S. 202). Zu
Berdyaev selbst hat sich G.P.Fedotov, den Pierre Pascal als "plus
authentique disciple" Berdyaevs bezeichnte (Reichelt, S. 202, A. 60),
geäußert: "N.A.Berdyaev geht für immer in die Geschichte Russlands ein als
Gestalt eines lebendigen und leidenschaftlichen religiösen Suchers und
Kämpfers, als Mensch, der dem Westen zuerst den ganzen Reichtum und die
Kompliziertheit, die ganze Widersprüchlichkeit und Tiefe russischen religiösen
Genies offenbart hat" (a.a.O., S. 204).