Berdjajew / Frank 2
Diese Überlegung führt uns zu
dem entscheidenden Punkt der Grundlagenkritik innerhalb von Berdjajews
Rezension des "Unergründlichen", der mit der Frage nach der Relation von
Rationalismus und Mystik bei Frank in direktem Zusammenhang steht: Berdjajew
nennt Franks Philosophie einen "konkreten Monismus" und weist auf die
Tatsache hin, dass der russische Religionsphilosoph eine Neigung zu einem
"pantheistischen Monismus, wenngleich von dem sehr feinen cusanischen
Typ" zeige. Hier muss man leider konstatieren, dass sich Berdjajew nur
ungenügend mit Franks subtilem Denken auseinander gesetzt hat, da weder Frank
noch Cusanus eine Spielart des gängigen Monismus, schon gar nicht eines
Pantheismus vertreten. Frank selber nimmt auf die Problematik des Pantheismus
explizit Bezug, wenn er das Modell des Cusaners diskutiert: "Wer diese
Ansicht des ‚Pantheismus’ verdächtigt, zeigt damit nur, dass er gar nicht
verstanden hat, wovon hier die Rede ist." (17) Vielmehr sieht sich
Frank in "Das Unergründliche" zu einer terminologischen Neukreation
gezwungen, um seinen philosophischen Ansatz adäquat einzuordnen, und kommt so
zu dem Begriff des "antinomischen Monodualismus". Der antinomische
Monodualismus will laut Frank die Wahrheit bewahren, die sich jeweils im
Dualismus und Monismus findet, wobei die beiden Standpunkten anhaftende
Einseitigkeit getilgt werden soll. Dabei handelt es sich also eher um einen
komplexen Panentheismus, da zwar die gesamte Welt in Gott ist, Gott selbst
jedoch unendlich über das Geschaffene hinaus reicht und so gerade nicht
vollständig in der Welt aufgeht (18). Um die These des Pantheismus überhaupt
vertreten zu können, müsste man darüber hinaus einen absoluten Zugang zu Gottes
Wesen in der Erkenntnis haben, welcher jedoch sowohl beim Cusaner als auch bei
Frank dezidiert und begründeterweise bestritten wird. Der Mensch und die Welt
stellen sich in "Das Unergründliche" als ein begrenztes und
eingeschränktes Absolutes dar, welches zwar in hohem Maße am Unergründlichen
teilhat bzw. es partiell manifestiert, dessen Wesensschau letztlich jedoch zu
dem negativen Ergebnis der erkennbaren Unerkennbarkeit Gottes führt.
Dementsprechend handelt es sich um ein folgenschweres Missverständnis, wenn
Berdjajew implizit die Idee der All-Einheit mit der Konzeption eines abstrakten
und statischen Monismus identifiziert, da Gott zwar auch die All-Einheit alles
materiell und geistig Seienden ist, aufgrund seiner eigentlichen
Prädikatlosigkeit jedoch nicht logisch mit ihr gleichgesetzt werden darf, da
eine solche Vorgehensweise in der Tat in einen logischen Universalismus münden
und dadurch die Auflösung des Begriffs eines ontologisch Unergründlichen zur
Folge haben würde (19).
Im Gegensatz zu einem
statischen Seinsmonismus, wie man ihn z.B. bei Parmenides finden kann, muss man
das Sein bei Frank als dynamisches, die Negation implizierendes und dadurch als
bewegendes Moment integrierendes Leben verstehen, welches sich vor allem in der
geistigen Selbsterfassung des menschlichen Wir manifestiert und so die
göttliche Freiheit auf der Lichtung des sich wechselseitig konstituierenden
Selbstbewusstseins innerhalb des Geschaffenen als interpersonales Ich-Du-Sein
in Analogie zum absoluten Sein an sich aufscheinen lässt. In der Philosophie
Franks ist Gott als absolutes Können-Sein frei, die Welt muss nicht aus
logischer Notwendigkeit von ihm geschaffen werden, woraus die Falschheit des
Vorwurfs resultiert, Frank habe einen rationalistischen Pantheismus oder einen
logischen Universalismus errichten wollen. Diese Lesart Franks muss man
offensichtlich auf die recht unflexible Sichtweise Berdjajews zurückführen, in
der jegliches Sein mit Statik bzw. toter Objekthaftigkeit assoziiert und ein
begrifflich-logisches Vorgehen bereits mit Rationalismus gleichgesetzt wird,
selbst wenn es zum Zweck der Widerlegung dessen gebraucht wird (20).
Verwunderlich ist insbesondere der Vorwurf des logischen Universalismus, da
Frank nicht müde wird, die Metalogizität des all-einen Seins zu betonen (21).
So hat sich insgesamt aus der erfolgten Betrachtung der Grundlagenkritik
Berdjajews an Frank deren generelle Unangemessenheit ergeben, welche wiederum
zum großen Teil auf eine gewisse, aus seiner eigenen dualistisch ausgelegten
Philosophie erklärbare Voreingenommenheit jeglicher Ontologie und der Idee der
All-Einheit gegenüber zurückzuführen ist. Auch bei sehr wohlwollender
Beurteilung von Berdjajews Rezension hält dieser Teil der Besprechung den
tatsächlichen Inhalten der frankschen Philosophie nicht stand.
2. Berdjajews Kritik an
Franks Behandlung der Freiheit, der Person und des Bösen innerhalb seiner
Philosophie der All-Einheit
Im Folgenden soll Berdjajews
Besprechung der konkreten Ausformungen des Prinzips der All-Einheit in
"Das Unergründliche" zur Sprache kommen, wie sie sich insbesondere an
den drei Aspekten der Freiheit des Menschen, des damit verbundenen
Personenbegriffs und des Problems der Theodizee verdeutlichen lassen. Diese
drei genannten Themen werden nun nacheinander aus der Sicht Berdjajews
dargestellt und seine Kritik ihrerseits problematisiert.
2.1. Das Problem der
Freiheit des Menschen
Im Rahmen seiner Betrachtung
der Grenzen einer All-Einheitsphilosophie schlägt Berdjajew zu Beginn des
zweiten Teils seiner Rezension eine Brücke vom All-Einheitsprinzip bei Frank
zur Frage nach der menschlichen Freiheit innerhalb dieser göttlichen
All-Einheit, wobei sich für Berdjajew eine Unmöglichkeit der Verbindung von
Freiheit und der All-Einheit Gottes ergibt: "From the point of view of
the philosophy of All-Unity, the problem of the relationship between God and
the freedom of man remains unsolved. Freedom is a scandal for this
philosophy. S.Frank, certainly, does not deny freedom, but he cannot find a
place for it, it presents a difficulty, just as it does for Thomism." Dabei macht sich
wieder das berdjajewsche Missverständnis der All-Einheit als determiniertes und
rein apersonales Sein geltend, denn nur vor diesem Hintergrund kann Berdjajew
behaupten, dass das Prinzip der Freiheit einen Skandal für eine solche
Philosophie darstellen muss. Zuzugeben ist allerdings, dass ein Verständnis der
Freiheit im Rahmen einer holistischen Philosophie nicht ganz so schnell zu
erringen ist wie bei einem Dualismus, der die Welt in einen subjektiven Bereich
der Freiheit und eine determinierte Natursphäre einteilt. Im Falle Franks muss
man zuerst zwei Sphären der Manifestation von Freiheit unterscheiden, welche
jedoch in letzter Hinsicht wieder zusammengehören: 1. Freiheit im Sinne der
Potentialität des Seins, und 2. Freiheit als Freiheit der individuellen Person.
Zu 1.: Frank versteht das Sein nicht nur als fertige oder
abgeschlossene Aktualität, sondern betont zu dieser ontischen Dimension auch
die dem Sein implizite Potentialität, welche die irrationale und Dynamik
bewirkende Komponente des Seins verkörpert. Daher findet man in der Philosophie
Franks schon auf dieser allgemeinen Ebene das Prinzip der Freiheit: "Sofern
aber das Sein Potentialität ist, d.h. schöpferisches Können eines sich in den
Tiefen der Unbestimmtheit vollziehenden Bestimmens, ist es eben die
ursprüngliche Freiheit. Deshalb kann das Sein als Ganzes nur als transrationale
Einheit von Rationalität und Irrationalität, d.h. von Notwendigkeit und
Freiheit verstanden werden." (22) Diese Ebene der Wirklichkeit
steht jedoch in einem direkten, wenn auch analogisch und nicht logisch zu
denkenden Konnex mit der Sphäre des unmittelbaren Selbstseins des Menschen.
Zu 2.: Zur persönlichen Freiheit bei Frank ist zu sagen,
dass diese eine bedeutende Rolle in seiner Philosophie einnimmt, da ohne die
Freiheit des individuellen Menschen keine Offenbarungsmöglichkeit für das
Unergründliche bzw. Gott innerhalb des menschlichen Selbstbewusstseins im Sinne
des ontologisch primären Wir als freie Gemeinschaft sich wechselseitig
konstituierender Personen bestehen würde. Offenbarung setzt auf menschlicher
Seite eine existentielle und freie Zuwendung zum Seinsgrund voraus, sodass ohne
menschliche Freiheit eine unüberbrückbare Diskrepanz vom Unergründlichen und dem
menschlichen Subjekt existieren würde. Die Empfänglichkeit des Menschen für die
urgründliche Offenbarung des unergründlichen Du macht geradezu seine
Transzendenz aus, woraus folgt, dass die Transzendenz der menschlichen Person
durch seine Freiheit konstituiert wird (23). Seine höchste Freiheit erreicht
das unmittelbare Selbstsein, wenn es sich sogar von der ihm eigenen
Unmittelbarkeit befreit und sich im Anderen selbst vergisst, da dieser Akt eine
vollkommene Manifestation seines ureigensten Wesens, der Transzendenz bzw.
Freiheit ist. Durch diesen liebend-freiheitlichen Akt der totalen
Selbsttranszendenz qua Selbstvergessen wird die antinomische und dadurch
lebendige Struktur der gleichzeitigen Sonderung und Durchdringung des absoluten
Seins auf analoge Weise enthüllt, sodass hier beide Arten der Freiheit in
größter Nähe zueinander existieren.
Berdjajew erkennt insgesamt
zwar an, dass Frank die Freiheit nicht negiert oder leugnet, doch wirft er
Frank vor, dass er innerhalb seiner Philosophie keinen angemessenen Platz für
sie finden könne. Diese Einschätzung resultiert wahrscheinlich aus der
Ignorierung des antinomischen Prinzips, ohne dessen Verständnis keinerlei
Zugang zu Franks Denken und insbesondere zu seinem Freiheitskonzept möglich
ist, da dieses logisch auf der Grundlage des schwebenden Oszillierens zwischen
bzw. über den Gegensätzen begründet ist. Die Nichtbeachtung des Prinzips der
Antinomie bei Berdjajew muss wohl als Grund dafür angesehen werden, dass der
antinomische Dualismus Franks von ihm als Monismus bezeichnet und dadurch die
basale Idee der frankschen Philosophie verfehlt wird. Mit Frank und gegen
Berdjajew kann man bezüglich der Freiheitsproblematik argumentieren, dass die
wahre Freiheit nicht von der Gegenständlichkeit begrenzt werden darf und diese
daher ebenfalls umfassen muss. Mit Hegel könnte man auf die Anforderung an den
Geist hinweisen, sich in der Negation und im Tod zu erhalten und so das
Endliche (Gegenständliche) zum Moment des wahrhaft Unendlichen
(Übergegenständlichen) zu machen (24).
2.2. Das Problem der
Person
Neben der Freiheit ist für
Berdjajew auch der Status der Person in der Philosophie Franks unklar, sodass
er den Begriff der Person als zweites Hauptproblem der frankschen Werks nennt.
Wie schon bei der Frage nach der Freiheit müssen diesbezüglich zwei Hinsichten
der Verwendung des Personbegriffs sowohl bei Frank als auch in der Rezension
Berdjajews unterschieden werden: 1. Die Relation des Prinzips der Person zum
Absolutem, und 2. Das Prinzip der Person als individuell manifestierte
Existenz, d.h. als Mensch. Wie schon beim Freiheitsproblem sind die Äußerungen
Berdjajews hierzu zwar spärlich, doch bricht an der Frage nach der Person und
ihrer Position in der Welt der charakteristische Unterschied der Ansätze beider
Denker in vollem Umfang auf. Daher sollen diese Aspekte nun nacheinander zur
Geltung kommen.
Zu 1.: Zur Relation von Absolutem und Person sagt Berdjajew
konkret nur sehr wenig, doch dasjenige, was er sagt, ist für unsere Zwecke
recht aufschlussreich: "(...) for S.Frank, God is the Absolute. Since the Absolute
is at the remote limit of thought, any sort of relationship with the Absolute
is impossible. The Absolute cannot egress out from itself. The Absolute is not
person." Die Kritik stützt sich also auf zwei Pfeiler: 1. Es ist unmöglich, eine
Relation zu Gott zu haben, da 2. das Absolute impersonal ist. Weil sich der
erste Punkt aus dem zweiten ergibt, reicht es an dieser Stelle, den letzteren
zu analysieren. Diesbezüglich ist festzustellen, dass Berdjajew hier nicht
genau genug gelesen hat, wenn auch seine Kritik nicht als gegenstandslos
bezeichnet werden kann. Sie ist insofern berechtigt, als Frank mit dem
absoluten Sein Gottes nicht eine rein personale Struktur, sondern das
überpersönliche und transzendentale Prinzip des Personseins selbst meint,
welches in dieser Form (als Bedingung der Möglichkeit von Person) nicht
sinnvoller Gegenstand des Gebets sein kann. Doch differenziert Frank innerhalb
des göttlichen Seins zwischen verschiedenen Enthüllungsmodi Gottes bzw. der
Gottheit, wobei sehr wohl auch die Personalität zu finden ist. Genauer gesagt
ist die Gottheit nach Frank nur als Du Gott, d.h. in der interpersonalen
Begegnung, und Frank betont die Priorität der Frage nach meiner persönlichen
Relation zur Gottheit.
Die Gottheit kann sich mir
als personales Einzelwesen offenbaren, wenn ich mich ihr existentiell und aus
ganzem Herzen zuwende, und da die Zuwendung der Gottheit mich erst zur wahren
Person macht, muss man von einem wechselseitigen und liebenden Bewegungsprozess
sprechen. Das Absolute ist also durchaus Person, doch ist das Personsein nicht
das einzige Element bzw. die einzige Facette seines unergründlichen Wesens: "(...)
das gewichtige und vollgültige religiöse Bewußtsein besitzt Gott sozusagen in
seiner zweifachen Bedeutung: einmal als einen mit mir verbundenen persönlichen
Gott, als göttliches Du mit der ganzen liebevollen, verwandten und innigen
Vertrautheit, die überhaupt zwischen einem Ich und einem Du möglich erscheint
oder, besser gesagt, mit einer Innigkeit, die jedes menschliche Kommunizieren
noch unendlich übertrifft. Zugleich besitzt es Gott als Gottheit,
d.h. mit unsagbarer metaphysischer Scheu, die das schlechthin Unergründliche,
das Absolute, das allumfassende Urprinzip, die letzte nur dunkel erahnbare
Tiefe der Realität in uns erregt." (25) Gott in seiner vollsten
Bestimmung kann also nur als transrational-antinomische Einheit von
Persönlichkeit und Überpersönlichkeit gedacht werden und somit nicht auf einen
der beiden Aspekte reduziert werden.
Zu 2.: In Bezug auf die Frage nach der Freiheit der Person
als einzelne Existenz macht Berdjajew den Punkt geltend, dass mit einer
ontologischen Vorordnung des "Wir" bezüglich des "Ich" das
Prinzip des Personalismus verletzt würde und dies eine unmögliche Implikation
einer Philosophie sein könne: "It is impossible to be in agreement with
this, that the ‚I’ only but arises in front of the ‚thou’, and it is impossible
to acknowledge, that the ‚we’ is more primary than the ‚I’, which contradicts
the truth of Personalism and leads to the slavery of man." In diesen
Ausführungen Berdjajews wird eine mögliche, äußerst negative Implikation der
Überordnung des "Wir" gegenüber der Einzelperson angesprochen, die
geschichtlich betrachtet schon des öfteren zu verheerenden Auswirkungen geführt
hat. Allerdings formuliert Berdjajew seine Bedenken auf eine Weise, die der
ebenfalls vorhandenen Wahrheit und dem positiven Potential der Vorordnung des
"Wir" nicht gerecht wird und somit von einer gewissen Einseitigkeit
geprägt ist. Denn es ist nicht einsichtig, warum das "Wir" als erstes
ontologisches Prinzip dem Prinzip des Personalismus widersprechen sollte, da es
sich bei dem intendierten "Wir" doch um eine freie und freiwillige
Gemeinschaft von Personen handelt. Offenbar kann Berdjajew unter
"Personalismus" nur den erkenntnistheoretischen und ethischen Primat
der einzelnen Person vor der Gemeinschaft verstehen, wobei diesbezüglich wieder
ein Mangel an genauer Begriffsbestimmung das Problem zu sein scheint. Man kann nämlich
nicht sagen, dass Berdjajew und Frank bezüglich der Anerkennung des
Wir-Prinzips grundsätzlich anderer Meinung wären, da auch Berdjajew von einer
im metaphysischen Sinne verstandenen sozialen Eigenschaft des Geistes und einer
echten Gemeinschaft (Kommunion) des Ichs mit dem Du im Wir ausgeht. Diese
liebende Gemeinschaft kann nach Berdjajew nur im Geist, d.h. in der
überweltlichen Ungegenständlichkeit existieren, aus welchem Grund er auch die
echte Sozialität von einer schlechten und äußeren Sozialität unterscheidet.
Letztere stellt eine diesseitige Verzerrung der geistigen Sozialität dar und
manifestiert sich als Zwangsprinzip, das durch seinen objektivistischen
Charakter als Feind des geistigen Lebens fungiert. Evident ist hier Berdjajews
kategorische Ablehnung des Prinzips der Allgemeinheit, welche in seiner Sicht
wesenhaft mit der zu vermeidenden, weil zur Entpersönlichung gereichenden
Objektivation verbunden ist.