700jähriges Horneburg begeht Goldjubiläum
als Ausbildungsstätte der Landjugend

 

 

„Tages Arbeit – abends Gäste“. Stadt und Land begegnen sich hier. Die Reportage der Woche von Schulte-Scherlebeck, in: Recklinghäuser Zeitung 7.4.1956, Nr. 82.

 

Gemessen an den 700 Jahren, die das Schloß Horneburg steht, sind 50 Jahre gewiß keine lange Zeit. Immerhin, das „Fünfzigjährige“ ist ein Jubiläum. Grund zum Feiern, Grund zur Rückschau. Gefeiert wird erst im nächsten Jahr, zusammen mit dem 60jährigen der Landwirtschaftsschule Recklinghausen und dem ebenfalls 50jährigen des Gartenbauamtes und der Lehrgärtnerei in Horneburg. Die Rückschau aber beginnt schon jetzt. Sie ist besonders aufschlußreich, denn die letzten 50 Jahre hatten es in sich. Der goldene Kranz dieser Jahre wiegt auch hier nicht leicht. Gründung, Aufbau, Entwicklung, Niedergang, neues Leben in weniger als einem Menschenalter. In 50 Jahren kann viel geschehen. Auch rückschauend war es mehr als der kurze Blick durch ein Fenster. Horneburg steht im Landbau auf dem Boden sehr alter Tradition. Das ist auch heute noch seine Eigenart, seine Besonderheit und seine Stärke, die dieses Horneburg als Ausbildungsstätte hervorhebt.

 

Das alte Schloß hat den Stürmen standgehalten. In Wirklichkeit ist es gar kein Schloß. Vielmehr eine gute alte westfälische Wasserburg mit dicken Mauern, die zu der Dickschädeligkeit passen, die man dem Westfalen nachsagt, aber auch zu einem breiten Rücken, der schon mal einen Stoß verträgt. Das alte Horneburg, man ist versucht zu sagen, das liebe alte Horneburg, begeht ein Jubiläum. 50 Jahre erst? Nein! Die 700 Jahre vorher klingen mit hinein. Das 13. Jahrhundert, als die Freiherren von Oer hier die Bauherren waren, reicht, mit allʼ den Menschengenerationen seither, hinüber in unser 20. Jahrhundert. Das Bild der frühen Zeit mit seinen Wäldern, seinen Mooren und seiner Einsamkeit steigt heute als Vision aus dem Rauch der nahen Zechen.

 

Horneburg ist ein Dorf geblieben. Ein Kleinod der Landarbeit am Rande des großen Industriegebietes. Des Kohlenpotts mit seinen Bergleuten, mit dem größten Markt Europas und seinem größten Fleiß. Die Erbauer wußten noch nichts von den dereinstigen Veränderungen ihres Gebietes in seinem Landschaftsbild, seiner Bewohner von überall her, seiner sprachlichen Eigentümlichkeit. Sie wußten, daß sie nicht auf Sand bauten, sie wußten nicht, daß sie auf Kohle bauten, tief unten in dieser Erde. Aber sie bauten gut.

 

Unsere Burg hat Charakter. Auch heute noch. Verklungene Romantik? Altmodisch? Verspielte Träumerei? Nichts davon. Vielmehr zeitlos und auch ganz zeitnah. Achtung vor der Vergangenheit, Hoffnung für die Zukunft. Was so sehr Bestand hatte, wird bestehen und kann auch widerstehen.

 

Die lange Vergangenheit ist rasch aufgezählt. Das Geschlecht derer von Oer, die Erzbischöfe von Köln als Kurfürsten, die teilweise Zerstörung durch Turenne, Reichsdeputationshauptschluß, Herzog von Arenberg, Landrat Graf Merveldt. Dieser Landrat gründete 1896 die Landwirtschaftsschule Horneburg und gab uns dadurch den Grund, heute diese 50 Jahre mit der Gegenwart zu vergleichen. Heute beherbergt Horneburg die Landwirtschaftsschule für Mädchen, das Gartenbauamt mit der Lehrgärtnerei, die Kreisgutswirtschaft und den Grundausbildungslehrgang für weibliche Nahrungsmittelberufe.

 

Die Landwirtschaftsschule für Mädchen hat zwar den gleichen Lehrplan wie alle Mädchenabteilungen. Aber die Schule verfügt über ein geräumiges Internat. Sie spricht deshalb den ganzen Menschen an. Sie nimmt die jungen Mädchen für sieben Monate aus ihrem häuslichen Kreis in die eigene, ganz andere Gemeinschaft. Sie formt nicht nur fachlich. Sie läßt die jungen Menschen aus vielen Gegenden, aus der ganzen Verschiedenheit ihrer Herkünfte sich aneinander reiben, bilden, aufschließen und zusammenfinden. Sie öffnet ihnen das Weltbild, und sie zeigt ihnen auch den Markt. Horneburg liegt am Rande eines großen Verbrauchergebietes. Wir erzeugen, um zu verkaufen. Der Markt ist auch unterrichtlich ernst zu nehmen. Der ausländische Anbau nimmt auf unseren Markt im Ruhrgebiet mehr Rücksicht als wir selbst. Unsere Marktforschung ist noch jung. Marktbeobachtung ist wichtig.

 

Horneburg ist eine Begegnungsstätte. Landmensch, Stadtmensch, Industriebauer sind keine belanglosen Begriffe. Die anders geartete Umwelt formt die Menschen verschieden. Die bäuerliche Herkunft ist rasch vergessen, bäuerliches Brauchtum schnell abgetan, wenn diese Begriffe nicht durch die Schule gefestigt sind. In Horneburg sind Industrie und Land keine Gegensätze. Sie leben sich nicht auseinander. Nicht die ländliche Abgeschiedenheit kann hier deshalb den Unterricht formen. Nicht die idyllische Schönheit der unberührten Landschaft kommt der Wirklichkeit nahe.  Der Wellenschlag des Lohntages im Revier brandet in die Überlegungen unserer Anbaupläne. Industrie und Land sind sich nicht feindlich, aber sie müssen sich kennen. Der Jugend fehlt noch die Begegnung. Die angehende Bäuerin muß wissen, wer die Erzeugnisse des Landes verzehrt und wie der Markt sie wünscht. In Horneburg liegt das nahe beieinander.

 

„Tages Arbeit, abends Gäste“ –. Die hohen Feste des Lebens, Kindtaufe, Hochzeit mit ihren festlichen Dekorationen, ihrer feinen Küche, ihrem innerlich und äußerlich neu angezogenen Menschen, werden von den Schülerinnen in wirklichkeitsnaher Art geübt. Die Festkreise des Jahres mit ihrem Reichtum an Innerlichkeit werden würdig und als Beispiel für das Familienleben begangen. Der einfache Feierabend mit bäuerlichen Sitten und Gebräuchen kommt zu seinem Recht. Der Ruf der deutschen Frau, der im Ausland, trotz des Mißkredites, den uns die Vergangenheit sonst brachte, so hoch steht, ist selbstverständlicher Inhalt des Unterrichtes und des Lebens im Internat.

 

Das musische Element spielt in der Freizeit als Erziehungsmittel die gebührende Rolle. Das Volkslied, das Märchenspiel mit Kostüm und Handlung, von den Schülerinnen dargestellt und erlebt, wecken verborgene Fähigkeiten auf, von deren Vorhandensein der einzelne selbst nichts ahnte. Man wird freier, kommt zum Sprechen und letzten Endes zu einer persönlichen Aussage.

 

Das Internat wird von Schönstätter Schwestern geleitet, in deren Obhut die Schülerinnen alltäglich nach Schulschluß aufgehen. Freundlich eingerichtete Zimmer und gemütliche Gesellschaftsräume sorgen für die persönliche Behaglichkeit, schaffen jene Atmosphäre, die später mit hinausgenommen werden soll ins Leben. Das Gemüt kommt nicht zu kurz. Aber auch die Gesundheit des Körpers nicht. Der neugestaltete Burggarten und eine Umgebung, die unsere nahe Industrie nicht einmal ahnen läßt, dienen der Erholung im Freien. Die enge Verbindung der Schule mit dem Gartenbauamt und der Lehrgärtnerei geben dem Unterricht und den praktischen Übungen im Gartenbau innerhalb des Lehrplanes einen besonderen Platz.

 

Der schöne Wohngarten am Bauernhaus und der möglichst arbeitsparend angelegte Nutzgarten sind hier die erstrebten Ziele. Der Umgang mit der Pflanze und mit dem Boden, die Baumpflege, das Frühbeet, die Pflanzenanzucht und der Pflanzenschutz sind praktische Übungsthemen im Gartenbau. Der beispielhafte Viehbestand ist gleichzeitig bestes Ausbildungsmaterial, das z. B. auch durch Melklehrgänge der unterrichtlichen Fortbildung nutzbar gemacht wird.

 

Man kann sagen, daß jeweils die Weihnachtszeit ein Wendepunkt im Zusammenleben der Mädchen ist. Dann haben sie sich, die Ende Oktober hier zusammenkamen, auch zusammengefunden. Sie sind jetzt eine Einheit. In der Küche ist die Fingerfertigkeit der handwerklichen Arbeiten so fleißig geübt, daß sie nun mit Hilfe neuzeitlicher Maschinen praxisreif gemacht werden kann.

 

Die Maschine erleichtert jetzt auch den Tagesablauf. Sie verkürzt den Aufwand an Arbeitszeit, ohne die angehende Hausfrau abhängig zu machen. Jetzt bietet sich auch Gelegenheit zum Umschauen in der Umgebung. Bäuerliche Betriebe werden besucht. Beispiele für die vorbildliche und die nicht nachahmenwerte Wirtschaftsweise. Aber auch der Kreistag, der Landtag und selbst der Bundestag stehen als Besuchsziele auf dem Programm. Selbstverständlich ist auch alljährlich wenigstens ein Werk der Industrie dabei.

 

Daß die Schule durch die Wirtschaftsberatung ausstrahlt und manchen Betrieb innerhalb des Bezirkes erfaßt, ist nur natürlich. Gemeinschaftswaschanlagen, Gemeinschaftsgefrieranlagen sind ebenso Zeugen davon, wie die Neuerungen in den Küchen, nicht nur der bäuerlichen Haushalte des Kreises.

 

Ein „Fünfzigjähriges“ bringt Abstand, bringt Überlegung. Man sieht die täglichen Dinge einmal mit anderen Augen an, denkt über sie nach und erkennt ihren besonderen, inneren Wert. In diesem Jahr soll noch nicht gefeiert werden, aber viele ehemalige Horneburger, nicht nur in Westfalen, werden gern an ihre alte Ausbildungsstätte zurückdenken und dabei ein Schmunzeln im Gesicht haben. Ja, in Horneburg, das waren noch Zeiten! Aber im nächsten Jahr, dann kommen wir wieder alle einmal zusammen. In Horneburg.

 

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