Berdjajew, Ungrund
und Freiheit 2
III.
Böhmes
Lehre vom Ungrund nahm nicht sofort endgültige Gestalt an, in
"Aurora" finden wir sie noch nicht. Sie wird hauptsächlich in
"De Signatura Rerum" und im "Mysterium Magnum" entrollt.
Sie entspricht Böhmes Bedürfnis, das Geheimnis der Freiheit, den Ursprung des
Bösen, den Kampf des Lichtes mit der Finsternis zu begreifen. Im dritten
Kapitel von "De Signatura Rerum", betitelt: "Vom großen Mysterio
aller Wesen", sagt Böhme: "Außer der Natur ist Gott ein Mysterium,
verstehet in dem Nichts; denn außer der Natur ist das Nichts, das ist ein Auge
der Ewigkeit, ein ungründlich Auge, das in nichts stehet oder siehet, denn es
ist der Ungrund; und dasselbe Auge ist ein Wille, verstehet ein Sehnen nach der
Offenbarung, das Nichts zu finden" (IV, 284-5). Der Ungrund ist also das
Nichts, das abgründige Auge der Ewigkeit, und zugleich ein Wille, ein
grundloser, abgründiger, undeterminierter Wille. Aber es ist ein Nichts, das
"ein Hunger zum Etwas" ist (IV, 286). Zugleich ist der Ungrund die
"Freiheit" (IV, 287, 288 u. 289). In der Finsternis des Ungrundes
zündet sich das Feuer an, und dies ist die Freiheit, die meontische,
potentielle Freiheit. Nach Böhme ist die Freiheit der Gegenwurf [S. 325] der
Natur, die Natur aber ist aus der Freiheit hervorgegangen. Die Freiheit gleiche
dem Nichts, aber aus ihr gehe das Etwas hervor. Der Hunger der Freiheit, der
ungründliche Wille zum Etwas müsse gesättigt werden. "Das Nichts macht
sich in seiner Lust aus der Freiheit in der Finsternis des Todes offenbar, denn
das Nichts will nicht ein Nichts sein, und kann nicht ein Nichts sein"
(IV, 406). Die Freiheit des Ungrunds ist weder Licht, noch Finsternis, noch
Gut, noch Böse. Die Freiheit liegt in der Finsternis und lechzt nach Licht. Und
die Freiheit ist die Ursache des Lichtes. "Die Freiheit ist und stehet in
der Finsternis, und gegen der finstern Begierde nach des Lichtes Begierde, sie
ergreifet mit dem ewigen Willen die Finsternis; und die Finsternis greifet nach
dem Lichte der Freiheit und kann es nicht erreichen, denn sie schleußt sich mit
Begierde selber in sich zu, und macht sich in sich selber zur Finsternis"
(IV, 428). Böhme schildert opafatisch [sic] und antinomistisch das Mysterium,
das sich in der Tiefe des Seins abspielt, in jener seiner Tiefe, die sich mit
dem uranfänglichen Nichts berührt. In der Finsternis entzündet sich das Feuer
und blinkt das Licht, das Nichts wird zum Etwas, die grundlose Freiheit bringt
die Natur hervor. Und es vollziehen sich zwei Prozesse: "Die Freiheit ist
des Lichts Ursache, und die Impression der Begierde ist der Finsternis und der
peinlichen Qual Ursache. So verstehet nun in diesen zwei ewige Anfänge, als
zwei Prinzipia: eines in der Freiheit im Lichte, das andere in der Impression
in der Pein und Qual der Finsternis; ein jedes in sich selber wohnend"
(IV, 429). "Die Freiheit, als das Nichts, hat in sich selber kein
Wesen" (IV, 429). Böhme hat vielleicht als erster in der Geschichte des
menschlichen Denkens erkannt, daß die Grundlage des Seins und vor dem Sein die
grundlose Freiheit ist, die leidenschaftliche Begierde des Nichts, zum Etwas zu
werden, die Finsternis, in der sich das Feuer und das Licht entzündet, d.h., er
war der Begründer eines eigenartigen metaphysischen Voluntarismus, wie er dem
mittelalterlichen und antiken Denken fremd war. (9) Der Wille, d.h. die
Freiheit, sei der Anfang von allem. Aber Böhme denkt so, als läge der Ungrund,
der grundlose Wille in der Tiefe der Gottheit und vor der Gottheit. Der Ungrund
ist die Gottheit der apofatischen Theologie und auch zugleich der Abgrund, das
freie Nichts unter Gott und außerhalb von Gott. In Gott ist die Natur, ein von
ihm verschiedenes Prinzip. Die Urgottheit, das Göttliche Nichts ist jenseits
von Gut und Böse, von Licht und Finsternis. Der Göttliche Ungrund ist vor der
Entstehung der Göttlichen Dreieinigkeit in der Ewigkeit. Gott erzeugt,
realisiert sich aus dem Göttlichen Nichts. Dieser Weg des sich Versenkens in
die göttliche Weisheit ist jenem [S. 326] verwandt, auf welchem Meister
Eckehard die Unterscheidung zwischen Gottheit und Gott macht. Gott als Schöpfer
der Welt und des Menschen ist der Schöpfung korrelativ. Er geht hervor aus der
Tiefe der Gottheit, des unaussprechlichen Nichts. Das ist die tiefinnerste Idee
der deutschen Mystik. Dieser Weg des sich Versenkens in die Göttliche Weisheit
ist unausweichlich bedingt durch die apofatische Theologie. Alles, was Böhme
vom Göttlichen Ungrund sagt, gehört zur apofatischen Theologie, nicht zur
katafatischen. Das Nichts ist tiefer und urspünglicher als das Etwas, die
Finsternis (die hier noch nicht das Böse ist) ist tiefer und ursprünglicher als
das Licht, die Freiheit ist tiefer und ursprünglicher als jegliche Natur. Der
Gott der katafatischen Theologie ist bereits ein Etwas und bedeutet ein Denken
über Sekundäres. "Und der Grund derselben Tinktur ist die göttliche
Weisheit; und der Grund der Weisheit ist die Dreiheit der ungründlichen
Gottheit, und der Grund der Dreiheit ist der einige unerforschliche Wille, und
des Willens Grund ist das Nichts" (IV, 504; von mir gesperrt [hier
kursiv]. N.B.). Es ist dies nichts anderes als der theogonische Prozeß, der
Prozeß der Gottesgeburt in der Ewigkeit, im ewigen Mysterium, das nach der
Methode der apofatischen Theologie beschrieben wird. Gerade deshalb ist das
weniger ketzerisch, als es den extremen Anhängern der katafatischen, d.h.
rationalisierten Theologie erscheint. Böhmes Betrachtungsweise ist tiefer als
alle Behauptungen der sekundären und rationalisierten Katafatik. Böhme
behauptet den Weg vom "ewigen Grund zur Natur, als des freien Willens des
Urgrunds, zum Naturgrunde der Seele" (IV, 607). Die Natur sei stets
sekundär und abgeleitet. Die Freiheit, der Wille, sei nicht die Natur. Die
Freiheit sei nicht erschaffen. "Wenn ich betrachte, was Gott ist, so sage
ich: Er ist das Eine gegen der Kreatur, als ein ewig Nichts; er hat weder
Grund, Anfang noch Stätte; und besitzet nichts, als nur sich selber: er ist der
Wille des Ungrundes; er ist in sich selber nur Eines: er bedarf keinen Raum
noch Ort: er gebäret von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich: er ist in
[deleatur] keinem Dinge gleich oder ähnlich, und hat keinen sonderlichen Ort,
da er wohne: die ewige Weisheit oder Verstand ist seine Wohne: er ist der Wille
der Weisheit, die Weisheit ist seine Offenbarung" (V, 7).
Der
"Ungrund" ist vor allem als Freiheit, als Freiheit in der Finsternis
zu verstehen. "Darum so hat sich der ewige freie Wille in Finsternis, Pein
und Qual, sowohl auch durch die Finsternis in Feuer und Lichte, und in ein
Freudenreich eingeführet, auf daß das Nichts in Etwas erkannt werde, und daß es
ein Spiel habe in seinem Gegenwillen, daß ihm der freie Wille des Ungrundes im
[S. 327] Grunde offenbar sei, denn ohne Böses und Gutes möchte kein Grund sein"
(V, 162). Die Freiheit wurzle im Nichts, im μη ον, sie sei der Ungrund. "Der freie Wille ist aus
keinem Anfange, auch aus keinem Grunde in nichts gefasset, oder durch etwas
geformet ... Sein rechter Urstand ist im Nichts" (V, 164). "Darum hat
der freie Wille sein eigen Gericht zum Guten oder Bösen in sich, er hat sein
Gericht in sich, er hat Gottes Liebe und Zorn in sich" (V, 165). Der freie
Wille hat auch Licht und Finsternis in sich. Der freie Wille in Gott ist der
Ungrund in Gott, ist das Nichts in ihm. Böhme gibt der Wahrheit von der
Freiheit in Gott, die auch die traditionelle christliche Theologie anerkennt,
eine tiefe Auslegung. Er lehrt von der Freiheit Gottes tiefer als Duns Scotus.
"Der ewige göttliche Verstand ist ein freier Wille, nicht von Etwas oder
durch Etwas entstanden, er ist sein selbst eigener Sitz und wohnet einig und
allein in sich selber, unergriffen von etwas, denn außer und vor ihm ist
nichts, und dasselbe Nichts ist einig, und ist ihm doch auch selber als ein
Nichts. Er ist ein einiger Wille des Ungrundes, und ist weder nahe noch ferne,
weder hoch noch niedrig, sondern er ist Alles, und doch als ein Nichts"
(V, 193). Für Böhme ist das Chaos die Wurzel der Natur, das Chaos, d.h. die
Freiheit, der Ungrund, der Wille, das irrationale Prinzip. In der Gottheit
selber ist ein grundloser Wille, d.h. ein irrationales Prinzip. Finsternis und
Freiheit sind bei Böhme stets korrelativ und verknüpft. Die Freiheit ist selber
Gott, und sie war am Anfang aller Dinge. "Darum sagen wir recht, es sei
Gottes, und die Freiheit (welche den Willen hat) sei Gott selber; denn es ist
Ewigkeit, und nichts weiters. Erstlich ist die ewige Freiheit, die hat den
Willen, und ist selber der Wille" (VI, 7). Böhme hat offenbar als erster
in der Geschichte des menschlichen Denkens die Freiheit zum Urgrund des Seins
gemacht, sie ist für ihn tiefer und primärer als jegliches Sein, tiefer und
primärer als Gott selber. Und das barg in sich ungeheure Folgen für die
Geschichte des Denkens. Eine solche Auffassung der Ursprünglichkeit der
Freiheit hätte sowohl die griechischen Philosophen als auch die
mittelalterlichen Scholastiker zum Entsetzen gebracht. Hiermit eröffnet sich
die Möglichkeit einer ganz anderen Theodizee und Anthropodizee. Das Urmysterium
des Seins ist ein Aufleuchten des Lichtes in der finsteren Freiheit, im Nichts,
und ist ein Erstarren der Welt aus dieser finsteren Freiheit heraus. Wunderbar
spricht Böhme hiervon in der "Psychologia vera": "Denn in der
Finsternis ist der Blitz, und in der Freiheit das Licht mit der Majestät. Und
ist dieses nur das Scheiden, das die Finsternis materialisch macht, da doch
auch kein Wesen einer Begreiflichkeit ist; sondern finster Geist und Kraft,
eine Erfüllung der Freiheit in sich selber, verstehe in Begehren, und nicht
außer: denn außer ist die Freiheit" (VI, 14). Es [S. 328] sind zwei Willen
– der eine im Feuer, der andere im Licht (VI, 15). Feuer und Licht sind Böhmes
Grundsymbole. "Denn die Finsternis hat kalt Feuer, so lange bis es die
Angst erreicht, dann entzündet sichs in Hitze" (VI, 60). Das Feuer ist der
Anfang von allem, ohne das Feuer wäre nichts, es wäre nur der Ungrund.
"Und wäre Alles ein Nichts und Ungrund ohne Feuer" (VI, 155). Der
Übergang vom Nichtsein zum Sein vollzieht sich durch Entzündung des Feuers aus
der Freiheit. In der Ewigkeit ist der Urwille des Ungrundes, der Wille, der
außer und vor der Natur ist. Fichte und Hegel, Schopenhauer und Hartmann sind
hier verwurzelt, obwohl sie Böhme entchristlichten. Die deutsche idealistische
Metaphysik kommt unmittelbar vom Ungrund, vom Unbewußten, sie geht vom Urakt
der Freiheit zum Weltprozeß über, nicht aber zur Göttlichen Dreieinigkeit wie
Böhme. Das Urmysterium des Seins besteht nach Böhme darin, daß das Nichts eine
Sucht nach dem Etwas habe. "Der Ungrund ist ein ewig Nichts, und machet
aber einen ewigen Anfang, als eine Sucht; denn das Nichts ist eine Sucht nach
Etwas: und da doch auch Nichts ist, das Etwas gebe; sondern die Sucht ist
selber das Geben dessen, das doch auch nichts ist als bloß eine begehrende
Sucht" (VI, 413). Böhmes Lehre von der Freiheit ist nicht eine
psychologische und ethische Lehre von der Willensfreiheit, sondern sie ist eine
metaphysische Lehre vom Urgund des Seins. Die Freiheit ist bei ihm nicht eine
Begründung der sittlichen Verantwortung des Menschen und nicht eine Regulierung
der Beziehungen des Menschen zu Gott und dem Nächsten, sondern sie ist eine
Erklärung der Genese des Seins und zugleich der Genese des Bösen als eines
ontologischen und kosmologischen Problems.
Das
Böse sei entsprungen aus der schlechten Imagination. Die Magie der Imagination
spielt in Böhmes Weltanschauung eine ungeheure Rolle. Durch die Imagination
ward die Welt geschaffen, durch sie erfolgte auch der Sündenfall des Teufels in
der Welt. Der Sündenfall der Kreatur entscheidet sich für Böhme nicht in der
menschlichen, sondern in der englischen Welt, die menschliche Welt entsteht
erst später und soll die Tat wieder gut machen, die der gefallene Engel beging.
Den Fall Luzifers definiert Böhme folgendermaßen: "Denn Luzifer ging aus
der Ruhe seiner Hierarchie aus, in die ewige Unruhe" (V, 61). Es erfolgt
eine Verschiebung des hierarchischen Zentrums, eine Verletzung der
hierarchischen Ordnung. Böhme beschreibt den Fall Luzifers folgendermaßen:
"Daß sich der freie Wille im Feuerspiegel besah, was er wäre, dieser Glanz
machte ihn beweglich, daß er sich nach den Eigenschaften des Centri bewegte,
welche zuhand anfingen zu qualifizieren. Denn die herbe, strenge Begierde, als
die erste Gestalt oder Eigenschaft, impressete sich, und erweckte den Stachel
und [S. 329] die Angstbegierde: also überschattete dieser schöne Stern sein
Licht, und machte sein Wesen ganz herb, rauh und streng; und ward seine
Sanftmut und recht englische Eigenschaft in ein ganz streng, rauh und finster
Wesen verwandelt: da war es geschehen um den schönen Morgenstern, und wie er
tat, taten auch seine Legionen: das ist sein Fall" (V, 41). Der Sündenfall
kam vom finsteren Wünschen, von der Begierde, von der schlechten Imagination,
von der dunkeln Magie des Willens (IV, 317/18). Böhme beschreibt den Sündenfall
stets mythologisch, niemals in klaren Begriffen. Der Teufel empfindet
Feuerqualen in der Finsternis von seiner Begierde. Ohne Böhmes Lehre von
Ungrund und Freiheit ist der Ursprung des Sündenfalls und des Bösen unverständlich.
Der Sündenfall und das Böse sind für Böhme eine kosmische Katastrophe, ein
Moment der Weltschöpfung, des kosmogonischen und anthropogonischen Prozesses,
Resultat des Kampfes entgegengesetzter Eigenschaften, der Finsternis und des
Lichtes, des Grimmes und der Liebe. Katastrophen gehen der Entstehung unserer
Welt voraus, vor unserem Äon waren andere Äonen. Das Böse habe auch einen
positiven Sinn innerhalb der Entstehung des Kosmos und des Menschen. Das Böse
sei ein Schatten des Guten, das Licht setze das Sein der Finsternis voraus. Das
Licht, das Gute, die Liebe bedürften zu ihrer Offenbarung des entgegengesetzten
Prinzips, des "Gegenwurfes". Gott selber habe zwei Antlitze, das
Antlitz der Liebe und das Antlitz des Zornes, ein lichtes und ein finstres
Antlitz. "Denn der heiligen Welt Gott und der finstern Welt Gott sind
nicht zween Götter: es ist ein einiger Gott; er ist selber alles Wesen, er ist
Böses und Gutes, Himmel und Hölle, Licht und Finsternis, Ewigkeit und Zeit,
Anfang und Ende: wo seine Liebe in einem Wesen verborgen ist, allda ist sein
Zorn offenbar" (V, 38). Und weiter: "Die Kraft im Lichte ist Gottes
Liebefeuer, und die Kraft in der Finsternis ist Gottes Zornfeuer, und ist doch
nur ein einig Feuer, teilet sich aber in zwei Principia, auf daß eines im
andern offenbar werde: denn die Flamme des Zornes ist die Offenbarung der
großen Liebe; in der Finsternis wird das Licht erkannt, sonst wäre es ihm nicht
offenbar" (V, 38). Böhme schuf die geniale Lehre, daß Gottes Liebe sich in
finstrer Umgebung in Grimm, Zorn verwandle, und von ihr als solcher empfunden
werde. Böhme denkt immer in Widersprüchen, Antithesen, Antinomien. Jegliches
Leben sei Feuer, aber das Feuer habe zweierlei Offenbarung. "Der ewigen
Leben zwei in zweierlei Qual sind, und ein jedes stehet in seinem Feuer. Eines
brennet in der Liebe im Freudenreich; das andere im Zorne, im Grimme und Wehe,
und seine Materia ist Hoffart, Geiz, Neid, Zorn, seine Qual vergleichet sich
einem Schwefel-Geist: denn Aufsteigen der Hoffart im Geiz, Neid und Zorn macht
zusammen einen Schwefel, darinnen das Feuer brennet, und sich [S. 330] immer
mit dieser Materia entzündet" (III, 385). "Am Kreuze mußte Christus
diesen grimmigen Zorn, welcher in Adams Essenz war aufgewacht, in sein
heiliges, himmlisches Ens trinken, und mit der großen Liebe in göttliche Freude
verwandeln" (V, 133). Die Erlösung faßt Böhme kosmogonisch und
anthropogonisch, als Fortsetzung der Weltschöpfung auf.
In seinen
"Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit"
bewegt sich Schelling in der Richtung von Böhmes Ideen über Ungrund und
Freiheit, obwohl er Böhme nicht immer richtig versteht. Ganz nach Böhme klingen
Schellings Worte: "Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ins Licht". Die
Urschöpfung sei nichts anderes als die Geburt des Lichtes, als die Überwindung
der Finsternis. Damit das Gute aus der Finsternis, aus dem potentiellen Zustand
in den aktuellen übergehe, sei die Freiheit notwendig. Das Sein ist für
Schelling Wille. Er entwickelt als erster in der deutschen Philosophie den
Böhmeschen Voluntarismus. Die Dinge haben ihren Grund nicht in Gott selber,
sondern in der Natur Gottes. Das Böse sei nur deshalb möglich, weil in Gott das
sei, was nicht Gott ist, weil in Gott der dunkle Wille, d.h. der Ungrund sei.
Die Natur ist für Schelling wie für Böhme Geschichte des Geistes, und für
Schelling wird alles, was in der Natur, in der objektiven Welt, wahrgenommen
wird, durch das Subjekt hindurchgeleitet. Die Idee des Prozesses in Gott, die
Idee der Theogonie hat Schelling bei Böhme entlehnt. In seiner
"Philosophie der Offenbarung" macht Schelling heroische Bemühungen,
den deutschen Idealismus zu überwinden und zum philosophischen Realismus zu
gelangen. Und Böhme ist ihm hierbei behilflich. (10) Schelling versuchte den
pantheistischen Monismus der deutschen idealistischen Philosophie zu
überwinden. Er hatte erkannt, daß der Pantheismus mit der Freiheit unvereinbar
ist. Die pantheistische Leugnung des Bösen führt zur Leugnung der Freiheit. Das
Böse, sagt Schelling, habe seine Grundlage im höchsten Positiven. Das Böse sei
die Unbegründetheit des Daseins, d.h., es sei verknüpft mit dem Ungrund, mit
der potentiellen Freiheit. Das alles sind Böhmesche Motive. Böhme verwandter
und kongenialer jedoch war Fr. Baader, der am wenigsten durch idealistische
Losgerissenheit vom Sein vergiftet war und [S. 331] der auch Schelling zu Böhme
hinführte. Baader war Katholik, aber als Katholik sehr frei und mit der
östlichen Orthodoxie sehr sympathisierend. Mit vortrefflicher Klarheit und
Schlichtheit rechtfertigt Baader Böhmes dynamische Auffassung Gottes, die im
göttlichen Leben eine Genesis zuläßt. Gäbe es keine Genese im Selbstbewußtsein
Gottes, so wäre das göttliche Selbstbewußtsein nicht Leben und Prozeß (vgl.
Franz von Baaders Sämtliche Werke, XIII, "Vorlesungen und Erläuterungen zu
Jakob Böhmes Lehre", S. 65). Die dynamische Auffassung Gottes bedeutet ja
auch, daß Gott für uns lebendig, beseelt ist, daß dem göttlichen Leben die
Dramatik jeglichen Lebens innewohnt. Das mag wohl mit Thomas Aquinas und der
schulmäßigen Theologie nicht übereinstimmen, entspricht aber der biblischen
Offenbarung. Baader indes gibt eine vortreffliche Definition des Bösen als
einer Krankheit, als einer Entstellung der hierarchischen Ordnung, als einer
Verschiebung des Zentrums des Seins, nach der das Sein in Nichtsein übergehe.