Was
erzählen die Schlusssteine? |
Eine Detektivgeschichte |
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Heinrich Michael Knechten |
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Zunächst ist es notwendig, nach Horneburg zu fahren, heute Teil der Stadt Datteln im nordöstlichen Ruhrgebiet. In der Alten Kirche an der Horneburger Straße gibt es drei Schlusssteine. Was ist ein Schlussstein? Er befindet sich im Hauptknotenpunkt der Rippen eines Gewölbes.[1] Heute unternehmen wir ein Computerspiel. Level[2]
1 Der Schlussstein im zweiten Joch der Saalkirche,
entstanden vor 1630. Auf ihm steht IHS mit einem Kreuz über dem H. Dies wurde
gerne als: „Jesus, Heiland, Seligmacher“, als „Iesum habemus socium“ (wir haben
Jesus als Gefährten) oder als „Iesus hominum salvator“ (Jesus, Erlöser der
Menschen) gedeutet, gibt aber die ersten drei Buchstaben des Namens Jesus in
griechischer Sprache wieder (ΙΗΣΟΥΣ,
iēsoūs). Die Jesuiten haben dieses Erkennungszeichen.
Es konnte aber herausgefunden werden, dass in Horneburg im 17./18.
Jahrhundert keine nennenswerte Aktivität der Jesuiten zu verzeichnen ist.[3] Die Jesuiten waren nicht die ersten, welche
dieses Zeichen führten. Bernhardin von Siena (1360-1444) pflegte die Namen-Jesu-Verehrung
und führte dieses Zeichen ein als Gegengewicht gegen die Symbole des Krieges,
der Macht und des Aberglaubens.[4]
Insofern verwenden die Franziskaner dieses Emblem,[5]
zum Beispiel in der Eremo delle Carceri in Assisi, und dieser Orden wirkte in
Horneburg, aushilfsweise[6]
und amtlich in der Person von Pater Rolandus Stein, der 1792-1818 Pfarrer in
Horneburg war. Die Gestaltung dieses Schlusssteins ist ein Ausdruck
franziskanischer Spiritualität. Level
2 Im Chorraum befand sich ehedem offensichtlich auch ein Emblem am Schlussstein, das aber sorgfältig abgefräst wurde. Handelt es sich dabei um eine damnatio memoriae, eine Verdammung des Andenkens? Und wer käme dafür in Betracht? Zunächst einmal Heinrich von Oer.[7] Er besaß die Horneburg, maßte sich aber landeshoheitliche Rechte über die umliegenden Ortschaften an und wurde vom Erzbischof von Köln 1418 vertrieben.[8] Er kann es aber nicht gewesen sein, da der Chorraum erst um 1580 erbaut wurde. Gebhard Truchsess von Waldburg (1547-1601) wurde 1577 Erzbischof von Köln. 1582 wurde er evangelisch. Sein Nachfolger, Ernst von Bayern, führte Krieg gegen ihn. Die Horneburg wurde von dem truchsessischen Obersten Engelbert von der Lippe am 31.5.1583 besetzt. Vom Schloss Horneburg zog der Hauptmann Johann Wacker in der Nacht vom 26. auf den 27. April 1584 mit seinen Soldaten heimlich weg.[9] Möglicherweise war das Truchsessische Wappen am Schlussstein im Chorraum der Horneburger Kirche angebracht worden und wurde nach dem Sieg entfernt.
Photographien: Siegfried Eggenstein Level 3 In der Mitte des ersten Jochs der Kirche weist der Schlussstein Folgendes auf: „Der Sache nach handelt es sich wohl um eine zweiteilige Hausmarke, in einer schildähnlichen Kartusche angebracht. Dem Ursprung nach ist es kein Wappen, nimmt aber im Laufe seiner Entwicklung bei bürgerlichen und bäuerlichen Familien häufig den Rang eines solchen ein. Im vorliegenden Falle – und üblicherweise – bestehen Hausmarken (und Steinmetzzeichen) aus kleinen, unfigürlich-geometrischen Zeichen, die ein Haus, einen Hof oder ein sonstiges Gebäude in Sippenbesitz kenntlich machen sollen. Blasonierung[10] hier: drei Kugeln (Ballen) diagonal; abgesetzt davon zwei parallele Schäfte mit vorderer Fußabstrebe und einer Schragensprosse. Nota bene: Es gibt keine publizierte Sammlung vestischer Hausmarken, daher ist mit [mir] die zweifelsfreie Identifizierung nicht möglich.“[11] „Der [den] Schlusssteinschmuck, das fragliche Wappen, konnte ich bisher einer Vestischen Familie nicht zuordnen. Die beiden mit Querbalken verbundenen Schäfte sind sogenannte Wolfsangeln. Sie wurden mit Fleisch beladen aufgehängt, um Wölfe zu töten. Vermutung folgt Vermutung.. Frage. Wer verwaltete 1654 das Horneburger Seelsorgeamt? Könnte nicht in seiner Umgebung (Geburts-, vorheriger Wirkungsort usw.) das Wappen beheimatet sein?“[12] Am 10.6.2016 machte der Heimatausschuss des Bürgerschützenvereins Horneburg eine Exkursion nach Oberwiese. Am Abend suchte Wilhelm Müschenborn Wappen mit der Wolfsangel und fand dies in Kirchhellen-Hillen. Kirchhellen ist heute der nördliche Stadtbezirk der kreisfreien Stadt Bottrop im nördlichen Münsterland an der Grenze zum Münsterland. Der Ortsname leitet sich von „Kirche auf dem Hügel“ (Helle) ab und bezieht sich auf den historischen, auf einer Anhöhe im Dorf gelegenen Platz der alten Dorfkirche, die im Jahre 1917 durch einen Brand zerstört wurde. „Hillen“ zählte zu den ältesten Pfarreien im Vest Recklinghausen.Die alte Dorfkirche soll als bischöfliche Eigenkirche bis in das 10. Jahrhundert zurückreichen. Der älteste Teil der Kirche wurde bis etwa 1250 erbaut. Erzbischof Pilgrim von Köln stiftete die Kirche während seiner Amtszeit (1021-1036) der Abtei Deutz. 1163 wurde Kirchhellen in einer von Aedituus Theodrich in der Abtei Deutz verfassten Urkunde erstmals als Ortschaft „Hillen“ namentlich erwähnt. Aus dieser geht hervor, dass Kirchhellen bereits zur Klostergründung im Jahr 1002 der Abtei Deutz angehörte. Hieraus ist zu schließen, dass es in Kirchhellen bereits im 10. Jahrhundert eine Kirche gegeben hat.[13] Die drei schwarzen Wolfsangeln im Wappen der Stadt Kirchhellen, das im Jahr 1937 geschaffen wurde, gehen auf das Wappen des Hauses Brabeck zurück: Ein schwarzes Schild mit drei goldenen Wolfsangeln. Im 13. Jahrhundert wurde ein Lehnsgut der Abtei Werden mit dem Namen Haus Brabeck erwähnt. Die Familie von Brabeck war von der Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahrhunderts Besitzerin des in der Nähe befindlichen Hauses Wittringen bei Gladbeck. Nach dem Kölner Krieg erklärte der Statthalter von Oer, Georg von Brabeck, 1585 in einem Brief an das Domkapitel zu Köln, dass er im Namen des Kurfürsten Ernst die Jurisdiktion in der Haard bei Oer ausübe. 1818 starb mit Bernhard von Brabeck die Linie derer von Brabeck zu Brabeck aus.[14] „Der Schlussstein ist nach der Form des geschweiften Wappens wohl in das mittlere oder spätere 16. Jahrhundert oder frühe 17. Jahrhundert zu datieren. Es ist ein zweiteiliges Allianzwappen, vermutlich eines Ehepaares: die linke (heraldisch rechte) Seite zeigt immer das Wappen des Mannes und hier eine Hausmarke, die sich allenfalls anhand von Siegeln im Stadtarchiv aufklären lässt. Hausmarken sind eine typisch bürgerliche Wappenform. Die andere Seite, also die der Frau, zeigt drei Ringe übereinander. Adelige Wappen gibt es mit diesem Bild nicht (wohl aber, indem die drei Ringe anders verteilt sind: oben zwei und unten einer z.B. die von Frydag / Freitag zu Löringhof); das einzige, was in etwa vergleichbar ist, ist das Wappen der Familie von Knipping, das die drei Ringe übereinander auf einem gelb-rot gespaltenen Schild zeigt, und zwar genau auf der Linie zwischen gelb und rot.[15] Die Knipping waren auch im Bereich der Grafschaft Mark ansässig. Vermutlich ist es aber eher eine bürgerliche Dame gewesen, auch wenn es durchaus auch Heiraten adeliger Töchter mit reichen Bürgern gab.“[16] Bei einem Besuch in Recklinghausen am 6.9.2016 fand ich Folgendes heraus: Die Engelsburg in Recklinghausen wurde 1701 als Herrenhaus von Clamor Konstantin Münch († 1751), Richter des Kölner Kurfürsten, und seiner Frau Agatha, geborene Rensing, erbaut. Sein Emblem im Familienwappen ist der Mönch und ihr Zeichen ist die Wolfsangel, ebenso zweiteilig und mit einer Schrage verbunden wie in Horneburg. Nun ging es darum, ein Ehepaar Knipping-Rensing zu finden, das in der Zeit der Errichtung des ersten Jochs der Horneburger Alten Kirche lebte. Eine Urkunde teilt mit: Am 29.10.1608 kauften die Eheleute Vincenz Rensing, Chur- und Fürstlicher Cölnischer Rath sowie Amtsverwalter zu Horneburg, und Elisabeth Knipping das Haus Wilbring in Waltrop für 10400 Reichsthaler.[17] Das Dortmunder Patriziergeschlecht Rensing gehörte zum Landadel. Vincenz Rensing wurde später Statthalter des Vestes Recklinghausen. Fünf Generationen des Adelsgeschlechtes Knipping verwalteten als Drosten das Amt Hamm, von Gerd Knipping (1427-1455) bis Dietrich Knipping (um 1531-1607). |
[1] Vgl. Hans Koepf u. Günther Binding, Bildwörterbuch der Architektur, Kröners Taschenausgabe 194, Stuttgart 42005, 419f.
[2] Level – Libelle, Wasserwaage; Niveau; Ebene; Grad, Stufe (Schwierigkeitsgrad).
[3] Vgl. Brief an die Jesuitenprovinz Deutschland, München-Pullach, 15.3.2014; Eduard Hegel, Die Jesuiten in Westfalen (16.-18.Jahrhundert), in: Köln-Westfalen 1180-1980. Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser, hg. v. Peter Berghaus u. Siegfried Kessemeier, Bd. 1, Lengerich 1980, 363-368; Karl Hengst, Jesuiten in Westfalen. Geschichte, Wirkung und Bedeutung, in: Monastisches Westfalen. Klöster und Stifte 800-1800, hg. v. Géza Jászai, Münster 1982, 227-233; Clemens Steinbicker, Westfalen in der Niederrheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu 1626 bis 1773, in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung 51 (1994), 149-223.
[4] Vgl. Iris Origo, The World of San Bernardino, London 1963; Der Heilige der Toskana. Leben und Zeit des Bernardino von Siena, übersetzt v. Uta-Elisabeth Trott, München 1989, 101.
[5] Vgl. Ludwig Traube, Nomina sacra, München 1907, 149-297.
[6] Horneburg gehörte zum Dekanat Dortmund. Dort sind Franziskaner schon vor 1313 bekannt. In Recklinghausen werden Franziskaner zuerst im Jahre 1414 erwähnt, sie hatten ein Haus zum Almosensammeln (Terminei) für das Kloster in Dortmund und zwar in der Straße Im Rom, vgl. Vestisches Archiv, Pfarrarchiv der Propsteikirche St. Petrus in Recklinghausen, Memorienbuch II E, Nr. 2, Blatt 20. Sie machten in den umliegenden Pfarreien Aushilfe. Sie nahmen sich besonders des Schulwesens an. 1488 hatten sie in Dorsten ein Kloster zur heiligen Anna gegründet. Ihre Vertreibung durch die Hessen in den Jahren 1633-1641 führte 1642 zur Gründung eines Tochterklosters in Recklinghausen. Das Recklinghäuser Gymnasium Petrinum unterstand ihrer Aufsicht 1737-1816. Dort war zunächst auch Pater Rolandus Stein tätig.
[7] Heinrich von Oer starb vor Ablauf des Jahres 1422, vgl. das Sammelschreiben Dietrichs von Oer an den Bischof von Münster und andere, 23.12.1422, in: Stadtarchiv, Dortmund, Abteilung A, Urkunde Nr. 2144.
[8] Vgl. die Unterwerfungsurkunde vom 18.6.1418, in: Vestisches Archiv, Recklinghausen, Herzoglich Arenbergisches Archiv II, Blatt 39f (Auszug von Theodor Esch).
[9] Vgl. Max Lossen, Der Kölnische Krieg, Bd. 2: Geschichte des Kölnischen Kriegs. 1582-1586, München u. Leipzig 1897, 508.
[10] Blasonierung – Beschreibung eines Wappens (einer Hausmarke), entsprechend den Regeln der Heraldik (Wappenkunde; eigentlich „Heroldskunde“, weil der Herold bei Turnieren die Aufgabe hatte, die Wappen der einzelnen Kämpfer zu prüfen).
[11] Dr. Matthias Kordes, Institut für Stadtgeschichte / Stadt- und Vestisches Archiv, Recklinghausen, E-Mail vom 15.5.2014 (durch die dankenswerte Vermittlung von Wolfgang Wellnitz, Horneburg).
[12] Christel und Ulrich Müter, Oer-Erkenschwick, Brief vom 24.5.2016.
[13] Vgl. Hans Büning, 1000 Jahre St. Johannes, Kirchhellen, Illustrationen v. Theo Kleppe u. W. Stuke, hg. von der Pfarre St. Johannes der Täufer, Kirchhellen, Kirchhellen 1985.
[14] Vgl. Auf den Spuren der Brabecks, hg. v. Franz-Josef Schlotmann, Iserlohn-Letmathe 2005.
[15] Vgl. Wappenbuch des westfälischen Adels, hg. v. Max von Spießen, Zeichnungen v. Ad.M.Hildebrand, Bd. 1, Görlitz 1901-1903, Tafel 81.
[16] Dr. Gerd Dethlefs, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Westfälisches Landesmuseum, Abteilung Landesgeschichte, Münster, Brief, undatiert, erhalten am 3.7.2016 (durch die dankenswerte Vermittlung von Arno Straßmann, Recklinghausen).
[17] Vgl. Regest, 29.10.1608, Abschrift des 18. Jahrhunderts, in: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Münster, Haus Wilbring – Urkunden, Nr. II, 2.