Gedanken zur
christlichen Spiritualität aus östlicher und westlicher Sicht
(Berdjaev/Bambauer) 5
Fassen wir zusammen, was der japanische Philosoph
S.Hisamatsu (1889-1980), ab 1928/1935 tätig an verschiedenen japanischen
Universitäten und an Harvard/USA, in seiner kleinen, aber äußerst
inhaltsreichen Studie "Die Fülle des Nichts"40) dargelegt hat: Er versteht
unter dem "Nichts" das Selbst-Erwachen der Wahrheit "in
mir", "in dem mein religiöses Leben und mein philosophisches Denken
verwurzelt ist" (S. 9). Da sich dieses "Nichts" jeder
begrifflichen Klärung zu widersetzen scheint, hat Hisamatsu mit größter
Präzision versucht, "Aussagen" zu diesem "Nichts" zu
machen, ohne es unzulässig zu objektivieren, eine Gefahr, der man unversehens
erliegt, wenn man "über" Undefinierbares "bestimmende oder
begrenzende Aussagen" macht, wobei schon die Aussage des "Undefinierbaren"
eine unzulässige, weil objektivierende und damit unangemessene Formulierung
ist. Doch hier haben die menschliche Sprache oder ihre Aussageformen ihre
Grenzen, die nur noch vom Schweigen zu durchbrechen sind. Hisamatsu kommt zur
Feststellung, "dass es im Nichts des Zen selbst, oder anders ausgedrückt,
im Selbst-Erwachen der Wahrheit nichts gibt, was als seiend angesprochen werden
könnte" (S. 13). Wie dieses "Nichts" dem westlichen Leser besser
verständlich zu machen ist, verdeutlicht er an dem Gottes-Gedanken. Sind
"über" bestimmte und begrenzte Dinge Aussagen möglich, so heißt dies
in diesem Falle jedoch, "dass Gott nicht irgend etwas anderes
[Bestimmbares] ist – und das bedeutet nicht nur, Gott ist nicht irgend etwas
anderes als Gott, Gott ist Gott, sondern auch: Gott schließt jede Aussage über
sich aus", oder: "Der Begriff Gott schließt jede Definition
aus". Folgerichtig kann im Christentum gesagt werden: Gott ist nicht
irgend etwas neben anderem. Hisamatsu stellt fest: "Genauso wie das Sein
als Idee weder ein Vorhandensein noch eine Aussage über das Vorhandensein
bedeutet, sondern eben das Sein an sich ist", so ist das Nichts des
Zen-Buddhismus als Idee weder ein "Nichts" im Sinne des Nicht-Daseins
noch das Nichts als Negation der Aussage. Die Weisen der Zen-Tradition betonen
immer wieder: "Der gewöhnliche Mensch klammert sich an das Objekt, der
Suchende zieht das Herz vor. Wer beides, Herz und Objekt, vergessen hat, dem
erst offenbart sich die absolute Wahrheit" (S. 19). Hisamatsu verneint es
auch, dieses Nichts des Zen im Zustand der Unbewusstheit, des Schlafes, der
Ohnmacht oder des Todes erfahren zu können, da ja in diesen Zuständen alles wie
ausgelöscht ist. Wenn unser Bewusstsein ausgesetzt hat, wäre das Nichts uns
[bzw. sich seiner selbst in uns] dann nicht mehr bewusst. Demgegenüber ist das
Nichts des Zen, das im Falle der absoluten Unbewusstheit nicht wahrgenommen
werden kann, "ein Zustand völliger Klarheit, der uns mit intensivster
Deutlichkeit bewusst wird. Obwohl dieser Zustand mit äußerster Deutlichkeit von
uns erkannt wird, ist uns dabei das Nichts als Objekt nicht bewusst, sondern
der Erkennende und das Erkannte sind sich als Eins bewusst. Das heißt, das
zen-buddhistische Nichts erkennt sich selbst als das Nichts, in dem Subjekt und
Objekt untrennbar vereint sind. In diesem Sinne kann man sagen, das Nichts des
Zen erkennt sich selbst, indem der Mensch sich seiner selbst bewusst wird. Von
einem Nichts in einem Zustand der Unbewusstheit kann also hier keine Rede
sein"41). Es ist der Zustand der "Nicht-Reflexion" oder
"Der große Tod", der "frei von jeglicher Trübung wie ein
unbefleckter Spiegel" ist: "In keinem Zustand ist man so wach und so
bewusst wie im Zustand des "Nicht-Herzens" oder der "Nicht-Reflexion".
Kein Augenblick ist so voll Leben wie der, da man in den "Großen Tod"
eintritt (S. 20). Diese "Nicht-Reflexion" bedeutet keineswegs
Geistesabwesenheit, sondern es ist das "Große Erwachen", "bei
dem nicht der geringste Schatten einer Unbewusstheit zurückbleibt" (S.
21). Voraussetzung dieser völligen, von Hisamatsu beschriebenen Geistesklarheit
ist, dass in der Versenkung das "Subjekt" (der Mensch) und das
"Objekt" (das "Nichts") untrennbar vereint sind, so dass
der Erfahrende nicht mehr zwischen sich und diesem "Nichts"
unterscheiden kann, sonst würde er es unzulässig objektivieren. Wo die
Erfahrung des "Nichts" gemacht wird, dort wird die
Subjekt-Objekt-Spaltung aufgehoben. Von wesentlichster Bedeutung erscheint in
diesem Zusammenhang gerade auch für den westlich geprägten, fast ausschließlich
diskursiv wirkenden Menschen: "Haftet man derart [indem man sich an Namen
oder Worten festhält] an begrifflichen Ausdrücken und erforscht immer nur den
Buchstaben, so wird man das Nichts des Zen auch in drei Weltaltern nicht
begreifen. Es ist nur durch die eigene unmittelbare Erfahrung zu erfassen […].
Das Nichts des Zen [...] kann nicht anschaulich gemacht, noch in irgendeiner
Weise bestimmt werden. Deshalb ist es nur jenseits allen Begreifens und aller
Begriffe zu erfahren. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Erfahrung des
zen-buddhistischen Nichts sich jeglicher Aussage widersetzt und unmittelbar
sein eigenes Wissen vom wahren Wesen ist […]. Wenn es sich um Zen handelt, ist
eine begriffliche Formulierung völlig ausgeschlossen. Deshalb gilt der Satz,
dass sich die Wahrheit aus sich selbst erweise, eigentlich nur in einem
Bereiche wie dem des Zen. Erst wenn man dies erkannt hat, wird einem klar, wie
sehr das unmittelbare Wissen vom wahren Wesen sich von jedem begrifflichen
Denken unterscheidet. Man wird des wahren Wesens in unmittelbarer Schau nur
inne, wenn man aufhört, es mit Begriffen erfassen zu wollen"42).
Shizuteru Ueda schreibt: "Dieses Nichts besagt
also nicht, dass es überhaupt nichts gebe. Es soll vielmehr uns vom
substanzialisierenden, die Wahrheit verstellenden Denken befreien, das alles
vergegenständlichend denkt, es als Gegenstand festhaltend, an ihm haften
bleibend. Vom Buddhismus her gesehen liegt diesem substanzialisierenden Denken
die Selbstsubstanzialisierung des Menschen zugrunde, sein substanzielles
Sichselbstergreifen, das seine verborgene Wurzel in der Ich-Verhaftetheit hat.
Diesem begegnet der Buddhismus mit der völligen Auflösung der Substanzialität,
nicht jedoch um das Seiende zu eliminieren, sondern um den Menschen und die
Welt gemäß der über den Gegensätzen liegenden Wahrheit neu zu stiften. Dies ist
der Grund der Radikalität des Vollzugs der Negation des Buddhismus"43).
Diesen komplexen Gedanken der Selbstsubstanzialisierung des Menschen hat auch
K.Nishitani im Blick, wenn er diese nicht als Selbst-Identität, sondern als
paradoxe Selbst-Identität mit der Leere beschreibt und erläutert. "Es ist
sozusagen eine absolute un-substantielle Substantialität". Insofern bleibt
die Paradoxie stehen: Nur dort ist das "Was" eines Dinges, wo es
absolut kein "Was" gibt. Die Form ist identisch mit der absoluten
Formlosigkeit: "In jedem Menschen ist ein Feld absoluter Formlosigkeit
erschlossen". Wo nur eine Wirklichkeit ist, sind die scheinbar
polaren Dinge miteinander identisch. Deshalb gilt: "das Sein ist nur
insofern Sein als es eins ist mit der Leere" (Nishitani, S. 208). Nur das
trennende und Dualitäten setzende Mental schafft Polaritäten und
Gegensetzlichkeiten.
Die Wirklichkeit und die
Begriffsbildung
Thich Nhat Hanhs erlätert in seinem Werk
"Schlüssel zum Zen", dass der reine und einzigartige Geist, in dem es
keine Aufspaltung gibt, nie erschaffen und nie vernichtet worden ist, weder
Form noch Aussehen besitzt, weder über Sein noch Nichtsein verfügt und alle
intellektuellen Kategorien, Worte, Ausdrücke, Zeichen, Merkmale, Vergleiche und
Unterscheidungen überschreitet. Wenn man sich ihn vorstellen will, so verliert
man ihn, der unbegrenzt, grenzenlos und nicht zu messen ist in seiner Einheit
und in seinem Sosein. Der Autor führt aus: "In dem Augenblick, wo wir
suchen, ihn [den Geist] in Begriffe zu fassen, geht er verloren. Das bedeutet:
Um ihn wahrnehmen zu können, müssen wir einen anderen Weg als den des
begrifflichen Erfassens einschlagen […]. Der wahre Geist ist die strahlende Natur
des Seins, während der falsche Geist die Fähigkeit des Begriffebildens und
Unterscheidens ist [westlich gesprochen: dies ist – im Gegensatz zur Vernunft –
die trennende, dennoch notwendige Arbeit des Verstandes]. Wenn wir aber den
wahren Geist wahrnehmen, offenbart sich die lebendige Wirklichkeit in ihrer
ganzen Fülle. Das ist das erleuchtete Leben des Zen. Die aus Begriffen
gebildete Welt ist etwas anderes als die lebendige Wirklichkeit. Die Welt, in
der Geburt und Tod, Gut und Schlecht, Sein und Nichtsein gegenüberstehen,
existiert nur für diejenigen, die kein erwachtes Leben führen. Über das
Bewusstsein eines 'erwachten' Menschen haben die Wechselfälle des Lebens keine
Macht mehr, denn er ist bereits in die Welt des Wirklichen
eingetreten"44).
Fragen wir, wieso der Autor solch einen großen
Zwiespalt zwischen Wirklichkeit und Begriff setzt, gibt er zur Antwort, dass es
in der Wirklichkeit selbst, die eine ist, keine Unterscheidungen gibt.
"Aber in der Welt der Begriffe ist die 'Wirklichkeit' voller Unterscheidungen:
Hier wird aufgespalten in Subjekt/Objekt, Selbst/Nicht-Selbst usw. Das ist
nicht die echte Wirklichkeit" (a.a.O., S. 109). Insofern erkennt der
Verfasser die Wirklichkeit nur dann, "wenn sie nicht begrifflich
erfasst wird" (S. 110). Ähnlich wie K.Nishitani, so formuliert auch
Thich Nhat Hanh: "Wer sich auf den Weg einlassen will, muss in direkten
Kontakt mit der Wirklichkeit treten und darf es nicht zulassen, dass ihn
Begriffe von dieser Wirklichkeit trennen. Die Wirklichkeit lässt sich nicht vorstellen,
noch lässt sie sich mit Worten beschreiben. Die Wirklichkeit ist
Wirklichkeit; sie ist es nur als solche" (S. 110). Nishitani sagt dazu
ergänzend: "Gewöhnlich halten wir die Dinge in der 'Außenwelt' für real;
aber wenn wir das tun, ist es fraglich, ob wir an die Realität der Dinge
wahrhaft heranreichen. Tatsache ist, dass wir, selbst wenn wir die Dinge für
real erachten, gewöhnlich zu den Dingen selbst keinen wirklichen Kontakt haben
[…]. Normalerweise sehen wir die Dinge an, indem wir von uns selbst absehen;
das heißt, wir betrachten die Dinge sozusagen von der Festung des Selbst, man
könnte auch sagen, von der Höhle des Selbst aus"45). Sieht man die Dinge
vom eigenen Selbst her, so sieht man die Dinge als Objekte, "das ist, als
Dinge, die sich 'außerhalb' des 'inwendigen' Selbst befinden". In diesem
Falle wird zwischen dem Selbst und den Dingen unterschieden. "Dieses Feld
der Scheidung oder Gegenüberstellung von innen und außen, von Subjekt und
Objekt, wird 'Bewusstsein' genannt" (S. 50).
Thich Nhat Hanh ist der Auffassung, dass wir unserer
Neigung zum Dualismus dann entsagen, dass, wenn wir von etwas sprechen, wir
nicht das sprechende Subjekt vom Objekt, über das gesprochen wird,
unterscheiden, oder: "Wenn wir etwas sehen, unterscheiden wir nicht das
sehende Subjekt vom Objekt, das gesehen wird" (S. 113). Es kommt also
darauf an, dass wir fähig werden, diese genannten Unterscheidungen hinter uns
zu lassen oder "dass man sich einen Weg mitten durch alle Worte und
Begriffe hindurch bahnt, um bis zur Wirklichkeit zu gelangen" (S. 113).
Auf diesem Hintergrund zen-buddhistischer Überlegungen
dürfte es auch für christliches Gottes-Verständnis, das – wie etwa bei Hegel –
die Dualität von Gott und Mensch zu überwinden trachtet, mehr als einleuchtend
sein, dass auf Gott, die "Wirklichkeit im Ganzen", als das
"Sein", das alles "Seiende" trägt, ohne mit ihm, dem
Seienden identisch zu werden ("ontologische Differenz" Heideggers),
im oben angesprochenen Sinne nicht eingrenzende Begriffe, Vorstellungen
oder Bilder angewendet werden dürfen oder können, die dem "Einen"
gänzlich unangemessen sind, sofern wir "Gott" im philosophischen
Sinne apophatisch zu Sprache bringen wollen. K.Nishitani erklärt: Solange wir
uns nur mittels der Gedanken und Vorstellungen in Beziehung zu den
"Dingen" setzen, lassen wir nicht zu, dass sie sich in ihrer
wirklichen Realität, d.h. als die Wirklichkeit im Ganzen und nicht nur im
Schema unserer begrifflichen Beschränktheit, enthüllen und sich von sich selbst
her so zeigen, wie sie sind (so eine Formulierung Heideggers), "auch wenn
wir noch so viel von der Realität der Dinge reden". Halten wir also sowohl
für buddhistisches als auch für christliches Verständnis fest: "Auf der
Ebene des Bewusstseins ist es nicht möglich, mit den Dingen, wie sie wirklich sind,
in Berührung zu kommen, nämlich auf ihrem eigenen Grund und Boden, wo sie in
sich und durch sich selber sind, mit ihnen vertraut zu werden. Das Zentrum des
Bewusstseinsfeldes wird immer von unserem Selbst besetzt gehalten. Das ist für
dieses 'Feld' konstitutiv". Sowohl auf dem Feld, wo wir im Sinne
Nishitanis aufgrund unseres Bewusstseins von den Dingen getrennt sind als auch
in uns selbst "kommen wir nicht wirklich mit uns selbst in Berührung"
(Nishitani, S. 50). Dieses Verhältnis zum Inneren nennen wir das
"Selbstbewusstsein"; doch ist dieses "Selbst" "ein den
Dingen entfremdetes und in sich verkapseltes Selbst – ein Selbst, das sich
immer gegenständlich ist". Stellt sich dieses "Selbst"
des Selbstbewusstseins im obigen Sinne also als ein "Ding" vor,
"so ist es nicht wirklich bei sich zu Hause". Nishitani fasst
zusammen: "Die Dinge und unser Selbst, die Empfindungen und die Wünsche,
sie alle sind real, aber dass sie auf dem Feld des Bewusstseins in ihrer
eigentlichen Wirklichkeit [d.h. ungegenständlich] gegenwärtig sind, kann nicht
gesagt werden. Dort sind sie immer nur in Form von Vorstellungen gegenwärtig
und werden gewöhnlich dennoch für wirklich gehalten". Sind wir also stets
von unserem Bewusstsein bzw. Selbstbewusstsein her aufgrund unserer
Gewohnheiten genötigt, in Vorstellungen trennend und unterscheidend zu denken,
so kann innerhalb dieses Feldes "die Realität überhaupt nicht realiter
[d.h. wie sie wirklich ist] in Erscheinung treten. Sie zeigt sich nur
bruchstückhaft und in Gestalt eines verzerrten Selbstwiderspruchs"
(Nishitani, S. 51). Diese spätestens seit Descartes in der neuzeitlichen
Philosophie gestärkte Stellung eines "Ich" als eines "auf sich
selbst vertrauenden Subjektes" (res cogitans, dessen Wesen Bewusstsein
ist) sollte diesen skizzierten Dualismus zwischen res cogitans und res
extensa im Sinne eines Egozentrismus noch verstärken und das Ich als
diejenige Realität feststellen, "die sich in keiner Weise bezweifeln
lässt, da das Ich allen anderen Dingen gegenüber eine zentrale Stellung
einnimmt". Somit rissen aufgrund der starken Stellung des "Ich",
das sich stets egozentrisch vergewisserte (cogito ergo sum) die
Beziehungen der Dinge, "die keine lebendige innere Verbindung zum Ich
haben", ab und sie erschienen "als so leblos wie die kalte Welt des
Todes". Für das egozentrische Ich verwandelte sich die Welt in bloßen
"Stoff". "Jedes Ich wurde wie eine einsame Insel, die auf einem
Meer toter Materie trieb, und gezwungen war, in der Abgeschlossenheit ihrer selbst
zu verharren. Das Leben verschwand aus der Natur und den natürlichen Dingen und
hörte auf, das lebendige Band zu sein, das den Menschen und die Weltdinge im
Grunde zusammengehalten hatte" (Nishitani, S. 52). Wie die philosophische
Situation sich gestaltet, beschreibt K.-H.Volkmann-Schluck: "Wir sehen,
dass in der Neuzeit die Entgegensetzung von Unendlichem und Endlichem in der
Tat die Gestalt der Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivität
angenommen hat. Dieser Entgegensetzung entspricht denn auch die Ausbildung zweier
Grundarten von Wissenschaften: der Geisteswissenschaften und der
Naturwissenschaften" (Hegel, Würzburg 1998). Hegel lag daran, in seiner
Philosophie diese Entgegensetzung zu überwinden.
Philosophiegeschichtlich hatte dieser Prozess in der
Neuzeit lange vor Hegel folgende Gestalt: "Erst Descartes leitet eine
Entwicklung ein, in deren Verlauf das Subjekt eine erkenntnistheoretische
Bedeutung annimmt, die an die Stelle der alten ontologischen Bedeutung tritt.
Entscheidend ist dabei sein Versuch, die Gewissheit des denkenden Selbstbezugs
als einzig unbezweifelbare Gewissheit zu erweisen. Denn dadurch wird das
denkende Ich zur eigentlichen Grundlage aller Wissenschaft, zum letzten
Zugrundeliegenden wissenschaftlich überhaupt erfassbarer Wirklichkeit. Obwohl Descartes
vom Subjekt noch ausschließlich in der alten scholastischen Bedeutung spricht,
ist damit der Sache nach doch bereits bei ihm eine Identifikation von Subjekt
und denkendem Ich vollzogen, die für die Philosophie der Neuzeit insgesamt
prägend wurde. Ihr deutlichster Ausdruck ist der neue Gegensatz von Subjekt und
Objekt und das neue Problem, wie dieser Gegensatz durch das Subjekt im Erwerb
objektiver Erkenntnis überwunden werden kann" (Metzler Philosophielexikon,
Stuttgart 1996, S. 499).
Solange
im Menschen noch ein Bewusstsein ist, das das "Nichts" als
"Objekt" zum Inhalt hat, "bin ich noch nicht wirklich im Zustand
des Nichts", weil dann dieses Objektivieren in der überwundenen
Subjekt-Objekt-Spaltung ausgeschlossen ist. D.T.Suzuki: "Wenn es kein Subjekt
und kein Objekt gibt, sind wir – so würden manche Buddhisten sagen – im
gleichen Zustand, in dem wir waren, bevor wir in diese Welt hineingeboren
wurden. In diesem Fall sehen wir die Dinge, wie wir sie sahen, bevor wir in
diese Welt kamen. Doch um so zu sprechen, brauchen wir die Sprache"46).
Und hier stellt sich das von Suzuki mit Recht aufgeworfene philosophische
Problem, dass die Sprache selbst im Modus des Bezeichnens oder Bestimmens an
den Dualismus gefesselt ist. "Wenn ich also über das Transzendieren
dieser relativierenden Haltung spreche, was meine ich dann damit? Wir können es
nicht denken [dies würde uns schon ins Subjekt-Objekt-Schema stürzen]. Wir
können so etwas niemals in unser Bewusstsein hineinbringen. Das Bewusstsein
selbst ist ein Produkt der Zeit, und dieses Zeitprodukt zu zerstören und es
dennoch in der Zeit zu reproduzieren, also das Bewusstsein, das sich in der
Zeit befindet, zu zerstören, und doch jede Erfahrung zu machen, die dabei
möglich ist – das scheint ein Widerspruch zu sein […]. Dies ist so lange ein
Widerspruch, wie wir uns auf die Sprache stützen, aber wir haben gar keine
andere Möglichkeit, als uns auf die Sprache zu stützen. So befinden wir uns in
einem dauernden Dilemma. Doch irgendwie müssen wir damit leben. Wir wissen also
nun, dass unser wahres innerstes Selbst sich dort befindet, wo Subjekt und
Objekt niemals in Erscheinung treten. Es ist, als ob die Welt noch nicht ins
Sein getreten sei"47). Suchen wir nach einer angemessenen, die
Subjekt-Objekt-Spaltung überwindenden sprachlichen Aussageform, bietet Suzuki
die Lösung: "Meine Antwort darauf ist, dass, bevor die Welt ins Sein
getreten ist, dies der gegenwärtige Augenblick ist, dieser absolute Augenblick.
Metaphysisch ausgedrückt, ist solch ein Augenblick die Zeit, da wir die
Aufrichtigkeit wirklich erfahren, die Zeit, da wir das erfahren, was die
Christen als 'Selbstaufgabe' [Selbstverleugnung] bezeichnen. Selbstaufgabe ist
das Aufgeben der Relativität des Selbst und der Eintritt in das innerste
Selbst, das nicht Subjekt noch Objekt, nicht Aufrichtigkeit noch
Unaufrichtigkeit kennt" (Suzuki, a.a.O., S. 38). Wenn Suzuki von der
Überwindung des Dualismus spricht, so sieht er diese Überwindung in der
Stille verankert, die erreicht ist, wenn man das Selbst aufgegeben hat. Das
Bewusstsein der Dualität wird dann fremd, wenn dieses Selbst aufgegeben wurde,
wobei Suzuki damit nicht die Vermeidung der Dualität postuliert: "Die
Dualität kann man lassen, wie sie ist, und doch ihre zwei Identitäten
miteinander verbinden. So bleiben die zwei eben zwei, und doch gibt es ein
Stadium der Identität von beiden" (Suzuki, Amida, S. 54). Man fühlt sich
an Hegels Aussageform von "Identität von Identität und
Nicht-Identität" erinnert.