Gedanken zur christlichen Spiritualität aus östlicher und westlicher Sicht (Berdjaev/Bambauer) 2

 

 

So stellt es sich mit D.T.Suzuki dar, dass die Seele nicht mehr im Zwiespalt mit sich selbst ist: "indem wir die intellektuelle Freiheit gewinnen, gelangt unsere Seele in den Vollbesitz ihrer selbst. Geburt und Tod quälen uns nicht länger, denn es gibt nirgends in der Welt in Wirklichkeit eine solche Zweiheit, wir leben vielmehr gerade durch den Tod. Bis jetzt betrachten wir die Dinge vom Gesichtspunkt ihrer Gegensätzlichkeit und Unterscheidung aus und nahmen eine Haltung gegen sie ein, die diesem Standpunkt entspricht, also eine mehr oder weniger gegensätzliche"13).

Leben und Tod in der Einheit

Die Gegensätzlichkeit der Sichtweise prägt sich am deutlichsten in der westlichen dualistischen Verhältnisbestimmung von Leben und Tod aus. Sri Aurobindo hat dies so formuliert: "Dieser Vorgang [von Auflösung und Erneuerung im Lebensprozess] zeigt uns eigentlich, dass der natürliche Gegensatz, den wir zwischen Tod und Leben sehen, ein Irrtum unserer Mentalität, eine dieser falschen Gegenüberstellungen ist, falsch vor der inneren Wahrheit, wenn auch gültig an der Außenseite praktischer Erfahrung, die unser Mental, durch äußeren Schein getäuscht, ständig in die universale Einheit hineinträgt. Tod hat nur als ein Prozess von Leben Realität. Zersetzung und Erneuerung von Stoff, Bewahrung und Verwandlung von Form sind der dauernde Ablauf des Lebens. Tod ist bloß rasche Auflösung im Dienst der Notwendigkeit des Lebens zur Verwandlung und Veränderung formeller Erfahrung. Selbst beim Tod des Körpers gibt es kein Aufhören des Lebens; das Material der einen Form von Leben wird nur zerbrochen, um als Material für andere Lebensformen zu dienen. In ähnlicher Weise dürfen wir sicher sein, wenn es in der körperlichen Gestalt eine mentale oder psychische Energie gibt, dass auch diese im einheitlichen Gesetz der Natur nicht zerstört wird, sondern nur aus der einen Gestalt auszieht, um durch einen Vorgang von Metempsychose, durch eine neue Körper-Beseelung, andere Gestalten anzunehmen. Alles erneuert sich selbst, nichts geht zugrunde. Infolgedessen könnte man behaupten, es gibt nur ein einziges, alles durchdringendes Leben oder eine dynamische Kraft – wobei der materielle Aspekt nur deren äußerste Bewegung ist –, die alle diese Formen des physischen Universums erschafft, ein unvergängliches und ewiges Leben"14). Ein wenig später wird von Sri Aurobindo ergänzt: "Hierin besteht also die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Todes: Er ist nicht eine Infragestellung des Lebens, sondern ein Prozess des Lebens. Tod ist notwendig, weil ewiger Wechsel der Form die einzige Unsterblichkeit ist, nach der die endliche, lebende Substanz streben kann. Ewiger Wechsel der Erfahrung ist die einzige Unendlichkeit, die das endliche, im lebenden Körper involvierte Mental erlangen kann" (S. 222). Der von Hegel angesprochene dialektische Prozess von Endlichkeit und Unendlichkeit findet bei Aurobindo seine erstaunliche Parallele: "Denn man kann erst aufhören, individuell zu existieren, wenn man unendlich ist. Auch Begehren kann rechtmäßig nur dadurch aufhören, dass es zum Begehren des Unendlichen wird und seinen vollen Frieden in erhabener Erfüllung und unendlichem Genügen in der alles besitzenden Seligkeit des Unendlichen findet" (S. 223). Auch der von Hegel in den Blick genommene Austausch erhält bei Aurobindo seine spezifische Gestalt, wenn er vom Typus des gegenseitigen Schenkens und vom Opfer dieses Austauschs sagt: "Der Einzelne schenkt sich anderen Einzelnen und empfängt sie wieder im Austausch. Der Niedere gibt sich an den Höheren hin und der Höhere an den Niederen, sodass sie ineinander erfüllt werden können. Das Menschliche überantwortet sich dem Göttlichen und das Göttliche dem Menschlichen. Das All im Individuum ergibt sich dem All im Universum und empfängt als göttlichen Lohn seine verwirklichte Universalität. So muss das Gesetz des Hungers fortschreitend dem Gesetz der Liebe weichen, das Gesetz der Trennung dem Gesetz der Einheit, das Gesetz des Todes dem Gesetz der Unsterblichkeit" (S. 224).

Wir haben schon darauf hingewiesen, wie die dualistische Weltsicht das Verhältnis vom Leben zum Tode auseinander reißen und die eine Wirklichkeit spalten kann. Wir verdanken dies nach Aurobindo dem verfinsterten, gebundenenen, beschränkten, trennenden und geschöpflichen Wirken des Mentals – westlich gesprochen: des Verstandes – das durch seinen permanenten Trennungsmechanismus "die Unterwerfung unter Tod, Beschränkung, Schwäche, Leiden und unwissende Tätigkeit" verursacht. "Die ursprüngliche Quelle der Entstellung war [...] die Selbst-Beschränkung der individuellen Seele. Sie ist an die Unkenntnis ihres Selbsts gebunden, da sie sich infolge einer exklusiven Konzentration für eine besondere, selbst-seiende Individualität hält und jedes kosmische Wirken nur so betrachtet, wie und als was es sich ihrem individuellen Bewusstsein, Erkennen, Wollen, Genießen, ihrer Kraft und begrenzten Wesenheit darbietet, statt sich selbst als bewusste Form des Einen zu erkennen und alles Bewusstsein und Erkennen, alles Wollen, alle Kraft, alles Genießen und alles Wesen als eines mit ihrem eigenen zu umfassen. So wird das universale Leben in uns, das dieser Lenkung durch die im Mental gefangene Seele gehorcht, selbst in eine individuelle Aktion eingesperrt. Es existiert und handelt als gesondertes Leben, begrenzt und unzureichend begabt" (Aurobindo, a.a.O., S. 219). Aurobindo verdeutlicht, dass ein Leben ständig der Möglichkeit ausgesetzt ist, von außen aufgezehrt zu werden bzw. es muss in das rechte Gleichgewicht kommen, sich selbst zu verzehren "und der Fähigkeit oder Notwendigkeit, Nahrung für das Leben außerhalb zu liefern". Es muss m.a.W. stets "durch den Prozess des Todes hindurch, um neu erbaut oder erneuert zu werden". Darüber hinaus aber "gibt es das fundamentale Erfordernis der Natur und Ziel des verkörperten Lebens als solches: auf einer endlichen Grundlage unendliche Erfahrung zu suchen". Diese kann aber nur gesucht werden, "indem diese Gestaltungen aufgelöst und neue gesucht werden".

Kommen wir nun zu den Zentralaussagen: "Hierin besteht also die Notwendigkeit und Rechtfertigung des Todes: Es ist nicht eine Infragestellung des Lebens, sondern ein Prozess des Lebens. Tod ist notwendig, weil ewiger Wechsel der Form die einzige Unsterblichkeit ist, nach der die endliche, lebende Substanz streben kann. Ewiger Wechsel der Erfahrung ist die einzige Unendlichkeit, die das endliche, im lebenden Körper involvierte Mental erlangen kann" (Aurobindo, a.a.O., S. 222). So kann der Mensch erst aufhören, individuell zu existieren, wenn er unendlich geworden ist. "Auch Begehren kann rechtmäßig nur dadurch aufhören, dass es zum Begehren des Unendlichen wird und seinen vollen Frieden in erhabener Erfüllung und unendlichem Genügen in der alles besitzenden Seligkeit des Unendlichen findet" (Aurobindo, a.a.O., S. 223). Ähnlich wie Aurobindo den Tatbestand formuliert, zitiert L.Frambach den indischen Jesuiten und Zen-Meister A.M.Arokiasamy: "Wir müssen fähig sein, Tod und Leben als einen Teil des Lebens hinzunehmen. Manchmal tendieren wir dazu, nur die positive Seite zu akzeptieren, wie Glück, Erfolg, Leben, und wir versuchen, vor der anderen Seite davonzulaufen. Das Leben bedeutet beides. Dunkelheit und Licht, Leiden und Freuden, Tod und Leben. Das ist das Ganze des Lebens. Wir müssen uns dem stellen können und das auch leben" (a.a.O., S. 155).

Buddhistische und christliche Weltsicht

Kehren wir zum Gedanken des "Nichts" zurück, so scheint es sowohl für östliche Zen-Meister wie D.T.Suzuki als auch für westliche Philosophen, die Zen womöglich nur theoretisch kennen, außerordentlich schwierig zu sein, in diesem Sinne von "Leere" oder vom "Nichts" zu sprechen, ohne dies sogleich zu vergegenständlichen, zu objektivieren und sich außerhalb des Ich vorzustellen, was automatisch geschieht, sobald man "über" etwas spricht. Ebenso ist es eigentlich eine Unmöglichkeit, wenn christliche Theologen ständig "über" Gott wie über einen außerhalb ihrer befindlichen Gegenstand oder wie "über" ein Objekt reden, das "es gibt" bzw. das "es nicht gibt". Ein Reden "über Gott" ist "gegenüber" dem Sein, dem Absoluten, der "Wirklichkeit im ganzen" bzw. "dem, was uns unbedingt angeht" (P.Tillich) völlig unangemessen, da wir nicht "über" etwas reden können, zu dem wir konstitutiv gehören bzw. dessen "Teil" wir sind.

Wenn Nishitani von der "Realität" im obigen Sinne spricht, so bedeutet "Soheit" die "Seinsweise von etwas jenseits aller Vorstellung oder allen Denkens, die für den Zugriff des Ich völlig unzugänglich ist; sie ist, wie das Zen betont 'absolut unerreichbar'."(S. 183). Erst auf dem Feld des "Nichts" hören die Dinge auf, Objekte zu sein, "mit dem Ergebnis, dass sie sich als Realität enthüllen, die völlig jenseits aller Vorstellung ist" (S. 186). Solange das Bewusstsein aktiv ist und um sich weiß, "entsteht 'äußere' und von Vorstellung unabhängige Wirklichkeit nur durchs Vorstellen". Nur dort, wo also die Dinge ihrer äußeren Realität beraubt werden, offenbaren sie sich in ihrer je eigenen Realität. Ist das Feld des "Nichts" zugleich im Grund des Subjekts und dem des Objekts erschlossen, "zeigt es sich stets als etwas, das schon von Anbeginn im Grunde dieser Beziehung da war" (S. 186).

Dieses Bild könnte man auch auf Gott und die Gott-Mensch-Beziehung übertragen und konsequent formulieren: Erst dort, wo im obigen Sinne das Bewusstsein nicht mehr um sich weiß, d.h. in den "Raum" des "Nichts" eingetreten ist, ist es nicht mehr in der Lage, sich Vorstellungen der Dinge oder von Gott zu machen. Erst dann kann sich die Realität, die Wirklichkeit Gottes, das Sein in dieser "Dimension" des Nichts, d.h. des Nicht-Bewusstseins entfalten. "Kein Ding kann dem Nichts entkommen. Früher oder später wird es wieder zunichte, sodass es seinem Wesen [d.h. von seiner Ursprungsnatur her] nach nur als nicht-existent und unreal existiert. Dennoch existieren die Dinge realiter und authentisch, gerade weil sie unreal sind. Und nur im Nichts-Feld ist es auch möglich, dass sich das Sein des Seienden als solches [Sein] enthüllt, dass man es befragen und seiner gewahr werden kann"15). Aus Nishitanis Annahmen folgern wir: Die Tatsache, dass die Dinge wesensmässig unreal sind, verleiht ihnen die Realität. Verdeutlichen können wir uns dies an einem plastischem Beispiel Nishitanis, wenn er sagt: Ein Auge ist ein Auge, weil es Dinge sieht. "Wo aber das Auge in seinem Selbstsein ist, da ist ein wesentliches 'Nicht-Sehen'. Wenn das Auge das Auge selbst sähe, wäre es nicht imstande, irgend etwas anderes zu sehen. Das Auge würde aufhören, Auge zu sein. Das Auge ist Auge allein aufgrund jenes wesentlichen Nicht-Sehens; 'Nicht-Sehen' ermöglicht Sehen: Nicht-Auge-Sein [zum Sehen von sich selbst] ist die Ermöglichung des Auge-Seins. Aus diesem Grund läßt sich das 'Sein' des Auges, wie gesagt, nur so zum Ausdruck bringen: Das Auge ist Auge, weil es nicht Auge ist. In der Leere [d.h. in der Negation] liegt die Möglichkeit des 'Seins'"16). Die Aktivität des Sehens entsteht zugleich mit der Unfähigkeit zum Nicht-Sehen [des eigenen Auges].

Sehen und Nicht-Sehen können nur zusammengeschaut werden: "Gerade dies konstituiert die Selbst-Identität des Auges in der nichtgegenständlichen Weise seines Selbstseins" (S. 244). So erkennt Nishitani, dass im Sehen eine wesenhafte "Blindheit" enthalten ist. Dort, wo der Akt des Sehens entspringt, muss zugleich die "Blindheit" sein, Blindheit nicht als objektives Faktum. So geschieht fortwährend ein Nicht-Sehen "um der Möglichkeit des Sehens als Sehens willen" (S. 244). Das Sehvermögen muss also in seinem An-sich wesenhaft leer sein. Leer bedeutet hier: Das Auge sieht sich nicht selbst und Sehen ist deshalb ein Sehen, weil es wesenhaft ein Nicht-Sehen ist. Das "Nicht", die "Negation" konstituiert also die Aktivität des Tuns. So können wir dieses Bild vom Sehen, das ein wesenhaftes Nicht-Sehen ist, auch auf das Bewusstsein übertragen, das nach Nishitani von seinen Wurzeln her leer ist und sich nur auf dem Feld dieser Leere realisieren kann. Insofern kann gefolgert werden: Im Grunde allen Bewusstseins ist das Nicht-Bewusstsein – im Gegensatz zum Unbewussten. Das leere Bewusstsein transzendiert sowohl das Bewusste als auch das Unbewusste. Nishitani bezeichnet es darum mit einem Begriff, dem man sowohl bei N.Berdjajew als auch bei dem indischen Neohinduisten Sri Aurobindo begegnet: Das "Über-Bewusstsein". Dieses Über-Bewusstsein ist die ursprüngliche Leere des Bewusstsein, die mit dem Bewusstsein eins ist. Ähnlich wie das Sehen und das Nicht-Sehen ineins fallen, so ist es auch hier: Es ist so etwas wie eine Identität.

In der gleichen Weise wie die Dinge oder das Sein sich erst dann enthüllen, wenn sie nicht mehr gegenständlich vorgestellt werden, verweigert sich auch die Subjektivität des Ich-Selbst restlos der objektivierenden Betrachtung, während dennoch das Selbst dazu neigt, "sich unter der Gestalt eines 'Etwas', das 'Ich' genannt wird, zu begreifen. Diese Tendenz ist dem inhärent, was das Ich-Selbst ausmacht, welches sich ja im Selbst-Bewusstsein konstituiert" (S. 171). Insofern verstehen wir mit dem japanischen Autor "Existenz" auch als etwas, das in einer "ekstatischen" Seinsweise mit ihrem Hineingehaltensein ins Nichts entwickelt wurde.

Der Autor sieht hier das "auferweckte Selbst" und präzisiert: "Auferweckung meint hier, dass das ursprüngliche Antlitz des eigenen Selbst als solches zum Vorschein kommt; dass man zu seinem authentischen Selbst, so wie es real ist, zurückkehrt"17). Vielleicht können wir an dieser Stelle als neutestamentliche Parallele das Jesus-Wort heranziehen, das das Ende des Streitgesprächs bildet: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin ich" (Joh 8,58). Dieses ist das unerschaffene "Ich" des in Gott bzw. in der Trinität lebenden "ewigen" und "präexistenten" Menschen, wie er "in Christus" im Epheserbrief (1,4) geschaut wird. Doch dieses "unerschaffene Ich" als Hypostase der Trinität entäußerte sich und wurde "Fleisch", es verzeitlichte sich, nahm einen Namen, eine konkrete Gestalt, eine Biographie an, es unterwarf sich "kenotisch" den Bedingungen der Endlichkeit "und wohnte unter uns" (Joh 1,14). Berdjajew würde sagen: Die Metahistorie verbindet sich mit der Historie.

Das soeben erwähnte "auferweckte" Selbst nimmt die Welt neu wahr in der Umkehrung (metanoia) der bisherigen Sicht. Nur aus dieser streng realitätsbezogenen Sicht können wir die Worte Jesu Christi, die sich auf das Reich Gottes, das er sowohl im Anbruch als auch (in sich) anwesend sah, beziehen, richtig verstehen und bewerten. Es geht dabei nicht um eine spirituelle, nicht erfahrbare oder transzendente Überwelt, sondern um radikale Diesseitigkeit. In diesem Diesseits sah Jesus von Nazareth seinen Vater am Werke (Joh 14,10). In ähnlicher Weise kommt auch K.Nishitani diesen Gedanken nahe. Als "Himmel" bezeichnet er den Ort des allgegenwärtigen Gottes, und dieser Himmel umfasst auch den "Grund der abgründigen Hölle". Nishitani konkretisiert sein Bild: "Dieser Himmel ist etwas, das sich im Diesseits noch unmittelbarer auftut, das für uns noch direkter hier-und-jetzt ist, als es sich das Ich in seinem Selbst-Bewusstsein selbst zuschreibt. Aber während wir uns in diesem 'Himmel' bewegen, vergessen wir ihn gewöhnlich und blicken nur auf den Himmel über uns. So erkennen wir auch nicht, dass wir uns tatsächlich in der 'Leere' bewegen, dass wir da, wo wir sind, tatsächlich der Dies-Seite unserer selbst näher sind als in unserem Selbst-Bewusstsein"18). Möglicherweise haben wir auch in der christlichen Theologie von hier aus unsere "Vorstellungen" und "Redeweisen" vom "Himmelreich" zu überdenken, zu korrigieren und neu zur Sprache zu bringen. Vielleicht ist dieses "Himmelreich", d.h. die Nähe und Präsenz Gottes uns so nahe, dass wir blind für seine Präsenz geworden sind.

Meister Eckhart erkennt die persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch als eine lebendige Beziehung zwischen dem Ebenbild Gottes in der menschlichen Seele und seinem Urbild. Er kommt zu der Aussage, dass er das "Nichts" als die vollkommen bildlose Gottheit bezeichnet, "eine Ebene, die alle 'Form' übersteigt, und meint, dass die Seele nur dann zu sich selbst zurückkehren und absolute Freiheit erlangen könne, wenn sie absolut eins werde mit dem Nichts der Gottheit" (S. 173). Halten wir aus der Untersuchung Nishitanis fest, dass im Blick auf die Erkenntnis Meister Eckharts nur auf dem "Grund dieses Nichts" die Beziehungen zwischen Gott und der Seele möglich sind. "Dieselbe Leere ist aber der einzige Ort, wo Gott und Mensch und deren Beziehung so, wie sie in ihrem personalen Aspekt vorgestellt werden, in Erscheinung treten" (S. 174). Meister Eckhart hat lange vor Heidegger den philosophischen Unterschied zwischen dem Sein und dem Seienden gemacht und Gott als den Ursprung alles Seienden erkannt. Er hat ihn aber nicht zum Seienden [d.h. zum Gegenständlichen und Objektivierbaren] gerechnet, sondern ihn als "Geist" beschrieben. So behalten wir seine Ansicht im Gedächtnis: "Nach Eckharts Lehre ist Gott kein Seiendes, sondern 'etwas Höheres als das Seiende'"19). So schließt sich für uns ein Kreis, in dessen Feld sich Mystisches mit Philosophischem verbindet.20)

 

 

Fortsetzung