Dekaden 3
Anmerkungen
1) N.Berdjajew,
Selbsterkenntnis. Versuch einer philosophischen Autobiographie, Darmstadt 1953.
Zit. Selbsterkenntnis.
2) Charles Du Bos
(1882-1939), französischer Kritiker, Meister der moralischen Analyse. Vgl. zu
den Beziehungen N.Berdajews zu Du Bos: "Selbsterkenntnis", S. 295.
Nach Olivier Clément, Berdiaev, Paris 1991, lernte Berdjajew den von ihm später
hochgeschätzten Literaturwissenschaftler Charles Du Bos im Jahre 1925 bei Lev
Schestov kennen (S. 83). Zit. Clément, Berdiaev.
3) André Gide (1869-1951),
prägte das geistige Gesicht Frankreichs im 20. Jahrhundert, Meister aller
literarischen Formen. Er gilt als Klassiker der französischen Literatur.
4) Gustave Schlumberger
(1844-1929), bedeutender französischer Byzantinist. Er wurde nach dem Studium
der Medizin seit 1863 in Paris, ausgedehnten Reisen durch Nordafrika, Syrien,
Kleinasien, Spanien, Portugal, die Schweiz und Italien Spezialist für die
Erforschung der Kreuzfahrerstaaten und des byzantinischen Reiches, Präsident
der "Société des Antiquaires de France" und ab 12.12.1884 Mitglied
der "Académie des Inscriptions et des Belles Lettres". Wie nur ganz
wenigen war es ihm gegeben, in einer auch literarisch anspruchsvollen Prosa
sowohl für den engeren Kreis der Fachgelehrten als auch für eine breitere
Öffentlichkeit ein lebendiges Bild der Vergangenheit zu entwerfen. (Vgl. Bautz,
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9 (1995), 314-316).
5) Roger Martin du Gard
(1881-1958), französisch Novellist, Dramatiker und Gewinner des Nobel-Preises
für Literatur des Jahres 1937. Er wurde in einem Pariser Vorort, in
Neuilly-sur-Seine geboren. Im Alter von siebzehn Jahren las er Leo Tolstojs
"Krieg und Frieden", das ihn später inspirierte. Er trat in die École
des Chartres in Paris ein, empfing sein Diplom als Paläograph und Archivar im
Jahre 1905, verheiratete sich 1906 mit Hèléne Foucault und ließ sich in Paris
nieder. Die Ehe scheiterte. Die einzige Tochter, Christiane, wurde zum
Streitobjekt für die Eltern. Sie heiratete Martin du Gards engsten Freund, der
ein Vierteljahrhundert älter war als sie. Nach dem Krieg arbeitete er kurz am
Theater und zog sich, vom literarischen Leben in Paris erschöpft, auf ein
normannisches Landgut – le Tretre – zurück. Dort schrieb er sein Meisterwerk
"Les Thibault", zwischen 1922 und 1940 veröffentlicht. Ein Autounfall
im Jahre 1931, bei dem Martin du Gard und seine Frau verletzt wurden, ließ den
Autor seine Pläne für den Schluss von "Les Thibault" überarbeiten.
Nach der deutschen Invasion im Jahre 1940 floh er nach Nizza, wo er die
Kriegsjahre verbrachte. Während der Arbeit an seinem Buchprojekt "Le
Lieutenant-Colonel de Maumort", den er unvollendet hinterließ, verstarb er
in Bellême am 23. August 1958 im Alter von 77 Jahren. Im Jahre 1968 erschien
seine Korrespondenz mit André Gide. Seine "Correspondence Générale"
(1980) offenbart einen leidenschaftlichen, unabhängigen Künstler und
puritanischen Mann der Ordnung, der solch hohe Ziele für sich setzte, dass er
verschiedene vollendete Manuskripte vernichtete.
6) André Maurois (1885-1967),
Sohn eines Industriellen im Elsass. Er führte seine Studien am Lycée von Rouen
durch und wurde Schüler von Alain (1868-1951), der wesentlichen Einfluss auf
ihn ausübte. Nachdem er einen Ehrenpreis im "Concours général"
erhalten hatte, erwarb der junge Mann sein Lizentiat in den Wissenschaften, er
unterwarf sich dem Militärdienst und leitete dann für mehrere Jahre das
Familienunternehmen. Als Liebhaber des Englischen ging Maurois zu englischen
Armee. Aus dieser Erfahrung entstanden zwei humoristische Romane. Er hinterließ
ein sehr umfangreiches literarisches Werk und wurde am 23. Juni 1938 in die
Akademie française gewählt, der er fast 30 Jahre angehörte. Er starb am 9.
Oktober 1967. Er war Inhaber des Großkreuzes der Ehrenlegion.
7) Léon Brunschvicg
(1869-1944), Philosoph und Philosophiehistoriker. L.Brunschvicg war einer der
führenden Gestalten des französischen Denkens in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts. Er war Schüler von Alphonse Darlu auf dem Lycée Condorcet. Er
hatte als Mitschüler Marcel Proust und Xavier Léon, mit denen er in Gemeinschaft
mit Élie Halévy die "Revue de métaphysique et de morale" im Jahre
1893 gründete. Als Professor wirkte er 30 Jahre an der Sorbonne/Paris, wo er
Lucien Lévy-Bruhl auf dem Lehrstuhl für Geschichte der modernen Philosophie im
Jahre 1927 nachfolgte. Seine Werke sind u.a. "Étapes de la philosophie
mathématique" (1912), « Progrès de la conscience dans la philosophie
occidentale » (1927). L.Brunschvicg veröffentlichte ebenso wichtige
Arbeiten über Spinoza, Descartes und Pascal. Seine "Écrits
philosophiques" (publiziert zwischen 1951 und 1958) fassen in drei Bänden
seine Artikel und Aufsätze zusammen. N.Berdjajew erwähnt den französischen
Philosophen in seinem "Versuch einer eschatologischen Metaphysik",
Waltrop 2001, S. 137.
8) Jean Wahl (1888-1974),
Philosoph. J.Wahl hatte eine einzigartigen Einfluss, sowohl durch seine Lehre
als auch durch seine Rolle in den philosophischen französischen Institutionen.
Er war Professor an der Sorbonne von 1936 bis 1967, indem er Platon, Hegel,
Heidegger, Bergson, Husserl, Nietzsche u.s.w. interpretierte. Er war der
Schöpfer der "Décades de Mount Holyoke" (Massachusetts) in den USA,
wohin er sich, nachdem er in Drancy interniert worden war, von 1942 bis 1945
zurückgezogen hatte. Die Initiative zu den dortigen Gesprächen ging auf den
Mediävisten Gustav Cohen zurück, während J.Wahl die Organisation in der Hand
hatte. Es ging auch in den USA darum, wie in der "École Libre des Hautes
Études" in New York, die Vitalität des französischen Denkens zu
manifestieren zu einer Zeit, in der man ihm in der Metropole (Pontigny) einen
Maulkorb umgebunden hatte. Diese drei Sitzungsperioden trugen so zum
intellektuellen äußeren Widerstand bei. Es herrschten dort die Überlegungen
über Reformen vor, die man in Europa in der Nachkriegszeit in Angriff zu nehmen
hatte: das Thema der Krise und das Problem der Kritik standen im Zentrum der
Gespräche. J.Wahl bekleidete das Amt eines Präsidenten der "Société
française de philosophie" und eines Direktors der "Revue de
Métaphysique et de Morale" von 1950 bis zu seinem Tode. Als Spezialist für
Hegel und Husserl und als Philosophiehistoriker führte er Kierkegaard in
Frankreich ein ("Études kierkegardiennes" 1938). Jean Wahl betätigte
sich außerdem als Poet (Connaître sans connaître", 1938).
9) Bernard Groethuysen (1880-1946),
Vertreter der philosophischen Anthropologie. B.Waldenfels, Phänomenologie in
Frankreich, notiert: "Bernhard Groethuysen, ein Schüler Diltheys und
Freund Schelers, der durch seine anthropologischen und sozialgeschichtlichen
Untersuchungen bekannt ist, übt schon in den 20er Jahren einen wichtigen
Einfluss [in Frankreich] aus, der bis in die literarischen Zirkel reicht. In
seinem Buch « Introduction à la pensée philosophique allemand depuis
Nietzsche » (1927), das einem breiteren Publikum zugedacht ist, findet
sich auch ein Kapitel über Husserl. 1933 lässt sich der Autor endgültig in
Frankreich nieder" (S. 35).
10) Selbsterkenntnis, S.
299f.
11) Vgl. zu Marcel Moré:
Clément, Berdiaev, S. 105-123.
12) Marie-Madeleine Davy, Nicolas Berdiaev, Paris 1999, S. 76.
13) Paul Valéry (1871-1945),
französischer Schriftsteller. Er ließ sich 1894 in Paris nieder und war im
Kriegsministerium im Jahre 1895 beschäftigt, danach in der Agence Havas
(1900-1925).
14) Alfred Fabre-Luce,
geboren am 16. Mai 1899 in Paris, ist mit 21 Jahren Lizentiat des Rechts und
der Geschichte und diplomiert in den politischen Wissenschaften. Er wird einige
Monate an der Botschaft in London angestellt, zieht es aber vor, Schriftsteller
und Journalist zu werden und veröffentlicht politische und literarische
Arbeiten. Im Jahre 1927 unternimmt er eine Reise nach Russland und
veröffentlicht nach seiner Rückkehr seine Eindrücke, die ihm in Zukunft die
Türen zur UdSSR verschließen werden. In den folgenden Jahren schreibt er
verschiedene Biographien und gründet die Zeitschrift "Pamphlet". Von
1934 bis 1936 ist er Chefredakteur der "L’Europe nouvelle". Zwischen
1936 und 1938 verfasst er verschiedene Kritiken über die Politik der
"Front populaire". Dann begibt er sich nach China, von dort bringt er
den Roman "Un Fils du ciel" mit. Im Jahre 1939 beginnt er mit der
Zeitschrift "Journal de la France", wo er in vier Bänden das Leben
Frankreichs während des Krieges darstellt. Im September 1944 wird er von den
französischen Autoritäten des Vichy-Regimes inhaftiert. Einige Wochen später
erscheinen die Erinnerungen an seinen deutschen Gefängnisaufenthalt. Befreit,
nimmt er seine Karriere als Schriftsteller wieder auf und veröffentlicht
zahlreiche Werke. Er stirbt im Jahre 1983.
15) Vladimir Jankélévitch
wurde 1903 in Bourges geboren als der Sohn von Dr. Samuel Jankélévitch, dem wir
französische Übersetzungen von Hegel, Simmel, Schelling und Freud verdanken. Er
war der erste, der die Einführung in die Psychoanalyse sowie weitere Arbeiten
von Freud übersetzte, mit dem er eine Korrespondenz unterhielt. Vladimir J.
zeigte niemals großes Interesse für die Psychoanalyse. B.Waldenfels fügt hinzu:
"Ergänzend könnte man noch auf den polnischen Philosophen und
Musikkritiker Vladimir Jankélévitch hinweisen. Er debütierte mit einer
Monographie über Bergson (1931), übersetzte Freuds ‚Psychopathologie des
Alltagslebens’ und Hegels ‚Logik’ und legte seitdem eine Fülle von Studien zur
Moral vor, die in ihrem Denkstil mit Schelers phänomenologischen
Moraluntersuchungen weitläufig verwandt sind" (S. 35). Er studierte am
Lycée Montaigne. Ein Professor des Lycées wies ihn auf die Philosophie hin. Im
Jahre 1922 trat er in die École normale supérieure ein, wo er die Bekanntschaft
mit Louis Beauduc machte. Mit ihm unterhielt er zwischen 1923 und 1980 einen
Briefwechsel. Brunschvicg wies ihn auf Simmel und Bergson hin, den er 1923 zum
ersten Mal traf und dem er mehrere Artikel widmete wie auch sein Werk
"Bergson", veröffentlicht 1931 mit einem Vorwort von Bergson selbst.
Jeder Text Jankélévitchs wurde zum Gegenstand eines tiefgründigen Austauschs
zwischen beiden. Seine Doktorthese "Die Odyssee des Bewusstseins in der
Spätphilosophie Schellings" wurde 1933 verteidigt. er lehrte nacheinander
in Caen, Lyon und in den Fakultäten von Besançon, Toulouse und Lille. Im Jahre
1939 zum Militärdienst eingezogen, wurde er in Mantes im Jahre 1940 verwundet,
danach vom Vichy-Regime abgesetzt, weil er keinen französischen Namen trug.
Seine russischen Eltern hatten ihn im Alter von einem Jahr eingebürgert. Er zog
sich nach Toulouse mit seiner Familie zurück, engagierte sich im Widerstand und
führte seine philosophischen Aktivitäten so durch, dass er in Cafés
unterrichtete. Der Krieg hinterließ bei Vladimir Jankélévitch auf mehreren
Ebenen tiefe Spuren, vor allem in seinem Privatleben, so dass er bekannte:
"Der Krieg hat mein Leben in zwei Teile zerschnitten. Er ließ mir nichts
von meiner Existenz vor 1940, kein Buch, kein Foto, keinen Brief", da
seine Wohnung Ziel von Plünderungen war. Er verheiratete sich 1947 in Algerien.
Seine Tochter Sophie wurde 1953 geboren. Im Jahre 1954 erschien sein einziges
metaphysisches Werk: "Philosophie première: introduction à une philosophie
du presque". Von 1951 bis 1978 war er Inhaber des Lehrstuhls für
Moralphilosophie an der Sorbonne. Jankélévitch teilte sich auf zwischen drei
für ihn untrennbaren Aktivitäten: die Philosophie, vermittelt in seinen
Vorlesungen und seinen Arbeiten, die Musik, insoweit er Musikwissenschaftler
und Musiker war, und schließlich die täglichen Pflichten. Er stellte sich an
die Seite der Studenten im Mai 1968 und nahm Stellung gegen die Euthanasie.
Eine Krankheit nahm ihn im Jahre 1985 im Alter von 82 Jahren hinweg.
16) Raymond Aron (14.3.1905 -
17.10.1983). Im Jahre 1924 tritt er in die "École normale" ein. Seine
Mitstudenten sind Jean-Paul Sartre und Paul Nizan. Er wird 1930 Dozent für
Philosophie an der Universität Köln, danach ist er von 1931-33 in Berlin tätig
und unterstützt den Aufstieg des Nazismus. Nach Frankreich zurückgekehrt,
verteidigt er 1938 seine Doktoratsthese "Introduction à la philosophie de
l’histoire". Von 1940 bis 1944 ist R.Aron Redakteur der Zeitschrift
"La France libre" in London. Nach dem Krieg hört er nicht auf,
gleichzeitig eine Karriere als Journalist und als Professor anzustreben. Er ist
nacheinander Herausgeber bei "Combat" (1946), dann bei
"Figaro" (von 1947 bis 1976). Im Jahre 1977 verlässt er den
"Figaro" zugunsten der Zeitschrift "l’Express", bei der er
bis zu seinem Tode tätig ist. In seiner Universitätskarriere arbeitet er am
"Institut d’études politiques" in Paris und in der "École
nationale d’administration", wo er seit 1945 lehrt. In das "Collège
de France" tritt er 1970 ein, um den "Lehrstuhl für Soziologie der
modernen Zivilisation" zu besetzen. In der Sorbonne ist er von 1956 bis
1968 tätig, ebenso an der "École pratique des hautes études", die ihn
1960 aufnimmt. Seit 1963 ist er auch Mitglied der "Académie des sciences
morales" und Ehrendoktor zahlreicher Universitäten weltweit, ebenso auch Träger
verschiedener Preise wie des Erasmus-Preises im Jahre 1982. Er ist an einer
Herzkrise beim Verlassen des Justizpalastes in Paris am 17. Oktober 1983
verstorben, wo er als Zeuge in einem Prozess aussagen sollte. Raymond Aron,
Universitätsphilosoph, Essayist und Journalist, geboren im gleichen Jahre wie
Jean-Paul Sartre, sein "kleiner Freund" auf der "École normale
supérieure", dann "frère ennemi" während seines ganzen Lebens.
Vgl. zu R.Aron auch: B.Waldenfels, a.a.O., S. 336-340.