Berdjajews
Plotinrezeption 3
Exkurs: Plotin und die christliche Philosophie
Im
Zusammenhang unseres Themas der Rezeption Plotins durch Berdjajew sollte es
nicht unterbleiben, auch den Themenbereich "Plotin und die christliche
Philosophie" zu untersuchen. Es war vor allem W.Beierwaltes, der sich in
seinen Studien "Platonismus im Christentum" diesem Themenbereich mit
überragender Sachkenntnis und Sorgfalt zugewandt hat (49). Da hier nicht der
Ort ist, die Fülle seiner Einsichten auszubreiten, beschränken wir uns auf eine
kurze, gehaltvolle Einzelstudie.
Eine
wesentliche Hilfestellung zum genannten Thema vermittelt uns der Aufsatz
"Plotinus and Christian philosophy" von J.Rist im "Cambridge
Companion" zu Plotin (50). Die wichtigsten Teile dieses Aufsatzes werden
nachstehend in vollständiger Übersetzung oder sie summarisch zitierend (ohne
besondere Kennzeichnung), herangezogen.
Wir
müssen davon ausgehen – so J.Rist – , dass der Platonismus die christlichen
Philosophen vor Plotin beeinflusst hat. Zu nennen sind hier besonders: Justinus
Martyr, Clemens von Alexandrien und Origenes. Er sollte auch hunderte von
Jahren später noch auf Christen einflussreich sein. Viele von ihnen kannten
Plotin nur als prominenten Namen in der Tradition. Den Einfluss Plotins auf das
Christentum zu diskutieren bedeutet, nicht nur diejenigen zu diskutieren, die
Plotin aus erster Hand kannten und seine Lehre liebten oder ihr Widerstand
leisteten. Es bedeutet auch, das Denken derjenigen zu betrachten, deren
Verständnis des Platonismus indirekt durch das besondere Merkmal des
Platonismus als vorherrschend von Plotin begründet berührt war und was wir in
der Neuzeit den Neuplatonismus zu nennen pflegen. In unserem Zusammenhang sind
wir nicht unmittelbar mit dem Einfluss des Neuplatonismus als Ganzem auf das
Christentum beschäftigt. Dieses wäre ein zu weites Feld, da Plotin bloß der
Begründer des Neuplatonismus war, sogar nicht einmal der typischste
Neuplatoniker. Bemerkenswert ist, "dass viele seiner (Plotins) Nachfolger
seine Grundeinsichten mit Ergänzungen ihrer eigenen auf Wegen
weiterentwickelten, die er nicht kannte und die er oft nicht anerkannt hätte.
In der Behandlung von Plotins indirektem Einfluss können wir auf dieser Stufe
wenig mehr tun als beobachten, dass die späteren Neuplatoniker der Antike seine
originellen Forderungen verstärkten und deshalb [entstand] sein Ansehen sowohl
bei denen, die ihn persönlich lasen, als auch bei denen, die ihn durch Quellen
zweiter Hand kannten, und zweite-Hand-Quellen konnten sowohl christlich als
auch heidnisch sein" (51). Rist hält es für bemerkenswert, dass vom 6. bis
zum 15. Jahrhundert der Text der Enneaden in Westeuropa unbekannt war,
obwohl er im griechisch und arabisch sprechenden Osten erreichbar war, wo er
manchmal zu philosophischen Zwecken herangezogen wurde. "Auf der anderen
Seite kann der indirekte Einfluss von Plotin nicht nur bei späteren
Schriftstellern, die offensichtlich Neuplatoniker waren, gefunden werden,
sondern auch bei der großen Mehrheit der griechischen Kommentatoren über
Aristoteles – gemäß Alexander von Aphrodisias und mit der streitbaren Ausnahme
von Themistius – dessen Neuplatonismus allgemein erst durch moderne
Wissenschaft in der jüngsten Zeit erkannt worden ist" (52). Es kann
festgestellt werden, dass christliche Platoniker nach Plotin christliche
Neuplatoniker sind. Es wäre notwendig zu bestimmen, welche von ihnen besser als
Platoniker einer vor-plotinischen Art beschrieben würden.
Mindestens
ebenso wichtig aber ist die hier mehr interessierende Beantwortung folgender
Fragen, die J.Rist stellt: "Inwieweit hatte Plotin eine besondere Wirkung
auf die Gedanken über den Platonismus, die christliche Denker, besonders
diejenigen der frühen Jahrhunderte aufnahmen? Inwieweit leiteten christliche
Denker Ideen von Plotin ab, die sie nicht von früheren Philosophen der
platonischen Tradition ableiten konnten? Und – am schwierigsten von allen
[Fragen] – inwieweit befähigte das plotinische Denken christliche Denker mehr
philosophisch zu denken und im allgemeinen vernünftiger innerhalb der
platonischen Tradition als sie imstande gewesen wären, es zu vollziehen, wenn
sie keinen direkten oder indirekten Zugang zu seinen [Plotins] Ideen gehabt
hätten?" (53).
Ohne
die ganze Fülle der von J.Rist aufgeworfenen Probleme, Kon- und Divergenzen
zwischen Plotin und der christlichen Philosophie nur annähernd zu beschreiben,
soll nur festgehalten werden, dass der Dialog zwischen Platonismus und
Christentum schon früh begann, "und eine vollständige Geschichte unseres
gegenwärtigen Themas müsste im Detail in Rechnung stellen, inwiefern sie
kompatibel und inkompatibel sind, wie der Platonismus sowohl die Entwicklung
der christlichen Theologie beförderte als auch dieses Wachstum entstellte; und
dies würde uns mit weiteren theologischen Problemen konfrontieren von der Art,
wie etwa dies, das Christentum als das ‚wahre’ Christentum zu entwickeln und
welche Denkart es entstellen könnte" (54). Rist konstatiert, dass Plotin
nicht der erste und nicht der Platoniker war, der das Christentum beeinflusste.
So soll – nach J.Rist – unser erstes Ziel sein, die besonderen Bereiche zu
identifizieren, in denen das Denken Plotins direkt oder indirekt entscheidend
wurde. "Eine Frage jedoch, die nicht zurückgestellt werden kann, betrifft
die besonderen Aspekte des Christentums, die Plotin beeinflussen konnte – zur
Zeit, in der er lebte, und die die exakte Entwicklung des christlichen Denkens
bis kurz zuvor und nach dieser Zeit [betraf]"(55).
Betrachten
wir die Kirchengeschichte, so war zwar das Konzil von Nicäa vom Platonismus
oder irgendwelchen direkten philosophischen Inhalten weit entfernt. Dennoch
müssen seine [des Platonismus] Wirkungen auf die künftigen Beziehungen zwischen
Christentum und Platonismus und deshalb auf die christliche Haltung gegenüber
Plotin selbst von größter Wichtigkeit gewesen sein. Die erste Betrachtung des
Konzils galt der "Häresie" des Arius, einem Priester von Alexandria,
der in Streit mit seinem Bischof Alexander mit der Forderung gekommen war, dass
Christus, der Logos, die zweite Person der christlichen Trinität unterhalb
Gottes und nicht innerhalb der gleichen Substanz wie Gott, der Vater, stand.
Dies war tatsächlich ein geschaffenes Zwischenglied zwischen Gott dem Vater und
dem geschaffenen Universum. In seiner folgenden Darstellung entfaltet J.Rist in
aller Breite den Streit zwischen Arius und Athanasius – eine Thematik, die uns
vom gestellten Thema zu weit weg führt. Es sei aber gefragt, ob – nach Rist –
eine geringe Evidenz darüber besteht, dass der besondere Einfluss Plotins auf die
östlichen christlichen Schriftsteller der Frühzeit des vierten Jahrhunderts
stattfand, als die Situation sich änderte. So seien hier die Kappadozier zu
nennen, doch Vorsicht sei angebracht. In der Atmosphäre, in der Basilius der
Gr. lebte, sei platonischer Einfluss spürbar und es gelte auch: "some
effect of the theories of the great Plotinus and his pupils could be
recognized" (a.a.O., S. 397). Basilius d. Gr. gebe keine Hinweise für ein
großes Interesse an Plotin, dieses sei vielleicht unter dem Einfluss seines
mehr mystisch gestimmten Bruders Gregor von Nyssa entstanden (56). Dennoch hält
J.Rist fest, dass der Einfluss Plotins auf das Christentum vor allem durch die
Kappadozier eintrat und Basilius in seinem Alter sich für die Enneaden
interessierte. Rist konstatiert in diesem Zusammenhang, dass Gregor von Nyssas
Platonismus der des Christen Origenes ist – das heisst: sein Platonismus ist
weithin abgeleitet aus vor-plotinischen Quellen. An dieser Stelle beschließen
wir unseren umfangreichen Exkurs über Plotin und seine Einflüsse auf die
christliche Philosophie, ohne die weiteren Ausführungen Rists zu den
Auswirkungen Plotins auf Augustin, Marius Victorinus, Ambrosius und die weitere
Patristik zu diskutieren. Es sei aber eine weit verbreitete Annahme, dass das
patristische Christentum tief mit dem Platonismus verbunden gewesen sei, d.h.
dass die "Väter" mehr in den Kategorien des Platonismus als in
anderen Schulen dachten, dass sie häufig etwas von Platons Theorie der Formen
annahmen, über die "Teilhabe" sprachen oder vom platonischen
Gottesbild. Noch einmal sei gefragt: Was ist die Rolle Plotins bei all diesen
Überlegungen? Historisch war es die plotinische Version des Platonismus, die
Augustin zum Christentum führte, obwohl diese Version ihn noch nicht zum
Christen machte. Dennoch sei es unbezweifelbar: Die größte Bedeutung, die
Plotin in der Entwicklung des Christentums bewirkte, war seine inspirierte
Darstellung, durch die die einflussreichste Gestalt zum Christentum kam:
Augustin. Denn es war Augustin, von dem schließlich im mittelalterlichen Westen
mehr westliche Christen eine Wendung ihres Geistes vornahmen (Anselm,
Bonaventura, sogar später Franz von Sales). Weitere seien genannt, die
beeinflusst wurden: Pseudo-Dionysius, Marsilio Ficino, Pico della Mirandola im
15. Jahrhundert, und die Cambridge-Platoniker im siebzehnten Jahrhundert.
i) Schluss und Ausblick – Plotins Wirkungsgeschichte
Um
das ohnehin nicht ganz leichte Thema nicht noch mehr zu komplizieren und durch
weitere Sekundärliteratur anzureichern – noch gar nicht herangezogen wurden die
umfänglichen und überaus sachkundigen Studien von Werner Beierwaltes – (1.
Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972, 2. Proklos, Grundzüge seiner
Metaphysik, Frankfurt 1979, 3. Denken des Einen, Frankfurt 1985, 4. Das wahre
Selbst, Frankfurt 2001) – beschränken wir uns in diesem Schluss und Ausblick
darauf, mit W.Dietrich Plotin als den Gesprächspartner Berdjajews im Kontext
christlicher Theologie bzw. Philosophie noch einmal zu Wort kommen zu lassen
und Berdjajews Antworten zu hören. Wurde schon mehrfach auf den Zentralbegriff
der Apophatik hingewiesen, wie ihn Plotin entwickelt hat, so findet der
russische Denker bei dem griechischen spätantiken Philosophen Plotin zwar eine
hohe Geistigkeit, dennoch: "Ihr [der christlichen Geistigkeit] gegenüber
erscheint die Geistigkeit, die sich bei Plotin erschließt, als dennoch
beschränkt, – unermesslich höher und menschlicher ist die christliche
Geistigkeit" (57).
Dietrich
sieht mit Berdjajew den "unermesslich höheren und menschlicheren Weg"
der von Christus ausgelösten Bewegung darin; "dass sie sich nicht in das
weiselose, in sich einsame Eine enthebt, sondern dass sie – nach einem früheren
Ausdruck Berdjajews – 'das wahrhaft Seinsmässige' oder – nach einem späteren
Ausdruck Berdjajews – 'die personalen Existenzzentren' im Durchbruch durch alle
Entstellungen in sich hineinbirgt, dass die in ihr gemeinte Einheit von einer
Liebe geformt wird, die auch und gerade 'die Materie', das gestaltete Viele,
das Niedere umfasst. Die sich in dem All-Einen erschließende konkrete
Vielheit des Seins ist mehr als die undifferenzierte Einheit" (58).
Noch
an zahlreichen anderen Belegstellen durchdenkt Berdjajew die griechische und
spezifisch die plotinische Konzeption: "Der griechischen Philosophie
fehlte eine auch nur einigermassen klare Idee von der Persönlichkeit. Bei den
Stoikern finden sich gewisse Lichtspuren. Für die Kirchenväter ergaben sich
hieraus beim Erschließen der Dogmen nicht geringe Schwierigkeiten. Sie mussten
sehr subtile Unterscheidungen zwischen hypostasis und physis
vornehmen. Gott hat eine Natur und drei Hypostasen. In Christus – eine Person
und zwei Naturen. Die Gedankenwelt der Väter bewegt sich ausschließlich in den
Kategorien und Vorstellungen des griechischen Denkens. Indessen musste etwas
vollkommen Neues, eine neue geistige Erfahrung, die weder Platon, noch
Aristoteles, noch Plotin kannten, zum Ausdruck gebracht werden. Vom Standpunkt
der Weltgeschichte des Denkens aus, das sich mit dem Persönlichkeitsproblem
abgab, kam eine gewaltige Bedeutung gerade der Lehre von den Hypostasen der Hl.
Dreifaltigkeit zu (59). In diesem Zusammenhang interpretiert Dietrich:
"Das Problem des Einen und des Vielen quälte das griechische Denken, es
ist zentral bei Plotin. Wie kann man vom Einen zur Vielheit übergehen, wie ist
für die Vielheit das Eine erreichbar? Gibt es für das Eine das Andere? […]
Dieses Problem ist rational nicht lösbar. Es ist verbunden mit einem Paradox.
Das Geheimnis Christi, das der Rationalisierung nicht unterworfen ist, ist das Geheimnis
der paradoxen Vereinigung des Einen und des Vielen" (60).
Mit
Hilfe weiterer Zitate Berdjajews beschließt W.Dietrich sein Kapitel
"Plotin – Person und Freiheit", worin er zu zeigen versuchte, dass
Plotins Denkansatz vom Einen, dem er Sympathie entgegenbringt [ebenso sieht er
auch im apophatischen Weg ein wesentliches Wahrheitsmoment], in einem Monismus
endet und somit nicht Berdjajews personalistischem Verständnis dessen
entspricht, was er unter ‚Persönlichkeit’ versteht, weil es eben nicht zu einer
Begegnung und zu einem dialogischen Kampf zwischen Gott und Mensch kommt
["Gott sehnt sich nach seinem Anderen, er hungert und dürstet
danach"]. Berdjajew, der – wie gezeigt – vom Geheimnis der paradoxen
Vereinigung nicht nur des Einen und der Vielen, sondern auch Gottes und des
Menschen ausgeht, beharrt auf dieser Vereinigung, ‚die nicht auf die Person
Jesus Christi beschränkt bleibt, sondern von ihr her sich aller Person [d.h.
der ganzen Menschheit] mitteilen kann. Denn‚ Christus stellt die ganze
Menschheit dar, er ist der universale Mensch in Raum und Zeit. Das Geheimnis
Christi wirft ein Licht auf das Geheimnis der menschlichen Person. Die derart
erhellte Person realisiert sich in der christologischen Geistigkeit, wie
Berdjajew die erklärte Alternative zu Plotin nennt. ‚Die echte christliche
Geistigkeit ist eine christologische, das heißt gottmenschliche Geistigkeit.
Sie lässt den Menschen nicht verschwinden in einer unterschiedslosen
Selbigkeit und Einheit. Sie lässt als Letztes nicht "das Eine"
gelten, sondern die vereinigten Zwei" (61).
Fragen
wir am Ende nach der Mitte plotinischen Denkens, so fasst V.Schubert zusammen.
"Das eigentliche Zentrum plotinischer Philosophie [...] ist der Gedanke
des Aufstiegs oder der Rückkehr zum Hen. Um ihn herum baut sich Plotins
Philosophie auf, von ihm her schließt sich auch sein Denken auf. Der Abstieg
ist nur entworfen, um den Aufstieg zu ermöglichen. Der Aufstieg nun ist bereits
in diesem Leben möglich, wenn auch vorerst nur als Antizipation des vom Sinnlichen
befreiten Lebens. Die endgültige Rückkehr zum "Vater" aber bleibt das
eigentlich angestrebte Ziel […]. Für Plotin geht es also vor allem darum,
aufzusteigen, sich vom Sinnlichen und Körperlichen loszulösen. Statt des
denkerischen Nachvollzugs der gesetzmäßigen und physischen Notwendigkeit des
Abstiegs ergeht nun an den Menschen die ethische Forderung, sich aufzumachen
und die beim Abstieg "geschaffenen", fest umgrenzten Stufen für seine
Person zu überwinden, "aufzuheben", um schließlich die erstrebte
Einung mit dem Höchsten zu erreichen. Wie ist dies möglich und welchen Weg hat
man dabei zu beschreiten?
Die
Grundvoraussetzung hierfür liegt für Plotin in der Wesensstruktur des Menschen.
Sodann bedeutet Aufsteigen weiter: die Pfade des Sinnlichen verlassen und sich
vom Eros emportragen lassen; sich vom Körperlichen durch die Tugend reinigen
(Katharsis) und den Weg nach innen beschreiten; im Innern aber selbst von der
Seele zur Schau des Nus emporsteigen, und dann, wenn durch angestrengte
intellektuelle Tätigkeit alle Andersheit und die letzte Zweiheit von Subjekt
und Objekt überwunden ist, warten, bis es plötzlich gelingt, Es zu
berühren und in der unio mystica mit ihm eins zu werden. Der Weg verläuft
demnach von außen nach innen und von innen nach oben" (62).
Wenn
wir uns in dieser Studie der Rezeption Plotins durch N.Berdjajew zugewandt
haben, so bilden diese Hinweise bzw. kritischen Feststellungen Berdjajews nur
einen kleinen Ausschnitt der Rezeptionsgeschichte, beschränkt auf einige
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und auf einen einzigen Denker. Dass die
Wirkungsgeschichte Plotins sehr viel umfänglicher ist, beweisen nicht nur die
zahlreichen Studien zu unserem Thema, sondern dies wird auch belegt durch eine
zusammenfassende thematische Darstellung bei V.Schubert. Aus diesem Abschnitt
hier nur einige bezeichnende Hinweise und Namen, die dies verdeutlichen. Nach
Karl Jaspers ist Plotin "eine ewige Gestalt des Abendlandes", seine
Wirkung reicht "von Augustinus bis Heisenberg". Schubert zeigt, dass
auch die arabische Welt durch die sog. Theologie des Aristoteles mit Plotin in
Berührung kam.. Es ist hier (mit V.Schubert) auch insbesondere Nikolaus von
Kues zu nennen, der durch die Schriften des Proklos plotinisches
Philosophieren kennen lernte. Weitere illustre Namen dürfen erwähnt werden:
Marsilius Ficinus, der an der platonischen Akademie Florenz Plotin ins
Lateinische übersetzte. Plotin regte die Cambridge Platonists an. Andere
Leser findet Plotin in Winckelmann, Herder, Schiller, Schopenhauer, Hartmann, Croce.
"Alle haben sie in ihrer Ästhetik Plotin Anregungen zu verdanken, die auf
den verschiedensten Wegen zu ihnen gelangt sind" (63). Plotinische
Einflüsse machen sich bei Goethe, Schelling und Hegel bemerkbar. Viele Namen
müssen hier übergangen werden. Dennoch gilt: "In der asketisch-mystischen
Literatur kehrt er wieder, von Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz bis hin zum
Aufbau der Exerzitien des Ignatius von Loyola. Und im Prinzip sind die
Dogmatiken bis heute nach diesem Schema aufgebaut" (64). Nicht in die
Reihe der Asketen – den Asketismus schätzte er nicht -, aber in die Reihe der
mystischen Denker gehört auch N.Berdjajew hinein. Mag er auch – ähnlich wie bei
Hegel – einen monistischen Grundzug bei Plotin abgelehnt haben, dennoch treffen
sich hier zwei Geistesverwandte. Unser Anliegen war es, zu zeigen, welche
Impulse der jüngere Denker vom älteren Denker aufgenommen und sie
fruchtbar-kritisch verwandelt hat. Eine Summe dieser Begegnung hat W.Dietrich
in seinen zehn Thesen im Anschluss an Berdjajews Diskussion mit Plotin gezogen
(65). Es würde ein neues Kapitel darstellen, dieses philosophische Resumée der
Begegnung von "Partnern des Denkens" kritisch zu hinterfragen.
Wenn
wir uns hier und da etwas vom strengen Weg der Verhältnisbestimmung Berdjajews
zu Plotin entfernt haben, so konnte in der gedrängten Form eines Aufsatzes
Berdjajews Beziehung zu den griechischen Idealisten – bis auf die Ausnahme von
Plotin – ohnehin nicht entfaltet werden. Ansätze und Impulse zum
weiterführenden Gespräch finden sich – auch im Blick auf weitere griechische
Philosophen – in Fülle in dem Kapitel W.Dietrichs "Griechische
Idealisten" (66). Um eine größere Vollständigkeit zu erstreben, müssten
auch die griechischen philosophischen Gesprächspartner herangezogen werden.
Was
das Verhältnis Berdjajews zur byzantinischen Philosophie angeht, so fasst
M.P.Begzos zusammen:
"1. Die patristische Theologie hat bestimmte philosophische
Voraussetzungen, die aus der altgriechischen Metaphysik stammen. Ohne
Philosophie ist die Theologie undenkbar, wie letztere auch ohne die Kirche
überhaupt unmöglich ist. Die Kirche als Ereignis und Erfahrung macht die
christliche Theologie erst möglich. Die Philosophie aber macht die Theologie
denkbar, denn es handelt sich um die vernünftige, denkerische Bearbeitung des
christlichen Glaubens. Die griechische Patristik ist ein klares Beispiel dafür,
dass die Theologie eine gewisse philosophische Tragweite hat, wie es
N.Berdjajew zum Ausdruck gebracht hat.
2. Die patristische Theologie hat aber auch klare Konsequenzen für uns heutige
Menschen. N.Berdjajew hat es schon eindeutig aufgezeigt, dass die Anthropologie
in der patristischen Ära ihren entscheidenden Ausgangspunkt nimmt, wie es im
Fall eines Gregors von Nyssa [sich] darstellt. Letzten Endes bedarf die
Philosophie der Theologie in dem selben Maße wie die Theologie der
Philosophie" (67).
Anmerkungen
*)
Bei altgriechischen Begriffen wird aus Gründen der Kompatibilität
neugriechische Akzentsetzung verwandt.
1) Venanz Schubert, Plotin, Freiburg
1973, S. 9. Zit. Schubert, Plotin.
2) Gerhard Huber, Das Sein und das Absolute, Basel 1955, S. 15. Zit. Huber, Das
Sein und das Absolute. Vgl. dazu auch die Hinweise im Kapitel "Plotin und
das dritte Jahrhundert nach Christus" bei Schubert, Plotin, S. 27-38.
3) Werner Beierwaltes, Denken des Einen, in: Denken des Einen – Studien zur
neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt 1985, S.
24.
4) Huber, Das Sein und das Absolute, S. 17.
5) Huber, Das Sein und das Andere, S. 18f. Vgl. dazu ergänzend das III. Kapitel
"Plotins Philosophieren" (1. Der Denkansatz) bei Schubert, Plotin, S.
39-43.
6) W.Dietrich, Provokation der Person, Band 2: Partner des Denkens, Gelnhausen
1975, S. 89-96. Zit. Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2.
7) Susanne Möbuß, Plotin, Hamburg 2000, S. 8f. Zit. Möbuß, Plotin. Vgl. auch
die prägnante Einführung bei Wolfgang L.Gombocz, Die Philosophie der
ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters (Geschichte der Philosophie, Bd.
IV), München 1997, S. 151-189. Zit. Gombocz, Die Philosophie der ausgehenden
Antike und des frühen Mittelalters.
8) Möbuß, Plotin, S. 9. Vgl. auch Gombocz, Die Philosophie der ausgehenden
Antike und des frühen Mittelalters, S. 152-157.
9) N.Berdjajew, Versuch einer eschatologischen Metaphysik, Waltrop 2001, S. 31.
Zit. Berdjajew, Versuch einer eschatologischen Metaphysik. Zur
Verhältnisbestimmung von Hegel zu Plotin vgl. den Abschnitt "Die Identität
von Denken und Sein bei Hegel und Plotin" bei Schubert, Plotin S. 14-18.
Auf die große Arbeit von Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike
Neuplatonismus, Bonn 1999 (Hegel-Studien, Bd. 40) kann an dieser Stelle nur
verwiesen werden, ohne sie auszuwerten.
10) Berdjajew, Versuch einer eschatologischen Metaphysik, S. 32.
11) N.Berdjajew, Geist und Realität, Lüneburg 1949, S. 120f. Zit. Berdjajew,
Geist und Realität.
12) Berdjajew, Geist und Realität, S. 144.
13) Berdjajew, Geist und Realität, S. 144f. Vgl. zum Beitrag des Nikolaus von
Kues die gesammelten Aufsätze: "Nikolaus von Kues in der Geschichte des
Erkenntnisproblems" (Mitteilungen und Forschungsbeiträge der
Cusanus-Gesellschaft, Bd. 11), Mainz 1975.
14) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 89.
15) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 89.
16) N.Berdjajew, Der Sinn des Schaffens, Tübingen 1927, S. 134f. Zit.
Berdjajew, Der Sinn des Schaffens.
17) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 89.
18) Berdjajew, Versuch einer eschatologischen Metaphysik, S. 194.
19) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 90.
20) Möbuß, Plotin, S. 59.
21) Möbuß, Plotin, S. 59f.
22) Möbuß, Plotin, S. 67f.
23) Möbuß, Plotin, S. 69.
24) Möbuß, Plotin, S. 69.
25) Berdjajew, Der Sinn des Schaffens, S. 324f. Vgl. hier ergänzend: Huber, Das
Sein und das Absolute: "Das Eine, der absolute Ursprung aller Dinge, wird
darum mit Nachdruck über alle Bestimmtheit des Seins hinausgehoben und zum
Thema einer in ihrem innersten Wesen negativen 'Theologie'. Wiewohl in der
Ekstase als eminent Positives unsagbar erfahren, so ist es doch als solches für
das Denken schlechthin unfassbar: das Absolute kann nur in dem, was es an sich
nicht ist – in seiner Relativität zu anderm, die vielmehr dessen Relativität zu
ihm ist – angedeutet werden. Dieser grundsätzliche Verzicht auf eine positive
philosophische Begreifung des Ursprungs ist das Ergebnis der Begegnung mit dem
transzendenten Absoluten auf dem Boden der griechischen Philosophie" (S.
8).
26) Berdjajew, Geist und Realität, S. 21.
27) Berdjajew, Geist und Realität, S. 23f.
28) Berdjajew, Geist und Realität, S. 25f.
29) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 89.
30) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S.89.
31) Edgar Früchtel, Weltentwurf und Logos – Zur Metaphysik Plotins, Frankfurt
1970. Zit. Früchtel, Weltentwurf und Logos.
32) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 16f.
33) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 18.
34) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 18f.
35) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 20.
36) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 20f. Vgl. dazu ergänzend: Schubert,
Plotin, Kap. "Der Hervorgang des Hen" (a.a.O., S. 52-58).
37) Früchtel, Weltentwurf und Logos, S. 23.
38) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 90.
39) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 93. Vgl. auch: N.Berdjajew,
Wahrheit und Offenbarung, Waltrop 1998, S. 100f, 134.
40) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 93.
41) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 90.
42) Berdjajew, Der Sinn des Schaffens, S. 135.
43) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 91.
44) Berdjajew, Der Sinn des Schaffens, S. 135.
45) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 91f.
46) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 92.
47) Huber, Das Sein und das Absolute, S. 24. Vgl. dazu auch: Schubert, Plotin,
Kap. "Der Nus als Ort der Ideen und des Seins" (a.a.O., S. 58-64).
48) Huber, Das Sein und das Absolute, S. 8.
49) Werner Beierwaltes, Platonismus im Christentum, Frankfurt 1998.
50)
John Rist, Plotinus and Christian philosophy, in: Cambridge Companion to
Plotinus, Cambridge/USA 1996, S. 386-413. Zit. Rist, Plotinus and Christian
philosophy.
51) Rist, Plotinus and Christian philosophy, S. 386.
52) Rist, Plotinus and Christian philosophy, S. 387.
53) Rist, Plotinus and Christian philosophy, S. 389.
54) Rist, Plotinus and Christian philosophy, S. 393.
55) Rist, Plotinus and Christian philosophy, s. 394.
56) Vgl. zum Verhältnis N.Berdjajews zu den Kirchenvätern: Berdjajew,
Selbsterkenntnis- Versuch einer philosophischen Autobiographie, Darmstadt 1953,
S. 177. Zit. Selbsterkenntnis. An anderer Stelle heißt es: "Um möglichst
radikal sich zur Orthodoxie zu bekehren, setzte zu meiner Zeit eine besondere
Vorliebe für östliche Kirchenväter ein, denen man nicht selten das zuschrieb,
was bei ihnen selber nicht zu finden war. Ich habe jedoch die griechischen
Kirchenväter immer weit mehr geschätzt als die westlichen und als die
Scholastiker" (Selbsterkenntnis, S. 193). Zum Verhältnis Berdjajews zur
griechischen Patristik vgl. auch die Kapitel "Athanasius der Grosse bei
N.Berdjajew" sowie "Gregor von Nyssa bei N.Berdjajew" in: Marios
P.Begzos, Nikolaj Berdjajew und die Byzantinische Philosophie, S. 3-5 bzw. 5-8.
Zit. Begzos.
57) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 93.
58) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 94.
59) N.Berdjajew, Von des Menschen Knechtschaft und Freiheit, Darmstadt 1954, S.
42.
60) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 94.
61) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2 S. 95. Vgl. zur Thematik des
"universalen Menschen" das Kapitel 9 "Die Offenbarung des
Geistes und das Zeitalter des Geistes. Der transzendentale Mensch und der neue
Mensch", in: N.Berdjajew, Wahrheit und Offenbarung, Waltrop 1998, S.
320-335.
62) Schubert, Plotin, S. 65f.
63) Schubert, Plotin, S. 90f.
64) Schubert, Plotin, S. 93.
65) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 95f.
66) Dietrich, Provokation der Person, Bd. 2, S. 71-105 (außer Plotin [S. 87ff.]
noch: Platon, Aristoteles, Parmenides, Heraklit, Sokrates).
67) Vgl. Begzos, S. 8.