Offenbarung 7

 

 

Dass das Leiden und die Endlichkeit des Menschen nicht etwas sein darf, was unbedingt zu verhindern und zu eliminieren ist, findet seine tiefgehende Begründung: "Das Leiden [wozu auch die inneren Spannungen zwischen Bewusstem und Unbewusstem zählen] hat [[...]] einen existentiellen Sinn, indem nämlich am Widerstand des "kleinen Ich" gegen jede Veränderung, Trennung und Wandlung und damit vor allem auch gegen Altern, Krankheit und Tod das Leiden notwendigerweise im Menschen aufbricht und solange besteht, bis der Mensch die notwendige Reife erlangt, um sich loszulassen und sich "anheimzugeben". Solange der Mensch dazu nicht bereit ist, wird er sein Leiden immer als sinnlos empfinden und unter seinem Leiden leiden. Sofern er dann den Weg in die Reife nicht findet, kann es sein, dass ihn das Leiden nicht läutert, sondern nur noch mehr verhärtet"54). Nach dieser kurzen Abschweifung auf das Gebiet der "Reife durch Leiden", ein Thema, das nach Graf Dürckheim nie zu einem Zentralbegriff der Philosophie geworden ist, kehren wir zu den Überlegungen Berdjajews zurück.

 

Berdjajew lässt uns gleichsam nach vorne in die Richtung einer Lösung schauen: "Durch den Glauben, durch die neue freie Wahl wenden wir uns aufs neue der geistigen Welt, der Gotteswelt zu. Gott enthüllt sich nur in der Erfahrung der Freiheit und in freier Liebe". Daneben aber verweist der Autor darauf, dass die Offenbarungsepochen auch das innere Leben der Gottheit, die inneren Beziehungen der göttlichen Trinität nicht unbeeinflusst lassen unter der Voraussetzung, dass sich in unserer menschlichen Welt auch das unsichtbare Leben der verborgenen Gottheit in einem theogonischen Prozess [ein überaus häretischer Gedanke aus der Sicht der traditionellen Theologie] erschließt bzw. widerspiegelt. Mögen auch die folgenden spekulativen Gedanken die Grenze des theologisch Erlaubten streifen, dennoch sind sie in ihrer Folgerichtigkeit nicht von der Hand zu weisen: "In der Offenbarung wird der Mensch geboren; es erschließt sich nicht nur die göttliche, sondern auch die menschliche Natur. Die Stufen der Offenbarung bezeichnen auch die Stufen der Entwicklung des Menschen. Die Offenbarung ist immer Offenbarung Gottes und Offenbarung des Menschen, d.h. gott-menschliche Offenbarung. Im Christentum erhält dieser gott-menschliche Charakter der Offenbarung seinen endgültigen Ausdruck. In Christus dem Gottmenschen ist nicht nur die Offenbarung Gottes, sondern auch des göttlichen Andern, d.h. des Menschen gegeben. Die zweite Hypostase der hl. Dreifaltigkeit ist der absolute [d.h. der in der Trinität beheimatete ewige] Mensch und die Offenbarung der zweiten Hypostase ist Offenbarung des absoluten Menschen, d.h. Erschließung des neuen geistigen Menschen, des ewigen Menschen. Aber der neue geistige Mensch hat sich noch nicht endgültig erschlossen. Auch im Christentum ist eine neue Offenbarung möglich".55) Wie weit ist heutiges, weithin in der Banalität der reinen Endlichkeit und der "Verleibeigenschaftung" des Geistes versinkendes Christentum davon entfernt, sich solche eschatologischen Bilder zu eigen zu machen.

 

An dieser Stelle muss Berdjajew notwendigerweise nach vorne schauen, auf den ewigen, den transzendentalen Menschen, wie er ihn in "Wahrheit und Offenbarung" genannt hat. Wenn in seinem Sinne Schöpfertum so etwas wie Unabgeschlossenheit bedeutet, so kann die Wahrheit nie an ihren endgültigen Endpunkt gelangen, sondern muss als Ergebnis des lebendigen Geistes in fortwährender Entwicklung bleiben. Man kann immer nur darauf zugehen, sie ist als Totalität unerreichbar, weil sie so vielgestaltig ist wie das Leben selbst.

 

In unserer Studie wurden wir an unterschiedlichen Stellen auf die Unabgeschlossenheit des Wortes und der Sprache und damit auch der Wahrheit verwiesen, die sich aus der unergründlichen Freiheit entwickelt. Wort und Sprache wurzeln im Menschen, in seiner von der Unendlichkeit bestimmten Dimension. Der Mensch aber wurzelt – ebenso wie in der (endlichen) Natur, die keine gnostische Abwertung als Teil göttlicher Schöpfung verträgt – zugleich im (unendlichen) Geist. Natur und Geist sind aufeinander bezogen und sollten nicht auseinandergerissen werden. Große Denker des 20. Jahrhunderts wie Sri Aurobindo und Teilhard de Chardin forderten die Spiritualisierung von Natur und Materie. Aurobindo sprach einmal von der "universalen Inkarnation" Gottes im Körper (S. 75). Doch dies gelinge erst, wen die "ichhafte Konstruktion" aufgelöst werde und sich mehr dem Universum und Gott öffne. "Wir realisieren das All im Individuum, indem wir das begrenzte Ich in ein bewusstes Zentrum göttlicher Einheit und Freiheit umwandeln" (S. 76).

 

N.Berdjajew war in einer gewissen, gnostischen bestimmten Einseitigkeit weniger der Natur und solchen universalistischen Gedanken, sondern eher oder besser: primär dem Geist zugewandt. Der Geist aber ist Freiheit, die als unerschaffene – so hat es Jakob Böhme gesehen – im "Ungrund" der Gottheit beheimatet ist. I.Kant sah die Freiheit ebenso im noumenalen Raum, in der Dimension des "Ding-an-sich" verwurzelt, und N.Berdjajew wurde hierin sein Schüler. Es ist uns ein Wort des Philosophen Wilhelm Windelband überliefert, der gesagt hat: Kant verstehen, heißt über ihn hinausgehen. Heidegger hat ergänzt: Kant verstehen heißt, ihn besser verstehen, als er sich verstand. Vielleicht sei es uns erlaubt, dieses Diktum auch auf Berdjajew über fünfzig Jahre nach seinem Tode anzuwenden, wenn wir ihn einmal in den Kontext des religionsphilosophischen Denkens des 20. Jahrhunderts gestellt und wenigstens einige Parallelen zu seinem wahrhaft kreativen und originellen Denken aufgewiesen zu haben. "Die Bewahrung einer Lehre geschieht nur durch ihre Erneuerung und Vertiefung, nicht durch ihre Konservierung" (W.Giegerich, S. 187). Was gibt uns ein weiteres Recht zu dieser Berdjajew-Interpretation? Vielleicht auch die von W.Giegerich zitierte Aussage C.G.Jungs: "So gelangen wir zu dem paradoxen Schluss, dass es keinen Bewusstseinsinhalt gibt, der nicht in einer anderen Hinsicht unbewusst wäre" (S. 193). Gilt dies auch in gleicher Weise für unseren philosophischen Autor, so muss gesagt werden: Die Erneuerung und Vertiefung der Lehre Berdjajews hat noch kaum begonnen.

 

Bevor wir uns dem johanneischen Schlussvers nähern, sei im Blick auf die Phänomenologie des Erkennens eine tiefe und grundsätzliche Einsicht Sri Aurobindos festgehalten, die sowohl theologisches als auch philosophisches Tun, das uns beschäftigt hat, als grundsätzliche These umschliesst. "In Wirklichkeit ist jede Erfahrung ihrer geheimen Natur nach eine Erkenntnis durch Identität. Ihr wahrer Charakter bleibt aber vor uns verborgen, da wir uns vor der übrigen Welt durch Ausschließung, durch die Unterscheidung zwischen uns selbst als dem Subjekt und allem anderen als dem Objekt abgesondert haben. So müssen wir nun Verfahren und Organe entwickeln, durch die wir wieder in eine Kommunikation mit allem eintreten können, was wir ausgeschlossen haben" (S. 79). Einen ähnlichen Gedanken finden wir bei K.Nishitani: "Auf dem Felde des Bewusstseins, auf dem wir von den Dingen getrennt sind, den Dingen gegenüberstehen, sind wir somit immer schon von uns selbst getrennt und kommen nicht wirklich mit uns selbst in Berührung" (S. 50). Nishitani sieht das Problem dort, wo wir das "Selbst" unseres Selbstbewusstseins gleichsam wie ein Ding vorstellen. Solange ist dieses Selbst nicht bei sich zuhause. "Die Dinge und unser Selbst, die Empfindungen und die Wünsche, sie alle sind real, aber dass sie auf dem Feld des Bewusstseins in ihrer eigentlichen Wirklichkeit gegenwärtig sind, kann nicht gesagt werden. Dort sind sie immer nur in Form von Vorstellungen gegenwärtig und werden gewöhnlich dennoch für wirklich gehalten" (S. 51). Solange dies geschieht, bleibt uns auch unsere eigene Identität verborgen.

 

Der Weg und die Notwendigkeit zur Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens ist also gewiesen. Die Aufgabe liegt nun darin, zu verwirklichen, was Sri Aurobindo vorschlägt: "Das einzige Mittel, das unserer Mentalität verbleibt, ist eine Ausweitung jener Form der Erkenntnis durch Identität, die uns das Innewerden unseres eigenen Seins ermöglicht" (S. 82). Theologisch-philosophisches Erkennen auf dieser anspruchsvollen Stufe setzt also jenen Zustand eines gemeinsamen Daseins im Selbst voraus, "da der Erkennende und das Erkannte durch das Erkennen eins werden" (S. 83). Hier kommt Aurobindo dem paulinischen Gedanken nahe: "Jetzt ist mein Erkennen nur Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie auch ich ganz erkannt worden bin" (1 Kor 13,12). Erst durch das göttliche Erkanntwerden wird mir die Selbsterkenntnis ermöglicht und Identität erschlossen. Ähnlich konnte es der tibetische Meditationslehrer Lama A.Govinda formulieren: Dass "durch Überwinden der Vor- und Gegenüberstellung durch die Ineinssetzung des Schauenden mit dem Geschauten im Erlebnis der Schauung" ein Verwandlungsprozess des Schauenden sich vollzieht".

 

In ähnlicher Weise beschreibt der russische Philosoph Iwan Iljin (28.3.1883-21.12.1954) in seiner sehr ungewöhnlichen Hegel-Interpretation "Die Philosophie Hegels als kontemplative Gotteslehre"56) den hegelschen Erkenntnisprozess als einen spekulativen Denkakt, der sich nicht nur als Denken, sondern als Schauen versteht. Wo in der Subjekt-Objekt-Spaltung noch ein Zwiespalt bzw. ein Riss das Erkennen stört, wo beim Verstandes-Denken noch Denken und Gegenstand einander gegenüberstehen und eine Zweiheit statt der von Hegel angestrebten Einheit bilden, kommt es nach Iljin bei Hegel in einer unmittelbaren Einheit zu einer "Zusammenkunft" des Bewusstseins mit dem Gegenstand; das ist aber eine "Zusammenkunft", bei der die zusammentretenden Elemente eine neue Einheit bilden, ein neues, aus Denken und Begriff zusammengesetztes Gebilde – eine Identität von Subjekt und Objekt. Ist beim formalen Denken stets noch eine Entzweiung vorhanden und das Denken vom Gegenstand vollständig getrennt, sind Subjekt und Objekt, Denkakt und gedachter Inhalt auseinander, werden Denken und Begriff nie identisch und wird das Subjekt nicht vom Objekt absorbiert, so sieht I.Iljin bei Hegels neuem Erkenntnisvollzug im spekulativen Denken, dass sich das anschauende Denken vollständig vom Sinnlichen und Empirisch-Konkreten gelöst hat, um sich nun von den Begriffen, die lebendige Wesenheiten sind, durchdringen zu lassen. Diese Identität ist es nun, welche nach Hegel das Prinzip und das Wesen jeder wahren philosophischen Spekulation ausmacht [...]. "Denn die Identität von Subjekt und Objekt bedeutet bei Hegel einerseits, die Fusion, die Verschmelzung des einzelnen, menschlichen Bewusstseins mit dem von ihm gedachten Inhalte; – andererseits –, einen neuen metaphysischen modus essendi, nämlich die denkende Selbstbestimmung des absoluten Geistes" (a.a.O., S. 53). Fragen wir danach, wo Iljin die kontemplative Tendenz in Hegels Schau-Denken sieht, so genügen einige seiner Zitate: "Das Bewusstsein übergibt sich dem Gegenstand, es gibt sich hin, es verbleibt in ihm; es vertieft sich in ihn dermaßen, dass der Gegenstand dadurch sein eigen wird; noch mehr, das Bewusstsein ‚vergisst sich in der Sache’ und verliert sich in diesem ‚unbewussten’ Hinein-Denken in das Wesen des Begriffes. Die Seele muss gleichsam den Atem zurückhalten und dem Gegenstand die Macht über sich und in sich übergeben, dass er sie beherrsche und bewege, und zwar nach seinen, ihm eigenen Gesetzen; sie darf nichts von ihrer menschlichen Existenz hineintragen, sie darf den Gegenstand in seiner Selbständigkeit nicht stören oder entstellen. Das Bewusstsein des Menschen muss sich also im Gegenstande auflösen und zwar bis zum Selbstvergessen. Noch mehr: dieses Selbstvergessen muss so vollständig werden, dass der Mensch auch gänzlich vergisst, dass er aus methodologischen Zweckmässigkeits-Erwägungen, – um der Erkenntnis willen –, ein Selbstvergessen überhaupt vorgenommen hat. Damit wird das menschliche Bewusstsein in einem gewissen Sinne erledigt und unschädlich gemacht"57). Aus dieser Sicht der Kontemplation des Bewusstseins, das dem "zeitlosen" Gegenstand, der sich enthüllen will, gleichzeitig werden soll, ist erst zu begreifen, warum Hegel sich so sehr gegen Empirie des Endlichen wehrt. Dazu noch einige von Iljin zitierte Beispiele: Die spekulative Philosophie setzt "die Vernichtung eines menschlichen Bewusstseins selbst" voraus. "Die subjektive Endlichkeit, das sinnliche und reflektiertdenkende Ich, mein Alles", "mein endliches Alles" geht zu Grunde. Es müssen "alle Mücken der Subjektivität verbrennen in diesem verzehrenden Feuer", "und selbst das Bewusstsein dieses Hingebens und Vernichtens" muss "vernichtet" sein; der menschliche Verstand darf keine "Mücke der Endlichkeit" "fest im Kopfe" behalten. Hegel, sowie auch Kant, hält die sinnliche Subjektivität für ein Hindernis und gewissermaßen für eine Entstellung: was "subjektiv" ist, ist eben damit nicht "absolut". Dieses Hindernis kann aber, nach Hegel, beseitigt werden und die Entstellung kann und soll vermieden werden; allerdings – nicht in der äußeren Erfahrung, aber in der inneren; und zwar nicht im Bereiche der "Gefühle", der "Anschauungen" und "Empfindungen", sondern in der Sphäre des Denkens58). Was den affektiv-emotionalen Bereich anbelangt, so führt Iljin zu Hegel aus: Das Gefühl ist immer etwas Einzelnes, einen einzelnen Moment dauerndes und einem einzelnen empirischen Subjekte gehörendes; und wer "sich auf das Gefühl, auf unmittelbares Wissen, auf seine Vorstellung, oder seine Gedanken beruft, schließt sich in seine Partikularität ein, bricht die Gemeinschaftlichkeit mit anderen ab und betritt den Weg der subjektiven Willkür. Das war immer der Weg, auf die die schlechte, die falsche Religiosität ins Leben trat [...]. Denn eine von der Kraft der Vernunft ‚nicht gereinigte unmittelbare Empfindung’ kann nichts Heiliges abgeben [...], eine Religion aber, die ihren letzten Grund im Gefühl hat, artet in ein subjektives romantisches ‚Sehnen’ aus, oder, noch schlimmer, in ein deprimierendes und unwürdiges Gefühl von Abhängigkeit von einer höheren Macht. Ein ‚ungebändigtes’, ungeläutertes, undurchleuchtetes Leben der subjektiven Stimmungen und Empfindungen kann zu keiner wahren Religion führen; man kann eine Religion nur deswegen nicht für wahr erklären, weil sie im Gefühl und im Herzen erlebt wurde, oder weil ihr Inhalt von einem subjektiven Glauben getragen wird oder auf einem ‚unmittelbaren Wissen’ beruht. Alle Religionen, die falschesten, unwürdigsten, sind gleichfalls im Gefühle und Herzen, wie die wahre"59). Welches Fazit wird von Iljin mit Blick auf Hegels Beurteilung gezogen? "Dieser ganze Weg [der gedankenlosen Intuition oder des Gefühls] ist ein Weg der Phantasterei, der blinden Entzückung, der gegenstandslosen Ekstase, der dumpfen Gärung, der plötzlichen Eingebungen, der ‚leeren Tiefe’ und ‚gehaltlosen Intensität’; er führt zur ‚Oberflächlichkeit’, zum ‚Aberglauben’ und zur geistigen Leere" (S. 62).

 

Weil das sich im endlichen Geist des Menschen artikulierende Absolute Gehör verschaffen will, um damit die Endlichkeit des Menschen dialektisch auf die Ebene des Unendlichen zu heben, sah er alle Erkenntnisse des Anthropologismus und Psychologismus, da sie der Empirie entstammten, ebenso als etwas Endliches und Subjektives an. "Demzufolge fordert die Erkenntnis des Absoluten, des metaphysischen Wesens – eine völlige Beziehungslosigkeit zum menschlichen und Subjektiven" (S. 55f.) Vom deskriptiven Standpunkt aus formuliert Iljin entsprechend: "Das menschliche Subjekt als solches, dieses Prinzip jeglicher Endlichkeit, Eigentümlichkeit, Besonderheit, Abhängigkeit, Einzelheit, Partikularität, Zufälligkeit und jeglicher Eigensucht, – besteht nicht mehr; es ist von dem Objekte absorbiert [...]; das Subjekt lauscht gleichsam der Stimme des Gegenstandes, der Ideenmusik; oder es sieht dem Objekt zu, es ‚betrachtet’ sein Wesen" (S. 56). Dennoch geht das Subjekt im Objekt nicht unter, sondern mit Hegel versteht Iljin diesen spekulativen Denkakt als einen Moment oder Zeitraum, "wo es für diese Zeit in einen überzeitlichen Zustand eintritt und sich an einer außerzeitlichen Ordnung beteiligt. Dieser Eintritt in den Zustand des Aufgelöstseins ins Objekt macht wieder dem gewöhnlichen Dualismus, der Entzweiung von Subjekt und Objekt, Platz. Aber philosophieren kann das Bewusstsein nur im Zustand des Aufgelöstseins; nur das spekulative Selbstvergessen in dem gedachten Gegenstande führt zur philosophischen Erkenntnis [...]. In dieser spekulativen Identität mit dem Objekt geht das Bewusstsein auch nicht spurlos zugrunde. Es befreit sich zwar von der menschlichen Subjektivität, von der individuellen Eigenart, von der persönlichen Beschränktheit und von der sinnlich-empirischen Bestimmung; und dennoch bleibt es – Bewusstsein. Es wird aber zur Objektivität erhoben; es wird zum objektiven Bewusstsein. Es lebt in dem Objekte, frei von jeder Partikularität, und schafft ‚nur das Allgemeine’, indem es mit allen anderen Individuen ‚identisch’ ist"60). Sehen wir das spekulative Denken in positiver Sicht, so ergibt sich, dass gegenüber dem endlichen Reich der Zufälligkeit, schlechten empirischen Notwendigkeit und Unfreiheit die zu erreichende zweite Sphäre ihrem Wesen nach übersinnlich und überempirisch ist und erst das Denken, das den Menschen vom Tier unterscheidet und den göttlichen Ursprung des Menschen bezeichnet, die Seele zum Geist macht.

 

 

Fortsetzung