Berdjajews Briefe an Lieb 4
Letter
9
Clamart,
12. Januar [1929]
Lieber
Fedor Iwanowitsch!
Ihren
Artikel [Protestantismus u. Orthodoxie für "Ost und West"] habe ich
Ihnen schon zurückgeschickt und beeile mich, Ihre beiden Briefe zu beantworten.
Im Ganzen bin ich mit Ihrem mir zugesandten Prospekt und mit dem Programm der
Zeitschrift "Ost und West" völlig einverstanden. Es ist nur eine
Stelle darin, die mir bedenklich scheint, und zwar die folgende:
"Evangelisches Christentum und Orthodoxie haben einander Entscheidendes zu
sagen, vor allem, weil (nach der Auffassung der Herausgeber) reine Verkündigung
des Evangeliums und die Bekenntnisse der altchristlichen Kirche
zusammengehören. Die Beteiligung [von] Katholiken soll dieses ökumenische
Gespräch grundsätzlich miteinschliessen". Das komplizierte Verhältnis der
Orthodoxie zum Protestantismus und Katholizismus ist hier nicht genug exakt und
nicht ganz richtig ausgedrückt. Die Frage der Vereinigung der Orthodoxie mit
dem Protestantismus vorwiegend wird hier antizipiert, der Katholizismus wird
nur beiläufig und ungern erwähnt. Uns Orthodoxen fällt die Arbeit mit
Protestanten leichter, als mit Katholiken, weil wir die christliche Freiheit
schätzen und durch Autoritätsprinzip nicht gebunden sind. Dogmatisch und
sakramentell sind wir jedoch den Katholiken näher. Ich möchte jene Worte im
Programm als den protestantischen Standpunkt betont und mit dem orthodoxen
Standpunkt nicht identifiziert sehen. Ich bin sehr froh in einem rein
protestantischen Unternehmen teilnehmen zu können, das auf eine Einigung des
östlichen und des westlichen Christentums zielt; aber ich trage die
Verantwortung für das komplizierte orthodoxe Verhältnis zu beiden anderen
Konfessionen. Ich bitte Sie dringend, dies stets zu berücksichtigen und deshalb
die Eigentümlichkeit der russisch-orthodoxen Einstellung zu betonen. Wenn auch
Katholiken mitarbeiten würden, wäre die Aufgabe erleichtert. Gegen die Liste
der Mitarbeiter habe ich gar keine Einwände. Es ist zweifelhaft, dass Karl
Barth seine Zusage gibt. Ich kenne nicht die Orientalisten und kann nicht darin
helfen. Ich bin damit einverstanden, die Verantwortung für den
russisch-orthodoxen Teil der Zeitschrift mit Ihnen zu teilen. Die prinzipiellen
Artikel werde ich alle lesen, aber es ist unnötig mir alles, was die
Ereignischronik in Russland betrifft, zu übersenden. Hier ist nur wichtig
festzustellen, dass die Zeitschrift keinerlei Sympathie für die Sekten und für
die "lebendige Kirche" ausdrückt und dass sie die Patriarchats-Kirche
unterstützen wird. Solches ist natürlich die Voraussetzung für die
Mitarbeiterschaft der Russen.
Ihr
Artikel eignet sich sehr gut für die 1. N[ummer] der Zeitschrift. Er ist voll
warmer Sympathie für die Orthodoxie und für die russische Kirche. Sie haben die
Distanz zum liberalen Protestantismus, der an dem mangelhaften Verständnis der
Russen für das religiöse Pathos des Protestantismus schuldig ist, sehr gut zu
wahren gewusst. Nur der Satz, die russische Kirche sei nicht Kirche für das
Volk gewesen, machte mich stutzig. Das stimmt nicht. An Ihrer Stelle würde ich
nicht zweimal vom Papst reden, es liegt nicht im Styl des Artikels. Ich würde
mich freuen, Ihren Artikel im "Put" zu bringen, aber der
"Put" bringt prinzipiell keine Übersetzungen und nur jene fremdsprachlichen
Arbeiten, die speziell für ihn geschrieben werden. In seiner Art würde sich
Ihre Artikel gut für den "Put" eignen, aber wie soll das sein, da er
ja in einer andern Zeitschrift erscheint? Welchen letzten Artikel von mir im
"Put" möchten Sie für "Ost und West" benutzen? Mein letzter
war: "Illusionen und Realitäten in der Psychologie der
Emigrantenjugend". Halten Sie ihn für die 1. N[ummer] für geeignet? Man
könnte ja auch etwas von den älteren Artikeln dazu nehmen.
In
letzter Zeit las ich die Bücher Brunner's, K.Barth's und Kierkegaard's, unter
deren starkem Eindruck ich noch stehe. Dies ist eine ernste und tiefe Strömung.
Ich möchte sogar so etwas wie einen offenen Brief in deutscher Sprache an
Brunner schreiben. Sein Buch ist von großer Schärfe und Spannkraft, sein
Christentum ist keine Professorenreligion. Doch in mancher Beziehung habe ich
starke Einwände gegen diese Richtung, sie erniedrigt den Menschen und verneint
ihn, es ist wenig Liebe darin. Ich empfinde stark die […] Religion der Furcht,
der Angst. Ich sehe kein Verständnis für die Mysterien des Gottmenschen und
Gottmenschentums. Über K.Barth's Buch wird im "Put" eine Rezension
erscheinen. Was L.Schestow betrifft, so ist seine Verwandtschaft mit jener
Richtung nur halb und rein negativ. Lange Unterredungen mit Schestow
überzeugten mich darüber, daß der Glaube an Christus ihm ganz fremd ist, er
wehrt sich dagegen, und erkennt die Menschwerdung Gottes nicht an. Es wundert
mich, was Sie vom Eingang des "Put" schrieben. Einstweilen ist keine
Rede davon. Jedenfalls ist seine Existenz für 1929 sehr gesichert. Was meine
materielle Lage betrifft, so bleibt sie einstweilen unverändert. In letzter
Zeit hatte ich grosse materielle Schwierigkeiten, die mit Umzug und meine Reise
nach Vichy verbunden waren, und da das Geld für mein französisch übersetztes
Buch mir noch nicht ausgezahlt wird. Ihre Sorge um mich und darüber, dass meine
Bemühungen an der Zeitschrift honoriert würden, rührt mich sehr. Den Umtausch
des "Put" mit "Zwischen den Zeiten" werde ich in Frage
stellen, oder der Verlag geizt mit den Exemplaren und gibt derer nur wenige
frei, weil zu wenig bezahlte Exemplare verkauft werden.
Ich
würde mich freuen Sie noch einmal in Basel zu besuchen, obwohl dies materiell
schwer ausführbar ist, und ich werde mich freuen Sie bei mir in Paris-Clamart
zu begrüssen! Ihre Bücher werde ich bald zurück erstatten und bin Ihnen für
dieselben sehr dankbar.
In herzlicher Freundschaft
N.Berdjajew
Clamart, 12 th of January
[1929] (35)
Dear Fjodor Iwanowitsch!
Your article I have already
sent back to you and I hasten to reply to both of your letters. (36) I
completely agree to the advertising literature and to the programming of the
journal "East and West" [Orient and Occident] that you sent to me.
There is only one passage that seems doubtful to me, and that is the following:
"Protestant Christianity and Orthodoxy have to say one another something
decisive, above all because [according to the interpretation of the editors]
(37) the pure preaching of the gospel and the confessions (of faith) of the old
Christian church belong together. This ecumenical discussion might however be
comprising to the cooperation of Catholics on principle". The complicated
relationship between Orthodoxy, Protestantism and Catholicism is not accurately
enough and not quite correctly expressed.
The question of the
unification of Orthodoxy with Protestantism is anticipated here predominantly,
(38) and Catholicism is mentioned only occasionally and unwillingly. To
Orthodox people like us, the (co)operation with Protestants is easier than with
Catholics because we think highly of Christian freedom and are not bound by
principle of authority. But dogmatically and sacramentally we are nearer to
Catholics. I would like to accentuate these passages in the programme as being
of the Protestant point of view and I would not like to identify it with the
Orthodox point of view. I am very glad of taking part in a purely Protestant
project that aims at the unification of Eastern and the Western Christianity; but
I have to be responsible as to the complicated Orthodox relations with the two
other confessions. I urgently ask you to bear in mind this always and therefore
to accentuate the peculiarity of the Russian-Orthodox views. If Catholics were
to cooperate, the task would be easier. I do not have any objections against
the specification of the collaborators. It is doubtful, that Karl Barth will
agree. I do not know the Orientalists and I am not able to gain support
therein. I do agree to share the responsibility of the Russian-Orthodox part of
the journal with you. All the fundamental articles I will indeed read, but it
is unnecessary to send me everything that there is concerning the chronicle of
events in Russia. Here it is however important to state, that the journal does
not sympathize with sectarianism nor with the "Living Church" (39)
and that it will support the Patriarchical Church. Naturally this is the
precondition for the staff of the Russians. Your article is very suitable for
the first issue of the journal. It is full of kind sympathy towards the
Orthodoxy and towards the Russian Church. And you have taken a very good view,
detached from the liberal Protestantism that is guilty of a deficient
comprehension of the Russians as regards the religious pathos of Protestantism.
I was surprised only by the remark, that the Russian Church had not been a
church for the people. That isn't correct. In your place I wouldn't speak twice
of the Pope, it is not in the style of the article. I would be glad to publish your
article in "Put", but "Put" on principle does not publish
translations, only those foreign-language articles, that are written especially
for it. In this way your article would be well suited for "Put", but
how could it be because it will be published in another journal? Which of my
latest articles in "Put" would you like to use for "East and
West" ["Orient and Occident"]? My last one has been
"Illusionen und Realitäten in der Psychologie der Emigrantenjugend".
(40) Do you think it suitable for the first n[umber]? It would be possible to
add one of the older articles.
Last time, I read the books
written by [Emil] Brunner), (41) K.Barth and Kierkegaard, which have deeply
impressed me, even now. This is a serious and deep movement. I even would like
to write something like an open letter in German to Brunner. His book is of
great strictness and energy, his Christianity is not a professor's religion.
But in some respect I have strong objections against this direction, it
degrades the human being and denies him, there is little love in it. I strongly
feel in it the […] religion of fear, of anxiety. I miss any understanding of
the mysteries of God-Man and Godmanhood. (42) A review on K.Barth's book will
be published in "Put". According to L.Schestow (43) his relationship
to this direction is only half so and only negative. Long discussions with
Schestow have convinced me, that the belief in Christ is completely strange to
him, he defends himself against it and does not acknowledge the incarnation of
God. But I am astonished on your remark of the end of "Put".
Meanwhile there is nothing of that kind. In any case its [of "Put"]
existence in 1929 is very sure. As far as I am concerned my financial situation
stays unchanged meanwhile. Last time I had a lot of pecuniary difficulties
connected with moves and a journey to Vichy, (44) because of the money for my
book, translated into French, has not yet been paid. (45) Your care for me and
the payment for my efforts for the journal has moved me very deeply. I shall remain
doubtful the exchange of "Put" with "Zwischen den Zeiten"
["Between times"], for the publishing house is sparing of the copies
and releases only a few of them, because there are sold too few paid copies.
I would be glad to visit you
once more at Basel, although it is hard to do financially, and I shall be glad
to wellcome you in Paris - Clamart! Your books I shall give back soon and thank
you very much for them.
Sincerely
yours N.Berdjajew.
Notes: Letter 9
(35) The letter is written
without (year)-date. A strange handwriting – not by Berdjajew himself – has
completed "(1929)". We can assume that the year - date is correct. At
the top of the letter we find the remark: "Weiter an Paul Schütz und
zurück an Lieb" [Forward to Paul Schütz and back to Lieb"].
(36) Berdjajew here relates to
the article of F.Lieb "Protestantismus und Orthodoxie für 'Ost und West'
[Orient and Occident]" no. 1, Leipzig 1929, pp 1 - 11. This note
"Protestantismus u. Orthodoxie f. 'Ost u. West'" in the letter is
probably interpolated by Lieb. It's the same handwriting as in the first
remark.
(37) In brackets:
interpolation of F.Lieb.
(38) Remark of F.Lieb at the
bottom of the letter: "That is unclear, that's out of the question".
(39) Remark of F.Lieb on the
bottom of the letter: "Vgl. ursprüngliches Programm" [Cf. original
programm].
(40) In "Put'" 1928,
no.14, pp. 3-30.
(41) We can assume that
Berdjajew here refers to the book of Emil Brunner "Der Mittler" [The
Mediator] (1927).
(42) Cf to this subject the
German translation by K. and G.Bambauer (Edit.), "Wahrheit und
Offenbarung" [Truth and Revelation], Waltrop/Germany 1998, pp. 94-109.
(43) Lev Schestow, Russian
philosopher (1866-1938), had left Russia in 1920 and then lived in Geneva and
Paris. In Germany, Schestow had been a member of the Kant and Nietzsche Society
and he was familiar with Edmund Husserl (1859-1938), whom he met 1928 at
Amsterdam and also with Martin Buber (1878-1965).
(44) According to Lowrie,
Rebellious Prophet, Berdjajew several times had been in Vichy to undergo a
course of treatment: 1929, 1930 and 1933. But we also learn of his many
financial difficulties. Cf. his of 1926 remarks: "I am delighted to return
home, but a series of definite questions clouds my pleasure: about our
apartment, about our finances. I do not feel any stability in our life, no firm
base. […] And this is very hard, especially for a philosopher, helpless in
life" (Lowrie, p. 183). In 1933 he wrote to Lydia [his wife]: "My joy
at returning home is poisoned by the thought that unpleasant business will
begin at once. The dollar continues to fall. We shall have to cut a lot of our
activities. This constant worry and struggle is wearying. I do not think I will
have to work any more, but only more efficiently" (Lowrie, p. 183).
(45) Probably Berdjajew refers
to his book "L'esprit de Dostoievski"; Paris 1929 [In English
published under title, "Dostoevsky", 1934]. Cf. to this subject, too:
Olivier Clement, Berdiaev. Un philosophe russe en France, Paris 1991.
Letter 10
Clamart (Seine) 14, rue de St.
Cloud
27. Februar [1929]
Lieber
Fedor Iwanowitsch!
Ich
habe schreckliche Schwierigkeiten gehabt Ihren Brief zu verstehen. Ich habe zu
Ihnen eine grosse Bitte: Schreiben Sie mir Ihre Briefe auf eine[r] Maschine.
Mein Freund, welcher alle meine Briefe zu Ihnen übersetzt, ist nach Deutschland
weggefahren. Es wird jetzt viel schwieriger Ihnen zu schreiben. Ihre[n] Artikel
über Orthodoxie und Protestantismus nehme ich sehr gerne für aprilicher Buch
von "Put". Schicken Sie mir die russische Übersetzung nicht später
als den ersten April. Von meinen Artikeln aus "Put" man könnte für
"Orient und Occident" eine von diesen drei nehmen: 1) "Die
kirchliche Unruhe und die Freiheit des Gewissens" N[ummer] 5, 2)
"Religionswissenschaft und christliche Apologetik", N[ummer] 6, oder
3) "Aus Gedanken zur Theodizee" N[ummer] 7. Wen[n] Sie wollen, kann
ich für den ersten Nummer ein[en] speziellen Artikel schreiben über Orthodoxie
und Protestantismus von K.Barth, Brunner etc. Was meinen Sie davon? Ich bin
ganz einverstanden mit Ihre[r] neue[n] Einsetzung über die Beziehungen zwischen
Orthodoxie und Protestantismus. Ihren Brief, in welchem Sie über den russischen
Honorar schreiben, habe ich bekommen und danke Ihnen sehr. 80 Mark für S.Frank
habe ich ihm gleich geschickt. G.G.Kullmann ist schon in Dresden, aber ich
kenne noch nicht seine Adresse. Ich kenne auch nicht die Adresse von
rumänischem "Logos". Der Buch von Artemev [...] ist nicht sehr
interessant. Ich freue mich Ihnen bald in Paris zu sehen. Am Ende April fahre ich
für eine Woche nach Ungarn um Vorträge zu halten.
Mit
freundlichem Gruss
N.Berdjajew
Ihre Bücher schicke ich mit grossem Dank Ihnen zurück.
Clamart (Seine) 14, rue de St.
Cloud
27 th of February [1929]
Dear Fjodor Iwanowitsch!
I have suffered great difficulties
in understanding your letter. I make a request to you: Please write your
letters on a type-writer. My friend, who was translating all my letters, left
for Germany. Now writing to you will become more difficult. Your article on
"Orthodoxy and Protestantism" I accept with pleasure for
"Put" in April. (46) Don't send to me the Russian translation later
than to the 1st of April. From my articles of "Put" you could take
for "Orient and Occident" one of these three ones:
1) "Die kirchliche Unruhe und die Freiheit des Gewissens" (no. 5),
(47)
2) "Religionswissenschaft und christliche Apologetik"(no. 6), (48) or
3) "Aus Gedanken zur Theodizee" (no. 7). (49)
If you wish, I can write for the first issue a specific article on Orthodoxy
and Protestantism of K.Barth, Brunner and so on. (50) What are your thoughts on
this? I am in complete agreement on your new judgement [Berdjajew writes
unclear: Einsetzung instead of Einschätzung] on the connections between
Orthodoxy and Protestantism. I received your letter, wherein you write on the
Russian payment and thank you very much. The 80 marks in favour of S.Frank I
remitted to him immediately. G.G.Kullmann is now already staying at Dresden,
but his adress still isn't known to me. Nor do I know the address of Roumanian
"Logos". The book of Artemew [Russian title] is not very interesting.
I would be happy to see you in Paris soon. At the end of April I shall go to
Hungary for a week to give lectures.
Yours sincerely
N.Berdjajew
Your books I send back full of gratitude.
Notes: Letter 10
(46) Because this article had
been published in the first issue of "Orient and Occident", which was
announced in 1929, we can assume, that Berdjajew had written this letter at
27th of February 1929.
(47) "Put'" no. 5
(1926), pp 42-54.
(48) "Put'" no. 6
(1927), pp 50-68.
(49) "Put'" no. 7
(1927), pp 50-62.
(50) Cf. N.Berdjajew: The
crisis of Protestantism and the Russian Orthodoxy - a discussion with the
dialectical theology, in: "Orient and Occident" no. 1 (1929), pp
11-25.