Schwester Rufinja
Heinrich Michael Knechten
Viele Menschen in Horneburg erinnern sich an Schwester
Rufinja, die hier gelebt hat. Durch den Einsatz von Angelika Neef sowie von
Christian Matzner und Roland Sölder-Prakenstein wurde ihrem Werk anlässlich
ihres hundertsten Geburtstages und ihres fünfundzwanzigsten Todestages eine
Ausstellung in Mödling bei Wien gewidmet, und zwar unter ihrem bürgerlichen
Namen. Dazu erschien ein Katalog: Christian Matzner, Spurensuche in Mödling.
Ruth Roschanz. Künstlerin und Nonne, Strasshof 2018.
Sie wurde am 18. Mai 1918 in Hamburg-Eppendorf geboren.
Ihre Mutter war die Katholikin Magdalena Marie Roschanz, eine Bühnenbildnerin,
die aus der Steiermark stammte. Ihr Vater soll jüdischer Religion gewesen und
aus dem Osten gekommen sein. Ruth Georgine Luise Charlotte, wie sie vollständig
hieß, wurde am 20.12.1929 in Hamburg römisch-katholisch getauft. In
Hamburg-Uhlenhorst besuchte sie die Schröder-Privat-Schule. 1933 kam Ruth nach
Westfalen, war wohl in der Landwirtschaft eingesetzt, konnte aber auch einen
vom Land geförderten Bildhauerkurs besuchen. Ihre Eltern starben während des
Krieges und Ruth fuhr 1946 mit dem Zug nach Wien. Sie musste dabei die
englische und amerikanische Zone passieren, um schließlich in die russische
Zone zu gelangen. Im Zug traf sie einen Steyler Missionar, der nach der
Wiedereröffnung des Missionshauses St. Gabriel in Mödling tätig werden sollte. 1946
bis 1949 studierte sie an der Wiener Akademie der Künste bei dem Maler und
Rektor der Akademie Herbert Boeckl (1894-1966) sowie bei dem Architekten und
Jugendstilkünstler Josef Hoffmann (1870-1956). Am 21. Januar 1950 wurde ihr die
österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Taufe
in der Alten Kirche Horneburg, mit dem Düsseldorfer Bischof Longin (Talypin;
1946-2014) und Hypodiakon Nikolaus Thon. Schwester Rufinja goss warmes Wasser ins
Taufbecken.
Eine Prüfung am Ministerium für Kunst und Wissenschaft
erbrachte ihr ein Stipendium und ermöglichte Ausstellungen in Mödling, Steyr, Wien,
Paris, Lausanne, Amsterdam, Rhode (Olpe), Bottrop, Datteln und Horneburg. Ihre
Zeichnungen und Bilder sind expressionistisch. Sie war wesentlich beteiligt beim Aufbau des
Museums der Kulturstadt Mödling. Dabei hatte sie Gefäße aus der
Hallstein-Kultur und aus der Awarenzeit zu restaurieren. Sie arbeitete als
Malerin und Restauratorin im missionsethnographischen Museum des Steyler
Missionshauses St. Gabriel.
Dabei hatte sie auch einmal eine Ikone zu
restaurieren. Ihr fiel auf, dass es sich dabei nicht um ein gewöhnliches Bild
handelte. Sie beschäftigte sich deswegen mit der kulturellen Tradition von
Byzanz und war fasziniert von der Welt der Orthodoxie.
Schwester
Rufinja bei der Schaffung der Verkündigungsszene an der Horneburger Königstür.
1965 wurde sie durch Vater Grigorij (Zagreb) als
Novizin angenommen, verließ 1970 die Römisch-Katholische Kirche, wurde 1974
durch Bischof German (Timofeev; * 1937) in Wien in die Russische Orthodoxe
Kirche des Moskauer Patriarchates aufgenommen und erhielt 1976 durch Archimandrit
Avenir (Arnaudov; 1930-2001) die monastische Tonsur. Da es in Österreich kein
russisch-orthodoxes Frauenkloster gab, wechselte sie zur Russischen Orthodoxen
Kirche im Ausland. Bischof Nafanail (L’vov; 1906-1986) gab ihr die Erlaubnis,
im Frauenkloster in Chauvincourt-Provemont (Normandie) zu leben. Die
Verhandlungen über den Verkauf ihres Hauses in Mödling sowie juristische Fragen
bewirkten eine Verzögerung bis zum Januar 1980. Nach sechs Monaten tauchte sie
wieder in Mödling auf, kaufte ein anderes Haus, zog darin aber nicht ein. Sie
gehörte ab dem Oktober 1980 zur Pfarrgemeinde zu den Heiligen Erzengeln in
Düsseldorf, die von Sergius Heitz geleitet wurde, der zu dieser Zeit dem
Pariser Exarchat der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa
(Patriarchat Konstantinopel) angehörte.
„Lege
deine Hand in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,27).
Fünf Monate später verkaufte sie ihre Wohnung in
Mödling wieder und wurde im Juni 1981 in die Hausgemeinschaft der
Maria-Obhut-Gemeinde in Düsseldorf aufgenommen, der Bischof Longin (Talypin;
Moskauer Patriarchat) vorstand. Sie gestaltete bis 1983 die Ikonostase
(Bilderwand) in der dortigen Kapelle.
Plaščanica
(Beweinung und Grablegung Christi)
1983 ging sie in das Andreas-Kloster in Buke
(Altenbeken), das zur melkitisch-katholischen Kirche gehörte. Im August 1984
erhielt sie von Bischof Longin die Erlaubnis, Gemeindeschwester in der
Russischen Gemeinde der heiligen Boris und Gleb in Horneburg zu werden. Hier
schuf sie Kirchenfahnen, eine Grablegung Christi, Ikonen sowie je eine gelbe
und eine violette Altarbedeckung.
Schwester Rufinja starb am 2. Juni 1993 in Datteln.
Die Gemeinde der heiligen Boris und Gleb ist ihr zu großem Dank verpflichtet.
Kirchenfahne:
Gottesgebärerin des Zeichens (Jes 7,14: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und
einen Sohn gebären“).
© Heinrich Michael Knechten, Horneburg 2019